5. Die Hofburg

Wir erhoben uns von der Steinbank. Franz-Joseph schilderte mir nochmals im Eilzugtempo, wie wir möglichst unbemerkt in die Hofburg gelangten. Er steuerte direkt auf den Dienstboteneingang der Hofburg zu. Ich versuchte auf gleicher Höhe zu bleiben und mit ihm Schritt zu halten. Wir taten so, als wären wir in ein Gespräch vertieft. Im Falle, dass uns jemand ansprechen würde, könnte Franz-Joseph den Vorwand bringen, er müsste mit mir dringend etwas bezüglich den Lipizzanern klären. Ich trug ja immer noch die Bereiteruniform.

Wir hatten Glück. Die Angestellten des Hofes knicksten entweder, wenn sie den Prinzen erkannten oder würdigten uns keines Blickes, da sie in Eile waren.
Plötzlich zog mich Franz-Joseph in eine kleine Nische. Ein Wachposten passierte. Ich war über Franz-Joseph's schnelle Reaktion erstaunt. „Wie wusstest du, dass genau jetzt ein Wachposten passieren wird?", fragte ich ihn im Flüsterton. Er wendete sich mir zu und wedelte mit einem rechteckigen Gegenstand vor meinem Gesicht herum. Das war doch dieses komische Gerät, das er vorhin verwendet hatte, um seinen Hauslehrer um ein Gespräch zu beten. Der Name davon war mir entgangen, Bliks oder so ähnlich. „Was hat das mit deinem Bliks zu tun?" Ich sah ihn an, komplett ahnungslos, was er mit diesem Gewedel bezwecken wollte. „Briggs", korrigierte er mich. „Briggs, von mir aus, aber was hat es damit auf sich?" Er schaute mir verschwörerisch in die Augen. „Zu den Spezialfunktionen meines Briggs gehört ein digitaler Plan des Schlossgeländes, wo gewisse Personengruppen abgebildet und beobachtet werden können. Du wirst auch ein Briggs bekommen, aber mehr dazu erkläre ich dir später, da ich sonst nicht rechtzeitig zum Gespräch mit meinem Vater komme. Los, wir müssen jetzt weiter", drängelte Franz-Joseph.

Ich fragte mich gerade, ob wohl jede Person in diesem Paralleluniversum so ein Ding - den Namen konnte ich mir immer noch nicht merken - auf sich trug und sie sich gegenseitig beobachten konnten, aber dies schien mir unwahrscheinlich. Was wäre das für ein elendes Leben, wenn man wüsste, dass man von jedem überwacht wurde. Nein bestimmt war diese Anwendung etwas Internes am Hof und nur gewissen Personen wurde Zugang dazu gewährt. Ich musste Franz-Joseph diesbezüglich später unbedingt nochmals sprechen. Ich wollte mir gar nicht erst ausmalen, was man alles über mich in Erfahrung bringen konnte, sobald ich im Besitz eines solchen Teils war.
Doch das war nur eine, dieser abertausenden von Fragen, die sich bei mir im Kopf tummelten, seit ich hier gelandet war. Und es schienen nicht weniger zu werden. Aber eines nach dem andern. Ich war gespannt, was dieser Herr van Wittenberg mir zu erzählen wusste. Hoffentlich gute Nachrichten.

Wir eilten endlos lange Gänge entlang, die sich alle aufs Haar zu gleichen schienen: weiss getäfelte Wände, mit einer Reihe hellblauer Kacheln am oberen Rand, Neonröhren an der Decke. Franz-Joseph verlor keinen Moment die Orientierung und lief zielsicher vorwärts. Ich hätte mich in diesem Irrgarten alleine bestimmt verlaufen. Ich versuchte mir gerade vorzustellen, wie der Rest der Burg wohl aussah, denn wir hatten bis jetzt nur den Teil, wo sich mehrheitlich die Angestellten aufhielten, durchquert. Wie auf Kommando erreichten wir am Ende des Ganges den Fuss eines Treppenaufganges. Die meisten Höflinge bekamen diesen unterirdischen Teil wohl kaum einmal zu Gesicht - von wo ihn Franz-Joseph kannte, war mir ebenfalls schleierhaft - und wussten nicht, was für ein gigantisches Tunnelsystem sich unter der Burg erstreckte.
Wir stiegen die Stufen hoch - es mussten schätzungsweise an die 100 sein - und gelangten dann in einen hohen Raum, von dem mehrere Gänge abgingen.
Der Szenenwechsel, der sich mir hier bot, war gigantisch. Es war, als hätte ich soeben den Film gewechselt. Als wenn ein Universumswechsel nicht schon mehr als genug wäre.
Von der Decke hingen prunkvolle Kronleuchter, in einer Nische gleich rechts von mir war eine Ritterrüstung platziert und an den cremefarben gestrichenen Wänden hatten Gemälde von Franz-Josephs Vorfahren einen ehrenvollen Platz. Ich war völlig fasziniert von meiner Umwelt. Deshalb bemerkte ich auch nicht, dass ich mitten auf der Kreuzung stehengeblieben war.

***

Mein Briggs vibrierte zur Erinnerung, dass das Gespräch mit meinem Vater binnen 5 Minuten beginnen würde. Es war zum Glück nicht mehr weit. Doch ich hatte meine Rechnung ohne Elizabeth gemacht.
Als ich mich vergewissern wollte, dass sie mir noch immer folgte, entdeckte ich Elizabeth etwa 5 Meter hinter mir mitten auf der Wegkreuzung, wie zur Salzsäule erstarrt. Und ich sah noch etwas anderes: eine Anzahl rasant herannahender Diener. Mit einer grossen Kiste Dekorationsmaterial kamen sie direkt Richtung Bankettsaal, der sich am Ende des Ganges befand. Nur zu dumm, dass die vorderen Träger keine Augen am Hinterkopf besassen und die hinteren Träger nicht über die wuchtige Kiste hinwegsehen konnten. Ansonsten hätten sie Elizabeth bestimmt bemerkt und ihr Tempo gedrosselt.
Um einer kleineren Katastrophe zu entgehen, sprintete ich so schnell ich konnte zu Elizabeth und zog sie gerade noch rechtzeitig zur Seite.
„Puh, das war knapp." Elizabeth stand der Schrecken noch ins Gesicht geschrieben.
„Warst wohl ein bisschen am Träumen?", neckte ich sie. Sie senkte den Blick und errötete.
„Macht nichts, ist ja schlussendlich nichts passiert", ermunterte ich sie.
Die Rolle des Superhelden war mir fremd. Das war schon immer die Aufgabe meines Bruders Maximilian gewesen. Da er der Ältere von uns beiden war, sorgte er sich um die Mädchen.

Wir gingen zügig weiter ohne weitere Zwischenfälle und ich war froh, am Ende des nächsten Ganges endlich die Tür zu Hauslehrer Wittenbergs Büro erschien.
«So, da wären wir. Ab hier schaffst du es alleine. Ich muss nun leider los. Bis später.» Ich wollte schon weitergehen, da hielt mich Elisabeth an meinem Armzurück. «Wie soll ich dich denn wieder finden?» Eine Spur von Hilflosigkeit schwang im Ton ihrer Stimme mit. «Keine Angst», versuchte ich sie zu beruhigen,«Hauslehrer van Wittenberg wird mir auf dem Briggs eine Nachricht zukommenlassen, sobald ihr fertig seid. Ich werde da sein.» Dies schien sie zuerleichtern.

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