Bard, der Drachentöter

Líli schlug die Augen auf. Sie lag in einem kleinen Boot, in eine warme Decke eingewickelt. Es war Morgen, der Himmel war gräulich. ,,Guten Morgen", grinste Bain. Er saß neben seinem Vater, der ruderte. ,,Morgen", erwiderte Líli verschlafen und setzte sich vorsichtig auf, ,,was ist passiert?" ,,Smaug ist tot", sagte Bard und lächelte leicht, ,,du wärst fast ertrunken. Aber Bain hat dich gerettet". Der Kahnführer klopfte seinem Sohn stolz auf die Schulter. Bain wurde leicht rot und lächelte ihr zu. Líli erwiderte das Lächeln und fröstelte. Sie ließ ihren Blick über den See schweifen. Der Kuss in der brennenden Stadt kam ihr wieder in den Sinn. ,,Im Sommer bringe ich dir im Langen See schwimmen bei, Líli", sagte Bain. Líli nickte nur nachdenklich. Wo waren ihre Brüder? Ging es ihnen gut? Hatten sie überlebt? Wussten sie, dass Líli noch am Leben war?

,,Wo fahren wir hin?", fragte Líli. ,,Ans westliche Ufer", meinte Bard, ,,ich denke, dort haben sich alle versammelt". Das junge Zwergenmädchen hoffte, dass Fíli, Kíli, Bofur und Óin auch dort waren. ,,Und was tun wir dann?", fragte Bain zweifelnd, ,,die Stadt ist zerstört. Wir können nirgendwo hin, Da". ,,Mach dir keine Sorgen", erwiderte Bard, jedoch mit einer tiefen Sorgenfalte an der Stirn, ,,der Bürgermeister wird sich darum kümmern". ,,Pff", meinte Bain nur. Die restliche Bootsfahrt bis zum westlichen Ufer verlief ereignislos. Alle froren in ihren nassen Kleidern und waren froh, dass sie das Ufer erreicht hatten. Die Seestädtler standen alle beisammen. Eine Frau, die Bain als Hilda Blanca kannte, verteilte warme Decken an die Überlebenden. ,,Die sind trocken", sagte sie, ,,hier! Die werdet ihr brauchen". Alfrid, der anscheinend überlebt hatte, schubste zwei Menschen rüde zur Seite und folgte Hilda. ,,Hey! Gib mir eine davon! In dieser Kälte hol ich mir den Tod!", blaffte er. ,,Such dir selber eine! Du hast hier nichts mehr zu sagen, Alfrid Leckspuckel!", erwiderte Hilda wütend. ,,Da irrst du dich!", meinte Alfrid, ,,ist der Bürgermeister abwesend, geht die Macht über an seinen Stellvertreter und das bin ich! Und jetzt gib mir die Decke!" Er zog an der Decke aber Hilda hielt die Decke erbittert fest.

,,Stellvertretender Bürgermeister, dass ich nicht lache! Gerissener Dieb trifft es besser!", entgegnete Hilda, schubste ihn fort und schlug mit der Decke nach ihm, ,,lieber sterbe ich  als dir Folge zu leisten!" Sie wandte sich von ihm ab aber Alfrid packte sie und riss sie zurück. ,,Vielleicht lässt sich das einrichten!", rief er und hob die Hand zum Schlag. Aber Bard hielt seine Hand fest und sagte: ,,Wendet Euch nicht gegen Euresgleichen, nicht jetzt". Bain stellte Alfrid ein Bein und riss ihn zu Boden. Hilda grinste zufrieden. Plötzlich drängten sich Tilda und Sigrid vor. ,,Vater!", rief Tilda glücklich und rannte ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen. ,,Komm her!", rief Bard ebenfalls glücklich und hob sie hoch. Sigrid schmiegt sich an ihn und sagte: ,,Du lebst!" Bard umarmte lachend seine Töchter und meinte: ,,Alles ist gut, meine Lieben!"

Dann wurden Líli und Bain ebenfalls glücklich von den Mädchen umarmt. ,,Sigrid?", fragte Líli, ,,wo sind meine Brüder und die anderen?" Sigrids Lächeln verflog und ihr Gesicht wurde traurig. ,,Es tut mir leid, Líli, sie sind fort", antwortete das Mädchen. Líli nickte traurig. Also mussten ihre Brüder denken, dass sie tot wäre, sonst hätten sie sie niemals zurückgelassen.

,,Es war Bard! Er hat den Drachen getötet!", rief Peridur, ,,ich habs mit meinen eigenen Augen gesehen! Mit einem schwarzen Pfeil hat er ihn erledigt!" Die Seestädtler jubelten, drängten sich um Bard und klopften ihm dankbar auf die Schulter. Líli fiel auf, dass sich niemand bei Bain bedankte. Aber der Junge schien das locker zu nehmen und sah grinsend zu seinem Vater, der jetzt noch beliebter bei den Bürgern war.  Alfrid drängte sich vor und riss Bards Arm hoch. ,,Ja! Ein Hoch auf den Drachentöter! Ein Hoch auf König Bard!"

Bard riss wütend seinen Arm aus Alfrids Griff. ,,Ich habe es schon oft gesagt!", heuchelte Alfrid weiter, ,,dies ist ein Mann aus edlem Hause! Ein geborener Anführer!" Líli und Bain schnaubten verächtlich. ,,Er ist ein Lügner", flüsterte Tilda, ,,ein elendiger Lügner!" ,,Nennt mich nicht so! Ich bin nicht der Bürgermeister dieser Stadt! Wo ist er?", erwiderte Bard und drehte sich suchend nach dem Bürgermeister um. Hilda antwortete spöttisch: ,,Den Anduin flussabwärts! Mit all unserem Geld!" Dann beschuldigte sie Alfrid, davon zu wissen. Der stellvertretende Bürgermeister versuchte sich mit Ausreden herauszureden aber die Bürger glaubten ihm natürlich nicht. Sie beschimpften ihn. Alfrid griff grob nach Tilda und zieht sie vor sich. ,,Denkt an die Kinder! Denkt denn hier niemand an die Kinder?" Tilda trat ihm kräftig auf den Fuß und lief zurück zu Líli und ihren Geschwistern.

Alfrid schrie auf und hielt sich den Fuß. Die Seestädtler stürzten sich auf ihn und schleppten ihn fort. ,,Er soll hängen!", schrie eine Frau. Aber Bard ging dazwischen. Die Bewohner von Esgaroth ließen Alfrid fallen. ,,Seht euch doch nur um! Habt ihr noch immer nicht genug vom Tod? Der Winter steht uns bevor! Wir müssen uns um die Unseren kümmern! Um die Kranken und die Hilflosen. Wer noch stehen kann, versorgt die Verletzten. Und wer noch bei Kräften ist, folgt mir. Wir müssen retten, soviel wir können". Er ging aber Hilda hielt ihn auf. ,,Und dann? Was machen wir dann?", fragte sie. Bard drehte sich um und schwieg eine Weile. Schließlich antwortete er: ,,Eine Zuflucht suchen". Dann ging er. Bain umarmte Líli liebevoll und folgte mit einigen anderen Männern und Frauen seinem Vater.

Líli kümmerte sich mit Tilda und Sigrid um die Verletzten. Die Arbeit war anstrengend, aber mit Königskraut, dass Líli einem Schweinebesitzer abschwatzte, bekam sie viele Wunden geheilt. Gegen Nachmittag aßen die Seestädtler Fischeintopf, den einige Frauen schnell gekocht hatten. Der Eintopf war nicht besonders lecker aber Líli verschlang ihn förmlich, weil sie so viel Hunger hatte.

Sie saß gerade neben Sigrid und Tilda und aß schon ihre zweite Portion. Plötzlich kam ein Junge mit hellblondem Haar zu ihnen. Er war ungefähr 17 oder 18 Jahre alt und seine Klamotten waren angesengt von Smaugs Flammen. Er kam ihr irgendwie bekannt vor. Líli runzelte die Stirn. Sigrid und Tilda schienen den Jungen zu kennen. ,,Hallo Per", sagte Sigrid und wurde leicht rot. Líli überlegte kurz. War Per nicht der Junge, in den Sigrid verliebt war? ,,Hallo Sigrid", erwiderte Per, ,,wie gehts euch?" ,,Gut", meinten Tilda und Sigrid. Líli lächelte dem Jungen nur freundlich zu. Per erzählte Bards Töchtern kurz von der Nacht, die er gestern abend erlebt hatte. Dann berichtete er noch eine Weile von seiner Lehre in einer Bootswerft und zeigte ihnen ein kleines Ruderboot, dass er selbst gebaut hatte. ,,Ich brauche noch einen Namen für das Boot", sagte Per und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. ,,Wie wär's denn mit Sigrid?", fragte Líli grinsend. Per sah sie erstaunt an und entgegnete: ,,Gute Idee, das ist ein schöner Name!" Sigrid wurde rot und Tilda kicherte leise. 

,,Ähm...Sigrid, was ich dich noch fragen wollte", begann Per etwas verlegen, ,,wenn das hier alles vorbei ist, könnten wir ja beim nächsten Stadtfest zusammen tanzen?" ,,Gerne", lächelte Sigrid überglücklich und Per erwiderte das Lächeln verlegen. Dann lief er davon. Líli schmunzelte. Tilda zog ihre Schwester mit Per auf aber Sigrid schien überglücklich zu sein. ,,Bain und ich haben uns geküsst", platzte es plötzlich aus Líli heraus. Tilda und Sigrid hörten auf zu reden und sahen sie überrascht an. Líli erwiderte den Blick unsicher. Aber dann lächelte Sigrid und sagte: ,,Das ist doch wunderbar!" Tilda nickte und kicherte. Dann begann sie mit Líli zu scherzen. Líli machte begeistert mit aber war recht nachdenklich. Sie wusste noch nicht, wo Bard mit den Seestädtlern hinwollte aber sie musste unbedingt zum Erebor, um ihren Brüdern, Thorin, Bilbo und den anderen Zwergen zu zeigen, dass sie noch lebte.

Schließlich kam Bard mit den anderen zurück. ,,Nehmt nur das Nötigste mit! Wir haben einen langen Marsch vor uns!" Die Seestädtler bereiteten sich auf den Marsch vor. Sie packten ihre Sachen zusammen und schulterten Taschen. Líli war froh, dass sie noch ihren Rucksack bei sich hatte. Jedoch waren Vílis Bücher vom Seewasser aufgeweicht. Sie las Tilda etwas davon vor. Aber schon bald zogen die Seestädtler los, mit Bard an der Spitze. Mittlerweile wusste Líli, dass sie zum Berg wollten, um dort um Geld und Vorräte zu bitten. Bard hatte beschlossen, dass sie in Thal Zuflucht finden sollten. Die Flüchtlinge trugen Verwundete oder Vorräte. Nur Alfrid weigerte sich, irgendetwas zu tun.

Sie zogen nach Thal. Nach einer anstrengenden Wanderung kamen sie in Thal an. Líli betrachtete schockiert die Ruinen der zerstörten Stadt. Hier war also ihr Vater aufgewachsen. Die zerstörten Häuser wirkten traurig. Es schneite leicht und war sehr kalt. Die Seestädtler waren entsetzt und hielten sich angewidert Tücher vor den Mund, denn es stank fürchterlich. Líli erschrak, denn sie liefen auch an schwarzen verwesten Leichen vorbei. ,,Kommt! Geht weiter!", rief Bard und half den Bürgern die Treppen hinauf. Líli sah in Richtung des Erebors. Die Feuerschalen brannten. Sie lächelte glücklich. Also hatten Thorin, Fíli, Kíli, Bilbo und die anderen überlebt! Bard unterhielt sich kurz mit Alfrid über den Berg und ordnete an, dass Alfrid die Nachtwache überleben sollte. Alfrid seufzte und ging. Die Seestädtler zogen sich alle in die zerstörten Häuser zurück. Bard hatte noch viel zu tun und so streiften Sigrid, Bain,Tilda und Líli alleine durch die alte Stadt.

Am Rand der Stadt fanden sie ein mehrstöckiges Haus. Es war altrosa getüncht und die Fensterläden waren grün gestrichen.Das Dach war glutrot. Man sah dem Haus an, dass es schön gewesen war und hier reiche Leute gelebt hatten. Es gab auch einige schöne Verzierungen an der Fassade.Das Haus stand direkt an der Rotwasser, einem Fluss und war tatsächlich nicht wirklich zerstört. Bards Kinder und Líli beschlossen, dort zu schlafen und gingen rein. Sie erkundeten kurz das Haus. Es gab einige, große Zimmer. Jedoch war das Haus ziemlich unaufgeräumt und verstaubt, also putzten die vier und richteten die Zimmer her. Danach aßen sie trockenes Brot, tranken heißen Tee und gingen schließlich schlafen. Das erste Mal in ihrem Leben hatten Sigrid, Bain und Tilda eigene große Zimmer. Líli zündete mit etwas altem Holz den Kamin an und legte sich in ein Bett, unter eine schwere, staubige Decke. Morgen würde sie zum Erebor reisen.

Der nächste Morgen kam schnell. Líli fühlte sich schlecht, dass sie die Stadt heute verlassen würde. Den Flüchtlingen aus Esgaroth ging es in Thal nicht gut. Sie hungerten und wussten nicht, wie es weitergehen sollte. Bard, Sigrid und Tilda liefen in der Stadt herum und halfen den Verwundeten und Kranken. Líli stand mit Bain am Stadttor. Sie trug immer noch Sigrids altes Kleid und den Mantel, den Tauriel ihr in Esgaroth gegeben hatte. ,,Ich komme wieder", sagte Líli, ,,jede Nacht". Bain lächelte und erwiderte: ,,Wir werden auf dich warten. Pass auf dich auf. Ein Schneegestöber zieht herauf". Líli nickte und umarmte ihn lange. Bain erwiderte und küsste sie schließlich schüchtern auf die Wange. Líli genoss den Kuss und wanderte dann los, in Richtung des Berges. Nun würde sie endlich ihr Zuhause sehen. Bain sah ihr hinterher und lief zurück in die Stadt, um zu helfen.

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