17. Mittagessen

Das kurze Gespräch mit Franz-Joseph über die Anwärterinnen war sehr informativ. Ich zückte mein Briggs und erschrak. Es war bereits kurz vor dem Mittagessen. Hoffentlich kam ich nicht zu spät. Ich schaute auf der virtuellen Karte nach, wo genau ich mich in der Hofburg befand und in welche Richtung ich zum Speisesaal gehen musste. Ich konnte mich als blauer blinkender Punkt auf der Karte ausmachen. Drei Linksbiegungen und ein langer Gang trennten mich vom Speisesaal. Vier schwarze Punkte konnte ich in dem Rechteck, das den Speisesaal auf der Karte darstellte, erkennen. Vermutlich war ich noch nicht die Letzte, ausser alle anderen würden das Mittagessen auf ihren Zimmern einnehmen. In regelmässigen Abständen sah ich rote Punkte auf der Karte verteilt, wahrscheinlich Wachposten. Ich wollte soeben mein Briggs wieder einstecken und mich beeilen, als ein einzelner schwarze Punkt plötzlich meine gesamte Aufmerksamkeit beanspruchte. Er bewegte sich auf der Karte und wanderte immer näher zu meinem blauen Punkt. Mal schauen wer das war.
Kurz darauf kam mir Charlotte entgegen. Sie schien in Eile. «Hast du etwas im Zimmer vergessen? Kommst du nicht zum Mittagessen in den Speisesaal?» Sie lief etwas rot an. «Ich geh mich umziehen für das Date heute Nachmittag mit Prinz Maximilian.» Ich schaute sie verwundert an. «Ach so. Ich dachte nur, normalerweise macht man das doch erst nach dem Mittagessen». Sie schaute mich verlegen an. «Ja, eigentlich schon, aber vor einem Date bekomme ich nie etwas runter, daher passt es jetzt gerade.» Und weg war sie. Komische Begegnung.

Im Speisesaal befanden sich Bianca, Karin und die Zwillinge. Sie waren gerade in ein Gespräch über den Eröffnungsball vertieft, hielten jedoch kurz inne, als sie mich bemerkten.
«Komm, setz dich zu uns, Prinzessin Lorraine!» Bianca zeigte auf den freien Stuhl neben sich. Ohne zu zögern kam ich ihrer Aufforderung nach. Kaum hatte ich mich gesetzt, da begann wieder ein Gerede und Gekichere. Es wurde darüber spekuliert, warum Prinz Maximilian gerade Frederike das allererste Date zugesprochen hatte und wieso Zoë überhaupt anwesend war, da die Verlobung ihrer Schwester Sophia mit Prinz Franz-Joseph allerseits bekannt war. Lucy fand, dass sie heute ebenso Anrecht auf ein Date gehabt hätte, da sie gestern beim Bankett an Prinz Maximilian's Seite sass. So ging das hin und her und ich sah meinen Einsatz immer mehr kommen, um subtil mehr über das Verhalten von Charlotte herauszufinden.
«Wieso hat eigentlich Charlotte heute bereits ein Date bekommen?» Ich blickte in die Runde.
«Prinz Maximilian, der Gütige. Gibt allen eine Chance und ist hinterher gnadenlos. Mir ist schleierhaft, was er an ihr findet. Die hatte gestern doch nur Augen für ihre Fingernägel.»
Lucy hatte eine interessante Aussage gemacht. Da musste ich nachhaken. «Wie meinst du das?» Sie schaute mich ungläubig an. «Es hat doch ständig in ihrem Schoss geklimpert. Die hatte ein ganzes Manicure-Set dabei, um auch ja makellose Fingernägel zu haben. Wäre eigentlich die Arbeit ihrer Zofen, aber wen wundert's. Man munkelt, dass sie ziemlich eitel ist und den letzten Schliff gern selber übernimmt.»
Das genügte mir vorerst. Ich musste den andern ja nicht gleich meine Vermutung aufbinden, dass das Geklimpere auch von einem Messer kommen könnte. Ich nahm wieder eine passive Funktion am Gespräch ein und liess die anderen weitertratschen.
Kurz bevor die Suppe serviert wurde, setzte sich auch Frederike zu unserer Gruppe. Sie lächelte geheimnisvoll, sagte gerade heraus, dass sie ein sehr schönes Date mit Prinz Maximilian gehabt hätte, die Einzelheiten aber für sich behalten möchte. Damit war für sie das Thema erledigt.
Das Mittagessen ging sehr gesittet zu und her und nach dieser Ansage wagte es niemand, Frederike mit Fragen bezüglich des Dates zu löchern. Nicht einmal die Anwärterinnen, die vorher sehr vorlaut Vermutungen über das erste Date aufgestellt hatten.

Als wir darauf warteten, dass der Nachtisch serviert wurde, nahmen einige der Anwärterinnen ihr Briggs hervor. Ich tat es ihnen gleich, denn soeben hatte ich ein starkes Vibrieren gespürt, was bedeutet, dass ich eine dringende Briggsnachricht erhalten hatte.

«Also wir treffen uns gleich vor dem Musikzimmer. Sagen wir in einer dreiviertel Stunde. Passt das für dich?»

Ich nahm eine gewisse Anspannung wahr, als ich die Nachricht las. Franz-Joseph erwartete eine Antwort, aber was sollet ich ihm zurückschreiben? Einfach so aus dem Staub machen konnte ich mich jetzt nicht, das wäre sehr auffällig und die anderen würden bestimmt Verdacht schöpfen. Aber wenn ich jetzt noch lange wartete, das heisst bis nach dem Nachtisch, müsste ich mich sehr beeilen, um rechtzeitig da zu sein. Und widersprechen traute ich mich auch nicht. Franz-Joseph hatte bestimmt eine vollgestopfte Agenda, da musste man dieses Zeitfenster sinnvoll nutzen. Unsicher begann ich eine Nachricht zu tippen, löschte sie und startete nochmals.

«Ja, das sollte passen. Bis dann.»

Sofort erhielt ich eine neue Nachricht.

«Was ist denn los? Stimmt was nicht? Du wirkst verwirrt und unentschlossen?»

Huch? Franz-Joseph machte sich Sorgen wegen mir. Das sollte er doch gar nicht. Er konnte gar nicht wissen, was ich mir vorhin für Gedanken gemacht hatte. Da ging mir ein Licht auf. Meine Unentschlossenheit beim Schreiben der Nachricht hatte ich dann wohl nicht ganz ausblenden können und mit der Nachricht mitgeschickt.

«Nein, es ist alles in Ordnung. Ich habe nur überlegt, wie ich mich damenhaft vor dem Nachtisch von der Mittagsrunde ausklinken könnte, ohne dass es auffällig wäre.»

Ich konzentrierte mich darauf, dass ich diesmal keine überflüssigen und unsicheren Gefühle mitversendete.

«Sag doch, du möchtest dich nun zurückziehen, da du dich von der langen Reise müde fühlst. Das wird jede der Anwärterinnen verstehen und sie können nichts dagegen einwenden.»

Ich nahm mir Franz-Joseph's Ratschlag zu Herzen. Als ich mich von der Runde entschuldigte, hatte jede der Anwärterinnen Verständnis. Sie wünschten mir, dass ich mich gut erhole, um für den Tanzabend fit zu sein.
Hätte ich nicht gedacht, dass mein Plan so reibungslos ablaufen würde. So hatte ich genug Zeit, kurz auf mein Zimmer zu gehen, mich etwas frisch zu machen und mich mental auf den grossen Moment vorzubereiten. Ich weiss, ich sollte nicht zu hohe Erwartungen haben, da ich ansonsten umso enttäuschter wäre, aber ich konnte nichts dagegen tun. 

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