Das aus dem Bett Wälzen am nächsten Morgen war ein qualvolles Unterfangen. Ich hatte höllische Kopfschmerzen. Der Champagner war mir mehr zu Kopf gestiegen, als mir lieb war. Ich schleppte mich ins Bad und trank ein paar grosszügige Schlucke direkt vom Wasserhahn. Ich wusste, dieses Benehmen ziemte sich eines Prinzen nicht. Aber es ging mir zu lange meinem Butler eine Nachricht zu schicken und auf ihn zu warten. Ausserdem war es 6 Uhr in der Früh. Ich wusste von anderen Familienmitglieder, dass sie ihre Butler und Kammerzofen regelmässig für solche Kleinigkeiten umherjagten, aber mir war das Unrecht. Es war eine Freiheit, die ich mir nehmen konnte und das machte ich auch. Ich fühlte mich sonst schon zu oft wie ein Vogel im goldenen Käfig.
Ich kleidete mich an, schenkte meinem rechten Ringfinger einen kurzen Kontrollblick und machte mich auf den Weg zu den Stallungen. Ein bisschen Ablenkung bei den Lipizzanern war jetzt genau das Richtige.
Auf dem Weg dorthin schaute ich auf mein Briggs. Ich entdeckte, nebst ein paar belanglosen Nachrichten, eine von Elizabeth. Sie war von gestern Abend.
«Was ist denn nun so dringend? Wann können wir uns sprechen?»
Besorgnis kam mir entgegen. Machte sie sich dermassen Sorgen, dass ich ihr etwas Ungutes zu erzählen hatte? Das konnte ich nicht glauben. Es musste noch etwas anderes geben, das sie ihrerseits loswerden und mir erzählen wollte. Also schrieb ich ihr auf gut Glück, in der Hoffnung, dass sie ebenfalls schon wach war.
«Triff mich bei den Lipizzanern. Ich werde da sein.»
***
Franz-Joseph war ziemlich perplex als er mich erblickte. Er hatte wohl nicht erwartet, dass ich vor ihm da war und genau dieselbe Idee hatte. Ich war schon seit 5 Uhr wach. Gestern Abend hatte mich so aufgewühlt und ich vermisste die Pferde. Hier in den Stallungen fühlte ich mich geborgen und konnte ungestört nachdenken. «Konntest du auch nicht mehr schlafen? Ich muss die ganze Zeit an die Ereignisse von gestern Abend denken. Sie wollen mir nicht mehr aus Kopf.» Wir schlenderten nebeneinander den Stallkorridor entlang.
«Geht mir auch so. Es hätte so ein schöner Abend werden können.» Franz-Josephs Blick schweifte einen kurzen Augenblick wehmütig in die Ferne. «Warum genau Karin? Ich verstehe das nicht. Sie hat niemandem etwas zu Leide getan. Sie ist die Güte selbst.» Vor der Box eines besonders neugierigen Lipizzaners blieben wir einen Moment lang stehen. Ich liess ihn etwas Heu aus der Hand fressen und streichelte seine samtigen Nüstern. «Vielleicht wollte sie jemand aus dem Weg haben», stellte ich die Vermutung in den Raum. «Ich war nicht dabei, als es passierte. Hast du mitbekommen, wer bei ihr war, als der Vorfall geschah?» Franz-Joseph schien einen Augenblick zu überlegen. «Ich war auf dem Weg zum Balkon. Als ich sah, dass Karin in Ohnmacht fiel, eilte ich sofort zu ihr. Leider kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wer um sie herum war. Die englischen Zwillinge waren auf jeden Fall innert Kürze zur Stelle, um ihr zu helfen. Dann liess ich sie alleine. Aber mir war nichts Auffälliges ins Auge gestochen.»
«Könnte es nicht auch sein, dass Karin den Wein nicht vertragen hat oder dass sie ein ernstzunehmendes gesundheitliches Problem hat, von dem niemand Bescheid wusste?»
«Auszuschliessen ist es natürlich nicht. Ich denke, Karin wird heute sicherheitshalber noch medizinisch abgeklärt. Aber diese Geschichte wird ein Nachspiel haben, das sage ich dir. Das war erst der Anfang.» Franz-Joseph wirkte entschlossen aber zugleich nachdenklich, als er das sagte. «Wenn du meinst.» Er hat genau das angesprochen, was mir seit gestern Abend Kopfzerbrechen bereitet. Nur hatte er im Gegensatz zu mir keinen blassen Schimmer davon, dass mit höchster Wahrscheinlichkeit eine der Anwärterinnen involviert war.
***
Irgendetwas schien Elizabeth in dem Moment Unbehagen zu bereiten. Ich fragte nicht weiter nach, sondern wechselte das Thema und hoffte, sie damit etwas aufzuheitern. «Wie kam es eigentlich, dass du Bereiterin an der Wiener Hofreitschule wurdest? Bei uns haben wir ausschliesslich Bereiter. Frauen ist es nicht gestattet, diesen Beruf zu erlernen.» Sie warf mir einen geheimnisvollen Blick zu. «Tja das wüsstest du wohl gerne», gab sie herausfordernd zur Antwort. «Lass es uns doch dort drüben auf den Strohballen bequem machen und ich erzähle dir, wie es dazu kam.»
«Gerne. Ich bin schon ganz neugierig.» Wir machten es uns nebeneinander auf den Strohballen bequem und meine Aufmerksamkeit war voll und ganz bei Elizabeth, als sie auch schon begann. «Während der Zeit der Berufswahl bekam ich die Gelegenheit mit meiner Freundin Elsy, die mit mir gemeinsam Reitunterricht nahm, eine Show an der Wiener Hofreitschule anzusehen. Die anmutigen feingliedrigen Lipizzanerhengste verzauberten das gesamte Publikum, insbesondere mich, da ich eine Schwäche für das Dressurreiten hatte. Sowas hatte ich noch nie gesehen! Es war der Wahnsinn! Von diesem Moment an wusste ich, das will ich auch einmal können. Diese Präzision und hohe Reitkunst, Hut ab, wer das kann.» Ich hörte Elizabeth gebannt zu und beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Sie wirkte leidenschaftlich, als sie so erzählte und ihre Augen funkelten geheimnisvoll. «Bei den Dressurlektionen war ich immer top motiviert. Ich weiss nicht genau warum, aber bei der Dressur musste man eins mit dem Pferd sein, was an sich ein hoher Anspruch ist und dementsprechend eine Herausforderung. Es ist eine sehr gute Pferd-Reiter-Beziehung nötig, um dies zu erreichen. Mir ist es wie gesagt seit ich klein war leichtgefallen, eine Beziehung zu Tieren aufzubauen. Und dies kam mir speziell bei der Dressur zu gute.» Sie hielt einen kurzen Moment inne, als würde sie sich an damals erinnern. «Dieses Gefühl der Vollkommenheit ist unbeschreiblich. Es fasziniert mich immer wieder aufs Neue.» Ich versuchte mir Elizabeth gerade vor meinem inneren Auge vorzustellen, wie sie auf einem Lipizzaner die anspruchsvollsten Dressurübungen ausführte, als seien sie ein Kinderspiel. «Auch an den Wettkämpfen zeichnete sich immer mehr ab, dass mir die Dressur mehr lag, wie das Springreiten. Landesweit konnte ich mit den besten Dressurreitern meines Alters locker mithalten. Doch wie bereits vermutet, waren die Ansprüche der Spanischen Hofreitschule hoch, aber im Bereich des Möglichen. Ein anderes Kaliber von Hindernis war jedoch die Tatsache, dass ich ein Mädchen war. Auch bei uns gab es in der gesamten Geschichte der Wiener Hofreitschule keine einzige Frau. Ich sah keinen triftigen Grund, weshalb Frauen von dieser Ausbildung ausgeschlossen werden sollten. Wir konnten ebenso die Führungspersönlichkeit zeigen und ebenso präzise die feinsten Bewegungen des Pferdes lenken. Aber es war eben eine lange Tradition, dass Männer diese Stellung innehatten. Und dies wäre auch in Zukunft so geblieben, wenn ich nicht hartnäckig nachgehakt hätte. Sie liessen mich schlussendlich eine praktische Prüfung absolvieren und mussten einsehen, dass ich wirklich das Zeug zur Bereiteranwärterin mitbrachte und natürlich war auch mein eiserner Wille spürbar.» Sie musste einen Moment lang nach Atem ringen. Obwohl sie seit gefühlt 10 Minuten erzählte, war meine Aufmerksamkeit kein bisschen gesunken. Ich hing förmlich an ihren Lippen. Langsam begann ich zu verstehen, was für eine faszinierende, willensstarke junge Frau ich vor mir hatte. «Alles in Ordnung? War ich zu schnell? Habe ich dich gerade sprachlos gemacht?»
«Äh...was?» Ich hatte mich schon wieder in meinen Gedanken verloren. Elizabeth schafft es einfach immer wieder, mich abzulenken oder in Verlegenheit zu bringen.
***
Ich hatte gar nicht bemerkt, wie nahe mir Franz-Joseph gekommen war. Und wie er mich anschaute. Seine Augen waren einfach unergründlich. Wir bemerkten wohl im selben Moment, dass wir das jeweilige Gegenüber etwas zu lange angestarrt haben, denn gerade, als ich wieder meinen Blick von ihm abwenden wollte, zuckte er ebenfalls zurück. Dabei machte sein rechter Arm einen Schlenker und unsere Hände berührten sich einen Bruchteil einer Sekunde lang. Doch das reichte aus, um meinem Körper einen sehr intensiven Stromschlag zu verpassen. Was danach folge, ging zu schnell, um vollständig nachvollziehen zu können. Franz-Joseph stand plötzlich vor mir, nahm meinen Kopf in seine Hände und schaute mich für einen weiteren Moment gebannt an. Er fuhr mir sachte mit seinem linken Daumen über die Wange und strich eine meiner roten Haarsträhnen hinters Ohr. «Du bist wunderschön, Elizabeth.» Es war nur ein Hauch, aber diese Worte erzeugten bei mir am ganzen Körper Gänsehaut. Ein Gefühl der Hilflosigkeit und des Kontrollverlusts durchfuhr mich, gleichzeitig wurde ich von diesem türkisfarbenen Blau seiner Augen magisch angezogen und konnte nicht widerstehen. Automatisch huschten meine Mundwinkel nach oben und erzeugten ein Lächeln auf meinem Gesicht. Die nächsten Worte, die Franz-Joseph sprach, verstand ich nun deutlich. «Ich bewundere dich Elizabeth. Du bist willensstark und kämpfst für deine Träume. Du wirst deinen zukünftigen Ehemann damit sehr stolz machen. Und glaub mir, wäre ich nicht mit Sophia verlobt, wäre ich der erste, der um deine Hand anhalten würde.»
Ein Rascheln hinter uns im Stroh liess uns hochschrecken. Eine der Zwillinge blickte uns unschuldig entgegen. «Guten Morgen. Ich wollte euch nicht stören. Aber habt ihr die süssen Katzenbabies schon gesehen?» Ich atmete erleichtert aus. Zum Glück war es Scarlett und nicht Lucy. Trotzdem fühlte ich mich gerade völlig überrumpelt.
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