Kapitel 8
Ich hatte wirklich mein erstes Date. Sonntag, der 6. März war wirklich der erste Tag, an dem ich mich mit einem Mann getroffen habe. Und immer wieder wiederhole ich die Worte in meinem Kopf. Ich hatte ein Date mit einem Mörder! Ich bin auf dem Sofa eines Mörders eingeschlafen. Wie krank bin ich bitte? Ich nehme mir gerade selbst Blut ab, um es gleich zu den Kollegen der klinischen Chemie zu bringen. Ich habe meiner Chefin erzählt, dass ich gestern das Gefühl hatte, auf der Hochzeit etwas untergejubelt bekommen zu haben, woraufhin sie unten Bescheid gegeben hat. Ich konnte nicht schlafen. Wie am Tag zuvor habe ich mich im Bett hin und her gewälzt, bin gefühlt alle fünf Minuten bis fünf Uhr aufgewacht und habe dann aufgegeben. Ich musste sowieso beten, also war es mir egal, dass ich nicht mehr schlafen konnte. Die Zeit habe ich genutzt, damit meine lipidreiche Hautcreme schön einzieht, bevor ich meine Sonnencreme aufgetragen habe und ich hatte sogar noch genug Zeit, mir die Nägel wieder im dunklen Lila von gestern zu lackieren. Ich bin auch wieder gelaufen. Das tut mir verdammt gut. Ich trage auch dieselbe Frisur von gestern, auch wenn im Labor die Haare eigentlich nur geschlossen getragen werden dürfen - aber daran halten sich nicht alle. Chiara trägt ihre Gelnägel, ihre Kollegin ihr Bettelarmband und ihre zu lange Kette mit offenem Kittel. Meine Haare werden wenigstens von Spangen zurückgehalten und ich muss sagen, dass sie überraschend glatt geblieben sind, dafür, dass ich locken habe. Die Kombination aus Ölversieglung und Haarspray nach dem Glätten klappt echt gut.
Ich breche den Stab der Monovette ab, lege sie in die Nierenschale und halte den Tupfer an die Einstichstelle meiner Ellenbeuge gedrückt bis ich Tape zum Kleben gefunden habe. Jetzt kann ich runter damit und auch Handschuhe in S aus dem Abstellraum zu holen. Ich latsche die erste Etage runter, wo ich auf eine Kollegin aus der Pathologie treffe. "Gehst du zufälligerweise am Abstellraum vorbei?" Ich nicke. "Kannst du mir eine Flasche Hämalaun mitbringen?" Wenn's sein muss. Ich nicke und laufe wortlos weiter, gebe unten meine Monovette für die Untersuchungen ab, laufe dann an den Toiletten vorbei zum Abstellraum. Ich brauche ein wenig, bis ich den passenden Schlüssel finde, benötige aber weniger als zehn Sekunden bis ich Handschuhe und die große, dunkle Flasche Hämalaun habe. Ich nehme einfach noch eine. Wennschon, dennschon. Dann haben sie noch eine oben im Vorrat. Ich schließe die Tür wieder, muss ein wenig mit den zwei dicken Glasflaschen und der Packung Handschuhe jonglieren, bis ich die Tür abschließen kann, schaffe es aber mit Bravour und kann schon wieder hoch, wenn mich dieser blauäugige Mörder nicht plötzlich mit seiner großen Statur zu Tode erschrecken würde! "Scheiße!" FUCK! Die Flaschen fallen mir durch den Zusammenstoß runter. Nein! Ich bin gefickt! Sowohl ich als auch dieser gottverdammte Mörder weichen zurück. Er schneller als ich. Oh Scheiße! Meine weißen Air Force werden durch die Farbe Rot, von meiner hellblauen Jeans will ich nicht anfangen. Gott! Ich hasse diesen Tag jetzt schon! Ich bin am Arsch!
"Was ist passiert?" Scheiße, das ist die Oberleitung. Ich atme tief durch. Ich darf nicht ausrasten. Alles ist gut. Es wird alles wieder gut. "Es war meine Schuld. Würden Sie bitte ein nasses Tuch für Ihre Mitarbeiterin holen?" Er tritt näher zu mir heran. Mir ist schon verdammt heiß, da macht er es nicht besser, wenn er mich behutsam an meinen Oberarmen festhält. Was zur Hölle sucht er hier?! "Hast du dich verletzt?", fragt er mich. Ich weiche seinen hellen Augen aus, sehe wieder auf meine befleckten Schuhe. Sie sind zwar schon abgeranzt, aber so verdammt bequem. "Ich ersetze dir deine Kleidung. Hast du dich geschnitten?" "Passt schon und nein, habe ich nicht", antworte ich. Ich glaube zumindest, keine Scherbe abbekommen zu haben. Meine Oberleitung kommt mit einem feuchten Tuch zurück und natürlich sind urplötzlich ganz viele Mitarbeiter im Flur. "Müsst ihr nicht irgendwas tun? Anrufe tätigen oder E-Mails schreiben?", frage ich schroff. Was starren sie so blöd? Als ob ihnen noch nie etwas aus der Hand gefallen ist. "Herr Dastan, ich entschuldige mich für diesen Unfall. Wir kommen für den Schaden Ihrer Kleidung auf." Ach und ich muss mich selbst darum kümmern? Ich verdrehe meine Augen. "Passt schon. Ich kümmere mich um alles. Lassen Sie mir die Rechnung für die Chemikalien zukommen. Ich komme gleich nach. Sie können schon in den Konferenzraum." Der blauäugige Geschäftsmann nimmt meiner Oberleitung das Tuch ab und zeigt nachträglich auf den Raum, damit sie endlich verschwindet. Das ist mir so peinlich!
Moment mal! Was wird das? "Was machst du da?", murre ich entgeistert, als er sich zu meinen Füßen herunterhockt. "Du hast es auch auf deine Knöchel bekommen. Halt still. Du hast sensible Haut und diese Chemikalien sind hautreizend." Ich halte die Luft an, als er mich an meiner Wade aus der Hämalaun-Lache zieht. Er soll mich nicht berühren, ich bin extrem kitzelig! Ich drehe mich vorsichtshalber um, damit ich sichergehen kann, dass kein neugieriger nerviger Mensch im Flur ist, entscheide mich aber, subtil darauf zu scheißen. Was wollen die machen? Mich feuern? Und muss dieser Mörder mein Schienbein festhalten, während er die Haut an meinem Knöchel saubermacht? "Kannst du loslassen? Das kitzelt extrem." Es ist wirklich sehr nett von ihm, aber das muss er nicht tun. "Es ist schön, dass du mir endlich mal etwas von dir erzählst, Schneeflocke. Ich bin gleich fertig." Und damit macht er sich an meinen rechten Knöchel, um den auch von den Farbspritzern zu befreien, ehe ich ihn wieder in seiner kompletten Größe vor mir stehen habe. "Was suchst du hier?" "Gern geschehen, Schneeflocke. Immer wieder gern. Ich habe doch erzählt, dass ich am Montag hier ein Gespräch habe." War ich da schon am Schlafen? "Wann?", murmele ich kleinlaut und er stößt ein kleines, belustigtes Atmen durch seine Nase, als er sich zu mir runterbeugt. "Als du mir freundlich die Tür offengehalten hast. Weißt du nicht mehr mein Versprechen, nachdem wir uns kennengelernt haben?" Der Tag nach dem Mord. Ich erschaudere augenblicklich. Er hat mit meiner Chefin geredet. Stimmt! Von mir kommt kein Ton. Ich muss mich saubermachen. Im Abstellraum sind Hauben, die ich mir über die Schuhe ziehen kann. Die arme Reinigungskraft kommt auch schon.
"Ich muss hoch", erwidere ich. "Ich muss in den Konferenzraum. Wir sehen uns, Schneeflocke." "Nenn mich hier nicht so!", murre ich. Doch nicht auf der Arbeit! Doch er scheint mich gar nicht ernst zu nehmen und drückt auf dem Weg zur Oberleitung meine Wangen zusammen. Na toll, vor der Reinigungskraft! Ich reiße frustriert mehrere Kopfhauben aus dem Abstellraum, nehme die zwei neuen Hämalaun-Flaschen zur Hand, die ich auf dem Boden abstelle. Mit dem Abschließen der Tür und dem Anziehen der Kopfhauben kriege ich von der lieben Reinigungskraft meine abgewischte Packung Handschuhe gegeben. "Danke, du versüßt mir wirklich den Tag", seufze ich. "Lass dich von dem Unfall nicht runterziehen. Sowas passiert." Ich bin froh, dass es wirklich doch Leute hier im Haus gibt, die ich mag. "Hast recht." Ich nehme die zwei Flaschen in die Hand und lächele sie noch einmal an, bevor ich ihr einen schönen Tag wünsche und die Treppen aufsteige. Was mich neben der süßen Reinigungskraft noch besänftigt ist die Rosa- und Blaufärbung meiner UTI-Platten. E. coli und Enterokokken. Ich fülle die Protokolle aus, setze neue Platten und Grampräparate an und stelle mir schon mein Mikroskop richtig ein. Perfekt gefärbt. Die Stäbchen sehen wunderbar aus. So habe ich es doch am liebsten. Ich stelle mir manchmal vor, wie ich im mikrobiologischen Praktikum des Medizinstudiums bin und es mir durch mein Vorwissen so leicht fällt. Wie schön es wäre, wenn ich es endlich verwirklichen könnte.
"Und hier ist das mikrobiologische Labor", höre ich plötzlich die Stimme der Oberleitung. Für das nervige Kichern von Chiara und ihrer noch nervigeren Freundin neben ihr würde ich ihr am liebsten das Mikroskop an den Kopf werfen. "Wenn der unser neuer Chef wird, mache ich Extrastunden", wiehert Chiara. Wovon spricht sie? Ich hebe meinen strengen Blick an und Scheiße, ich hätte ihr einfach nicht zuhören sollen. Was sucht dieser blauäugige, tötende Geschäftsmann hier?! Und was glotzt der mich so an? "Die Mikrobiologie gefällt mir bis jetzt am besten", erzählt er meiner braunhaarigen Oberleitung. Wenn sie nur wüsste. "Es ist auch eine ziemlich beliebte Richtung. Wir haben jährlich zusammengefasst mehrere tausende Bewerber, die wir nach feinstem Auswahlverfahren hier arbeiten lassen." Bullshit. So viele tausende kennen vielleicht diesen Job. Wir nehmen jeden, den wir kriegen. Ich kann ja nicht ohne Grund problemlos Extraarbeit in der Pathologie übernehmen, wenn ich möchte. Ich konzentriere mich wieder auf meine Bakterien, die ich mir so lange angucke, bis ich sie schon blind zeichnen kann. Mir ist alles lieber, als ihn hier im Labor zu beachten, nur kann ich mich nicht mehr richtig konzentrieren! Soll ich mir Kopfschmerzen einholen vom ganzen Starren ins Mikroskop? Egal, ich habe sowieso gleich Schluss. Er guckt sich wahrscheinlich noch den Abstellraum an, weil er es hier plötzlich so interessant findet. Was zur Hölle hat er sich dabei gedacht, ausgerechnet mit diesem Arbeitgeber kooperieren zu wollen?
Ich beende meine Tätigkeit für heute, packe alles weg, desinfiziere meinen Arbeitsplatz und dann endlich meine Hände, als ich mir den Kittel ablege. "Ich führe Sie noch zum Ausgang." "Nicht nötig. Ich begleite die Dame." Nicht. Sein. Ernst! Ich bleibe ruhig. Ich ignoriere ihn einfach. Einfach so tun, als hätte ich ihn nicht gehört und demnach so handeln. "Warte doch, Schneeflocke." Oh Gott! "Nenn mich nicht so!", knurre ich schon fast im Flur. Ich würde es ihm direkt ins Gesicht sagen, aber ich habe keine Lust, dass meine Oberleitung mich so sieht. Sie hat schon genug gesehen. Ich überspringe mehrere Treppenstufen, damit ich weg von diesem Verrückten komme. Auf meinem Weg sehe ich die Mitarbeiterin aus der klinischen Chemie und in ihrer Hand zwei Zettel. "Hi! Ich wollte gerade zu dir. Weder im Blut noch im Urin konnte etwas festgestellt werden. Alles ist in Ordnung." "Was wurde untersucht?", höre ich ihn hinter mir sprechen und sofort entreiße ich der armen Mitarbeiterin die Zettel aus der Hand. "Danke dir", lächele ich und drehe mich dann um zu diesem blauäugigen Mörder. "Schon mal was von Diskretion gehört, du Geschäftsmann?" "Bei meiner Verlobten nicht, nein." Verlobten? Sein Ernst?! Ich schaue warnend zur Blondine, die sich verstehend verabschiedet. Ich kriege die Krise mit diesem Mann! Einfach weiterlaufen, Avin. Einfach weiterlaufen und hoffen, dass er plötzlich in eine kleine Atomlücke tritt und steckenbleibt. "Gehst du mit mir etwas essen?", fragt er mich aber stattdessen. Ich seufze, trete mit Schwung die Tür auf. "Hab keine Zeit." "Wohin musst du?" "Spielt keine Rolle." "Ich frage dich, weil ich nicht allzu sehr in deine Privatsphäre eindringen möchte. Du kannst es mir sagen oder ich finde es selbst heraus, Schneeflocke." Als ob ich ihn davon aufhalten könnte!
Ich drehe mich fast atemlos zu ihm um. Er ist so anstrengend! "Dann finde es selbst heraus!" "Bist du dir sicher?", hakt er nach. "Als ob du meine Erlaubnis brauchst. Du hast doch auch eine Akte mit meinen persönlichen Daten." "Aber nur, weil du zugestimmt hast." Er ... ich bin baff. Er will mir wirklich weismachen, dass er keine Akte anfertigen lassen würde, wenn ich ihn an diesem einen Abend nicht aus purer Ironie ermutigt hätte. Ich lache fassungslos auf. "Nimmst du Leute immer nur beim Wort?" "Wie sonst, Schneeflocke?" Er soll bloß nicht frech werden! Und seine Augenbraue kann auch ruhig gesenkt bleiben! "Also ignorierst du den Ton?" "Kommt drauf an. Meistens fügen sich die Menschen mir, wenn sie nicht Teil meiner Familie sind." Und sofort wird mein Blick trocken. "Wenn sie sich dir nicht fügen? Was passiert sonst? Das vom Mittwochabend?" "Je nach Situation." Es trifft mich mehr als es sollte. Für einen winzigen Moment habe ich vergessen, dass er ein Mörder ist. Und das ist der Grund, wieso ich mich wieder umdrehe und weiterlaufe. "Sag mir wenigstens, was es mit dem Laborbefund auf sich hat." Ich muss fast lachen, als mir meine Paranoia wieder in den Sinn kommt. "Avin." Seine Hand umschließt mein Handgelenk, seine andere dreht mich zu sich. Keine Gelassenheit von gerade. Pure Ernsthaftigkeit und leichte Sorge. "Ich habe dir gestern all deine Fragen beantwortet-," "Nicht alle", korrigiere ich ihn. Das mit den Sicherheitsmännern und dem Drum und Dran hält er mir noch vor. "Das Meiste", seufzt er augenverdrehend. Dafür ziehe ich ihm strafend an seiner Krawatte.
Sein Blick gleitet runter zu meiner Hand für den einen Moment. Warum er daraufhin schon fast anerkennend nickt, weiß ich nicht. "Gefällt dir die Krawatte?", fragt er plötzlich. Was zum?! Dieser Typ ist ... unbeschreiblich. "Nein", antworte ich klipp und klar. Es ist eine stinknormale schwarze Krawatte, die er plötzlich lockert ... wieso geht er zum Müll jetzt? "Was machst du da?" "Wenn sie dir nicht gefällt, brauche ich sie nicht mehr." Ist er blöd? Ich renne ihm hinterher, zu spät jedoch, als der Stoff im Müll landet. Was ein Idiot! Und ich Idiotin laufe seit Stunden, weil ich es vergessen habe, mit Klötzen an Kopfhauben an meinen Füßen herum. Ich hasse diesen Tag! Die Hauben kommen zu seiner armen Krawatte in den Müll. "Mit den Hauben an den Füßen hast du mir echt gefallen, Schneeflocke. Du wirkst süß mit ihnen." "Warum schmeißt du sie einfach weg? Die sah wie neu aus", frage ich genervt, woraufhin er mit seinen Schultern zuckt. "Wenn sie meiner Verlobten-," "Ich bin nicht deine Verlobte", warne ich ihn mit angehobenen Finger. Sein Blick wirkt wieder so arrogant, als er meinem Finger gilt. "Lange Nägel im Labor? Und das mit Nagellack?" "Ich trage Handschuhe und desinfiziere sie permanent." "Für die Praktika im Studium müssen sie ab." Wenn ich mal angenommen werden würde, denke ich demotiviert. Hinter ihm treten Chiara und ihre nervige Freundin kichernd aus. Na toll, wieso muss ich auch hier stehen bleiben? "Bis Morgen, Avin", lächelt sie. "Tschüss", summt sie noch einmal höher an den blauäugigen Mörder. Ihr Scheißernst? Erstens verabschiedet sie sich nie von mir und zweitens war es im Labor schon offensichtlich, dass wir eine Beziehung zueinander haben und sie schenkt ihm jetzt ernsthaft Aufmerksamkeit?
Zu meinem Überraschen ignoriert er sie vollkommen. Besser für ihn. Damit uns nicht noch mehr Leute zusammen sehen, nicke ich zum Parkplatz. "Sagst du mir jetzt, wofür der Laborbefund ist?" "Für mich", antworte ich belustigter als ich sein sollte. "Und worum geht es?", hakt er nach. Ich bin beeindruckt, wie geduldig er ist. Ich meine, er trägt sicherlich seine Waffe wieder mit sich. "Ich habe mir Blut abgenommen und Urin abgegeben, um zu gucken, ob ich irgendwelche Medikamente in mir habe." Ich werde an meinen Oberarmen zu ihm gedreht. Schon wieder sind seine Augenbrauen besorgt und streng zu gleich zusammengezogen. "Warum solltest du? Ist etwas passiert? Hat dir jemand etwas untergemischt?" "Ich hatte die Vermutung", erwidere ich. Sein Griff wird fester. "Wer? Und wie ist es ausgefallen?" "Du und es ist alles negativ ausgefallen." Die Sorge fällt aus seinem Gesicht. Stattdessen setzt sich Bestürzung fest. "Wieso sollte ich dir etwas in dein Essen oder Trinken mischen?" "Weil ich müde wurde und eingeschlafen bin." "Weil du viel und gut gegessen hast, eventuell", entgegnet er erzürnt. Oh ... damit habe ich ihn wohl echt verärgert. Als er seine Augen zur Suche seiner Beherrschung schließt, presse ich meine Lippen aufeinander. Ich darf nicht laut lachen. Ich hatte und habe jedes Recht, misstrauisch zu sein. "Schon okay", seufzt er dann. Wow, damit habe ich nicht gerechnet. Ich rechne es ihm wirklich sehr hoch an, dass er so geduldig mit mir ist. Ich verstehe nur nicht, wieso ich deshalb lächeln muss, als er mir wieder in die Augen sieht. Genug Nettigkeit. Die Tagesration ist für heute verbraucht.
"Und wohin gehst du jetzt? Kannst du mir das nicht sagen?", fleht er schon fast. Ich mag es, dass er seine Emotionen nicht versteckt. Er ist offen und ehrlich. Gut so. "Wolltest du es nicht herausfinden?" "Ich fände es schöner, wenn du es mir sagst. Ist es was Intimes?" Mein Leben ist trocken und eintönig, du Mörder. Da gibt es nichts Intimeres als das Intimwaxing. "Nein", setze ich an. Mein Problem ist es, dass ich nie mit meinen Problemen rausrücken kann. Ich fresse sie nicht einmal in mich hinein. Sie sind einfach da und ich nehme sie ohne weiteres hin. Wenn ich es ansprechen möchte, bleibt es mir im Hals stecken. Es ist nichts Schlimmes, Schwäche zu zeigen. Jeder hat Probleme, aber ich kann sie trotzdem kaum ansprechen. Vielleicht, weil ich es noch nie getan habe. "Zu meiner Mutter." Er nickt, wartet darauf, dass ich weiterspreche, aber ich muss mich wirklich bemühen, es zu sagen. Es ist, als würde jemand das Gesagte in meinen Magen drücken, jedes Mal, wenn ich es ansetzen will. "Sind deine Eltern geschieden?", hakt er mit zusammengezogenen Augenbrauen nach, was ich schnell verneine. "Sie ist im Krankenhaus." Da! Ich habe es endlich gesagt. Wenn Dijan das erfährt, wird sie durchdrehen. Erstens, weil meine Mutter im Krankenhaus liegt und zweitens, weil ich es einem Mann, den ich seit sechs Tagen kenne, vor ihr erzählt habe. Ich muss ihr noch ihren Lipgloss geben. Seine Augenbrauen heben sich überrascht. "Ich fahre dich. Komm." Mir wird ja nicht einmal die Zeit zum Entscheiden gelassen. Er zieht mich am Handgelenk zu seinem Auto und fährt los, fragt nach dem genauen Krankenhaus und fährt dann auf die nächstbeste Autobahn.
"Fühlst du dich bereit, zu sagen, wieso sie da liegt?" "Nein", antworte ich sofort. Ich hätte sagen können, dass sie einen Herzinfarkt erlitten hat, aber der Grund dafür war vor der Diagnose im Kopf. "Falls sie etwas benötigt, gib mir sofort Bescheid. Ich hoffe, dass es ihr schnell wieder gutgehen wird." Sie trägt das Leid schon seit Jahren mit sich. Wer weiß, ob sie jemals wieder Unbeschwertheit genießen kann. Ich wünsche es ihr so sehr. Sie soll endlich befreit werden von ihm. Mir wäre es lieber, dass sie aufgrund seines Todes trauert als durch seine Existenz. Ich spiele betrübt an meinen Nägeln herum. Du würdest mir jeden Wunsch erfüllen?, frage ich ihn in Gedanken. Sorg dafür, dass mein Bruder meiner Familie nie wieder zu nahe kommt. Nur das. Wenn ich mich entscheiden müsste, dass der Junkie nie wieder an meine Mutter rankommt oder das Medizinstudium, würde ich meinen Traumberuf aufgeben. "Ist alles in Ordnung?" Ich nehme wieder am Aktuellen teil. "Ja und bei dir?" "Auch, danke, aber du wirkst bedrückt", erwidert er. Ich bin konstant bedrückt. Doch das sage ich ihm nicht. Stattdessen zucke ich mit meinen Schultern. "Passt schon." "Passt es wirklich immer oder passt du dich der Sache an?" Ich verstumme. Ich werde passiv. Nenn es von mir aus Anpassung. "Weiß ich nicht", flüstere ich. Er soll aufhören, darüber zu sprechen. Bei ihm werde ich zu oft in Verlockung gebracht, wirklich emotional zu werden und das will ich nicht. Ich lenke mich mit meinen Nägeln ab, fahre mit meinen Fingerkuppen über den glatten Lack und trommele ablenkend herum bis wir auf dem Krankenhausparkplatz ankommen.
"Dankeschön. Gott segne dich dafür." Ich lächele ihm zu, wenn auch mehr gezwungen, bevor ich aussteige. "Warte." Seine Hand umschließt dieses Mal meine. Sie ist so warm. Es fühlt sich so angenehm an. So schön. So ungewohnt. Ich schaue auf seinen Handrücken, auf seine Venen. Ich wirke vielleicht ein wenig hypnotisiert, aber es fühlt sich wirklich überraschend schön an, wenn meine Hand gehalten wird. "Ja?", hauche ich. Mein Blick bleibt auf seine Hand um meine gerichtet. Ich will nur diesen einen Moment genießen. Diesen einen frischen Moment, der in meinem inneren Winter den Frühling erblühen lässt. "Kannst du mich anschreiben? Bitte. Ich will deine Nummer bei mir gespeichert haben. Hast du sie überhaupt noch? Falls etwas ist, schreib mir sofort oder ruf mich an." Ich nicke. Er soll weitersprechen. Ich will seine Wärme noch genießen, bevor sie mich emotional macht, aber es endet leider. "Wenn was ist, rufe ich dich an", murmele ich. Der Moment endet leider, weil keiner mehr spricht. Ich will aber nicht. Es fühlt sich gerade so echt an. So schön. Ich atme angestrengter, bemühe mich aber einer normalen Atmung. Die Gänsehaut an meinem Körper spricht für dieses neue Erlebnis. Es ist warm. Unangenehm warm. Ich muss aussteigen. Ich will nicht, dass er die kleinen Tränen in meinen Augen sieht. Meine rechte Hand greift nach der Klinke und selbst dann bleibt mein Blick auf unsere Hände fixiert. "Wir sehen uns", wispere ich. Das ist besser so. Ich bin hier, um meine Mutter zu besuchen und nicht, um Händchen mit ihm zu halten. Ich darf mich nicht von Berührungen beeinflussen lassen, so schön es sich auch anfühlt.
Ich muss für diesen Schritt einen klaren Kopf bewahren. Er könnte mir jetzt einfach nur schöne Worte machen, nur um mich weich zu kriegen. Das gleiche gilt für die Berührungen. Das könnte mich dazu bringen, mich schneller und leichter zu entscheiden. Das ist ein essentieller Schritt. Etwas, was mein ganzes Leben verändern könnte und ich muss wissen, ob er doch anders reagieren könnte bei mir. Ich kann und will kein schlimmes Leid erleben. Ich laufe stumm an der Pforte vorbei zum Aufzug, komme schnell auf der sechsten Etage an und klopfe erst am Zimmer an, bevor ich eintrete. Gerade sind ihre Freundinnen bei ihr, die ich begrüße und dann meine Mutter umarme. "Was ist mit deinen Schuhen passiert?", fragt sie und sofort schauen die Freundinnen an mir hinab. Das habe ich ja komplett vergessen. Der blauäugige Mörder stand plötzlich hinter mir und ich habe zwei Flaschen Hämalaun fallen lassen. Und er hat mich seine Verlobte genannt! "Mir ist Farbe aus der Hand gefallen." Von ihr und ihren Freundinnen kommen bemitleidenswerte Laute. Ich winke aber nur ab und setze mich zu ihr aufs Bett. "Lass sie mit Bleichmittel und Wasser einwirken und dann geht es raus." Das Allzweckmittel. Bei den Schuhen kann ich es mir vorstellen, aber bei der Hose? Keine Ahnung. Während die Frauen tratschen und mich hoffnungsvoll nach dem Studienplatz fragen, denke ich die ganze Zeit an ihn. An seine Hand und an seine Nummer, die ich mit mir herumtrage. Ich habe sie nicht eingespeichert. Sollte ich es? Nicht, dass er mich dann orten kann. Nein, ich belasse es dabei.
Ich bleibe nicht lange, weil meine Mutter heute wohl viel Besuch erwartet. Meine Geschwister haben heute alle später Schluss als ich und meine Mutter hatte schon in den Pausen mit ihnen telefoniert. Entweder morgen oder übermorgen wird sie sicherlich entlassen. Dadurch, dass es einen arabischen Assistenzarzt auf der Station gibt und meine Mutter die Sprache gut beherrscht, muss ich nicht kommen und es meiner Mutter übersetzen. Medizinisch auf Kurdisch wiederzugeben ist sowieso nicht meins, auch wenn ich ihr sicherlich nur sagen müsste, dass sie sich nicht stressen darf, aber wem sage ich das? Die arme Frau weint schon los, wenn sie einen winselnden Welpen hört. Sie ist zu sensibel für diese empathielose Umgebung. Mein Blick gleitet automatisch über den Parkplatz, als ich das Krankenhaus verlasse und als ich ein schwarzen Sportwagen sehe, zieht sich mein Mangen zusammen. Ist er das oder ein anderer? Von hier sehe ich nicht, ob es ein Maserati ist, aber von der Zuglänge und dem Parkplatz kann es doch nur er sein. Ich laufe mit zusammengezogenen Augenbrauen auf das Auto zu und er ist es tatsächlich! Mit seinem MacBook auf seinem Schoß. Ich klopfe zögernd, woraufhin sich sein Blick streng und schon fast genervt anhebt, aber sofort erweicht, als er mich sieht. Er beugt sich sogar vor, um mir die Tür zu öffnen. "Wieso bist du noch hier?", frage ich, ohne einzusteigen. "Um dir neue Sachen zu kaufen. Ich habe sie dreckig gemacht. Komm." Das ist echt nett von ihm. "Passt schon. Die Schuhe werden sicherlich wieder sauber." "Sicherlich ist nicht absolut und deine Jeans hat auch was abbekommen. Komm. Immerhin müssen wir uns doch kennenlernen, Schneeflocke." Ich sollte eigentlich nicht mitfahren. Ich sollte nach Hause, etwas kochen, wenn meine Schwägerin es nicht schon getan hat und aufräumen, wenn es keines der Mädels oder meine zu nette und hilfsbereite Schwägerin es nicht auch schon getan hat.
Aber ich steige zu meiner Überraschung wortlos zu und schnalle mich an. "Ich will nur in die Stadt und ein wenig gucken. Kauf mir nichts", mache ich ihm klar. Ich will mich ein wenig von den Geschehnissen ablenken. Ob es das Sinnvollste ist, mit einem der Hauptgründe im Auto zu sitzen, sei dahingestellt. "Du brauchst neue Schuhe." "Passt schon. Das sind nicht meine einzigen." Aber mit Abstand die Gemütlichsten. "Du sollst nur in edlen und hochwertigen Sachen herumlaufen, Schneeflocke. Nicht in Schuhen, deren Naht schon gelockert rausguckt." Es ist sehr schön, das er es sagt und ich würde ihm beipflichten, wenn ich nicht wüsste, dass er mir sofort wirklich auch das Entsprechende kauft. Ich liebe es, mich zu pflegen und mir schöne Sachen zu kaufen, aber ich hasse die unverschämten Preise und meine fehlende Motivation, mich schön zu machen. Nur, wenn ich mit Dijan rausgehe und seit letzter Woche fühle ich mich plötzlich viel aktiver, mich zurechtzumachen. Ich schaue nur wortlos aus dem Fenster. "Musst du nicht arbeiten?" "Ich bin mein eigener Chef, Schneeflocke. Außerdem habe ich bis gerade ein wenig gearbeitet. Meine Brüder sind auch noch da." Brüder. Er hat Brüder. "Wie viele Brüder hast du?" "Sieben." Scheiße. Die arme Mutter. "Und Schwestern?" "Sind nur drei." Nur. Die arme Mutter! Elf Kinder! "Und wie alt sind sie so? Bist du der Älteste?" "Nein. Ich bin ein Mittelkind. Vor mir kommen drei Brüder. Einer davon ist mein Zwilling." Ein Zwilling! Jetzt gibt es auch noch eine Kopie vom blauäugigen Mörder. "Aber wir sind zweieiig. Es wird also nicht zu Verwechselungen kommen. Ich habe ihn schon reichlich bedroht." "Du hast ihm von mir erzählt?", frage ich schon fast entsetzt. Er nickt verwirrt. "Ist doch selbstverständlich, Schneeflocke. Wenn ich die Frau fürs Leben gefunden habe, erzähle ich es meiner Familie." Ach du Scheiße.
Ich lehne mich müde zurück. Ich habe es nicht einmal Dijan erzählt. "Wann fühlst du dich bereit, sie kennenlernen zu wollen? Du scheinst mir nicht wie eine Extrovertierte." "Bin ich auch nicht", antworte ich trocken. Ich meide Menschen mehr und kriege mich eher mit ihnen in die Haare, als wirkliche Kontakte zu pflegen. Besonders seit meiner Ausbildung bin ich viel reizbarer. "Gut, dann lasse ich dir Zeit." "Ich habe mich noch nicht entschieden." Solange nichts klar ist, werde ich niemanden kennenlernen. "Du weißt, wie du mich verunsicherst, Schneeflocke. Zum Glück bist du keine Geschäftspartnerin." Ich schiele zu ihm. Was für eine scharfe Kinnlinie er doch hat. Seine Bartstoppel wirken nicht dichter als gestern. Ihm steht beides. Gerade Nase. Kein Schwung, aber auch kein Höcker. Es passt perfekt zu seinem Gesicht. "Was macht dich so sicher, dass ich die Richtige für dich bin?" Ich kenne es zwar, dass ich intuitiv handele und nach meinem Bauchgefühl gehe, aber das ist eine Heirat. Da muss man doch trotzdem mehr bedenken. "Weil ich es weiß, Schneeflocke. Ich bin das Ruhige zu deinem Herrischen." "So herrisch bin ich nun auch nicht", murmele ich. Seine Mundwinkel zucken unterdrückt. "Nur ein bisschen. Für eine Frau, die einen Mord mitbekommen hat, bist du ziemlich kratzbürstig." Und ich verstehe bis heute nicht, wie ich so leichtsinnig sein konnte. Er hätte mich töten können!
Wir kommen an. Ich weiß, dass er mir wieder die Tür aufhalten wollte, aber das ist wirklich nicht nötig. Neben ihm zu laufen, ist gewöhnungsbedürftig. Dadurch, dass ihn viele ansehen. Dadurch, dass es mein erstes Mal mit einem Mann in der Öffentlichkeit ist. Dadurch, dass ich mich so anders fühle, weil ich neben ihm laufe. Es ist schön. Meine Hand streift beim Laufen seine und obwohl wir heute schon in aller Ruhe unsere Hände berührt haben, schrecke ich zurück. Dann laufe ich eben mit verschränkten Armen weiter. "Mir wäre es lieber, wenn ich sie wieder halten dürfe." Er weiß nicht, was er da mit mir macht, wenn er so ehrlich seine Bedürfnisse ausspricht. Seine Worte schweifen sachte über meinen Rücken, hinterlassen dort ein angenehmes Prickeln. Er weiß nicht, dass ich mich seit langem nach einer romantischen Beziehung sehne, mich aber aufgrund meiner Entwicklung schwertue damit. Ich reagiere nicht darauf, sage ihm stattdessen, dass ich in die Parfümerie will. Ich habe diese kleine Sucht, die ich aber zügeln muss, weil ich Geld sparen will, falls ich doch privat studieren sollte. Meine Eltern würden mich zwar unterstützen, aber ich kann nicht alles auf sie lasten lassen. Außerdem wollte ich nach guten Gebrauchtwagen gucken. Keine Ahnung, wann ich das mache. Was das angeht, lasse ich es noch länger schleifen als den Führerschein. In der Parfümerie werde ich vom typischen Gemisch hunderter Parfüms begrüßt. Schon wieder steuere ich sofort auf die Rituals Abteilung zu und nehme mir das Sakura Bodyspray zur Hand. Ich habe mir zwar letztens erst das Rituals of Mehr Bodyspray geholt, aber ich kann mich einfach nicht kontrollieren, wenn ich Sachen kaufen möchte.
"War es das, was du am Sonntag getragen hast?", raunt er hinter mir zu. Ich erschaudere sofort. Er ist mir nah. Sehr nah. Ich will nicht sauer und aggressiv deshalb werden und zu meiner Überraschung werde ich es nicht stark, auch wenn seine Wärme meinen Nacken kitzelt. "Nein." Ich trete einen Schritt nach vorn und nehme die orangene Flasche. "Das hier." "Du magst frische Düfte also?" Ich liebe frische Düfte. Von süßen Düften könnte ich kotzen. Ich hasse es, wenn Chiara wieder mit ihrem quietsch-süßen, pudrigen Asthmaanfall-auslösenden Parfüm ins Labor kommt. Man müsste sie davor unter die Abzugshaube stellen, bevor sie arbeiten darf. "Ja, sehr." "Dann weiß ich endlich, was du trägst." Er sprüht sich ein wenig des Testers auf seine Hand. Als er den Duft einatmet, senkt er für einen kurzen Moment seine Lider, als würde er es voll und ganz genießen. "Davon gibt es anscheinend auch einen Raumduft. Mein ganzes Haus soll nach dir riechen." Greift er jetzt gerade ernsthaft nach allen Raumsprays? Das ist extrem teuer! "Was machst ..." Ich kann ihn nicht einmal fragen, weil er sich einen Korb holt und sogar alle Duftkerzen dieser Reihe in seinen zweiten Korb legt. Ich pruste. Das ist doch nicht normal. Es ist nicht normal, dass er diese hohe Summe ausgeben möchte, nur weil er meinen Duft um sich haben möchte und es nicht normal, dass es meinen Ansprüchen entspricht, dass er genau das tut ... ich wollte schon immer jemanden, der so handelt. Und er kann nicht wissen, dass ich das mag, aber er kann wissen, dass es mir schmeichelt.
Ich schaue mich ein wenig nach neuen Düften um, bin aber schnell fertig. Er stellt beide Körbe vor der verdutzten Verkäuferin ab, deren roten Lippen sich bei dem Inhalt spalten. "Sie sind aber ein Liebhaber!", lacht sie auf, woraufhin er bescheiden nickt. "Ich will, dass mein Haus nach meiner Frau riecht. Nennen Sie es Obsession. Ich nenne es Therapie." Oh Gott! Ich schlage mir verlegen gegen die Stirn. "Haben Sie noch mehr Produkte von dieser Reihe? Gibt es Räucherstäbchen?" "Nein!", murre ich streng. Ist er völlig wahnsinnig? Das hier allein kostet schon mehrere hundert Euro. Die Sachen sind unnötig teuer, egal wie schön sie duften. Der blauäugige Fanatiker dreht sich überrascht zu mir und lenkt damit auch die Aufmerksamkeit der älteren Dame auf mich. "Ist das dann zu viel für dein Asthma?" Mein Asthma habe ich komplett vergessen. Ich kann die Frage nicht einmal beantworten, weil ich noch nie in ein Haus getreten bin, das voll und ganz nach meinem liebsten Duft riecht. "Keine Ahnung. Das muss aber nicht sein." "Wir testen es aus. Gibt es welche?", wendet er sich wieder an die Verkäuferin, die wissend schmunzelt. "Leider sind diese hier ausverkauft. Sie können aber im Onlineshop gucken." "Perfekt." Er wendet sich wieder mir zu und hält mir seine Hand hin, auf die ich verwirrt schaue. "Was?", frage ich. "Das Bodyspray." Kann er vergessen! "Passt schon. Zahl du da deinen Jahresvorrat." Ich nicke abfällig auf die ganzen Sachen, die die Frau abscannt. "Ist es möglich, die Sachen abholen zu lassen?" "Selbstverständlich. Um wie viel Uhr?" "In genau einer halben Stunde. Auf den Namen Begovic."
Er schaut einmal auf das rosa Bodyspray in meiner Hand, weshalb ich es murrend an mich drücke. "Kosten alle Bodysprays dieser Marke gleich?" "Ja." Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen. "Nein", warne ich ihn, doch er drückt nur wie heute im Flur meine Wangen zusammen und wendet sich wieder an die blonde Verkäuferin. "Dann scannen Sie bitte noch einmal einen extra zu." "Nein!" Sein Einkauf kostet schon genug! "Hören Sie bitte nicht auf meine temperamentvolle Frau." Ich japse leise nach Luft. Er legt tatsächlich seinen Arm um mich! Mir läuft es heiß den Rücken runter. "Ich liebe die weibliche Unabhängigkeit, aber ich möchte meine Frau trotzdem beschenken." Ich zucke vorsichtshalber zurück, als er zu mir hinunterschaut. Sollte er es wagen, mir einen Kuss zu geben, steche ich ihm in seinen Bauch! Ich taste meine Jackentaschen ab ... wo ist mein Messer?! "Das macht dann 588 Euro und 22 Cent." WAS?! Meine Augen weiten sich fassungslos. Ich reiße sie schon fast auf. Das ist mehr als die Hälfte der Miete unserer Wohnung! Doch den blauäugigen Duftfanatikern kratzt es überhaupt nicht. Nein, er zückt gelassen seine schwarze Karte, drückt mich an das Kartenlesegerät, damit ich seinen PIN-Code sehe, ich aber wegschaue und schreibt noch einmal Vor- und Nachname und Geburtsdatum des Typen auf, der all das abholen soll. "Dann noch einen angenehmen Resttag", wünscht sie uns. Mein großer Begleiter erwidert es mit mehr Elan als ich.
"Und was möchtest du jetzt essen?" "Gar nichts. Ich will gehen." Es fehlt noch, dass er noch mehr Geld ausgibt. Er läuft langsamer, bleibt aber dann stehen und schaut zu mir. Er wirkt sichtlich irritiert. "Was habe ich falsch gemacht?" Oh ... verdammt! Ich werde weich. Ich wollte ihn nicht verunsichern und ich will seine Mühe auch gar nicht mit Füßen treten, aber ich will nicht, dass er Geld für mich ausgibt. Scheiße, das tut mir gerade verdammt leid! Er soll mich nicht so anschauen! "Nichts", setze ich vorsichtig an. Ich streife die kleine Tüte in meine Armbeuge. Meine Hand greift sofort nach seinem Oberarm. Ich will ihn nicht verletzen, auch wenn ich oft gemein zu ihm bin. Ich schätze seine Mühe wirklich und wenn er wüsste, was es innerlich mit mir anstellt, würde es ihn nicht so verunsichern. Oh Mann. Ich lehne meinen Kopf seufzend gegen seinen bedeckten Oberarm. "Du hast nichts falsch gemacht. Ich will nur nicht, dass du Geld ausgibst." Ich hebe meinen Blick wieder an zu seinen Augen. "Wenn du dieses Mal deine Karte bei dir behältst, dann lasse ich mich darauf ein." Seine Lippen zucken schon ablehnend, aber noch antwortet er nicht. Er will mit mir essen gehen, aber er möchte nicht, dass ich zahle. Das Dilemma für ihn beginnt. "Wo willst du essen?", fragt er mich statt des unausgesprochenen Neins. "Mir egal. Ich esse so gut wie alles. Zeig mir dein Lieblingsrestaurant", lächele ich. Es überrascht uns beide, dass ich plötzlich so sanft spreche und lächele. So sehr, dass sich seine Augenbrauen heben und mir eine Hitzewelle ins Gesicht klatscht.
Mir gefällt es nicht, dass ich diesem Mann meine zärtliche Seite zeige, aber es fühlt sich so gut an, einmal etwas zu fühlen.
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Ich merke, ihr habt sehr viel Paranoia.
Was sind eure Theorien und wieso vertraut ihr Azad nicht?
- Helo
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