Kapitel 50
Es vergehen viele Tage und schon wieder sind Azad und ich dabei, ein gutes Eis mit Kaugummigeschmack zu finden. Da wir dieses Mal eine Prävention für seine Magenschmerzen schaffen wollen, haben wir Dilnia ganz viel Eis versprochen. Zwar ist er nicht mehr im Home-Office, dafür sind sonntags öfter mal dubiose Herrschaften im Haus, die dann im Wohnzimmer mit Azad und seinen Brüdern sitzen und reden. Ich verschanze mich dann immer oben, weil ich keinen Bedarf habe, bei diesen Mafiagesprächen dabei zu sein. Azad hält es auch für besser, wenn ich nicht dabei bin, also muss ich nichts tun. Nur können die Typen auch ruhig seltener kommen. Ich habe keine Lust auf sie. "Weißt du, was ich mir bestellt habe?", fragt er mich, nachdem er einen Löffel Eis Nummer 2 gekostet hat. "Nein", erwidere ich. "Krawatten." Als hätte er nicht genug davon. Ich verdrehe meine Augen. "Frag mich, was für Krawatten." "Was für Krawatten, Opa?" "Lila Krawatten." Oh ... er ist ein wahrer Romantiker. "So trage ich die Farbe meiner Schneeflocke immer nah an meiner Brust", grinst er. Süß. Sehr süß. Ich kann nicht anders, als sein Grinsen zu erwidern. Mein Blick senkt sich verlegen auf mein Eis. "Du siehst heute besonders hübsch aus. Dein Haar ist gewachsen. Dir steht es, sie zu glätten und mit den Creolen sticht das Braun deiner Haare hervor." Alter Schmeichler. Ich habe mich die letzte Zeit wieder danach gefühlt, meine Haare glatt zu tragen und auch etwas vom geschenkten Goldschmuck.
"Willst du mir eigentlich erzählen, was dich bei Aras' Besuch bedrückt hat?" Mein Lächeln nimmt ab. Er hatte einige Male nachgefragt, aber ich dachte, wir belassen es dabei. Mein Problem ist es, dass ich nie oder selten über meine Gefühle reden kann. Ich möchte nicht, dass man mich so schwach sieht. Ich wollte das nie. Meine Mutter ist das genaue Gegenteil. Sie weint sofort los und scheut sich nicht, die Tränen zu vergießen, wenn sie über etwas spricht, was sie bedrückt oder verletzt, aber ich bin da völlig anders. Ich kann das nicht. Vor allem, weil dann meine Stimme schnell nachgibt. "Passt schon." "Avin", setzt Azad flehend an und beugt sich vor, um meine Hand zu nehmen. Dieser flehende Blick macht mich zwar schwach, aber ich schaffe es trotzdem nicht, ihm die Antwort zu geben. "Rede mit mir. Sprich mit mir über deine Sorgen. Hat er etwas gesagt?" Nicht so, wie du es dir vorstellst. Das vergeht schon. Es ist nur eine kleine Sache, mehr nicht. "Komm her." Ich lasse mich zu ihm auf seinen Schoß ziehen. Wenn er nur wüsste, wie gut diese Umarmung tut. Ich möchte gar nicht mehr loslassen, als ich meine Arme um seinen Nacken schlinge. "Bedrückt es dich immer noch?" Ich verneine es kopfschüttelnd. Ich möchte gar nicht mehr darüber nachdenken und davon sprechen ... wobei ich nie darüber gesprochen habe. "Wann wollen wir in die Schweiz?" "Lenkst du gerade vom Thema ab?" "Spielt keine Rolle." "Doch, deine mentale Gesundheit spielt eine enorme Rolle." "Passt schon", murmele ich gegen seinen Hals.
Er seufzt. Ich verstehe ihn ja, aber mich überkommt nicht der Wille, darüber zu sprechen. Es ist, als würde etwas in mir, mich davon abhalten wollen. "Schneeflocke, wann schmilzt du endlich?" "Gar nicht." "Das stört mich." Kann ich verstehen. Nur wage ich es zu bezweifeln, dass ich es ablegen werde. "Das behindert unsere Beziehung nicht." "Ich will dich kennen. In- und auswendig. Das geht aber nicht, wenn du dich vor mir versteckst." "Tue ich nicht." "Du schaust mich nicht einmal an, während du das sagst." Das stimmt. Aber das liegt daran, dass es sich gerade so gemütlich in seinen Armen anfühlt. "Es ist gerade gemütlich", murmele ich, woraufhin er erneut seufzt. "Hör auf, dich zu stressen." "Ich kann nicht ruhig und entspannt bleiben, wenn meine Frau traurig ist." "Ist sie nicht." "Sie ist konstant mit Negativität belastet. Erzähl mir nichts", entgegnet Azad nun härter. Es prickelt auf meinen Rücken, als ich seine verärgerte Stimme registriere. Seine Hand legt sich auf mein Haar, um mich sanft daran von sich wegzuziehen. Sein Gesicht drückt die Ernsthaftigkeit aus, der ich die ganze Zeit aus dem Weg gehen wollte. "Kannst du mir nicht einmal einen Stichpunkt nennen? Es grob zusammenfassen?" "Belässt du es dann dabei?" "Ja." Ich bereue es, darauf eingegangen zu sein, aber jetzt gibt es keinen Weg zurück. Ich seufze.
"Mich hat einfach nur die Tatsache, was für einen Familienzusammenhalt ihr habt und wie wichtig es euch ist ... verstummt. Mehr nicht." Hoffentlich lässt er mich jetzt damit in Ruhe, aber so, wie sich seine Augenbrauen zusammenziehen, glaube ich nicht, dass er es dabei belassen wird. "Verstummt?" "Überfordert. Keine Ahnung. Ich hatte das nicht. Es fehlte mir, glaube ich." Er braucht mich nicht so traurig deshalb anzusehen. Es ist okay. "Genug jetzt davon." "Wir können weitere Treffen organisieren, damit du mehr in die Familie integriert wirst. Lass uns doch etwas mit deinen Geschwistern unternehmen." Wir haben aber nicht denselben Geist, wie ihr ihn habt. "Passt schon." "Ich bestehe darauf." "Es wird langweilig." "Warum sagst du das?" "Weil jeder für sich lebt, Azad. Bei uns ist das nicht so wie bei euch." Nicht jeder hat die Vorzeigefamilie. Nicht jeder hat diesen Zusammenhalt. Manche sind eben distanzierter. Manchen fehlt die Kommunikation. Das versteht er ganz offensichtlich nicht. "Aber als deine Schwestern hier waren, habt ihr euch doch gut verstanden." "Haben wir auch." "Wo ist dann das Problem, wenn wir sie wieder zu uns einladen?" Keine Ahnung. Vielleicht die Angst, dass es nicht mehr so sein wird und das letzte Mal dann schön bleiben soll. Ich weiß es nicht. "Genug dazu. Ich sollte es nur grob zusammenfassen." Azad seufzt, belässt es aber dabei.
"Wie fandest du das Café letztens?" "War angenehm." Wir waren in irgendeinem Highsociety Café, Bar, was auch immer, das sich am Rhein befindet. Ich mochte die Atmosphäre am Wasser bei der einsetzenden Dunkelheit. Ich würde dort gern wieder hin. "Gut", murmelt er in mein Haar. "Dir steht diese Kombination wirklich sehr gut, Schneeflocke. Ich mag es, wie die Creolen leicht durch dein glattes Haar schimmern." Und ich mag es, wenn er so rau spricht, während seine Hände über meine Hüften fahren. Wenn er so weiter macht, schlafe ich ein. "Hier, probier das Eis. Ich habe ein gutes Gefühl." Ich kann jetzt schon nicht mehr, öffne aber seufzend meinen Mund, als er das Eis zu meinem Mund führt. Es ist schon besser als die anderen. Er sieht wirklich verdammt gut aus. Ich liebe es, wenn er seine Ärmel hochkrempelt. Und es steht ihm außerordentlich gut, die ersten drei bis vier Knöpfe zu öffnen und das Grau seiner Handzughose betont seine Oberschenkel und seinen Schoß besonders gut. "Ich habe das perfekte Geschenk für deinen ersten Unitag. Du wirst es lieben." Ich lächele. "Was?" "Das erfährst du, wenn es soweit ist. Mich beschäftigt da aktuell eher etwas anderes." "Was denn?" Er führt wieder ein wenig des Eis zu meinem Mund, ehe er den Rest vom Löffel selbst isst. "Du verhütest ja jetzt." Oh ... darum geht es. Azads Finger streichen über meinen freien Oberarm. "Wann würdest du dich bereit fühlen?" Das ... ich weiß es nicht. Ich schätze, wenn ich die nächste Gelegenheit habe.
"Ich weiß es nicht. Wenn wir beim nächsten Mal wieder in Stimmung sind, schätze ich." "Sicher?" Warum hakt er nach? Ich nicke verwirrt. Azad seufzt. "Ich will, dass es besonders wird. Es soll ein gutes Erlebnis für dich sein." Oh ... daran habe ich überhaupt nicht gedacht. "Möchtest du gewisse Extras dabei?" "Bitte zerschieß dieses Mal nicht-," "Ich rede nicht von solchen Extras", schmunzelt er. Jetzt halte ich inne. "Sprich weiter", fordere ich. "Vielleicht willst du Spielzeuge. Was ist mit Gleitgel?" Gleitgel ... bei dem Brocken wäre das nicht verkehrt. Wenn ich wieder daran denke, erschaudere ich sofort. Das wird eine schwere Geburt. Aber eigentlich sollte es kein Problem sein, wenn ich locker und bereit genug bin. "Keine Ahnung", erwidere ich. "Hast du gewisse Vorlieben? Worauf soll ich besonders achten?" "Hast dich bis jetzt gut geschlagen." Ich habe absolut keine Ahnung, was ich darauf antworten soll. Wenn ich etwas will, dann werde ich schon rechtzeitig die Befehle aussprechen. "Das freut mich", lächelt er. Seine Grübchen versüßen mir den Tag. "Willst du noch etwas essen, bevor wir uns fertig machen?" Na toll. Heute ist ja die Hochzeit von irgendeinem Typen. "Nein, bin noch satt." Azad lächelt mich an. "Okay." Dann lehnt er sich vor, um mir einen Kuss zu geben. Ich mag diese kurzen Küsse. Sie erfrischen mein Herz immer so sehr. "Zieh bitte ein blaues Xeftan an." "Von mir aus." "Dann lass uns hoch."
Ich will gerade von seinem Schoß runter, als er sich mit mir erhebt. "Azad!", kreische ich erschreckt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass er mich trägt. "Was denn?", lächelt er. "Du kannst mich runterlassen." "Wieso denn? Ich will meine Frau auf Händen tragen." Dieser alte, blauäugige Charmeur! Ich beiße mir grinsend auf die Unterlippe. Mir gefällt es, dass er so romantisch ist. "Was ist los, Schneeflocke? Glücklich, dass du einen guten Ehemann hast?" Sehr. Ich beiße ihm sanft in den Nacken. "War das ein Liebesbiss?" Ist es. Ich beiße wieder zu. "Ich glaube schon. Beiß noch einmal zu, damit ich mir komplett sicher bin." Und das tue ich auch lächelnd. Ich würde es immer und immer wieder tun. Mir entkommt ein kleines Giggeln, als er genüsslich brummt. "Perfekt, Schneeflocke. Jetzt bin ich mir sicher, dass es ein Liebesbiss war." Ich lasse zufrieden meinen Kopf gegen seine Schulter fallen, genieße es, wie er mich auf Händen die Treppen zu unserem Schlafzimmer hinaufträgt und mich langsam auf dem Bett ablässt. "Darf ich dein Xeftan aussuchen?" "Darfst du." Ich habe so viele, dass ich mich ohnehin nicht entscheiden könnte. Azad hingegen scheint wohl schon vorgeplant zu haben, was ich heute anziehe, denn er wählt das dunkelblaue Set mit den kristallinen Broschenverzierungen. Es gefällt mir. Das akzeptiere ich.
Ich lasse mir noch ein wenig Zeit dabei, weil ich Azad viel lieber beim Aus- und Anziehen zuschauen will. Es gefällt mir wie nichts anderes, wenn er sich seine Kleidung auszieht, aber es gefällt mir nicht, dass er so bescheiden zum Kleiderschrank dabei steht. "Dreh dich zu mir." "Was immer du dir wünschst, Schneeflocke." Diese Lachfalten machen diesen Mann noch attraktiver als er ist. Als ich wieder die Ansätze der tätowierten Maske auf seinem Bauch sehe, lasse ich meine Lider flattern. "Stopp!" Ich setze mich sofort auf, als er sich die Hose öffnen will. So sehr ich es auch genieße, wenn er es tut, so stark ist mein Drang, es zu übernehmen. Mein Ton scheint Azad zu verschrecken, denn im Gegensatz zu mir wirkt er verschreckt. "Was ist passiert?" "Komm her." Und er tut es. Ohne Wenn und Aber. Da mein Mann jedoch zu unschuldig ist, um mein Verlangen zu verstehen, ziehe ich ihn an seinen Hüften noch näher zu mir. "Möchtest du mich vor der Hochzeit noch ein wenig lieben?" "Ich will dich ausziehen." "Meine schöne Tulpe wird zur Wildrose, aber dagegen würde ich niemals Einspruch erheben." Ich lächele, als ich mich an seinem Gürtel zu schaffen mache. Mir gefällt es ein wenig zu sehr, wie er mir dabei über mein Haar streicht. "Dir steht die Hose." "Sollte ich sie öfter tragen?" "Nur, wenn ich sie sehen darf. Das Gleiche gilt für deine Jeans." Ich denke zu oft an diese Jeans und sie war sogar in meinem Traum. Ein Traum, von dem er wieder nichts erfahren darf, weil ich wieder gekommen bin. Dieser Mann macht mich verrückt.
Ich lasse mir alle Zeit der Welt, als ich seinen Knopf und den Reißverschluss öffne. Zu sehr fesselt mich die Kontur seiner V-Linie. Ich lasse meine Nägel sanft über seinen Unterbauch gleiten, genieße es, wie seine Muskeln deshalb zurückzucken. Links von ihm befindet sich die Narbe. Sie sieht gut aus. Sie steht ihm. Es tut mir aber trotzdem leid, dass ich ihn verletzt habe. Deshalb setze ich einen hauchzarten Kuss auf die Narbe. Azad atmet deshalb vernehmbar ein. Seine Hand hebt mein Gesicht zu sich hoch. Er wirkt angespannter. "Ich bleibe zwar beherrscht, aber ich will konzentriert auf der Hochzeit sein. Immerhin muss ich dich mit meinem Leben beschützen und das geht schwerer, wenn ich deine schönen Lippen auf meiner Haut spüre." Oh. Ihm entweicht ein tiefes Seufzen. Mir gefällt meine Wirkung auf ihn sehr. Zu sehr. Am liebsten würde ich ihn ins Bett zerren, fesseln und langsam mit sinnlichen Torturen an seine Grenzen treiben. Ich will, dass er wimmert und fleht und wie in meinem Traum sein Becken zu mir reckt, damit ich ihn vom Druck befreie, aber wir werden auf einer Hochzeit erwartet. "Gut", setze ich an und erhebe mich dicht vor ihm. Ich spüre, wie stark sein Verlangen nach mir ist. Das habe ich die letzte Zeit schon oft gespürt und demnach richten sich meine Träume. "Zieh dich an", raune ich gegen seinen Mund. Ich liebe sein schweres Atmen. Es steckt mich an. Weil er sich aber immer noch nicht regt, ziehe ich seine Anzughose runter. Dabei gehe ich so weit, dass ich es an seinem Schritt runterziehe.
Azad hält meine Hand sofort fest. Ich sehe es nicht kommen, dass er mich aufs Bett drückt. Aber es gefällt mir. Genau wie sein schweres Gewicht auf meiner Hüfte. "Avin", setzt er rau an. Noch immer nimmt er diese attraktiven, tiefen Atemzüge, so schwer wie die Lust in ihm. "Wir gehen nicht." Ich schmunzele wissend. "Doch." "Du sabotierst mich absichtlich." "Tue ich nicht." "Was ist das dann?" Die Hand, die er gerade noch festgehalten hat, führt er zu seinem Schritt. Ich spüre es. Merklich. Und ich kann es mir nicht verkneifen, einmal sanft zuzudrücken. Ich genieße die Wirkung, die ich auf ihn habe. Ich genieße es, wie sich langsam seine Lider senken. Wie sich sein Blick verdunkelt. Wie er sich über seine schönen Lippen lecken muss. "Wir müssen uns fertig machen", erinnere ich, während ich schamlos meine Nägel auf seinen anschwellenden Schritt kreisen lasse. "Du bringst mich um." Und ich liebe es. So sehr ich noch weitermachen möchte, wird es sonst mit der Zeit knapp. Ich gebe ihm noch einen aufmunternden Kuss, ziehe mir aber dann die Kleidung aus und dann das Unterkleid über. Bei dem Hauptkleid hilft mir Azad, bindet es an den zwei Schnüren hinten enger um meine Taille und hält mir dann die samtige Übergangsjacke hin, in die ich schlüpfe. Meine Pflegeroutine habe ich schon hinter mir, also fehlt mir nur Schminke. Ich nehme mir also wieder meine Quad Goals Palette, Eyeliner und Concealer, runde alles mit Mascara ab und lasse mir am Ende von Azad noch den goldenen Gürtel umlegen und die losen, langen Ärmel meines Xeftans hinter meinem Rücken locker zusammenbinden.
Azad lächelt mich schon zufrieden an, als ich mich zu ihm drehe. "Du siehst perfekt aus." Aber er. Ihm steht der schwarze Anzug gefährlich gut. Es lässt seine eisblauen nur noch heller wirken. Er hat sich ein wenig Gel in die Haare gegeben, wodurch die sanften Locken schön halten und leicht glänzen. Ein atemberaubend gutaussehender Mann, der auch noch gut riecht. "Welche Schuhe willst du anziehen?" "Die Weißen." Meine Auswahl ist nicht sonderlich groß, aber ich komme klar damit. "Ich sollte dir mehr holen. Das reicht nicht. Sind sie bequem?" "Ich komme klar." Wenn ich ein schönes Paar finde, kann ich es ihm ja sagen. Er holt mir die Schuhe aus dem Schrank, hockt sich schon hin, um mir hineinzuhelfen. Ich seufze. Er macht das immer wieder und so sehr es mir auch schmeichelt und gefällt, dass er sich keiner Mühe zu schade ist, hasse ich es über alles, dass er so meine Füße sehen kann. Und ich weiß, dass er deshalb schmunzelt. "Schmunzel nicht so." "Was immer du dir wünschst, Schneeflocke. Heb dein schönes Bein für mich an." Also schön. Nur dieses eine Mal. Mit dem rechten Bein hebe ich auch mein Kleid an. Ich lasse es über seinem angewinkelten Bein schweben und lenken, als er es auf seinem Schenkel abstellt, um die Schnüre zu binden. "Meine ganze Familie wird da sein, damit du Bescheid weißt." Ach so. Das heißt, die nervige Schwester wird auch da sein. Aber immerhin ist Dilnia da. "Und ich habe deine Waffe in deine Tasche gepackt." Oh. Sein Blick hebt sich schon vielsagend. "Es muss sein." "Passt schon. Ich komme klar." "Gut. Wechsel das Bein."
Als wir am großen Saal ankommen, gibt mir Azad im Auto noch einen Crashkurs zur richtigen Bedienung der Waffe. Sie bleibt auf Dauerfeuer für mich gestellt. "Du bist schon viel besser geworden. Du kannst das." "Ich werde trotzdem niemanden anschießen." Und schon seufzt Azad, wenn auch schmunzelnd. "Aber deinen Ehemann kannst du mit einem Messer attackieren?" Ich hebe warnend meinen Zeigefinger. "Du wolltest es!", verteidige ich mich belustigt. "Und ich würde es wieder wollen." Seine Lippen berühren meinen angehobenen Finger, den er an sich zieht. "Bereit?" Ich nicke. Eine Hochzeit ist nichts Schlimmes, nur sind sie unfassbar langweilig und zu laut. Ich sehe ein wenig weiter weg schon Aras' Wagen. Dilnias roten Mercedes sehe ich nicht. Vielleicht ist sie ja mit Aras gefahren. Man hört die kurdische Musik schon außerhalb des Saals. Je näher ich ihm komme, desto stärker spüre ich den Bass in meinem Körper. Die Stimmung ist ausgelassen. Im großen Tanzkreis sind drei kleinere Gruppen, die separat tanzen. Wann wird das Essen serviert? Der Saal wirkt edel und extrem teuer, aber ich frage mich, ob es dennoch das typische Grillhähnchen geben wird. "Komm." Azad führt mich an meiner Taille zum reservierten Tisch. Ich sehe schon Dilnias Louis Vuitton Tasche, aber von ihr selbst finde ich keine Spur. Erst, als ich meinen Blick richtig durch die tanzende Menge schweifen lasse, sehe ich die schlanke Schönheit mit den großen blauen Augen. Wie viele Mütter sie heute als zukünftige Schwiegertochter anvisieren werden?
"Du scheinst mir keine Tänzerin zu sein", raunt Azad mir zu, als er den Stuhl für mich zurechtschiebt. "Ich hasse Hochzeiten." "Auch unsere?" Ich verdrehe schmunzelnd meine Augen. Unsere Hochzeit war angenehm. Sie war zwar nicht gewöhnlich, weil sie auf Bedingungen und Abmachungen fußte und ich keine Gefühle für ihn hatte, aber ich habe sie dennoch halbwegs schön abgespeichert. Meine Angst, die mich an dem Tag lähmte, war der Grund, weshalb ich nicht zufrieden war, aber wenn ich zurückblicke, kann ich dennoch lächeln. "Eine kleine Ausnahme", erwidere ich. Es macht mich glücklich und ehrlich gesagt auch ein wenig emotional, als ich sehe, wie glücklich Azad dadurch wird. "Das erleichtert mich." Ich spüre es. Ganz klar und deutlich, als er meine Hand nimmt, um sie zu küssen. Er tut mir so unfassbar leid. Ich komme mir so schuldig vor, weil er so offen mit seinen Emotionen umgehen kann. Bis heute habe ich ihm kein einziges Mal gesagt, dass ich ihn liebe. Ich möchte mich damit nicht hetzen. Man muss es nicht sagen, wenn Taten sprechen, aber ... ich weiß es nicht. Es ist schwer. Es ist schwer für ein Herz, das sonst immer schweigt. Ich ziehe unsere Hände zu mir. Der Moment ist gerade für mich zu emotional, als dass ich ihn einfach so abbrechen kann. Ich werde ihm noch mehr Zuneigung zeigen. Die nächsten Tage möchten wir sowieso gemeinsam nach Feierabend spazieren und neue Gerichte ausprobieren.
Ich fahre über die herausragenden Venen seines Handrückens, drücke seine Hand, die ich nachträglich gegen meinen Bauch drücke. Er ist ein guter Mann. Er verdient es, die gleiche Dosis an Liebe zurückzubekommen und ich hoffe, ich schlage mich gut. "Da kommt Dilnia schon", kündigt er an und nur wenige Sekunden später werde ich in eine stürmische Umarmung von dünnen, aber sehr kräftigen Armen gezogen. "Hi!" Dilnia zieht ihre Begrüßung, wie immer, in die Länge. "Du siehst so gut aus! Blau steht dir richtig!" Und wahrscheinlich betont es meine Brüste, wenn ich ihre schielenden Augen richtig deute. "Danke", schmunzele ich. Sie sieht in ihrem dunkelgrünen Xeftan auch wunderschön aus. Azad legt bei dem Kompliment seinen Arm um meine Schulter. Ich muss ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er sich stolz deshalb fühlt. "Das Brautpaar kommt gleich. Geht ihr dann auch tanzen?" Ich mag es nicht zu tanzen, daher verziehe ich schon ablehnend das Gesicht. Dilnia schmollt schon deshalb. "Kommt schon! Wenigstens beim Paartanz! Ich habe keinen, mit dem ich das machen kann." "Was sagst du, Schneeflocke? Ein Tanz?" Seine Finger drehen mein Gesicht zu sich. Wir befinden uns unter Leuten, für die Zuneigung etwas sehr Privates ist und auch wenn ich zu ihnen gehöre, möchte ich gerade nicht, dass er aufhört. Ich fühle mich wie in einer Trance bei dem Anblick seiner eisblauen Augen. Sie wirken wie ein erfrischendes Meer. Sie tun mir gut. "Okay", erwidere ich. Ein Tanz. Aber nur, weil ich mich heute besonders stark zu ihm hingezogen fühle.
Dilnia tauscht ihren Platz, sodass sie neben mir sitzt und mir erst mal zeigt, was sie sich die letzte Zeit gekauft hat. Bei einem der drei Schuhmodelle reagiere ich aber sofort. Es sind schwarze Absatzschuhe mit Plateau und einem außergewöhnlich geformten Absatz. Der Hals ist dünn und dann verläuft er breit wie ein Kegel. "Die sind schön." Und schon reagiert Azad, der seinen Kopf an den Bildschirm des Handys drängt. "Ja! Willst du sie auch? Die gibt es auch in Braun." Ich nicke, zögere aber zu spät. "Wie viel kosten die?" "Tausend-," "Vergiss-," "Ich kaufe sie dir." Im Leben nicht! Ich schaue warnend zu Azad. "Nein." Mein Ton ist apodiktisch und warnend. "Wieso denn nicht? Schau sie dir in Braun an. Du hast keine braunen Schuhe." "Ich will keine über tausend Euro für Schuhe ausgeben." "Wieso nicht? Die anderen Schuhe sind doch auch im drei- bis vierstelligen Bereich." Dieser blauäugige Mörder ohne Feingefühl für Geld! "Nein. Ich finde schon günstigere Varianten." Über tausend Euro! Die spinnen doch! "Hast du ein Bild von den Braunen?" "Azad, nein!", warne ich ihn. So schön ich das Modell auch finde, sehe ich es nicht ein, dass dafür über tausend Euro ausgegeben werden, so widersprüchlich es auch ist, dass er für das erste Treffen so viel in die Kleidung für mich investiert hat. Das war was anderes. Einmal und nie wieder - auch wenn ich genauso teure Versace High Heels zu Hause habe. Das reicht!
Ich lasse mir wieder die ganzen gekauften Produkte zeigen, die Dilnia sich gegönnt hat, ignoriere das Brautpaar vollkommen, als sie eintreten. Dilnia jedoch nicht. Sie ist ganz offensichtlich eine Party-Maus, die sofort zum Eingang rennt, ihr Handy zum Filmen bereithält und ihre freie Hand und ihren schlanken Körper feierlich bewegen lässt. Ich bin froh, dass unsere Hochzeit nicht so war. Ich habe keine Lust auf die zu laute Musik und vor allem auf die Leute, die ich kaum oder gar nicht kenne. Wahrscheinlich lästern sie noch über mich und im allerschlimmsten Falle versucht jemand einen Fluch auf uns zu setzen. Nein, danke. Das Paar wird in die Mitte des Saals eskortiert und ich hoffe so sehr, dass die Eltern ihre Dreckskinder festhalten, damit diese kleinen, nervigen Missgeburten dem Brautpaar nicht den besonderen Moment zerstören. Gott, wie sehr ich sie hasse! "Was ist los?" "Ich hasse Blagen", murmele ich abgeneigt, als ich schon den ersten rennen sehe. Zum Glück hält eine jüngere Frau ihn davon ab, in den abgegrenzten Bereich zu rennen, in dem das Brautpaar gerade tanzt. "Ich werde bald Onkel." "Mein Beileid." "Ich freue mich schon. Agir und Xezal wollen eine kleine Feier deshalb organisieren. Dann erfahren wir auch das Geschlecht." Ach so. "Und was wünschst du dir?" "Am liebsten Zwillinge. Ein Mädchen und ein Junge. Ich kann mich nicht entscheiden, aber ich will meinen Neffen oder meine Nichte jetzt schon in den Armen halten." Süß. Ich kann mir vorstellen, wie sorgsam er mit ihnen umgehen und sie auch verwöhnen wird.
Als dann die Paare auf die Tanzfläche gebeten werden, ist es unser Zeichen, aufzustehen. Azad knöpft sich sein Jackett wieder zu und hält mir ganz wie der Gentleman, der er ist, die Hand hin. Mein Herz schlägt ein wenig schneller. Nicht nur ein wenig. Es ist merklich, stark und ich habe das Gefühl, je näher wir der benebelten, abgedunkelten Tanzfläche kommen, desto schneller schlägt es. Mein Lächeln bleibt den ganzen Weg bestehen und es wird nur noch stärker, als Azad mich ansieht. Bei seinen Grübchen und den sanften Lachfalten unter seinen schönen Augen habe ich das Gefühl, dass sich seine Aura durch den Weg meines Herzes bahnt. Ich fühle mich so erfrischt und doch erwärmt zugleich. Es tut mir gut. Ich spüre es in meiner Brust. "Du siehst hübsch aus, wenn du lächelst. Deine Augen glänzen, als würden kleine Schneeflocken in ihnen tanzen." Azads sanften Worte lassen mich vergessen, dass wir schon tanzen. Es heilt kleine Stellen meiner Wunden. Gerade fühle ich mich auf einer neuen Ebene verbunden zu ihm. Ich weiß nicht, ob er es auch spürt, aber mein Vertrauen zu ihm steigt gerade in diesen Moment enorm, obwohl wir nichts tun, als Hand in Hand zu tanzen. Ich schmiege mich an seine Brust, lasse meine Hand unter sein Jackett gleiten, auch wenn es zugeknöpft ist. Sein Herz schlägt schnell und auch meins tut es. Du tust mir gut, Azad. So gut, dass ich dir sogar meinen Rücken anvertraue.
So gut, dass ich nach all den monotonen Jahren vor Freude weine und dir aus Dankbarkeit einen kleinen Kuss auf die Brust setze. Genau da, wo dein schönes Herz schlägt.
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