24. Tanzabend Teil 2

Prinz Maximilian höchst persönlich hatte mich diesmal zum Tanz gebeten. Ausschlagen konnte ich sein Angebot nicht, das wäre unhöflich. Doch ich wusste auch, dass bis jetzt die Quadrille noch nicht an der Reihe und der Abend doch schon fortgeschritten war. Ich musste Klarheit haben. Sein Tanzaufgebot herauszögernd, fragte ich ihn stattdessen: «Was tanzen wir denn als nächstes? Darf ich den Tanz aussuchen?» Ich schaute ihn so verführerisch und selbstsicher wie nur möglich an. Er lachte, da er wahrscheinlich selbst völlig perplex war, dass ich mit einer Gegenfrage antwortete. Jede andere hätte das Tanzaufgebot sofort dankend angenommen und wäre mit ihm Richtung Mitte der Tanzfläche gegangen. Er fasste sich zum Glück schnell.

«Aber sicher, Prinzessin Lorraine. Welcher Tanz soll es denn sein?» Er sah mich vollkommen ernst aber doch auf eine charmante Art und Weise an, als er diese Frage stellte. «Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie ein begnadeter Walzertänzer sind. Tanzen wir doch zu Ihrem Liebelingsstück, Sie haben bestimmt eins.» Seine Augen funkelten. «Und ob.» Er zückte sein Briggs, tippte eine kurze Nachricht und reichte mir dann die Hand, um mich in die Mitte der Tanzfläche zu führen. Kaum dort angelangt, begann das Orchester «Wiener Blut» zu spielen. Mir kamen sofort Erinnerungen an den «blind-dance» hoch. Der Kuss. Seine Nähe. Ich wollte am liebsten von der Tanzfläche weg. Wie konnte er mir das antun? Den Walzer hatte er bestimmt mit Absicht gewählt. Ich zweifelte daran, dass dies wirklich sein Lieblingsstück war. Doch ich behielt diese Gedanken für mich, versuchte die aufkommenden Emotionen zu kontrollieren und fokussierte mich stattdessen darauf, sein Spiel mitzuspielen. «Ein sehr interessantes Stück haben Sie ausgesucht, Prinz Maximilian. Was gefällt Ihnen denn besonders daran?»
«Es erinnert mich  an meine Herkunft. Wien ist die schönste Stadt der Welt.» So ein Angeber. Aber eigentlich konnte ich ihm absolut zustimmen. Ich konnte mir ebenfalls nicht vorstellen, irgendwo anders als in Wien zu leben. Als Prinzessin Lorraine konnte ich ihm das jedoch unter keinen Umständen erzählen. Also versuchte ich es anders. «Waren Sie denn schon viel im Ausland, oder warum wissen Sie das so genau?» Ich hatte gerade eben so richtig Lust bekommen, ihn etwas zu provozieren. «Ich weiss es eben.» Ich warf ihm einen ungläubigen Blick zu. «Ich kann mir keine schönere Stadt vorstellen», ergänzte er noch, aber mehr schien er zu dem Thema nicht sagen zu wollen. Ich liess mich von ihm führen, während mein Blick immer wieder kurz über die Menge an Tanzpaare schweifte. Bianca tanzte mit einem blonden, hageren Höfling der sie gut einen Kopf überragte und aus der Menge stach. Etwas weiter links erblickte ich Franz-Joseph mit Karin über die Tanzfläche wirbeln. «Wie gefällt Ihnen denn Wien bis jetzt, Prinzessin Lorraine?» Ich suchte sofort wieder Blickkontakt mit dem Kronprinzen. «Grossartig, soweit ich beurteilen kann. Wir fuhren bei meiner Ankunft durch die Innenstadt, aber viel mehr habe ich noch nicht gesehen. Die Aussicht vom Riesenrad im Prater muss unglaublich sein, wurde mir gesagt.» Prinz Maximilian nickte. «Ja, die Aussicht ist wirklich herrlich von dort oben. Aber sagen Sie, Prinzessin Lorraine, vermissen Sie denn Luxembourg, ihre Heimat, noch nicht?» Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. «Ach woher. Luxembourg ist zwar ebenfalls eine wunderbare Stadt, aber es befindet sich alles auf sehr engem Raum.»

Wenn es nach Prinz-Maximilian gegangen wäre, hätten wir bestimmt noch eine halbe Ewigkeit so weitergeredet, aber soeben verklangen die letzten Takte von «Wiener Blut». Ich wollte schon innerlich aufatmen, doch das liess der werte Thronfolger noch nicht zu. «Weil dieser Walzer eben so schön war, möchte ich Sie bitten, nun gleich bei der Quadrille erneut meine Tanzpartnerin zu sein.» Das war keine Frage, sondern eine klare Aufforderung. Wie um alles in der Welt, hatte ich mir einen zweiten Tanz mit Prinz Maximilian verdient? Eigentlich sollte ich mich geschmeichelt fühlen. Von den anderen Anwärterinnen hatte er keine ein zweites Mal zum Tanz aufgefordert und schon gar nicht hintereinander. Aber ich als seine Quadrille-Partnerin konnte einfach nicht gut gehen. Bloss, wie machte ich ihm das klar, dass es nicht unhöflich rüberkommt?

«Ach, da stellen Sie mich aber gerade vor eine grosse Herausforderung. Ich bin keine sonderlich gute Quadrille-Partnerin. Sind Sie sicher, dass Sie sich das antun wollen?» Ich schaute Prinz Maximilian für einen kurzen Moment intensiv in seine eisblauen Augen. Sofort fing er an zu grinsen. «Aber Prinzessin Lorraine, was machen Sie sich auch für Gedanken. Es geht doch ums Vergnügen und wenn Sie mir mal auf die Füsse treten, werde ich das mit Humor nehmen.» Er zwinkerte mir zu. Dieses Verhalten erinnerte mich stark an seinen Bruder Franz-Joseph. Mein Herz liess sich erweichen. «Also gut. Versuchen wir es. Aber ich habe Sie gewarnt.» Ich zwinkerte ihm nun meinerseits verschwörerisch zu. Wo ich gerade den ganzen Mut genommen habe, ja zu sagen, obwohl mein ganzer Körper sich eigentlich dagegen sträubt wusste ich nicht so genau. Unglaublich, was die beiden Prinzen für einen Einfluss auf mich hatten.

«Hast du Zoë gesehen?», fragte ich Lucy, die sobald die Quadrille beendet war auf mich zugesteuert kam. War ja klar, dass sie mich über mögliche Gründe ausquetschen wollte, warum Prinz Maximilian mir einen zweiten Tanz gewährt hatte. Ich war gerade unendlich froh, dass die Quadrille vorüber war. Es hätte wirklich schlimmer kommen können. Ich war erstaunt, wie verständnisvoll und rücksichtsvoll Prinz Maximilian beim Tanzen war. Ich war ihm – wie hätte es auch anders kommen können – mindestens 3 Mal auf die Füsse getreten, aber er hatte es tatsächlich als eine Kleinigkeit abgetan und mit Humor genommen.
«Vor der Quadrille habe ich sie in Begleitung eines dunkelhaarigen Höflings gesehen. Sie waren in den hinteren Teil des Saals unterwegs. Ihr beide scheint euch ja ziemlich gut zu verstehen.» Lucy wechselte abrupt das Thema. «Das stimmt. Ich mag und bewundere sie. Sie ist eine bemerkenswerte Persönlichkeit.»
Lucy gab noch einen bissigen, ironischen Kommentar über Zoë ab, verzog sich dann aber Richtung Buffet.
***

Ich nippte an einem Glas Champagner, im Hintergrund waren die Klänge des «Kaiser Walzers» zu hören. Sophia war gerade mit einem anderen Höfling, den sie für eine Mazurka aufgefordert hatte, am Tanzen. Mir tat eine kurze Pause fernab der Tanzfläche ganz gut. Ich versuchte gerade, meine Gedanken und Gefühle zu sortieren. Ich fühlte schon den ganzen Abend einen dumpfen Stich in meiner Magengegend, der sich vorhin verstärkte, als ich Elizabeth mit meinem Bruder tanzen sah.
Elizabeth's Auftritt bei der Quadrille war grossartig. Über die paar Male, die sie Maximilian auf die Füsse getreten war, konnte man hinwegsehen. Sie war durch und durch ein Naturtalent. Ich hatte zwei drei Paare weiter links mit Zoë getanzt, die ebenfalls begeistert von Elizabeth's Tanztalent war.

Ich schaute auf das mittlerweile leere Champagnerglas vor mir und fasste einen Entschluss. Ich wollte Elizabeth meine Gefühle gestehen. Ich wollte ihr beweisen, dass Liebe Zeit und Raum überstehen konnte. Jetzt, sofort. Ich würde sie beiseite nehmen, eine Briggs Nachricht verschicken, dass sie nicht mehr schauspielern musste und wir meinem Bruder einfach erklärten was Sache war. Und Sophia auch. Okay, das würde eine harte Nuss werden, aber darum werde ich mich später kümmern. Irgendwie würde das schon gehen.

Ich liess meinen Blick durch den Saal schweifen und entdeckte Elizabeth in Gesellschaft von Zoë und einer der englischen Prinzessinnen. Zu ihnen durchzukommen war eine Sache der Unmöglichkeit. In der Mitte waren alle am Tanzen und auf den Seiten blieb kaum Platz um aneinander vorbeizukommen. Aber ich hatte eine Mission und versuchte, ohne viele Umstände zu verursachen, mich an den vielen Gästen vorbeidrängend, voran zu kommen und dabei Elizabeth nicht aus den Augen zu verlieren. Ich war schon fast bei ihr, als ich aus den Augenwinkeln mitbekam, wie am Apérotisch neben mir ein Mädchen in korallefarbenem Abendkleid in Ohnmacht fiel. Ich war so schnell wie möglich bei ihr. Es war die Anwärterin aus Norwegen, Karin. «Holt sofort einen Arzt!», schrie ich verzweifelt.
Einige Augenblicke später, war die Hölle los. 

Zwei Personen drängten sich vor. «Macht den Weg frei, wir übernehmen!» Die Zwillinge waren rasch bei der ohnmächtigen Karin und brachten sie geschickt in die stabile Seitenlage. Dem Umstand, dass sie so selbstbewusst an die Situation herangingen, war ich sehr dankbar. So konnte ich mich ohne schlechtes Gewissen verziehen und Elizabeth suchen. Leider habe ich sie aufgrund des Tumults aus den Augen verloren. Ich zückte mein Briggs und verfasste eine kurze Nachricht.

***

Ich war soeben auf dem Weg von den Toiletten wieder zurück in den Bankettsaal, als mein Briggs vibrierte. Eine dringende Nachricht von Franz-Joseph.

«Können wir uns kurz auf dem Balkon treffen?»

«Spinnst du? Wir haben doch die Abmachung, dass uns möglichst niemand zu zweit sieht, um keinen unnötigen Verdacht zu schöpfen.»

«Es ist dringend.»

«Okay.»

Als ich den Balkon betrat, war Franz-Joseph noch nicht da. Doch ich war nicht alleine. Im Halbdunkel sah ich zwei engumschlungene Gestalten: Prinz Maximilian und Charlotte. Ihr weinrotes Kleid umwallte sie in Falten und das Mondlicht spiegelte sich auf ihrem nackten Oberschenkel, der durch den seitlichen Schlitz ihres Kleides hervorlugte. Die oberen Hemdsknöpfe von Maximilian waren offen. Die volle Aufmerksamkeit schien auf dem jeweiligen Gegenüber zu liegen und sie schienen mich nicht zu bemerken.
Plötzlich nahm ich ein Aufblitzen wahr. Charlotte, die mit dem Rücken zu mir gewandt stand, zog langsam ein Messer aus ihren Rockfalten. Sie wollte doch nicht etwa...weiter kam ich nicht. Dann entwich mir ein Nieser. «Hatschi!» Charlotte liess das Messer sofort wieder in ihre Rockfalten gleiten und beide drehten sich zu mir um. «Entschuldige», sagte ich verlegen. «Ich wollte euch nicht stören.» Charlotte verzog keine Miene, Prinz Maximilian schien die ganze Situation eher etwas unangenehm zu sein.

«Da bist du ja.» Ich drehte mich um. Franz-Joseph hatte es inzwischen auch auf den Balkon geschafft. Die beiden Brüder tauschten einen vielsagenden Blick. «Ich wollte nur kurz nachschauen, ob es allen anderen Anwärterinnen gut geht. Im Bankettsaal ist gerade die Hölle los. Prinzessin Karin wurden wohl von jemandem KO-Tropfen in ihr Getränk gemischt.»

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