Kapitel 51

Unsere Körper bewegen sich so leicht zur sanften Melodie. Als würden wir inmitten eines Meeres stehen. Und genau jetzt bereue ich es, dass wir das nicht in Dubai getan haben. "Wir müssen ans Meer." "Bricht deine Neurodermitis wieder aus?" Ich schüttele den Kopf, viel zu entspannt, um zu viel zu sprechen. "Will genauso ins Wasser." "Tanzend?" Jetzt nicke ich und lächele daraufhin zart bei dem Kuss auf meinen Scheitel. "Was immer du dir wünschst, Schneeflocke." Es wäre wie eine kleine Therapie. "Ich wusste gar nicht, dass du auch verschmust sein kannst." Der Satz lässt mich schmunzeln. Ich zucke trotzig meine Schultern. "Gewöhn' dich bloß nicht daran." "Ich genieße jede Sekunde", raunt er mir zu. Ich weiß nicht, was gerade los mit meinen Hormonen ist, aber wenn ich mir Blut abnehmen lassen und es klinisch-chemisch untersuchen müsste, wären einige Hormone ganz sicher erhöht. Die Aktivität meiner Gesichtsmuskeln steigt heute auf ein neues Level. Jedes Mal, wenn ich ihn ansehe, muss ich lächeln und jetzt, wo ich zu ihm hochschaue, ist es nicht anders. Mir gefällt das Glitzern in seinen Augen. Es verjüngt ihn. Es tut mir gut. Ich lasse meine Hand wieder aus seinem Jackett schlüpfen und sie zu seinen Rippen gleiten. Mein Ring funkelt im gedimmten Licht so schön.

"Möchtest du eigentlich einen Heiratsantrag?" Einen Heiratsantrag? Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen. "Wir sind doch schon verheiratet." "Das stimmt, aber es war sicherlich nicht so, wie du es dir vorgestellt hast." Das stimmt. Es kam ja durch einen Mord vor meinen Augen und durch Gewalt an mir endgültig dazu. "Passt schon." "Wäre es keine schöne Erinnerung?" Ich weiß es nicht. "Es muss nicht sein. Mach dir keine Mühe. Wir sind verheiratet und wir verstehen uns doch gut." Mein Satz scheint irgendetwas Belustigendes zu enthalten, so wie seine Mundwinkel zucken. "Wir verstehen uns gut? Ich dachte, wir verstehen uns mehr als gut." Okay, jetzt zucken auch meine Mundwinkel amüsiert. "Manchmal will ich dich töten." "Dirty Talk während eines Tanzes? Du bist gnadenlos, wenn du mich verführen willst." Wir giggeln gleichzeitig los. "Du bist für das Morgengebet extrem anstrengend." "Dir gefällt das doch." "Ich will dich erwürgen." Oh, nein. Ich sehe ein gefährliches Glitzern in seinen Augen, als er seine Lippen zu einem verführerischen, schiefen Lächeln anhebt. "Ich hätte nie etwas gegen Experimente." Ich seufze. Das hat keinen Sinn bei einem so gestörten Mann wie ihm. "Du kriegst eine Woche nur Auberginen, wenn du mich das nächste Mal so lange hinhältst für das Gebet." Hab ich ihn! Er zeigt sich entrüstet und ich muss deshalb lachen.

Die Musik wechselt zu traditioneller Volksmusik, sodass Azad mich von der Tanzfläche führt. Ich sehe schon Dilnias großes Handy, dass uns ganz offensichtlich filmt. Wahrscheinlich hat sie hochauflösende Nahaufnahmen von uns geschossen. Ich begrüße meine Schwiegermutter und -vater. Die Brüder sind wahrscheinlich noch mit ihren Frauen auf der Tanzfläche, im Gegensatz zu Aras, der mich anlächelt. "Ihr saht so süß aus! Ich habe so viele Bilder von euch gemacht. Schau mal, wie gut die geworden sind!" Habe ich es mir doch gedacht. Dilnia grinst über beide Ohren, als sie mir die ganzen Fotos zeigt. Sie sind schön. Sie gefallen mir sehr, obwohl ich mir sonst nie fotogen vorkomme. Vor allem die Bilder, auf denen wir Schmunzeln und Giggeln erwärmen mir das Herz. Die will ich haben. Die muss ich mir ausdrucken. "Schick sie mir bitte." "Hach, ich wünschte, ich könnte auch solche Fotos haben, aber dafür bräuchte ich erst einmal die richtige Frau." Ich verdrehe meine Augen und ich weiß, dass Aras gerade theatralisch den Kopf beim Seufzen in den Nacken legt. "Mit deiner Einstellung kriegst du sicherlich keine." "Findest du? Gerade habe ich das Gefühl, bei einer Frau besonders gut anzukommen." Ich beachte ihn weiterhin nicht, weil ich mir alle Fotos ansehe, die Dilnia mir gerade auf mein Handy rüberschickt. "Und wie sehen eure Nachrichten aus?" Keine Antwort. Er hat Dijan immer noch nicht angeschrieben? Ich hebe empört und amüsiert zugleich den Kopf.

"Dein Ernst?" Wie verlegen er wird! Ich traue meinen Augen nicht. "Ich kam bis heute nicht dazu, sie nach ihrer Nummer zu fragen, weil immer etwas dazwischen kam. Am liebsten würde ich ihre nervige Familie umbringen." Fang bitte mit der Tante an. Arme Dijan. So ein sanftmütiges Mädchen hat so eine schreckliche Familie nicht verdient. "So ist es leider. Heirate sie schnell, damit sie endlich aus dem Haushalt fliehen kann." Aras schlechte Laune wandelt sich in binnen von Sekunden um. Seine blauen Augen weiten sich, als er sich zum Tisch beugt. "Also habe ich deinen Segen?" "Nein", erwidere ich trocken. Er soll jetzt bloß nicht abheben. "Du hast mir gerade eine Empfehlung ausgesprochen. Sag mir wann und wo und ich heirate deine süße Freundin. Ich entführe sie einfach. Was will ihre Familie schon dagegen tun?" Mein Blick drückt all die trockene Resignation aus, die ich für diesen komischen Mann fühle und sie wird kein Stück besser, als ich zu meinem komischen Mann gucke. Sein Lächeln verrät mir nämlich, dass er seinen Bruder dabei unterstützt. "Hättest du das etwa auch getan oder was?", frage ich ihn trocken, woraufhin er tatsächlich bescheiden den Blick senkt und seine Schultern zuckt. Unglaublich. Was ein gestörter Mann! "Entführen wäre der falsche Begriff." Natürlich. Wie begriffsstutzig von mir. "Hättest du mich betäubt?" "Nein. Bei dir reicht schon ein gutes Essen, um dich müde zu machen." Mein Mund öffnet sich empört. Er spielt auf unser erstes Essen an. Dieser blauäugige Mörder!

Ich schaue von ihm versehentlich in ein Paar brauner Augen, die ich gar nicht sehen möchte. Suzan schaut mich trocken an und ich erwidere den Blick für einige Sekunden, bevor ich mich wieder Dilnia zuwende, die mir noch ihren restlichen Einkauf zeigen muss. Da sind wirklich süße Sachen dabei, aber das behalte ich für mich, sonst sitzen zwei blauäugige Menschen in meinem Nacken, die es mir kaufen wollen. Dabei muss ich mich doch öfter konzentrieren, als mir lieb ist, weil mein Ehemann anscheinend die Nähe zu mir sucht und meine Hand hält, sie dann doch auf seinen Schenkel legt und immer wieder sanfte Kreise auf meinen Handrücken zeichnet und mein Handgelenk sanft streichelt. Auch wenn Azad mich gern berührt, spüre ich seinen Wunsch, intimer zu werden, seitdem ich verhüte. Warum er die letzten Tage keinen Versuch gestartet hat, weiß ich nicht. Vielleicht war er sich unsicher. Ich hätte nichts dagegen, nur hatte ich persönlich keine Initiative ergreifen wollen. Vielleicht ist es auch besser so. Alles bedarf eben seiner Zeit. Dilnia möchte unbedingt tanzen gehen und mich mitnehmen, aber ich hasse es, zu tanzen. Ihre blauen Kulleraugen und ihr Schmollen und vor allem ihre verdammt starken Arme aber ziehen mich hoch. Azad begleitet und wie ich rechts neben ihm Aras erkenne, hat er anscheinend auch Lust, zu tanzen. Von mir aus.

Ich muss für meine Ungeduld ziemlich lang warten, bis das Essen serviert wird. Ich habe Lust auf Grillhähnchen, aber wie es den Anschein hat, ist es hier doch anders mit den Etageren und dem großen Buffet, das eröffnet wurde. Ungewohnt und dennoch erfrischend zugleich. Aber ich wollte Grillhähnchen. Azad hält es für sicherer, wenn ich nicht dem ganzen Tumult nachgehe und holt stellvertretend für mich das Essen. Das tun alle Ehemänner der Familie, wie es den Anschein hat. Aras kommt schon mit dem Essen für Dilnia und sich zurück. Azad scheint sich länger aufhalten zu müssen. In der Zwischenzeit schaue ich mich nach den Sicherheitsmännern um. Ich finde Jaffar schnell, aber von Jamal fehlt jede Spur. Hoffentlich ist alles gut. Wie machen sie das, wenn sie aufs Klo müssen? Darf man während des Dienstes auf die Toilette? Ich finde noch einen Sicherheitsmann an einem Tisch an der Wand sitzen, der auf seine Uhr schaut und sich dann plötzlich erhebt. Mein Magen sackt ein. Mein Kopf dreht sich sofort zu Jaffar, der gerade noch an der Bar stand und seit Stunden angeblich trinkt, jetzt aber zur Tür schaut. "Aras." Meine Stimme bildet ein Gemisch aus Strenge und Beunruhigung. Es ist etwas los, wovon er anscheinend gar nichts weiß, weil er gerade noch mit Dilnia gelacht hat und sein Lächeln bei meinem teils schockierten Blick erlischt.

Er schaut sich sofort um, erkennt besser als ich, dass etwas nicht stimmt. Vielleicht, weil er zu seinen Sicherheitsmännern schaut. Ich weiß es nicht. Wo ist Azad? Ich brauche ihn. Ich werde unruhig, als Dilnia meine Hand greift. Es fühlt sich an, als hätte ich einen Blackout. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Soll ich sitzen bleiben? Würde etwas hier inmitten so vieler Zivilisten passieren? Aras bewegt sich noch nicht, aber er schaut auf sein Handy. Da muss was stehen. Da bin ich mir sicher. Sie kommunizieren doch per Technik. Ich hasse diese Unruhe in mir. Mir ist ganz heiß. Mein Herz pocht penetrant. Mein Hunger ist vergangen. Wo ist Azad? Ich sehe seine große Gestalt nicht am Buffet. Wo ist er? Geht es ihm gut? Übersehe ich ihn einfach nur? Ist er wieder verletzt? Aras steht langsam auf und stellt sich hinter Dilnias Stuhl. Ich sehe seine Brüder nicht. Der Vater ist auch nicht da. Wo sind sie alle? Ich kann keine Waffe benutzen. Ich habe keine Ahnung, wie ich es hier inmitten so vieler Leute tun soll. "Alles ist gut, Avin. Hab keine Angst." Ich wünschte, Dilnias Satz hätte eine beruhigende Wirkung auf mich. Wo. Ist. Azad? Mir wird schwindelig. Meine Brust fühlt sich eingeengt an, aber ich brauche noch kein Asthmaspray. Ich brauche Azad.

Die Hand, die sich auf meine Schulter legt, sorgt für ein heftiges Zusammenzucken. So heftig wie ich es noch nie erlebt habe. Mich überläuft ein eiskalter und doch zugleich heißer Schauder. Ich bin atemlos, als ich in die vertrauten, eisblauen Augen schaue, die sich voller Zuversicht schließen. "Es ist alles in Ordnung. Trink etwas." Azad! Ich könnte weinen. Was ist passiert? Was war los? Ein Fehlalarm? Er setzt sich zu mir, schiebt mir den Teller zu, den er für mich gefüllt hat. Ich kann mich nicht konzentrieren. Was ist passiert? "Azad", murmele ich überrumpelt. Wo war er? Wo sind die anderen? Was hat er gemacht? Ich sehe ihm ungeduldig dabei zu, wie er sich sein Jackett öffnet, als er sich hinsetzt. Wieso spricht er nicht? Mein Inneres spielt verrückt, als er mich sanft anlächelt. Hier stimmt etwas nicht. Er hat etwas gemacht. Das spüre ich. "Iss, Schneeflocke. Es gab leider kein Grillhähnchen. Ich hole dir morgen eins, okay?" Er hat jemanden getötet. Diese ruhige Stimmlage hat er nur, wenn er tötet. Ruhig und verführerisch samtig. Er schiebt mir verdeutlichend den Teller zu, als er einmal tief durchatmet. Seine Hände ruhen auf seinen Oberschenkeln. Ich weiß nicht, was er denkt und ich weiß nicht, ob alle hier am Tisch anhand seiner Körpersprache und seinem Ton wissen, dass er jemanden getötet hat. Der Trubel um uns herum weiß es ganz sicher nicht.

Ich kann mich kaum auf die Hähnchenbrust und den Kebab konzentrieren. Ich fühle mich so unruhig dabei. Meine rechte Hand zittert leicht - Belastungstremor. Ich brauche gerade wirklich emotionale Wärme und da reicht es mir nicht, dass Dilnia über meinen Oberarm fährt, weil sie das Zittern und Zucken meines Arms bemerkt. Ich könnte hier und jetzt weinen, weil ich so gestresst bin. Ist jetzt wirklich alles in Ordnung? "Avin." Azads Hand legt sich auf meinen Schenkel. Ich sehe zu ihm auf, in seine Augen, die so viel Ruhe ausstrahlen. Ruhe und vor allem Sicherheit. "Es ist alles in Ordnung. Mach dir keine Sorgen." "Du wurdest nicht verletzt, oder?", flüstere ich und er verneint es, lächelt mich beruhigend an und zieht mich am Stuhl näher zu sich. "Lass mich dir ein Brot machen. Dann kannst du deinen Arm entspannen." Ich sehe kein Blut an seinen Händen. Keinen einzigen Spritzer. Hat er ihn erschossen? Würde man es nicht hören? Doch. Wie hat er ihn ... wo ist seine Krawatte? Hat er ihn stranguliert? Ich nähere mich seinem Ohr, halte meine Hand seitlich an. Dabei spüre ich, wie er die Luft anhält. "Hast du ihn mit deiner Krawatte ermordet?" Nach meiner Frage weiche ich ein kleines Stück zurück, um zu sehen, wie er ruhig nickt, dabei seine Lider für einen Moment schließt. Oh. Jetzt möchte er mir etwas zuflüstern und sofort prickelt meine Haut unter seiner Wärme. "Es ist alles in bester Ordnung. Ich beschütze dich mit meinem Leben." Jegliche Anspannung weicht aus meinen Poren bei seiner Stimme. Der Kuss, den er mir auf meine Ohrmuschel haucht, sorgt sogar dafür, dass ich langsam gegen ihn sacke.

Er hält mir das eingerollte Brot mit dem Kebab und Gemüse hin. Ich weiß nicht, wie dieser Mann es hinkriegt, aber all die Unruhe ist verpufft. Ich fühle mich sicher. Ich fühle mich geborgen und beschützt. All das nur mit seinem Arm, den er um mich legt. Es tut mir so unfassbar gut. Ich möchte nach Hause und liegen. Mit ihm liegen. Eng um ihn geschlungen. Mich überkommt wieder der Drang, so eng an ihn gekuschelt zu sein, dass ich am liebsten unter seine Haut schlüpfen möchte. Sein Blick gilt dem Ausgang und immer wieder zu bestimmten Punkten hier im Saal. Ab und zu mahlt er seinen Kiefer, dessen Muskulatur durch den Dreitagebart sanft hervorsticht. Azad ist ein schrecklich attraktiver Mann, wenn er sich konzentriert. Er wirkt so viel breiter. Jedes Mal, wenn ich ihn schlucken sehe, will ich meine Hand auf seine Kehle lege. Die ersten vier Knöpfe seines Hemdes sind wieder offen. Seine Brust ist bestimmt warm und samtig. Wie gern ich sie jetzt berühren würde. Wie gern ich auf seinem Schoß sitzen würde, vor allem jetzt, wo er so schön breitbeinig sitzt. Ich vermisse seine Stimme an meinem Ohr, egal wie paradox es ist, dass ich bis vor wenigen Minuten noch Angst und Schrecken verspürt habe. Ich atme tief durch, muss mich selbst ermahnen, weil wir uns in der Öffentlichkeit befinden.

***

"Grillhähnchen hätte es auch getan", sage ich, als wir beide im Auto sitzen. Azad mochte den Kebab sehr. Ich habe es nur als ganz okay empfunden. Aber ich mochte den Kartoffelsalat. Da kann man auch schwer etwas falsch machen. "Hast du denn noch Hunger?", fragt er mich, als ich mich ächzend zu meinen Schuhen runterbeuge und aus ihnen schlüpfe. So schön High Heels auch sind, nach einer Zeit tun sie extrem weh. "Nein, aber die nächsten Tage will ich Grillhähnchen, weil ich heute so viel Lust darauf hatte." "Ich kaufe dir Grillhähnchen, Schneeflocke." Azads ruhige Stimme sagt mir, dass er immer noch nicht aufgetaut ist. Das ist schade. Ich fühle mich seit Stunden nämlich verstörender Weise zu ihm hingezogen, aber wenn er so distanziert ist, egal wie aufmerksam er doch ist, bin ich zu unsicher, um einen Schritt weiterzugehen. Na ja, morgen ist ja immerhin auch noch ein Tag. Vielleicht soll es nicht heute sein. Aber er braucht nach so einem Zwischenfall doch emotionale Wärme. Das hat er selbst gesagt. Wäre Sex dann zu viel? Ich weiß es nicht. Das ist auch egal. "Wie kam es eigentlich dazu?", frage ich bezogen auf das heutige Ereignis. Azad antwortet mir noch nicht. Erst kontrolliert er in den Spiegeln, ob alles in Ordnung ist, nickt einmal, als er in den Innenspiegel schaut und fährt dann los.

"Mir war klar, dass ein Hinterhalt geplant wird, also habe ich die letzten Tage intensiv vorgeplant und Sherzad observieren lassen." "Woher wusstest du es?" "Nenn es Intuition." Wow. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich nicht gedacht, dass so einer wie Azad intuitiv ist. "Und dann?" "Dann habe ich ein wenig mit seiner Psyche gespielt, indem ich bekannte Gesichter sehr nah an seine Tochter vorbeigehen lassen habe. Nazdar kennt sie nicht und wenn einer sie mal anspricht, weiß sie nicht, dass sie jedes Mal dem Tod entkommt. Ihr Vater aber schon. Ich weiß, dass seine Konzentration dadurch abnimmt." Die kleine Pause, die jetzt einsetzt, entfacht eine Grundspannung in meinem ganzen Körper und ich kann es nirgends zuordnen. Es ist keine Angst. Es ist keine Verstörung. Ich weiß nur, dass ich mich von der Ruhe, die er ausströmt, hingezogen fühle und das ist krank. "Und so ist es auch gekommen. Während ich den Ahnungslosen auf der Hochzeit gespielt habe, wurden drei seiner Leute von meinen Männern ausgeschaltet. Sie sollten es eigentlich komplett übernehmen, aber einer war mir persönlich zu nah an dir." Azads Blick verdunkelt sich bei der Erinnerung. Es legt sich ein Hauch an Verärgerung auf seine Züge, als er das Lenkrad fester umklammert und schneller fährt. "Und niemand nähert sich ungefragt meiner Frau. Er darf sich nicht einmal in der Nähe einer herausfallenden Haarsträhne befinden. Also bin ich ihm aufgelauert und habe ihn mit meiner Krawatte tot gewürgt, bis ich seine zerquetschten Knorpel gehört habe. Davor habe ich nicht abgelassen."

Der Fakt, dass ich heute der Gefahr ausgesetzt wurde, zu sterben, sollte verschreckend sein und Angst auslösen. Nur kann ich keins der beiden fühlen. Im Gegenteil sogar. Ich fühle nichts als Entspannung. Entspannung, weil ich mich beschützt und geborgen fühle. Entspannung, weil ich ihm mein Leben anvertraue, ohne es bemerkt zu haben. Azad hebt seine Fingerknöchel an, um über meine Wange fahren. "Mich macht nichts schneller wütend, als jemand Unerlaubtes in der Nähe meiner Liebe. Ich werde rasend bei dem Gedanken, dass ihr etwas zustößt." Azad. Ich schmiege mich an seine Hand. "Sorge um jemanden zu fühlen, den man liebt, wringt das Herz aus und doch belebt es mich. Kannst du dir das Gefühl ungefähr vorstellen?" Ich nicke. Heute habe ich es doch selbst erlebt. "Ich hatte heute Angst um dich", gestehe ich leise. Woher der Mut und der Wille kamen, es so leicht, ohne Zögern von mir zu geben, weiß ich nicht. Und die Tatsache überrascht nicht nur mich. Azads entspannte Mimik weist leichte Überraschung auf. Ich weiß, dass er gerade noch in der lähmenden Trance des Mordes ist und dennoch sieht man seine Emotionen. "Wirklich?", erwidert er fast noch leiser als ich. Mein Brustraum zieht sich bei der kleinen Hoffnung in ihm zusammen. Ich nicke, drücke seine Hand fester an meine Wange, führe seinen Handrücken doch für einen kurzen Kuss zu meinen Lippen. Die Hände, die er sich jedes Mal für mich schmutzig macht, nur damit ich weder Angst verspüren, noch den Tod fürchten muss.

"Danke, Azad." "Bedanke dich nicht für meine Leidenschaft. Ich tue alles für dich." Und genau deswegen fühle ich mich so wohl und beschützt. Und vor allem so hingezogen zu ihm. Ich lege seine Hand auf meinem Schenkel ab. Mein Körper dreht sich zu ihm. "Möchtest du gleich duschen?" "Vielleicht erst ein wenig hinlegen." "Sonst nichts?" "Was kannst du mir bieten, Schneeflocke?" Die Stimmung kippt mit dem Vernehmen seiner rauen Stimme. Es fühlt sich so an, als würden hinter mir die kühlen Farben zu einem wärmeren Ton fließen. Ich lasse zu, wie seine Finger über meinen Schenkel kreisen. "Was bietet mir meine schöne Ehefrau an?" Wenn du weiterhin so raunst, biete ich meinen Körper an. Ich muss tief durchatmen. Es pocht augenblicklich im gesamten Körper. "Woran denkst du?" Meine Lider senken sich bei meiner Frage. "Ich denke an vieles und vor allem an dich." Seine Finger krallen sich langsam in meinen Schenkel, sorgen dafür, dass sich mein Unterleib deshalb zusammenzieht. Ich will gar nicht aus dem Auto steigen, das immer langsamer fährt und jetzt zum Stillstand kommt. Ich bin gerade zu entspannt, um mich zu bewegen. Azad schaut in meine halb verschlossenen Augen. Seine Pupillen sind geweitet und dabei haben wir kaum etwas getan. "Bleib im Wagen. Ich helfe dir raus." Daraufhin nicke ich wortlos.

Azad sieht im schwarzen Anzug gefährlich gut aus. Seine Bewegungen wirken noch eleganter dadurch. Noch kalkulierter und strammer. Und ich liebe es, wenn er dabei sein Jackett zuknöpft. Es betont seine Oberarme und seine schönen Finger. Ich vermisse sie. Ich vermisse die Wärme seiner Haut. Azad öffnet für mich die Beifahrertür, als ich mich abschnalle, hält mir daraufhin seine Hand hin und beugt sich zu mir hinunter, bis ich vor ihm stehe. Noch lässt er meine Hand nicht los und genau das möchte ich auch nicht. Mich verlässt das Gefühl nicht, durch die Wärme seiner Hand, seinen Duft intensiver wahrzunehmen. Ich kann mich nicht von seinen Augen losreißen. Ich will von dem Blau seiner Iris und dem Schwarz seiner so großen Pupillen verschlungen werden wie eine Welle in einem hellblauen Meer. Mein Körper sehnt sich nach ihm, lehnt sich schon vor zu ihm, nur sind wir nicht allein. Noch nicht. "Komm." Azad streicht mir mein Haar zurück und richtet meine Creolen für mich. Als hätten wir beide denselben Gedanken, legt er seine Hand um meine Taille. Dieses Mal stört es mich nicht einmal, dass die Sicherheitsmänner diese intime Geste sehen. Jamal geht es gut, wie ich sehe. Das freut mich. Und unseren Kätzchen auch, die nebeneinander auf den Treppenstufen noch vor unserem Eintreten am Schlafen waren. Meine kleinen Babys. Ich habe sie vermisst und beuge mich schon erfreut zu ihnen hinunter, als Azad mich sanft am Nacken wieder hochzieht.

"Nicht jetzt. Ich vermisse dich." Seine weichen Lippen fahren sanft über den Rand meiner Ohrmuschel. Die Kombination seiner Stimme, seiner Wärme und seines schweren Atmens an meinem Nacken lassen meine Lider flattern. Ich entspanne so sehr, dass ich meine High Heels fallen lasse. Es pocht wieder verstärkt zwischen meinen Beinen. Ich will ihn auf die Treppenstufen drücken und mich auf ihn setzen, aber in diesem Kleid wäre es schwer. Daher ziehe ich ihn die Treppen hinauf. Azad möchte heute anscheinend die Führung haben, denn er zieht mich sanft nach rechts zur Wand, um mich zu überholen und hinter sich her zu ziehen. Je näher wir unserem Schlafzimmer kommen, desto aufgeregter werde ich. Wie werden wir vorgehen? Was genau werden wir machen? Im Schlafzimmer atme ich tief durch, strecke mich einmal dabei. Ich muss ihn nicht einmal fragen, ob er mir die Ärmel aufknotet. Azad ist der Inbegriff der Aufmerksamkeit. "Du bist sehr aufmerksam", lobe ich ihn lächelnd. "Wenn es um dich geht, verschärfen sich all meine Sinne." Azad geht zur Tür unseres Badezimmers, nachdem der Knoten gelöst wurde. "Es geht für mich immer darum, mich um dich zu kümmern." Er ist so ein Schmeichler! Ich schaue lächelnd zu ihm. Er erwidert es nicht, aber ich sehe leichte Grundzüge eines leichten Lächelns, als er vor der Tür steht.

Mein Lächeln fällt aber, als ich sehe, wie er seine Waffe zieht. "Azad", setze ich unruhig an, verstumme aber bei seiner Hand, die sich beruhigend hebt. Hier ist jemand. Und ich fühle gerade nichts. "Du siehst in Blau unbeschreiblich schön aus. Ich kann mich so nur schwer konzentrieren." Soll ich mich dann umziehen? Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich beobachte Azad nur dabei, wie er sich nach links zur Klinke dreht, diese mit seiner linken Hand umschließt, nachdem er seine Waffe entsichert. "Aber darum kümmern wir uns gleich. Setz dich schon mal." Ich soll mich setzen? Ich greife vorsichtshalber nach meiner Tasche, um meine Waffe bereitzuhalten, da drückt Azad sich mit drei unglaublich lauten Schüssen schon ins Bad. Ich zucke zurück, drücke meine Waffe amateurhaft an mich, als der vierte Schuss ertönt. Meine Augen starren Azads breite Statur an, während er angespannt auf die Leiche schaut, dessen Kopf vor seinen Füßen liegt. Ruhe. Es wird bedrückend still. Ich bin gerade verhindert, zu sprechen. Und doch fehlt von Angst jede Spur. Vielleicht bin ich auch im Schock und bemerke es nicht, aber würde es sich so normal anfühlen? Würde ich da den Druck auf meinen Ohren bemerken, der langsam nachlässt? Würde ich Azads Körpersprache so genau mustern können? Sein Atmen wahrnehmen? Wie er seine Fingergelenke knacken lässt?

Würde sich ein Schwarm voller Schmetterlinge durch den Weg meines Herzes bahnen, sobald er meinen Blick erwidert?

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Und? Würde es?

- Helo

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