12. Blind-dance

Ein bisschen ein mulmiges Gefühl hatte ich schon, als ich aus dem Schutz der Masse hervortrat und förmlich knickste, wie es mir beigebracht wurde. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass mir Franz-Joseph zulächelte, was mir ein wenig Selbstvertrauen verschaffte.
Gleich würde ich eine Augenbinde bekommen und Prinz Maximilian das erste Mal begegnen. Wofür diese ganze Aufmachung war, verstand ich immer noch nicht. Wenn sowieso niemand etwas sah, warum mussten wir dann so extravagant gekleidet sein? Tja, wir waren hier am Hofe, da gab es eben gewisse Spielregeln zu beachten und einzuhalten. Ende der Diskussion. Der Zweck des «blind-dance's» war, dass Prinz Maximilian sich einen ersten Eindruck von uns verschaffen konnte, ohne von Äusserlichkeiten abgelenkt zu werden. Und da tanzen eine wichtige Eigenschaft der zukünftigen Kaiserin sein sollte, war ein «blind-dance» als erste Begegnung bestens geeignet. Diejenigen Anwärterinnen, die überdurchschnittlich gut tanzten und ausserdem gut mit dem Prinzen harmonierten, kamen in die nächste Runde.
Klang doch ganz einfach. War es auch für die meisten im Saal hier, aber nicht für mich. Die paar Tanzstunden von gerade eben waren das einzige, was mir an höfischem Tanz jemals vermittelt wurde, während die anderen Kandidatinnen ihr ganzes Leben lang darauf vorbereitet wurden, einst einen einflussreichen adligen Gatten zu heiraten. Die Augenbinde machte es auch nicht besser. Ausserdem war sie überflüssig, denn alle Anwärterinnen - bis auf mich - waren Prinz Maximilian mindestens einmal schon begegnet. Wahrscheinlich diente sie als weitere Hürde, damit sich herausstellte, welche der Kandidatinnen den Walzer im Schlaf tanzen kann. Doch lange konnte ich mir darüber nicht den Kopf zerbrechen.

Ich atmete einmal tief ein und wieder aus und liess mir die Augenbinde umlegen. Nun war ich auf mich alleine gestellt. Meine Beine waren jetzt schon weich wie Pudding. Wie sollte ich in diesem Zustand bloss in wenigen Augenblicken mit Prinz Maximilian einen Walzer tanzen. Ich rief mir einen von Zoë's unzähligen Ratschlägen - ich glaubte es ist fast der wichtigste von allen - in den Kopf: Lass dich vom Prinzen führen und sei einfach du selbst. Ok, mal schauen, ob ich das hinbekommen würde.

Nachdem man mir die Augen verbunden hatte, wurde ich in einen angrenzenden Raum geführt. Mit der Dunkelheit hatte ich keine grosse Mühe, da ich ohne Brille sowieso blind wie ein Maulwurf war. Das grössere Problem war eher in den Pumps das Tempo der Begleitperson zu halten. Zum Glück war es nicht weit. Wir hatten schon wieder angehalten. „So Prinzessin Lorraine. Sobald ich die Tür öffne, dürfen Sie kein Wort mehr sagen, da Prinz Maximilian Sie nicht mittels der Stimme erkennen sollte. Alles klar?" Die Stimme der Begleitperson, irgendeine Zofe, drang an mein Ohr. Mein Herz begann unkontrollierbar schneller zu schlagen. „Ja ich habe verstanden."
Kurz darauf hörte ich das Geräusch einer sich öffnenden Tür und ich wurde sanft in den Raum geschoben. Gleich darauf wurde die Tür wieder geschlossen und ich war allein. Halt, nicht ganz allein. Prinz Maximilian musste sich auch irgendwo in diesem Raum befinden. Doch wie sollte ich ihn finden, wenn ich nicht sprechen durfte. Ich wollte ja nicht einfach in ihn reinlaufen. Also probierte ich es mit Zeichensprache.
Das erstbeste was mir einfiel, war mich mit meinen hohen Hacken rhythmisch vorwärtszubewegen. Leider wollte mir meine Koordination der Füsse in der Dunkelheit nicht ganz gehorchen. Ich kam ins Straucheln und fiel unsanft auf die Knie. Ich unterdrückte einen Aufschrei.
Meinen Fall schien der Prinz bemerkt zu haben, denn ich nahm plötzlich herannahende Schritte wahr. Sie kamen immer näher und wurden dann langsamer. Wahrscheinlich wollte er es ebenfalls vermeiden in mich hineinzulaufen.
Langsam, Schritt für Schritt schien er sich vorzutasten.
Es schien sich alles in Zeitlupe abzuspielen, abgesehen von meinem Herzschlag, der im Galopptempo weiterschlug.
Mein Saum raschelte und ehe ich Prinz Maximilians Präsenz voll und ganz wahrnahm, hatte er schon einen Arm um mich gelegt, um mir hochzuhelfen. Er war zwar erst etwas tiefer als mein Rücken gerutscht und ich hätte mich am liebsten seiner Hand entzogen, liess ihn jedoch die geeignete Position zur Tanzaufstellung finden. Ich wollte das alles möglichst schnell hinter mich bringen. Sobald wir in Aufstellung waren, begann wie aus dem Nichts langsame Streichermusik zu spielen. Wir begannen uns im Takt der Melodie von "Wiener Blut" zu bewegen. Ich fühlte von Anfang an, dass Prinz Maximilian ein begnadeter Tänzer war, so sicher er mich durch den Walzer führte. Von seiner Hand, die meine berührte ging ein leichter, stetiger Druck aus, der mir anzeigte, wo ich als nächstes durchtanzen werde.

Das Tanzen fiel mir weniger schwer als gedacht. Das langsame im Kreis drehen wirkte irgendwie beruhigend. Trotzdem verspürte ich ein leichtes Gefühl von Unsicherheit und Unwohlsein in meiner Magengrube, das nicht verschwinden wollte. So meinen Gedanken nachhängend, bemerkte ich kaum wie Prinz Maximilian mich etwas enger an sich zog, als es sich eigentlich bei einem Walzer eigentlich gehörte. Als ich es realisierte, spürte ich seine Lippen auf meinen. Ich war völlig überrumpelt. Mit so etwas hatte ich nicht gerechnet. Vor allem nicht beim ersten Kontakt mit dem Prinzen. Ich hatte das Bedürfnis, ihn von mir zu stossen, aber versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Auf mein Bauchgefühl vertrauend, dass ich alles richtig machte, erwiderte ich den Kuss mutig. Ich wollte ja nicht unhöflich sein und den Thronfolger vor den Kopf stossen. Ausserdem hätte ich sonst bereits jetzt alles vermasselt und würde 100%-ig gleich rausfliegen. Das wäre katastrophal, dieses Risiko wollte ich nicht eingehen. Und der Plan von Franz-Joseph und mir wäre zu Nichte, bevor er überhaupt begonnen hatte.

Der Kuss war ähnlich einem Windhauch, fein, zärtlich und blitzschnell. Aber es war Tatsache, Prinz Maximilian hatte mich geküsst.

Während dem Rest des Walzers, fragte ich mich, weshalb er mich geküsst hatte. War der Kuss Teil des «blind-dance's», machte er das mit jeder? Oder weshalb hatte er genau mich geküsst? Ich war doch nichts Besonderes. Mit völlig verwirrten Gefühlen verliess ich nach Ende des Walzers den Raum.

***

Es schienen etwa 5 Minuten vergangen zu sein, da sah ich Elizabeth aus der Tür des angrenzenden Raums treten. In der Zwischenzeit hatte mich Sophia völlig für sich beschlagnahmt. Sie schwärmte, wie schön das Prinzessinnengemach sei und es bestimmt ein Zeichen dafür sei, dass der Kaiser die Absicht habe, uns auch bald zu vermählen. Sie malte sich aus, wie es sein könnte, wenn es bei uns dann soweit wie bei meinem Bruder wäre. Ich nickte ab und an zustimmend, doch ich ertappte mich dabei, wie ich in Gedanken wo anders war. Der ganze Hochzeitskram war für mich gerade ziemlich weit weg. Mich beschäftigte eher, wo ich morgen mit Elizabeth die Suche starten sollte. Ich wusste, wo die geheime Bibliothek war, von der Hauslehrer van Wittenberg Elizabeth erzählt hatte. Aber obwohl sie einigermassen beschaulich war, stapelten sich dort tonnenweise Bücher. Eine gewisse Ordnung sollte jedoch vorhanden sein. Ich war zuversichtlich.

Elizabeth gesellte sich wieder zu uns an den Apérostehtisch. «Und wie wars?», wollte Sophia gleich wissen. «Es war...», weiter kam Elizabeth nicht, da ihr Zoë ins Wort fiel. «Bitte nichts erzählen. Ich möchte den «blind-dance» selber erleben, ohne vorher zu wissen, wie es ist.» Elizabeth lächelte verständnisvoll. «Kein Problem, ich akzeptiere deinen Wunsch. Du bist bestimmt auch bald an der Reihe. Viele sind ja nicht mehr übrig.»
Als ob Elizabeth hellseherische Fähigkeiten besitzen würde, rief in diesem Moment der Hofmarschall den Namen von Zoë. Sie raffte alsbald ihre Röcke, drehte sich elegant auf dem Absatz um, und bewegte sich zur Mitte des Saales, wo sie vom Hofmarschall erwartet wurde. Ich konnte sie mir gut an der Seite meines Bruders vorstellen. Sie besass eine Eleganz und Ausstrahlung, die jeden in ihren Bann zog. Sie war eine Frau von Rang und Namen, die sich zu behaupten wusste.

Ich fokussierte mich auf das Gespräch zwischen Sophia und Elizabeth. Elizabeth erzählte meiner Verlobten gerade, dass sie Pferde über alles liebte. «Oh, dann musst du unbedingt mal die Gelegenheit nutzen und in der Umgebung von Schloss Schönbrunn einen Ausritt machen. Vielleicht lädt dich ja Prinz Maximilian dorthin zu einem Date ein, wer weiss.» Sie lächelte verschmitzt. «Ich kanns dir wirklich nur empfehlen, Franz-Joseph und ich sind schon des Öfteren mit den Pferden auf einen Ausritt und haben unterwegs gepicknickt, nicht wahr?» Verträumt blickte sie in die Ferne.
Übertreiben musste sie nun wirklich nicht. Das war genau einmal, dass wir während einem Ausritt gepicknickt hatten. Wir gingen zwar meistens mindestens einmal ausreiten, wenn sie hier zu Besuch war, aber in der Regel waren diese Ausritte eher kurz, da diese Ausritte eher pro forma waren und zum guten Ton unserer Gesellschaft gehörten.
Ich wollte Sophia nicht zurechtweisen, also sagte ich nur: «Ich kann Sophia nur zustimmen. Die Umgebung von Schönbrunn ist echt traumhaft für Ausritte, vor allem im Frühsommer. Schade, dass wir zurzeit in der Hofburg weilen, hier sind die Ausrittmöglichkeiten leider ziemlich be-schränkt, da wir inmitten der Stadt sind, vor allem, seit den erhöhten Sicherheitsmassnahmen.»

«Das macht nichts», erwiderte Elizabeth. «Vielleicht können wir ja einfach so mal bei den Pferden vorbeischauen.» - «Das werden wir, ganz bestimmt, ma chérie.» Wir waren ganz vertieft in unser Gespräch gewesen, dass niemand von uns bemerkte, dass Zoë wieder zurück war.

«Wow, du hast uns aber erschreckt», sagte ich gespielt entrüstet zu ihr und knuffte sie freundschaftlich in die Seite. «An dir ist eine CIA-Agentin verloren gegangen», gab Elizabeth ihren Kommentar dazu. Die Blicke der französischen Schwestern und meiner weilten alle auf ihr. «Eine was, bitteschön soll ich sein?» Zoë, sah Elizabeth fragend an, welche auf einmal leicht rot anlief. «Ähm,...bei uns im Herzogtum sagt man das so. Damit ist eine Person gemeint, die im Geheimen Informationen ermittelt, quasi eine Geheimpolizei.»
«Aha, verstehe, also sowas wie die GAO unsere geheime Auslandsorganisation», erwiderte ich und hoffte, so die Situation gerettet zu haben. «Ja, genau.» Ich sah, wie Elizabeth merklich erleichtert war.

Inzwischen waren alle Anwärterinnen vom «blind-dance» mit meinem Bruder zurückgekehrt. Maximilian trat aus der Seitentür und gesellte sich nun ebenfalls zum Apéro. Er platzierte sich in der Mitte des Saales, so wie es zuvor der Hofmarschall getan hatte, und bat um Ruhe.
«Liebe Anwesende. Ich werde nun die Namen der Damen verkünden, die es in die zweite Runde geschafft haben. Leider muss ich mich bereits zu diesem Zeitpunkt von zwei Damen verabschieden. Ihre Tanzqualitäten genügen der einer zukünftigen Kaiserin nicht. Ich bitte die beiden Damen zu mir, dass ich mich von ihnen verabschieden kann. » Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass Elizabeth etwas weiss um ihre Nasenspitze wurde. Aber vielleicht bildete ich mir das auch bloss ein.
«Verabschieden muss ich mich leider von Lady Elise.» Ein Mädchen in mintfarbenem Kleid trat vor. Ich nahm kaum wahr, wie ich innerlich aufatmete, Elizabeth war weiter. Nachdem sich mein Bruder höflich von Lady Elise verabschiedet hatte, war nur logisch, dass er den Namen der Anwärterin aus dem deutschen Kaiserreich nun verkünden würde. Und so war es auch. Lady Anna-Magdalena gab sich zwar erstaunlich gelassen, aber ich konnte mir vorstellen, dass sie innerlich gekränkt war.
Mein Bruder ergriff nochmals das Wort. «Für die restlichen Ladies geht's nun gleich weiter. Ich lade sie alle nacheinander zu einem kurzen persönlichen Gespräch im hinteren Bereich des Saales ein. Lady Lorraine, sie dürfen mich gleich als Erste nach hinten begleiten."

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