Kapitel 54

Es ist falsch und schon fast erbärmlich, wie ich Azad jedes Mal meide. Seit der Konversation mit der Mutter hege ich eine Abneigung gegen ihn, weil er ein Baby gehalten hat. Ein Baby! Dass sich die letzten Tage immer wieder mehrere dubiose Männer über Stunden in unserem Wohnzimmer aufhielten, kam mir zugute. Ich bin nicht ein einziges Mal aus dem Schlafzimmer gekrochen, habe Azad somit weitestgehend meiden können und hin und wieder mal vorgespielt, dass ich schon am Schlafen bin. Durch die Arbeit haben wir auch nicht miteinander gegessen und da ich noch nicht gut genug mit dem Abschätzen der Portionen bin, mussten die Sicherheitsmänner den Rest essen. Jaffar war da leichter zu überzeugen als Jamal, aber am Ende hat er sogar nach Nachschlag gefragt. Das war das einzige Highlight meiner Woche. Kam Azad, habe ich mich verschanzt. Plötzlich war ich im Bad oder am Lesen und hatte dabei meine In-Ear-Kopfhörer eingestöpselt, obwohl keine Musik lief. Ich wollte nur nicht mit ihm sprechen. Alles unnötig und kindisch. Ein Gespräch wäre die einzig richtige Lösung, aber ich habe keinen Bedarf zu sprechen. In solchen Momenten bin ich kühl, still und distanziert. Mein Körper möchte dafür keine Energie aufbringen. Das Problem ist nur, dass es Sonntag ist und Azad gerade frisches Brot auf die Terrasse bringt. Ich weiche seinem Blick sofort aus, will nach dem Brot greifen, als sich seine Hand schon vielsagend um mein Handgelenk schließt.

"Avin", setzt er an. Mein Name folgt nur dann, wenn es Ernst wird. Ich bin aufgeflogen, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich es nie versteckt. Aversionen konnte ich noch nie überspielen. Ich erwidere seinen Blick träge, ganz zu seiner Verärgerung. "Hältst du mich für dumm?" Er sollte es nicht darauf ankommen lassen, denn in meiner aktuellen Verfassung bin ich oft versucht, zu provozieren. Ich entscheide mich jedoch dafür, trocken und deeskalierend vorzugehen. Das heißt übersetzt, dass ich kein Wort sage und ihn weiterhin anschaue. Nicht einmal blinzeln tue ich, bis er weiterspricht. "Was ist los mit dir? Warum meidest du mich seit acht Tagen?" Was soll ich ihm sagen? Dass mich sein Wunsch nach Kindern anekelt? Dass ich mich vor potenziellen Streits eben damit schütze, indem ich meine Mauern hochfahre? Was will er von mir hören? Mir kommt kein Wort über die Lippen und das stört Azad, wie ich anhand seines zuckenden Kiefermuskels deutlich erkenne. "Habe ich etwas getan?", fragt er gedämpft und noch immer hält er mein Handgelenk fest, auf das ich jetzt schiele. Es ist pure Kulanz, dass er es jetzt loslässt. Es tut mir leid, dass er beim Hinsetzen resigniert seufzt.

"Avin, seit acht Tagen bemerke ich, dass du dich von mir distanzierst. Wir haben seit acht Tagen keine richtige Konversation geführt. Deine Körpersprache hat nicht einmal zugelassen, dass ich mich dir im Bett nähern konnte. Was habe ich dir getan?", fragt er besorgt. Es tut mir so leid, dass ich ihn verunsichere. Wie er es angeht, ist absolut richtig. Ich hingegen schalte ab und fahre meine Energie runter, statt es aus der Welt zu schaffen. Wie immer. Das ist nicht gut. Azad betrachtet mich ungeduldig, während ich nichts anderes tue, als abwechselnd auf das Frühstück und sein Gesicht zu schauen. Was soll ich ihm sagen? Der Grund ist lächerlich und irrational, aber so ist das nun mal mit vielen Ängsten. Und er hat mit dem Halten des Babys eben meine Angst vor einer Schwangerschaft getriggert. Mich ekelt der Gedanke an, ein Lebewesen in meinem Bauch zu tragen. Ich will es nicht und demnach will ich keinen Mann an meiner Seite sehen, der bei dem alleinigen Gedanken vollkommen fasziniert ist. Das versteht er nicht. Das muss er auch nicht. Es ist meine Angst und meine irrationale Logik. "Passt schon", ist alles, was von mir kommt. Reserviert, ohne jeglichen Klärungsbedarf.

Damit nehme ich mir das Brot zur Hand, nur um wieder aufgehalten zu werden. Sein Kiefer zuckt voller Ungeduld, was ich absolut nachvollziehen kann. Er hat jedes Recht, wütend meinetwegen zu sein. "Erinnerst du dich noch an die Situation in meinem Büro, wo du wütend auf mich warst, weil du dich nicht ernst genommen gefühlt hast?" Das tue ich. Demnach necke ich auch entsprechend. "Genau das fühle ich gerade. Sag mir, was das Problem ist. Jetzt." Fast zucken meine Lippen belustigt. Azad spielt gerade keine Spielchen und ich bin wirklich so verkorkst, dass mir nach einem Schmunzeln zumute ist. "Kein Großes." "Dann sollte es umso schneller aus deinem Mund kommen." Oho, Azads Ton ist viel stumpfer. Dem geduldigen Mörder reißen langsam die Fäden. Meine Augenbraue hebt sich als unausgesprochenen Kommentar dazu. "Eine Nichtigkeit." Ich spüre, wie seine Finger um mein Handgelenk zucken. "Nichtigkeit?", presst er hervor. Ich sehe zum ersten Mal, wie seine Halsadern langsam hervorstechen. Noch bin ich nicht verschreckt. Langsam darf auch ich verstehen, dass er mir nichts tut. Trotzdem muss ich mir die kleine Brise von den Schultern schütteln. "Ich habe keinen Bedarf darüber zu sprechen." "Willst du mich den Rest deines Lebens anschweigen?" So bin ich leider. Aber ich weiß, dass es falsch ist und dass ich damit Azad nicht respektiere. Es fällt mir nur so schwer, es über die Lippen zu bringen, so simpel es auch ist. Ihm zuliebe mache ich es aber.

"Wegen des Kindes." Es fehlt zwar an jeglicher Eloquenz, aber es drückt es ganz gut aus. Azads Augenbrauen ziehen sich zusammen. Er lässt endlich mein Handgelenk los, damit ich essen kann. "Welches? Agirs?" "Nein", setze ich an, als ich ein Stück vom Fladenbrot abreiße. "Dieses kleine Mädchen, das du gehalten hast." Seine Reaktion verändert sich nicht. Er bleibt weiterhin planlos. "Ich ... ich verstehe es nicht. Warst du eifersüchtig oder wie?" Oh Gott. Ich verdrehe meine Augen. "Nein", setze ich genervt an. Dieser Vollidiot. "Ich hasse Kinder und der Moment hat eine Abneigung in mir vorgerufen, weshalb ich mich einfach distanziert habe. Fertig." Damit genehmige ich mir endlich mein erstes Frühstück für heute. Ich liebe dieses Frühstücksfleisch. Azad scheint nach wie vor verdutzt und verloren in der Erzählung zu sein. Er tut mir leid. "Zerbrich dir nicht den Kopf darüber." Daraufhin schnaubt er. "Natürlich nicht", setzt er noch immer sichtlich verärgert an. "Meine Frau meidet mich seit mehr als einer Woche und ich bin der Auslöser, weil ich ein Kind gehalten habe. Sie ekelt sich seit acht verfickten Tagen vor mir, weil ich ein Kind in den Armen hatte!" Azad ist so aufgebracht, dass seine Hand auf den Tisch schnellt, als er sich erhebt. Mein Magen zieht sich zusammen. Ich muss ruhig bleiben. Ich verstehe seine Verärgerung. Es ist ein dummer Grund, aber für mich mehr als verständlich genug.

Ich sehe die Unbeholfenheit in seinen Augen, als er mich ansieht. Er wirkt wirklich verzweifelt. "Avin, das ..." Ihm entweicht ein resigniertes Auflachen. "Wie schnell geht das? Wie schnell kannst du mich von dir stoßen? Wie ist das möglich?" Was soll ich ihm sagen? "Mach dir keinen Kopf, Azad. Setz dich und frühstücke mit mir." Seine Augen werden schmal. "Willst du das überhaupt?", fragt er mich. "Oder ekele ich dich nur weiter an?" Was wird das jetzt? Ich atme tief durch. Mir fehlt die Geduld. "Ich kann nicht verstehen, wie es dir so leichtfallen kann, mich wegen einer simplen Sache so derart von dir zu stoßen, dass ich zu verunsichert bin, meine Frau im Bett zu halten. Wie kalt ist dein Herz, Avin?" So kalt kann es nicht sein, wenn mich seine Aussage doch ein wenig trifft. Sie lässt meinen Rücken prickeln. Ich sage kein Wort. Er ist aufgebracht und ich verstehe ihn vollkommen. Er ist emotional. Absolut verständlich, wenn seine Ehefrau ihn acht Tage lang emotionale Abstinenz gegeben hat. "Es ist doch schon geklärt. Setz dich doch und frühstücke." "Es ist nichts geklärt!", entgegnet er umso lauter. Langsam werde auch ich wütend. Durchatmen. Ich muss tief durchatmen. Azad ist gerade einfach nur zu emotional.

"Willst du jedem zukünftigen Problem so aus dem Weg gehen?" "Willst du bei jedem zukünftigen Problem so ein Theater machen?", erwidere ich kühl. Es reicht langsam. Ja, der Fehler liegt auf meiner Seite. Trotzdem muss ich mich nicht am Morgen mit so einer sinnlosen Politik herumschlagen. Azads Augen nehmen einen gefährlichen Ton ein. Es ist nur eine Sekunde, in der sie sich einen winzigen Moment weiten, doch es reicht mir, um zu wissen, dass er wütend ist. Verdammt wütend. "Avin", setzt er bedrohlich leise an. Ich halte die Luft an, spüre schon das leichte Kratzen in den Lungen. "Wag es nicht, die Schuld auf mich zu schieben. Du hast mich gemieden. Ich habe jedes Recht, wütend zu sein. Du kannst es nicht ernst meinen, dass das Halten eines Kindes der berechtigte Grund dafür ist, mich abzustoßen. Bin ich irgendein Spielzeug? Interessierst du dich überhaupt für meine Gefühle? Hast du überhaupt welche?" Ich schlucke. Er geht zu weit, aber ich bin zu gefasst, um ebenso emotional zu werden. Meine Finger zittern. "Ich habe dir deine Wut nie abgesprochen. Ich weiß, dass es meine Schuld ist." "Was bringt das jetzt?", fragt er nur noch lauter, nur noch wütender. Azad fährt sich tief durchatmend durch sein Haar, versucht Geduld und Vernunft zu sammeln, doch so geladen, wie er ist, glaube ich nicht, dass er es schafft.

"Liebst du mich überhaupt? Hast du überhaupt Gefühle für mich?" Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen. "Mach dich jetzt nicht lächerlich, Azad." Damit scheine ich ihn wohl nur noch mehr zu reizen, denn seine Hände rasen voller Wut auf den Tisch. Mein Schwarztee schwappt über. Das Geschirr klirrt. Ich zucke zurück. Mein Herz rast. Das wird gefährlich. Das wird zu gefährlich. "Lächerlich? Lächerlich?", schreit er. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Um mich dreht sich alles. "Du findest lächerlich, was ich fühle? Wie würdest du dich fühlen, wenn du jemanden offenkundig liebst und dein Ehemann es nie erwidert hat? Nein, stattdessen stößt er dich von sich, weil du eine unscheinbare Tat begangen hast, die man niemals als Grund für so etwas sehen würde. Was ist los mit dir, Avin? Bin ich so wertlos in deinen Augen? Wie kriegst du es hin, so kalt zu sein? Warum interessiert dich nichts? Wieso kannst du nicht einmal sagen, dass du mich liebst? Tust du es nicht?" Es bildet sich langsam ein Kloß in meinem Hals. Das wird mir wirklich zu viel. "Was willst du von mir hören? Es tut mir leid, Azad. Es tut mir leid, dass ich meine Gefühle und Ängste nicht steuern kann. Du kannst deine Gefühle doch auch nicht steuern." Azads Miene zeigt nichts als Zorn. Seine Atmung geht viel schwerer. Mich erwartet etwas.

"Rede nicht von Gefühlen, wenn du sie kaum besitzt." Und damit stürmt er an mir vorbei. Ich weiß nicht wohin, aber ich höre, dass unsere Haustür lautstark ins Schloss fällt und daraufhin sein Motor aufjault. So angenehm warm es auch ist, ummantelt eine starke Gänsehaut meine Arme. Ich senke meinen Blick betrübt auf meinen Ring. Meine Mundwinkel fühlen sich schwer an. Von meinen Augen möchte ich gar nicht sprechen. Meine Sicht verschwimmt langsam, sodass ich den lila Hauptstein nur noch vage erkenne. So einen Streit hatten wir noch nie. Noch nie hat er mich wirklich verbal attackiert. Ich weiß nicht einmal, ob es die Worte an sich sind, die mich doch ein wenig verletzen oder die Tatsache, dass sie von Azad kommen. Von der Person, von der ich es am wenigsten erwartet hätte. Dass ich keine Gefühle hätte, habe ich oft gehört. Da hat es mir nie etwas ausgemacht. Ich habe es sogar als etwas Gutes empfunden, aber bei ihm? Nach seinen Aussagen wirkt es so, als hätte er keine Wärme wahrgenommen, die ich ihm gewollt gegeben habe. Als hätte er sie gar nicht anerkannt. Mir fallen zwei schwere Tränen auf meinen Handrücken. Das wird schon wieder ... auch wenn ich mir in Gedanken schon die schlimmsten Szenarien ausmalen will. Wohin ist er gegangen? Wird er mich jetzt lange anschweigen?

"Benötigen Sie etwas, Frau Dastan?" Das ist Jamal, der am Gelände steht. Ich neige den Kopf von ihm weg, damit er die Tränen nicht sieht. "Passt schon. Danke, Jamal." "Sie können sich jederzeit bei uns melden." "Mache ich." Dann höre ich, wie er geht. Die Sicherheitsmänner haben den Streit also mitbekommen. Unangenehm. Ich atme tief durch. Was soll ich jetzt machen? Ich weiß es nicht. Wo ist er hingegangen? Ich möchte ihn nicht fragen, weil er mir mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Antwort geben wird. Ist es jetzt vorbei? Wird die Beziehung in die Brüche gehen? Eigentlich hätte ich schon während des Streits abgeschlossen und mich auf das Schlimmste vorbereitet, aber ich konnte nicht. Ich kann es jetzt auch nicht. Das Taschentuch fühlt sich zu rau auf meiner Haut an, als ich mir damit die Tränen wegwische und die Nase befreie. Sind keine Sicherheitsmänner mit ihm? "Jamal?" Ich bin froh, dass meine Stimme weiterhin fest und gefasst ist. Als ich den gebräunten Teint und die grünen Augen wieder sehe, kann ich meine Frage fortsetzen.

"Ist Azad allein gefahren?" "Nein. Machen Sie sich keine Sorgen." "Weißt du, wohin er gefahren ist?" "Das weiß ich leider nicht. Tut mir leid. Ich kann die Kollegen anfunken, aber es kann sein, dass Herr Dastan Auskunftsverbot erteilt." Ich verdrehe meine Augen bei dieser Dummheit, nicke aber dann und schaue zum See. "Danke, Jamal. Hast du Hunger? Möchtest du nicht frühstücken?" "Danke, ich habe aber schon gefrühstückt." "Okay", erwidere ich leiser. Mir ist der Appetit vergangen. Was soll ich jetzt machen? Vielleicht weiß Dilnia, wohin er fährt. Vielleicht ist er ja zum Elternhaus gefahren. Wenn ich sie aber frage, kann es sein, dass sie sich zu sehr in den Streit hineinsteigert und eine aufgebrachte und traurige Dilnia kann ich echt nicht gebrauchen ... meine Lippen zucken gehemmt, als ich an Aras denke. Wenn es einer wissen muss, dann der Zwillingsbruder. Meine Hand fühlt sich schwer an, als ich Dilnia nach Aras' Nummer frage. Umso schwerer wird sie, als ich innerhalb einer Minute die Nummer schon erhalte. Mein Daumen kreist über dem Display. Mit wie vielen pinken Herzen hat sie Azad eingespeichert? Auch mit zwei dieser pinken Doppelherzen vor und hinter seinem Namen? Ich atme tief durch, bevor ich den Kontakt anwähle und mein Handy an mein Ohr halte.

"Avin?", fragt er verwundert. Es verwundert mich, dass er meine Nummer hat.

"Hattest du sie eingespeichert?"

"Natürlich. Die Nummer meiner liebsten Schwägerin muss ich doch bei mir tragen", antwortet er so munter wie immer. Hm.

"Ist Azad zu euch gekommen?"

"Ich bin grad' in meinem Penthouse. Warum? Was ist passiert?" Na toll. Ich hasse es, über meine Probleme zu reden.

"Nichts. Haben uns nur gestritten." Daraufhin wird es still.

"Gestritten? Und er ist weg?"

"Kann sein." Ich höre ihn anerkennend pfeifen.

"Soll ich vorbeikommen?" Keine Ahnung. Ich zucke mit den Schultern.

"Musst du nicht."

"Schwägerin", erwidert er empört. "Ich weiß doch, dass du mich bei dir haben willst. Ich fahre gleich los." Ich möchte gar nicht lächeln. Nur ein kleines bisschen erlaube ich mir.

"Okay", erwidere ich.

Es dauert keine 15 Minuten, da kündigt Jamal an, dass Aras zu mir möchte. Und da ist er auch schon. "Hey." In dunkelgrau karierter Stoffhose und einem schwarzen Polohemd kommt er auf mich zu, um mich zu umarmen. Dann legt er seine Autoschüssel zu seiner Sonnenbrille auf den schwarzen Tisch. "Hast du mir ein Frühstück vorbereitet?", grinst er. Mein Blick fällt auf Azads Teller. Er hat sich Mühe beim Kochen gegeben. Das tut mir leid. "Wie lange kann Azad wütend auf einen sein?" "Das kommt ganz auf die Person an. Wenn Azad wütend ist, tötet er in der Regel." Mein Blick hebt sich so trocken und leer wie noch nie. Erst jetzt versteht er, was das Problem wieder ist und setzt sich auf. Seine Hand hebt sich verzeihend. "Du weißt, wie ich das meine." "Antworte." Aras atmet tief durch, als er nach links zur meterhohen Hecke schaut. "Ich kann mir vorstellen, dass er verletzt ist und nicht wütend." Daraufhin schaut er wieder zu mir. "Was ist denn passiert? Hast du meinen Bruder etwa eifersüchtig gemacht? Etwa damit, dass sein Zwillingsbruder doch hübscher ist?", grinst er und tatsächlich schafft er es, auch mir ein kleines Schmunzeln zu entlocken. "Der Grund ist lächerlich." Ich halte mir dabei gestresst die Stirn. "Also wurde er sauer, weil du mich hübscher findest?" "Ich ramme dein Gesicht gleich gegen die Teekanne", warne ich ihn. Er lacht nur rau in sich hinein.

"Ach, Schwägerin." Aras verschränkt seine Arme hinter seinem Kopf. "Was auch immer du getan hast, wird ihn nicht lange in dieser Situation gefangen halten. Dafür liebt er dich zu sehr." "Ich habe ihn acht Tage lang gemieden, weil er ein Baby in den Armen hatte." Und schon fällt sein Lächeln. "Du bist eiskalt, wow", murmelt er. Na toll. Das hilft mir nicht weiter. "Ist was passiert, als er es getan hat?" In meinem Inneren ist sehr viel dabei passiert. Ich nehme mir wieder ein Stück vom Fladenbrot, um es mit Schafskäse und frittierten Kartoffeln zu belegen." "Ich hasse Kinder und ekele mich vor ihnen." "Ich auch", erwidert er angeekelt. Wenigstens habe ich jetzt jemanden auf meiner Seite. "Und ich will auch keine Kinder haben und als wir in diesen Spielwarenladen waren und er dieses Baby in die Arme genommen hat, wurde es mir zu viel. Überall, wo ich hingeschaut habe, haben mich Kinder angeschaut und ich weiß, dass Azad Kinder will." "Er würde dich aber niemals zwingen, welche zu kriegen." Das stimmt ... trotzdem. Ich zucke die Schultern. Ich kann das Problem ja nicht einmal richtig erläutern. "Ich verstehe dich. Es war einfach eine miese Situation und du wolltest flüchten." Ja, das war es. Ich nicke. "Aber ich kann auch Azad verstehen." "Ich auch", erwidere ich leiser. Er ist aufgebracht. Er ist verletzt und hat mich auch ein wenig verletzt. Das werde ich Azad aber nicht sagen.

"Und wie ist es heute eskaliert?" "Azad wollte endlich wissen, was los ist. Die letzten Tage haben wir kaum gesprochen, weil er arbeiten war und danach immer diese Männer ins Haus kamen." Aras nickt, genehmigt sich etwas vom Frühstück. "Und dann?" "Ich wollte es gar nicht ansprechen, habe es dann getan und er ist laut geworden. Er konnte es nicht verstehen und hat mich quasi als emotionslose, kalte Ehefrau betitelt, die ihn nicht liebt." Seine Lippen pressen sich aufeinander und auch meine kräuseln sich vielsagend. "Er ist eben verletzt." "Ja, aber ..." Aras beendet seinen Satz nicht. "Ich glaube nicht, dass man so etwas zu seiner Frau sagen sollte." Ich auch nicht. Keine Ahnung. Wir setzen das Frühstück fort. Aras weiß nicht, wo Azad ist und er antwortet ihm auch nicht. Im Elternhaus ist er zumindest nicht. "Was mag er denn?", frage ich nach einer langen Stille. Die Bediensteten sind gerade dabei das Haus zu putzen und haben schon das Geschirr weggeräumt. "Azad ist leicht zufriedenzustellen. Ich bin mir sicher, dass er eigentlich nur eine Umarmung braucht. Er ist verletzt und hat seine Frau vermisst, die ihn acht Tage lang gemieden hat." Was gibt es da zu grinsen? "Was?" "Also ich würde es nicht aushalten, wenn deine süße Freundin mich acht Tage lang meidet." "Sie meidet dich sogar noch länger." Und schon zucken seine Lippen missmutig. Aras Augen werden ganz schmal. "Hast du was damit zu tun?" "Nein. Einzig und allein ihre Familie ist daran schuld."

Die Stunden vergehen recht angenehm, wenn auch anstrengend, weil Aras mich anfleht, doch gute Worte bei Dijan einzulegen. Die Arme hat gerade andere Sorgen, mit ihren ganzen Prüfungen und belastenden Familie. Ich habe ihm gesagt, dass er ihr eine Bodylotion kaufen kann und sie vor ihre Haustür liefert, von der sie schwärmt, weil sie ihr so guttut. Es ist gleich 22:00 Uhr und Jamal hat mir mitgeteilt, dass Azad gerade auf dem Heimweg ist. Daher verabschiedet sich Aras von mir. "Das wird schon. Azad ist ein Sensibelchen. Den kriegt man schnell weich", muntert er mich auf. Ich lächele verkniffen. "Danke, Aras." "War mir ein Vergnügen, Schwägerin. Das wird schon." Ich hoffe es. Die Minuten vergehen nicht. Wahrscheinlich belästige ich den armen Jamal schon mit meiner Ungeduld, aber ich muss wissen, wann mein Ehemann nach Hause kommt. Wo war er? Wie hat er sich gefühlt? Wird er mich die nächsten Tage ignorieren? Das wäre fair. Ich würde damit klarkommen. Solange würde ich einfach seine Aussagen verdauen. Bin ich wirklich zu kalt? Liebe ich ihn? Ich weiß es nicht. Ich kann es ihm wirklich nicht sagen. Ich mag Azad und das sehr, aber ob es sich schon um Liebe handelt, weiß ich nicht. Ich gehe diesem Thema oft aus dem Weg.

Dann höre ich endlich, wie die Tür aufgeschlossen wird. Meine Beine zucken auf dem Sofa unsicher, ob sie mich jetzt in den Flur tragen sollen oder nicht. Ich beschließe, hier zu warten und seinen Schritten zu lauschen. Mein Herz schlägt schnell, zu fest und unangenehm in meiner Brust. Geht er hoch? Zieht er sich noch die Schuhe aus? Ich erhebe mich langsam vom Sofa, um in den Flur zu spähen, als er dann plötzlich vor mir steht und mich so sehr erschreckt, dass ich keuchend zurückschrecke. Mir wird verdammt heiß und das vor allem im Gesicht. Azad spricht kein Wort, als er mich ansieht. Er wirkt müde und geschafft vom Tag. Würde er mich von sich stoßen, wenn ich ihn umarmen würde? Wirft er mir noch mehr Sachen an den Kopf? Meine Lippen zucken bei dem Gedanken, dass er noch mehr unausgesprochene Sachen im Kopf hat. "Hi", setze ich unsicher an. Er nickt. Das ist gut. "Hallo." Kein Kosename. Das lässt mich schon frösteln. Scheiße, das hemmt mich in meinem weiteren Vorhaben. Ich halte mir ungeduldig die Schneeflocke an die Lippen, zu unsicher und verloren, was ich tun soll. Ihn umarmen? "Möchtest du etwas essen?" "Danke, hab schon." Er hat schon gegessen. Mich beschleicht wieder eine unangenehme Kälte. Mein Bauch zieht sich bei der Tatsache zusammen, dass er schon gegessen hat. Mit wem? Wo? "Okay", wispere ich.

Noch immer schauen wir uns an und noch immer weiß ich nicht, was ich tun soll. Er wirkt nicht wütend. Er wirkt wirklich traurig und fertig vom Tag. Vielleicht wäre eine Umarmung doch gut. Ich setze einen unsicheren Schritt in seine Richtung an, hebe schon zögernd meine Hände und Unterarme an, da zieht mich Azad in eine stürmische Umarmung, die mein Inneres wieder beruhigt. Das habe ich gebraucht. Ich habe es so sehr gebraucht. Meine Hände krallen sich an seinen Rücken und Hinterkopf fest sowie seine an meiner Taille und Hinterkopf. "Es tut mir leid", wispere ich. Gott, wieso kommen mir jetzt die Tränen? "Mir auch." Sein Kopf senkt sich in meine Halsbeuge. "Mir auch", wiederholt er wispernd. Ich versuche mich wirklich am Riemen zu reißen, aber die Tränen gewinnen Überhand. Zum Glück kann ich sie auf meinen Handrücken und Unterarm tropfen lassen. Das macht mich gerade so verdammt emotional, dass ich die Luft anhalten muss, um mir nichts anmerken zu lassen. Ich habe diese Umarmung so nötig wie noch nie. Ich möchte ihn gar nicht mehr loslassen und das beruht auf Gegenseitigkeit. Azad führt uns aufs Sofa, ohne mich nur einmal loszulassen. Ich lasse mich rittlings auf seinem Schoß nieder, vertiefe die Umarmung, als ich mich fester an ihn drücke. "Wo warst du?" "Bei deiner Familie." Er war bei mir? Die ganze Zeit über? Ich löse mich von ihm. Teils überrascht, teils immer noch erleichtert.

"Würdest du nur einmal auf die Ortungssysteme zurückgreifen und meinen Standort ermitteln, wüsstest du das auch." Seine Fingerknöchel streicheln liebevoll über meine Wange. "Was hast du da gemacht?" "Mich mit deiner Mutter unterhalten. Ich wollte dich verstehen." Er wollte mich verstehen. "Und sie macht gute Desserts. Das sehe ich immer, wenn sie Bilder hochlädt. Meine Ehefrau scheint das nicht von ihr geerbt zu haben", schmunzelt er. Mir steigen beim Erwidern Tränen auf, aber ich kann sie noch zurückhalten. Durchatmen. Ich muss tief durchatmen. "Das Traurige ist jedoch, dass selbst deine Mutter es mir nicht erklären konnte." Kann sie auch nicht. Ich habe meine Probleme nie preisgegeben. Was sollte es auch bringen? Sie weiß, dass ich Kinder hasse und keine will. Ihr den Grund zu nennen, würde sie nur verletzen. Azad schaut mich bedauernd an. "Eine verschlossene Schönheit, genau wie eine schöne, lila Tulpe. Wieso versteckst du dich nur?" Was soll ich ihm sagen? Ich weiß es nicht. Es ist eine Angewohnheit. Weil mir keine Antwort über die Lippen kommt, fahre ich kreisend über seine Kopfhaut, als ich meinen Kopf an seine Brust lehne. Azad seufzt. "Wir nehmen uns Zeit, Schneeflocke. Alles mit der Zeit." Wenn seine Hand immer so sanft über mein Haar streicht, kann die Zeit ruhig stehenbleiben.

"Die Zeit führt mich durch den Weg deines Herzes."
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Wie steht ihr zum Streit?
Könnt ihr Azad verstehen?

- Helo

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