8. Zoë
Seit Franz-Joseph das Zimmer verlassen hatte, war vielleicht eine Viertelstunde vergangen, als es an meiner Tür klopfte. Ich schaute auf und legte das Briggs zurück auf den Schreibtisch. Durch die Tür trat ein bildhübsches Mädchen. Sie hatte ihre langen blonden Haare zu einem Zopf geflochten, der ihr bis Mitte Rücken reichte. Als sie mich erblickte, lächelte sie mich an und ihre schokoladenbraunen Augen schienen vor Wärme zu schmelzen. Ihr ins Zimmer folgte eine junge Frau, kaum älter als sie selbst. Sie war in eine Dienstmädchenuniform gekleidet und zog zwei grosse, hellblaue Koffer hinter sich her.
„Bonjour, ich heisse Zoë." Das Mädchen, das etwa in meinem Alter sein musste, knickste kurz vor mir. „Freut mich, dich kennenzulernen, ma chérie."
So, jetzt galt es, meine normale Identität abzulegen und mich mit meiner Neuen vertraut zu machen. „Hallo Zoë, ich bin Lorraine." Ich wollte ihr die Hand reichen, doch im letzten Moment merkte ich, dass dies wohl die falsche Geste wäre und machte stattdessen einen unbeholfenen Knicks.
„Ich weiss, Franz-Joseph hat mich bereits informiert. Und du kannst mir glauben, mit mir wirst du eine sehr gute Etikette-Lehrerin haben. Streng, aber immer korrekt. Lass dich mal anschauen."
Mir dämmerte es. Das war also Franz-Joseph's zweite Idee. Eine private Etikette-Lehrerin.
Zoë kam auf mich zugelaufen. Ihre Augen schienen mich mit einem Röntgenblick von oben bis unten zu durchleuchten. Plötzlich griff sie in mein Gesicht...KNACKS..."Neeein, was machst du mit meiner Brille! Ohne sie bin ich blind wie ein Maulwurf!"
„Nicht weinen, ma chérie. Prinzessinnen tragen keine Brille und wir wollen deine Tarnung doch perfekt machen, nicht wahr?"
„Klar will ich eine ausgezeichnete Tarnung, aber was bringt es, wenn ich nichts sehe und in der Gegend herumstolpere? Dann falle ich garantiert noch mehr auf."
„Wir haben an alles gedacht, ma chérie. Ich habe Kontaktlinsen dabei, die du anstatt der Brille tragen kannst." Sie drückte mir ein Döschen in die Hand, ergriff meinen Arm und zog mich dann Richtung Badezimmer.
Nachdem ich mich eine gefühlte Ewigkeit damit abgemüht hatte, diese Dinger von Kontaktlinsen in meine Augen zu bekommen, wollte ich erleichtert das Badezimmer verlassen. Doch ich hatte meine Rechnung ohne Zoë gemacht.
«Non, non, non, ma chérie. Du bist noch nicht fertig, bleib da!»
Mit einem Seufzer blieb ich stehen.
Weil sich widersetzen sinnlos war, liess ich mich einer Maniküre und Pediküre von Zoë unterziehen.
Ausserdem verriet sie mir während des Schminkens auf was Prinz Maximilian besonders stand. Da er als ein leidenschaftlicher Tänzer galt, durfte man sich als zukünftige Kaiserin auf gar keinen Fall einen Schrittfehler erlauben geschweige denn ihm auf die Füsse treten. Politik schien ihn nur mässig zu interessieren, obwohl er in der Öffentlichkeit diesbezüglich keine Schwäche zeigte. Trotzdem sollte dieses Thema in persönlichen Gesprächen möglichst gemieden werden. Man munkelte, dass er seine Herzensdame gerne aufs äusserste verwöhnen würde, es aber nicht haben konnte, wenn sie auf irgendeinem Gebiet mehr Wissen besass als er. So weit, so gut. Ich errechnete mir sowas von keine Chancen beim Thronfolger. Trotzdem schienen alle um mich herum grösste Hoffnungen in mich zu setzen. Ob das gut ging? Der blosse Gedanke an den Ball heute Abend, liess ein unangenehmes Gefühl in meinem Bauch entstehen.
Zoë liess uns ein leichtes Mittagessen aufs Zimmer kommen. Nachdem wir gegessen hatten, instruierte sie mich in der Handhabung des Briggs. Zu den üblichen Funktionen, die ich bereits von meinem Smartphone kannte, kamen einige spezielle, aber durchaus hilfreiche Funktionen dazu. Die Funktion, dass man gewisse Personen schneller auffinden konnte, kannte ich vom Vorfall mit dem Wachposten heute Morgen schon.
Worüber ich echt staunte, war, dass es bei Textnachrichten noch eine Gefühlsebene gab. Schrieb man jemandem eine Nachricht, wurde das Gefühl, das der Sender beim Schreiben der Nachricht empfand, gleich mitgeschickt. So sollte es zu weniger Missverständnissen und klaren Nachrichten kommen.
Also war dieses Gefühl, was ich beim Lesen von Franz-Joseph's Nachricht verspürt hatte ganz normal. Ich versuchte mich zu erinnern, wie es sich angefühlt hatte. Es erzeugte in mir eine wohlige Wärme und vielleicht schwang auch noch etwas Stolz mit, ich konnte es nicht mehr so genau sagen. Aber es war auf jeden Fall ein angenehmes Gefühl, das mich glücklich machte.
«Du lächelst. An was denkst du?» Zoë riss mich aus meinen Gedanken.
«Ich musste daran denken, dass Franz-Joseph mir vorher eine Nachricht auf mein Briggs gesendet hatte und ich völlig perplex war, als mich eine Gefühlswelle überrollte. Jetzt kenne ich den Zusammenhang.» Mein Gegenüber nickte verstehend. «Das mag am Anfang etwas ungewohnt sein für dich, aber du wirst dich sicher schnell daran gewöhnen.»
Das Versenden von Nachrichten, welche die Gefühlsebene miteinbeziehen, schien aber nicht ganz ohne Tücken zu sein. Zoë lehrte mich, dass ich am Anfang immer sehr bewusst an die Emotion denken sollte, die ich mit der Nachricht versenden möchte. Unbewusst hatte man immer gewisse Emotionen in sich drin. Schrieb man nun schnell eine Nachricht, ohne sich auf die gewünschte Emotion zu konzentrieren, wurden die unbewussten Emotionen gleich mitgeschickt. Daher konnte es bei Anfängern vorkommen, dass man mit diesem Emotionen-Mix den Empfänger verwirrte oder Emotionen preisgab die man gar nicht beabsichtigt hatte. Es sei aber alles eine Sache der Übung. Ich musste Franz-Joseph später danach fragen, ob ich ihn mit meiner Nachricht verwirrt habe und überlegte fieberhaft, was ich beim Schreiben dieser Nachricht gefühlt hatte. Es wollte mir einfach nicht einfallen. Dann muss es wohl auch nichts Spezielles gewesen sein.
Die Nachrichten besassen ausserdem immer eine Dringlichkeitsstufe: normal, dringend, sehr dringend. Auch das konnte man als Sender der Nachricht gedanklich beeinflussen. Wie dringend eine Nachricht war, wurde mittels Vibrationsstärke reguliert beziehungsweise dem Empfänger mitgeteilt.
Eine weitere Funktion, die mir Zoë erklärte, war, dass ein Briggs aufgrund eines eingebauten Sensors im Tutorialmodus Abweichungen erkennen konnte. Und nicht nur das. Anschliessend wurde ein konstruktives Feedback gegeben, was bereits gut geklappt hatte und was man beim nächsten Durchgang verbessern konnte. Das kam mir natürlich sehr gelegen. So konnte ich mir die Etikette-Regeln und den höfischen Umgang ganz praktisch im Selbststudium beibringen und war nicht immer auf Zoë angewiesen. Sie hatte ja auch noch gewisse Termine zu beachten und wahrzunehmen, so wie alle anderen Kandidatinnen auch. Wenn immer möglich, unterrichtete sie mich natürlich persönlich.
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