27. Geheimnisse
Mir ging es miserabel. Gefühlsmäßig befand ich mich zurzeit auf einer nicht endenden Achterbahn. Soeben hatte ich Elizabeth meine Gefühle gestanden. Ich hatte es tatsächlich durchgezogen, doch auf eine andere Art als geplant. Und vor allem hatte ich mir die Auswirkung dieses Geständnisses komplett anders vorgestellt. Ich raufte mir die Haare und bekam dabei einen Strohhalm mit den Fingern zu greifen. Keine Ahnung, wie der dorthin gekommen war. Prinzessin Scarlett hatte leider die intime Unterhaltung zwischen Elizabeth und mir genau in dem Moment unterbrochen, als ich drauf und dran war, alles um mich herum auszublenden und die bildhübsche, willensstarke Frau mit diesen einzigartigen smaragdgrünen Augen vor mir einfach zu küssen. Aber nein, ich tat nichts als zurückkrebsen. Ich war ein Feigling, ein Versager, ein Nichtsnutz.
Irgendwie schaffte ich es am Ende, die englische Prinzessin darüber aufklären, was ich im Alleingang mit einer der Anwärterinnen meines Bruders machte und warum ich Prinzessin Lorraine mit einem anderen Namen ansprach. Ich hatte Prinzessin Scarlett versprochen, dass sie sich eins der Katzenbabies aussuchen und behalten durfte, sofern sie mit uns kooperierte und Elizabeth nicht verriet. Wie ich meiner kaiserlichen Mutter den Verlust eines ihrer heiligen Katzenbabies schonend beibringen werde, musste ich mir noch überlegen, wenn ich eine Standpauke ihrerseits verhindern wollte. Zum Glück war Scarlett verständnisvoll und fand es sogar ziemlich beeindruckend, dass Elizabeth eine Ausserirdische war, aber gar nicht wie ein Alien aussah. Dabei kicherte sie und konnte fast nicht mehr damit aufhören.
Anschliessend versuchte ich mit Elizabeth nochmals alleine zu sprechen. Doch sie verhielt sich irgendwie abweisend und wirkte verletzt. Sie sagte, die Situation vorher habe sie sehr aufgewühlt. Sie müsse das Geschehene erst einmal verdauen und brauche einen Moment für sich. Mehr wolle sie im Moment dazu nicht sagen.
Sie war eine tickende Zeitbombe. Und das machte mir Angst.
***
Mit hocherhobenem Kopf marschierte ich zielstrebig auf den Ausgang der Stallungen zu und ließ den verdatterten Franz-Joseph ohne ein einziges Mal zurückzublicken einfach stehen. Er konnte mich mal, ganz ehrlich! Ich brauchte dringend frische Luft. Außerdem wollte ich mir so bald wie möglich Charlottes Zimmer unter die Lupe nehmen. Zoë hatte mal erwähnt, dass sich alle Zimmer der Anwärterinnen im selben Teil der Hofburg befanden. Mithilfe der virtuellen Karte der Hofburg konnte ich bestimmt herausfinden, welche Zimmer besetzt waren, und wo die Besitzerin gerade anderswo war. Dies wollte ich herausfinden, indem ich erst bei einem der besetzen Zimmer klopfte um dabei nachzufragen, welches Zimmer das von Charlotte war.
Der Zeitpunkt für meine Ermittlungen war gut gewählt. Von den fünf Zimmer waren nur zwei belegt. Die meisten Anwärterinnen waren wahrscheinlich noch beim Frühstück. Ich versuchte mein Glück an der erstbesten Tür. «Herein», tönte es gedämpft und ich betrat das Zimmer. Frederike sass an ihrer Frisierkommode und hatte Lockenwickler in ihren kastanienbraunen Haaren. Zwei Zofen wuselten geschäftig um sie herum. Ich räusperte mich. «Guten Morgen Prinzessin Frederike. Ich möchte dich nicht lange aufhalten, doch wollte ich fragen, ob du mir sagen kannst, wo ich Prinzessin Charlotte finden kann?» Sie überlegte einen Moment. «Versuche es doch, ob du sie unten beim Frühstück noch erwischst. Ich habe das Büffet bereits früher verlassen, da ich mich noch für einen Spaziergang im Garten zurechtmachen muss. Ansonsten ist sie vielleicht in ihrem Zimmer, gleich schräg gegenüber.» Sie schenkte mir ein erfolgversprechendes Lächeln. «Danke vielmals für deine Auskunft. Ich möchte auch gar nicht länger stören.» Ich begab mich zur Tür und lächelte Prinzessin Frederike meinerseits noch einmal dankbar an.
Draußen warf ich einen Kontrollblick auf die virtuelle Karte. Das Zimmer direkt gegenüber sowie dasjenige schräg rechts waren beide leer. Das Zimmer schräg links jedoch war besetzt. Nun stand ich in der Zwickmühle. Warum habe ich nicht exakt nachgefragt, ob Frederike schräg rechts oder links meinte? Immerhin bestand die Möglichkeit, dass Charlotte noch beim Frühstück war, was für das leere Zimmer sprechen würde. Wie viel Zeit blieb mir noch? Ich könnte kurz beim besetzten Zimmer klopfen, dann wüsste ich es sofort, aber müsste auch eine glaubhafte Ausrede bereit haben. Das leere Zimmer kurz abzuchecken konnte auf jeden Fall nicht schaden. Ich musste einfach hoffen, ein Indiz vorzufinden, dass es sich tatsächlich um Charlottes Zimmer handelte. Schwierige Entscheidung. In dem Moment vibrierte mein Briggs.
«Sei bereit um 10 Uhr. Eine weitere Übungseinheit in Etikette steht an.»
Ein kurzer Blick auf mein Briggs zeigte mir, dass bis 10 Uhr kaum mehr Zeit blieb. Deshalb betrat ich auf gut Glück leise und bedacht das leere Zimmer.
***
Dass Elizabeth mich einfach so hatte sitzen lassen, beschäftigte mich mehr als mir lieb war. Mein Kopf war gefüllt mit unbeantworteten Fragen. Was genau war vorhin schiefgelaufen? Hatte ich falsch gehandelt? Weshalb war sie auf einmal so aufgewühlt?
Ich war auf dem Weg zu Sophias Zimmer, um ihren neusten Skizzierentwurf zu begutachten. Meine Verlobte hatte die ehrenhafte Aufgabe erhalten, die Kleider für die Schlussentscheidung der Top 3. zu designen. Sophia hatte echt einen großartigen Modegeschmack und ihre Entwürfe stiessen von mehreren Seiten auf Lob.
Als ich ihr Zimmer betrat, war sie nicht allein. Sie hatte Gesellschaft von Zoë. Beide waren über die Entwürfe gebeugt und angeregt am Diskutieren. Ich erhaschte auf jeden Entwurf einen kurzen Blick und ohne, dass ich etwas dafür konnte, stellte ich mir vor meinem inneren Auge Elizabeth darin vor. Sie sah einfach in allen drei Entwürfen bezaubernd aus. «Kann ich dich kurz sprechen?» Ich zuckte innerlich zusammen. Zoë hatte sich mir zugewendet und wollte scheinbar etwas Wichtiges mit mir besprechen. «Klar.» Wir bewegten uns an die Fensterfront. «Was soll ich deiner Meinung nach noch mit Prinzessin Lorraine anschauen, damit sie möglichst schnell Fortschritte macht?» Ich überlegte einen Moment. «Ich finde, sie meistert ihre Aufgabe als Prinzessin schon nicht schlecht. Sie wirkt mir jedoch noch etwas unsicher und unbeholfen, wenn sie in hohen Schuhen gehen sollte. Eben noch nicht ganz so elegant wie du oder Sophia, weißt du was ich meine?» Zoës Augen blitzten kurz auf. «Geht klar, dann steht heute ein Lauftraining an.» Sie lächelte mich motiviert an. «Ich habe ihr schon eine Nachricht zukommen lassen. Um 10 Uhr habe ich kurz Zeit für sie.» Ich schaute sie freundschaftlich an. «Super! Du bist echt ein Schatz.»
***
Ein Duft nach Rosen kam mir entgegen. Erleichterung durchströmte mich und ich machte innerlich einen Luftsprung, denn das war Charlottes Parfum. Ich war also im richtigen Zimmer gelandet. Sorgfältig blickte ich mich um und versuchte dabei jeden Zentimeter genau zu mustern. Das Bett war ordentlich gemacht, darüber lag eine geblümte Tagesdecke. Von der Einrichtung her glich es dem Zimmer von Zoë und mir sehr, doch anstelle eines Schreibtisches befand sich eine riesige Frisier- und Schminkkommode darin. Mir blieb kurz der Atem weg. Dann ging ich zielstrebig auf die Kommode zu. Ich nahm jedes Fläschchen genau unter die Lupe. Gerade als ich dachte, ich hätte zwischen all den Fläschchen, Cremen und Tuben, KO-Tropfen entdeckt, hörte ich wie die Türklinke hinuntergedrückt wurde. Dadurch erschreckte ich mich derart, dass ich mit meinen Armen eine unkontrollierte Bewegung vollzog und dabei ein paar Fläschchen von der Kommode fegte. Ach du grüne Neune! Noch offensichtlicher konnte ich Charlotte echt nicht demonstrieren, dass ich gerade hier herumgeschnüffelt hatte.
«Was hast du hier zu suchen?», giftete sie mich an, sobald sie mich erblickte. Meine Gedanken kreisten wie wild. Es brachte rein gar nichts, sie jetzt anzulügen. Doch sie mit der Wahrheit zu konfrontieren war riskant und die Chance hoch, dass sie alles abstreiten würde. «Du wolltest Prinz Maximilian umbringen!» Sie lachte höhnisch. «Und wenn es so wäre?» Ich rappelte mich vom Boden auf und baute mich vor ihr auf. «Ich habe das Messer in deiner Hand gesehen und wollte Beweise. Deshalb bin ich hier.» Meine Stimme klang fest. Ich hatte meine Fassung wiedergewonnen. «Verschwinde sofort aus meinem Zimmer!» Sie kam näher. Ich verharrte, wo ich war und liess mich nicht einschüchtern, auch wenn ich mich innerlich nicht ganz so stark fühlte. Sie beugte sich zu mir vor und blickte mir direkt in die Augen. Ihr Blick war so intensiv, dass es beinahe schmerzte. «Du hast nichts gesehen, hörst du?» Ich hielt ihrem Blick immer noch stand und blieb unnachgiebig. «Weshalb sollte ich etwas leugnen, was der Wahrheit entspricht?» Sie fuhr sich selbstgefällig durch ihre rotblonden Haare und gab ein spöttisches Lachen von sich. «Wenn du auch nur ein Pieps von dem, was du gesehen hast, weitererzählst, hat Franz-Josephs letztes Stündchen bald geschlagen.» Der Triumph in ihrer Stimme entging mir nicht. Ich blickte sie irritiert an. Zu mehr als einem stummen Nicken war ich auf einmal nicht mehr im Stande. Wie wusste sie davon? «Ja genau. Du hast richtig gehört. Ich habe auf dem Balkon genau beobachtet, dass ihr was am Laufen habt, du und der Bruder des Thronfolgers.» Ich wollte ihr widersprechen, aber meine Stimme ließ mich immer noch im Stich. Ich hatte doch nichts mit Franz-Joseph am Laufen! Doch wenn das so rüberkommt, muss ich in Zukunft noch vorsichtiger sein, wenn ich ihn treffe für die weiteren Nachforschungen. «Also bist du still, verrate auch ich dein kleines Geheimnis nicht.» Sie schaute mich nochmals vernichtend an und wandte dann den Blick ab. «Nun geh! Oder willst du hier noch Wurzeln schlagen?» Ich versuchte vergeblich, meine Atmung zu kontrollieren und schaffte es schlussendlich, mich irgendwie aus ihrem Zimmer zu entfernen.
Zurück in meinem Zimmer ließ ich mich wie ein toter Fisch aufs Bett fallen. Innerlich ließ ich die Szene von soeben nochmals vor meinem Inneren Auge passieren. Ich hatte zwar immer noch keine handfesten Beweise gegen Charlotte in der Hand, aber ihr Verhalten sprach Bände. Irgendetwas hatte sie zu verbergen, sonst hätte sie nicht wie eine verteidigende Löwin reagiert.
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