Kapitel 5
Ich stoße atemlos die Haustür auf. Ich fühle mich so anders. So belebt. Ein kleiner Teil von mir will, dass ich grinse, aber ich will mich nicht zu früh freuen. Niemals. Es könnte bis Sonntag etwas dazwischenkommen. Vielleicht muss er ja absagen. Ich will niemanden davon erzählen, nicht einmal Dijan, bis das Treffen schon beendet ist, weil ich nicht weiß, ob ich selbst Auge auf mich mache. Es ist mir schon zu oft passiert, dass etwas nicht so gelaufen ist, wie es geplant war, nur weil ich mit Vorfreude davon erzählt habe. Selbst mein letztes Paket musste wegen Beschädigung noch während der Lieferung retourniert werden, weil ich es davor Dijan erzählt habe. Seitdem gibt es das Sakura Bodyspray auch nicht mehr im Douglas-Onlineshop und dabei war es sogar reduziert auf 14 Euro! Ich ärgere mich bis heute noch darüber. Mein Vater müsste auch in 20 Minuten nach Hause kommen. Gott, zum Glück hatte ich die Zeit im Blick, sonst hätte ich niemals zugelassen, dass Azad ... der Mörder mich bis vor die Haustür begleitet. Bin ich eigentlich komplett grenzdebil, dass ich einem Mörder so viel Vertrauen schenke? Was stimmt nicht mit mir? Hallo? Nein! Nein, ich werde mich nicht mit ihm treffen. Er hat mich nur manipuliert. Nein, niemals. Am Ende erschießt er mich noch zum Nachtisch. Das kann er vergessen. Ich drehe mich misstrauisch zu unserem roten Wasserspender. Dort sind zwei Lämpchen, die seit Jahren rot und grün leuchten. Nicht, dass er hier Kameras verwanzt hat. Sogar die Feuermelder wecken mit ihrem roten Leuchten mein Misstrauen.
Ich presse alle Zitronen aus, fülle sie in die drei Karaffen um und spüle immer die Zitronenpresse mit Wasser aus, das ich dann in die Behälter fülle, um kein bisschen zu verschwenden, gönne mir dann selbst ein Glas davon und kann dann, nachdem ich noch Salz hinzugegeben habe, die Zitronenwasser im Kühlschrank lagern. Meine Schwestern haben sich wohl Nudeln gemacht, wie es den Anschein hat. Das sind Avdars Curry-Sahne Nudeln, die ich so mag. Meine Schwägerin hat auch eine große Tupperdose mit einer Gemüsepfanne vorbeigebracht, aber ob mein Vater aktuell in der Lage ist, essen zu wollen, steht infrage. Ich hoffe es. Er soll sich nicht damit belasten. Ich mache ihm schon einmal einen Teller mit einer Banane, Apfel, Birne, zwei Mandarinen und Trauben fertig, fülle ein großes Glas mit dem Zitronenwasser für ihn auf und stelle es schon provisorisch im Wohnzimmer auf den weißen Couchtisch. Es wurde aufgeräumt und gestaubsaugt. Das ist gut. Das heißt, dass ich morgen nur wischen muss. Ich füge noch Dosenmais zu den erwärmen Nudeln hinzu und beginne dann mit einem Glas Cola mein Essen. Ich mag die kleinen Zwiebelstücke in der Soße ... ob er wohl Zwiebeln isst? Er wirkt so sauber, dass man sich nicht vorstellen könnte, dass er mal schlecht riecht. Ob der Geruch von Leichen schon mal an ihm klebte? Ob ich ihm solche Fragen am Sonntag stellen darf? So könnte ich ihn aus der Reserve locken.
Ich stelle mir schon vor, wie er vor mir sitzt, obwohl ich es nicht will. Meine Haltung wird sofort gerader. Ich bemühe mich zwar oft, aufrecht zu sitzen, aber manchmal habe ich keine Lust darauf. Ich weiß, wie man nach den Etiketten des Westens speist. Ich habe es mir selbst beigebracht, aber das heißt noch lange nicht, dass ich es jetzt tun soll, nur weil ich an diesen Mörder denke! Gott, ich werde ihn nicht los! Ich füge noch mehr Mais zu meinen Nudeln und leere zum Nachtisch sogar die ganze Dose, als dann mein Vater zum Beenden meines Kauens in die Wohnung tritt. "Ha, Baba. Bist du zu Hause?", fragt er mich, als er in die Küche tritt. Ich nicke. "Weißt du, wie lange Mama im Krankenhaus bleibt?" Er verneint es. Soll ich ihm sagen, dass ich am Sonntag weg bin? Moment! Scheiße, wie soll ich aufgetakelt aus dem Haus? Fuck! Wie soll ich es meinem Vater erklären? Eine Ausrede. Ich brauche eine Ausrede. Ja! "Bab, ich bin am Sonntag auf einer Hochzeit eingeladen. Dijans Cousine heiratet." "Okay, Baba. Wann kommst du?" Das ist eine Frage, die ich noch nicht beantworten kann. "Weiß nicht, aber ich bleibe sicherlich nicht lange. Ich habe dir Früchte und Wasser ins Wohnzimmer gebracht." Er soll mir bitte nicht noch mehr Fragen stellen, sonst stocke ich noch und ich will ihn nicht anlügen. "Aber geh deine Mutter davor besuchen." Ich würde meine Mutter niemals für einen Mann vernachlässigen. Wenn es sogar sein muss, nehme ich das Angebot an, nur um sie alleine von ihrer größten Sorge zu entlasten ... schon wieder ziehe ich das Angebot in Erwägung. Niemals hätte ich gedacht, dass mir sowas passiert.
Ich beschließe, mich morgen nach dem Besuch im Krankenhaus mit Dijan zu treffen. Ob ich ihr vom Herzinfarkt meiner Mutter erzähle, weiß ich nicht. Es ist eine Eigenschaft von mir, mit meiner Freundin erst nach Jahren über solche Fälle zu sprechen, wenn überhaupt. Ich fühle mich einfach nicht danach, es zu erzählen, obwohl sie selbst mit solchen Problemen zu kämpfen hat. Für sie habe ich ein offenes Ohr und sie auch für mich, aber manchmal kommt es einfach nicht über meine Lippen. Erst vor einem Jahr habe ich ihr vom damaligen Krebs meines Vaters erzählt. Wann soll ich ihr von diesem verrückten Mann erzählen, mit dem ich wirklich am Sonntag ausgehe? Ich frage sie erst einmal, ob sie morgen überhaupt kann. Der Rest entwickelt sich mit der Zeit. Ich spüle ab, räume die Küche ein wenig auf und gebe das Geschirr in die Spülmaschine. Spätestens übermorgen kann ich sie starten, denn irgendeiner hat sie ausgeräumt und wenn meine Mutter nicht da ist, entsteht nie so viel Geschirr, weil wir meistens auf leichte Speisen wie Nudeln zurückgreifen und außer ihr und mein Vater morgens niemand frühstückt. Nur noch Gesicht abwaschen, beten und dann mich in meinen Pyjama auf mein Bett werfen. Welche Farbe sucht er für das Kleid aus? Ich will mir die Nägel lackieren. Ich habe sie so lange nicht mehr lackiert. Bemalt kommen sie besonders schön zur Geltung. Früher habe ich mich immer sehr gern um sie gekümmert. Viele haben mich bewundert und gefragt, ob sie echt sind und irgendwann ist mir die Lust vergangen. Irgendwann wurde alles gleich und enttäuschend und ich immer grauer.
Der neue Tag steht an und heute werde ich überraschender Weise nicht vom Mörder am Empfang erschreckt. Die Sonne scheint, es herrschen akzeptable zwölf Grad und ich fahre jetzt zu meiner Mutter ins Krankenhaus, die mich schon sehnsüchtig erwartet. Danach gehe ich mit Dijan in die Stadt und kann endlich die Parfümerie besuchen. Ich habe mir lange keinen richtigen Einkauf mehr gegönnt und habe seit Tagen den Drang, mich endlich wieder richtig herauszuputzen. Vielleicht lassen die Winterdepressionen ja endlich nach. Der Bus kommt vor dem Krankenhaus zum Stehen. Ein kurzer Tritt durch die begraste Insel und die Straße und schon kann ich auf die sechste Etage, Zimmer 609. Da ist meine Mutter, die schon ihre Arme ausstreckt. Ich sehe ihre Tränen schon von der Türschwelle und auch wenn sie nicht wimmert, als ich sie umarme, weiß ich, dass sie weint. Es tut dir doch nicht gut, Mama. Es wird alles wieder gut. Ich verweile eine gute Minute in ihren hämatösen Armen. Was haben die Pflegekräfte da veranstaltet? Langsam löst sie sich von mir, drückt meine Hände, als ich mich zu ihr setze. Jemand war anscheinend schon vor mir hier, laut des Stuhles, der schon an ihrem Bett stand, zu urteilen. "Wie geht es dir?" "Besser", haucht sie rau. "Morgen wollen sie noch mehr Untersuchungen machen. Heute war CT oder so." Ich nicke. Vielleicht steht morgen die Herzkatheteruntersuchung an. "Was haben die an denen Armen gemacht?" Meine Mutter schnaubt. "Irgendeine neue Schwester war schuld daran. Beim ersten Mal kam nichts, beim zweiten Mal musste der Arzt einschreiten, weil es sonst komplett zum Chaos käme. Er hat es dann hier gemacht." Ich nicke. Sie hat eine extrem empfindliche Haut und neigt sehr schnell zu Blutergüssen, aber die Fläche des Blutergusses an ihrer rechten Ellenbeuge ist so groß und breit wie meine Hand.
"Und? Wurdest du aus aller Welt angerufen?", schmunzele ich. Sie seufzt erschöpft. "Ich habe keine Kraft, allen zu antworten. Ich habe mein Handy auf stumm gestellt. Dein Vater kam heute früh mit meiner Tasche." Sie atmet einmal tief durch. "Er hat sehr geweint." Oh ... damit habe ich nicht gerechnet. Ich lächele sanft. Mein Vater weint selten und nie dann, wenn man es sieht. Ich bin in diesem Punkt wie er. "Und deine Brüder auch." Meine Brüder. Woher weiß der Junkie davon? Hat mein Vater doch mit ihm gesprochen? "Wie hat er es erfahren?", frage ich sofort abwertend. "Serdar hat ihn angerufen und fertiggemacht." Verdient! Soll er heulen bis er keine Luft mehr kriegt. Ich hoffe, er kann vor Schuldgefühlen nicht mehr schlafen. "Er kommt nicht mehr in die Wohnung, Mama", setze ich mit Nachdruck an. Was muss ihr noch alles passieren, bis sie den Schlussstrich zieht? "Dein Vater hat das heute auch schon gesagt." Mein Vater hat ihn schon oft aus der Wohnung geschmissen. Immer nach 21:00 Uhr, wenn er meine Mutter plötzlich nach Geld gefragt hat. Er hat sich immer gewehrt, aber nie zurückgeschlagen und ich weiß noch, wie er beim letzten Mal meinte, dass mein Vater aufpassen soll, nicht über ihn zu stolpern, als er ihn rausgezerrt hat. Ich empfinde trotzdem kein Mitleid mit ihm, weil er oft genug meine Mutter nicht ernst genommen hat, egal wie sehr er sie liebt. Er ist schuld dafür und er wird die Konsequenzen dafür tragen. "Er meinte auch, dass er mir dieses Mal sauer sein wird, wenn ich ihn wieder reinlasse." Ich bin froh, dass er es gesagt hat. Anders lernt sie es nicht.
"Ich gehe heute mit Dijan raus und morgen mit ihr auf die Hochzeit ihrer Cousine." Ihre Augen weiten sich. Sie hält sich die Hand keuchend an ihre Brust. Ich stehe sofort auf, will schon nach der Fernbedienung greifen, als mir auffällt, dass der Monitor keine abnormale Reaktion aufzeichnet und es meiner Mutter doch gutgeht. Ist das ihr Ernst?! "Du gehst auf eine Hochzeit? Habe ich was verpasst? Wî! Alhamdullilah, ya rabb!" Sie hebt ihre Hände an und fährt sich anschließend über ihr Gesicht, als hätte sie ein Bittgebet aufgesagt. "Mam!", knurre ich. Ich dachte, sie hätte wieder einen Infarkt! Das kann sie doch nicht ernst meinen. Ich lasse mich seufzend wieder auf dem Stuhl nieder, schmunzele nachträglich, als sie und ihre Nachbarin über mich lachen. Wenigstens kann ich sie unterhalten. Das ist es mir wert. "Ziehst du ein Xeftan an? Und zieht Dijan auch eins an oder ein marokkanisches Kleid? Heiratet eine Cousine von der kurdischen oder marokkanischen Seite?" Weder noch, Mama. Ich gehe mit einem Mörder essen. Ich kann es immer noch nicht glauben. Nicht, dass er hier auch plötzlich auftaucht und ausgerechnet diesem Krankenhaus neue Geräte spendiert. "Marokkanische Seite. Sie heiratet einen Deutschen. Kann sein, dass ich mir ein Abendkleid hole." Keine Ahnung, was ich sonst als Begründung nehmen soll. "Schick mir ganz viele Fotos. Ich will Videos, wo du tanzt." Ach du heilige Scheiße, wieso habe ich das gesagt? Ich atme tief durch. Ich sage einfach, dass ich es vergessen habe. Was soll ich bitte sonst tun? Einen Mörder darum bitten, mich beim Tanzen in einem Restaurant aufzunehmen?!
Ich bin gute zwei Stunden bei meiner Mutter geblieben, bis sie wieder zur Untersuchung musste. Pelin, Perwin, Avdar und meine Schwägerin sind nachgekommen und leisten ihr jetzt Gesellschaft. Ich hingegen warte vor der Parfümerie auf Dijan, die schon auf mich zukommt. Ihre dunklen Locken trägt sie heute nicht. Ihr langes, geglättetes Haar wird von einem weißen Haarreif aus ihrem Gesicht gehalten. Ich mag den schwarzen Samt-Sportanzug, den sie trägt. "Hi, Schwester! Alles gut? Du siehst gut aus." Ich schmunzele und kneife ihr in die Seite, als wir eintreten. "Alhamdullilah. Alles wie immer und bei dir? Ich mag deinen Anzug." "Von Netto, 15 Euro. Bei mir auch, alhamdullilah. Was gönnst du dir heute? Soll ich dir mal zeigen, was ich mir seit langem holen will?" Ich lasse mich von ihr zur Make-up Abteilung führen. Sie nimmt eine beige röhrenartige Verpackung in die Hand und klappt jede Etage nach und nach auf. "Der ist so geil! Guck mal." Sie trägt sich den schimmernden Lidschatten auf. Wie schön er glitzert. Er sieht wirklich gut aus. "Das ist von Morphe. Du kannst das für Lippen, Augen und als Highlighter benutzen." Ich bin fasziniert, wie schön es auf ihrem Auge schimmert. Das will ich haben. Sie hat mich überzeugt, also nehme ich mir die Nude Version des Quad Goals und mache mich dann auf die Suche nach einem neuen Parfüm. Ich liebe frische Düfte über alles. Jedes Mal, wenn Avdar ihr Deo im Nebenzimmer aufträgt, muss ich mein ganzes Zimmer durchlüften, weil ich bei dem pudrig-süßen Geruch ihres Deosprays einen Hustenanfall kriege.
"Oh, ja! Das ist deine Abteilung", motiviert Dijan mich. Ich schmunzele kopfschüttelnd. Ich will einen fruchtigen Duft. Der sieht doch gut aus. Cherry in Japan. Ja, den nehme ich. "Oh, ja. Der ist gut." "Du hast nicht einmal daran gerochen", schmunzele ich. Ohne ihre verpeilte Art hätte ich echt nicht so viel zu lachen. "Der riecht gut, Schwester. Ich rieche ihn. Guck mal, heute ist sogar 20% auf alles." Wenn das so ist, dann sollte das Angebot auch für meine liebste Bodycream geben. Ich gehe hoffend auf die kleine Ritualsabteilung zu und sehe wirklich noch ein Bodyspray und eine Bodycream der Rituals of Mehr Serie und nehme mir beides. Das wird ein teurer Spaß, aber ich kann und darf es mir gönnen. "Ich hole dir einen Korb." Ich nicke Dijan dankend zu und begebe mich auf die Suche nach einem schönen Lippenstift. Wenn ich wüsste, welche Farbe das Kleid hätte, könnte ich eine leichtere Wahl treffen, aber außer Rot oder Pink kommt ja sowieso nichts infrage. Die Frage ist jetzt nur: Rot oder Pink? Dieser sanfte Pinkton ist ein wenig dunkler als meine eigentliche Lippenfarbe. Der ist doch schön. Den nehme ich. Für heute soll das reichen. Dijan sieht sich noch eine gute Weile um, fragt mich nach den Inhaltsstoffen der überteuerten Markenpflegeprodukte, die mehr schadenden Alkohol und Duftstoffe aufweisen als wirkliche Pflege und dann verlassen wir die Parfümerie, um etwas essen zu gehen. Wann soll ich es ihr sagen? Nach dem Essen am Sonntag, oder? Das wäre das Beste.
Wir gehen zu unserem Stammsyrer, wo mich der ... große blauäugige Kurde schon kennt. Ich wusste, dass er blaue Augen hat und schwarzes Haar, aber nach dem letzten Mittwoch kann ich bei der Farbe Blau nicht mehr so neutral bleiben. Ich begrüße ihn auf Kurdisch und gebe unsere Bestellung auf. Dijan sitzt schon an einem Tisch hinten in der Ecke und winkt mich zu sich. "Und Schwester? Wie läuft dein Leben so?", fragt sie, als ich mich setze. Oh, wenn du nur wüsstest. "Wie immer und bei dir?" "Auch. Hier, probier' mal diesen Lipgloss. Der ist voll gut." Sie hält mir den dicken Applikator hin und ihren kleinen Klappspiegel. "Der ist echt gut", murmele ich. Schön geschmeidig und ein schöner, leichter Braunton. Der ist echt toll, wow! Hätte ich mir mal auch so einen geholt. Was ist, wenn das Kleid doch nicht farblich auf den Lippenstift passt? "Kann ich mir den für morgen ausleihen?" "Klar, Schwester. Wohin gehst du? Hast du ein Date?" Ihre dichten Augenbrauen wackeln vielsagend. Wenn du nur wüsstest, Dijan. Wenn du nur wüsstest. "Nein. Muss was erledigen", murmele ich. "Was denn? Soll ich dich fahren?" Nein, ein Mörder holt mich schon ab, aber danke. "Passt schon. Ich erzähle es dir wann anders." Alleine der Gedanke daran lässt mich erröten. Zum Glück kommen meine frittierten Wings und Pommes und ihr Shawarma-Teller. Das sollte sie ablenken. "Wie läuft die Uni?" Ich war einmal mit ihr an ihrer Universität und mein Herz hat sich nur noch weiter danach gesehnt, auch endlich eine Studentin zu sein. Wie sehr ich die Atmosphäre genossen habe und das Gefühl auf dem belebten Campus. Ich will nur das. Mehr nicht.
"Ich muss wieder ein Essay schreiben. Kann ich es dir wieder schicken und du schaust rüber?" Ich nicke. Dijans Rechtschreibung und Grammatik sind mit Abstand die Schlimmste, die ich je in meinem Leben gesehen habe und jedes Mal aufs Neue kriege ich Aggressionen, wenn ich ihre Aufsätze korrigiere. "Danke, Schwester. Ach ja! Ich habe die Psychologieklausur bestanden. Danke dir. Ich bezahle das Essen für dich." Ich grinse stolz. "Passt schon. Welche Note hast du oder ich bekommen?", schmunzele ich. Dadurch, dass sie noch einen Nachschreibtermin in der Klausurphase hatte und die Psychologieklausur eine Take Home Klausur war, habe ich sie, ohne das Thema wirklich je behandelt zu haben, einfach für sie geschrieben, damit sie sich auf ihre Botanik konzentrieren kann. "Der Prof hat die nicht benotet. Es war nur bestanden oder nicht bestanden, aber fünf Stück haben einen Brief bekommen. Täuschungsversuch." Oh. Hoffentlich dieser nervige Möchtegern aus ihrer Gruppe, den sie so hasst. "Und sonst so? Kein Typ?" Ich muss bei meiner Frage schmunzeln, warum auch immer. "Nein, Schwester. Alles ekelhafte Idioten. Es gibt einfach keine richtigen Männer mehr auf der Welt!" Sie seufzt resigniert. "Heutzutage findest du nur sehr schwer einen vernünftigen Mann, der es auch wirklich ernst mit dir meint." Dijan hatte schon einige Fehlschläge mit Typen. Ich verstehe auch einfach nicht, wie sie solche Typen an sich heranlässt. Sie ist ein schlaues, hübsches Mädchen und schleppt die niveaulosesten Versager ab. Ihr Problem ist auch, dass sie nicht alleine sein kann, aber seit sechs Monaten ist sie clean. Das ist ein sehr guter Anfang.
"Ich bin so gespannt, was für Männer wir abkriegen." Oh, ja. Ich auch. Wahrscheinlich wird es ein blauäugiger Mörder an meiner Seite sein, wenn ich am Sonntag nicht eingesperrt und oder ermordet werde. Jedes Mal aufs Neue kann ich es nicht fassen. Krank! Das ist krank! Und noch kranker ist es, dass ich mir ernsthaft Gedanken um den Nagellack und den Lippenstift mache. "Irgendwann kommt er schon hoffentlich, aber lass dich endlich mal auf jemanden ein, der wenigstens einen Führerschein hat. Wenigstens das!", lache ich. Dijan ist so verdammt anspruchslos, was Typen angeht, weil sie nicht alleine sein kann oder will. Sie nimmt jeden dahergelaufenen. Sogar einen Typen von ihrer alten Realschule, der bis heute nichts geschafft hat. Noch nicht einmal Pläne für die Zukunft! Sie wussten nichts und wieder nichts. Hoffentlich kommt endlich einer, der wenigstens weiß, was er studieren will oder als was er einmal arbeiten möchte. Und außerdem waren ihre Typen immer so verkrampft altmodisch, obwohl sie benutzter waren als die Unterhose, die ich immer zu meiner Periode anziehe. Lächerlich. "Am Ende kriegen wir eh nicht die Männer, die wir uns vorgestellt haben." Ich würde ihr - so wie sonst immer - beipflichten, aber nachdem ich den blauäugigen Mörder kennengelernt habe, kann ich sagen, dass ich auf jeden Fall - optisch - einen potenziellen ... Ehemann wirklich gefunden habe. Oh Gott, ich will nicht an ihn denken. Ich muss aufhören damit!
Ich trete um kurz vor Neun wieder in die Wohnung. Das Treffen tat gut. "Avin, du hast ein Paket bekommen", ruft Perwin. Mein Herz setzt aus. Es kann nur er gewesen sein. War er hier? Hat er meine Schwestern gesehen? Ich renne in mein Zimmer, wo sie wieder an meinem Schreibtisch hockt und lernt. "Wer hat es gebracht?" "Der Postbote." Puh! Ich kann aufatmen. "Hatte er blaue Augen?" "Nein", setzt sie verwirrt an. Sie kann ihren Blick ruhig auf ihr Biologiebuch gesenkt halten. Sie braucht mich nicht so anzusehen. "Wie sah er dann aus?" "So ein älterer Mann. Keine Ahnung. Ich habe nicht so sehr auf ihn geachtet. Aber das sieht voll edel aus. Was hast du dir gegönnt?" Meine Augen folgen ihrem Zeigefinger zu meinem Bett. Ein schwarzes Paket zusammengehalten von einer lila Satinschleife. Das kann kein normaler Postbote gebracht haben. "Zeig mal." Oh, nein! "Ist nur ein Kleid für die Hochzeit morgen. "Wie viel wiegt das Kleid? Was hat sich schon schwer in meiner Hand angefühlt." Ist da ein Hochzeitskleid drin oder was?! Ich werde immer unruhiger, als ich auf das Paket zugehe. Ich will es nicht öffnen, aber ich muss. Gott, was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich löse die lila Schleife, nehme langsam den Deckel ab, sehe aber nicht wirklich viel. Ich sehe nur den Versace-Beutel und ein weiteres Paket. Ich japse laut nach Luft, als ich die Pumps sehe. Oh mein Gott! "Was?" Perwin rennt zu mir, keucht, als sie das kleine Valentino Emblem auf der Schnalle der Plateau Pumps sieht. Die sind extrem teuer.
"Mama bringt dich um, wenn sie weiß, wie viel du dafür ausgegeben hast." "Sag ihr nichts", murmele ich fassungslos. Gott, ich will nicht wissen, wie viel das alles kostet. Ich hole die Tasche hervor, höre Perwin nach Luft hinter mir schnappen. Langsam werde ich reizbar. Sie soll sich um ihre Aufgaben kümmern. "Jetzt geh deine Biosachen machen", murmele ich. Erst, als sie sitzt, nehme ich das eingedeckte schwarze Kleid raus. Ich weiß nur, dass es lange Ärmel hat und schulterfrei ist. Über die Länge und den restlichen Schnitt kann ich erst etwas sagen, wenn Perwin das Zimmer endlich verlässt. Solange mache ich mich an meine Punkte ran, die ich mit ihm besprechen will.
Verhandlung mit einem Mörder, lautet der Titel meiner iPhone-Notizen.
1. Finanzielle Absicherung. Es ist zwar mehr als nur offensichtlich, dass er Geld besitzt, aber ich will wissen, was dahintersteckt.
2. Bildungsgang. Hat er studiert? Eine Ausbildung gemacht? Wozu? Was war seine Abschlussnote? Was ist sein Ziel oder ist sein Ziel gewesen?
3. Haltung zur Frau. Was definiert er als Frau? Was muss sie seiner Ansicht nach tun und lassen? Was toleriert er? Was akzeptiert er? Was wünscht er sich?
4. Religion. Praktiziert er seine Religion? Was weiß er über seine Religion? Was tut er für seine Religion? Ich gehe mal davon aus, dass er ebenfalls Moslem ist, denn durch meine Akte müsste er ja wissen, dass ich eine bin und dass ich nur einen Moslem heiraten darf.
5. Zukunftsvorstellungen. Möchte er weitere Ziele verwirklichen? Möchte er unbedingt Kinder haben?
6. Erwartungen. Was erwartet er von mir in der Partnerschaft? Hat er ... Bedürfnisse? Dumme Frage, natürlich hat er sie.
Scheiße! Ich fahre mir über mein Gesicht. Wie soll ich mich auf die Bedürfnisse einer Person einlassen, die ich nicht liebe? Ich streiche den Punkt mit den Bedürfnissen. Von mir aus verschiebe ich es bis nach der Hochzeit ... Hochzeit, ich denke ja richtig optimistisch! Ich mache mit dem nächsten Punkt weiter:
7. Interessen. Hat er Hobbys? Eine Leidenschaft? Wie lange schon? Weshalb? Ein Lieblingsgenre?
8. Was mag er überhaupt nicht?
9. Konsum. Konsumiert er etwas? Alkohol? Drogen? Tabak? Besucht er Casinos? Sollte er auch nur eins der Sachen wirklich konsumieren, werde ich ablehnen. Niemals. Ich will keinen Säufer und einen verfickten Junkie erst recht nicht. Ich toleriere das Rauchen nur bei meiner Mutter und das nur, weil sie danach nicht so ekelhaft stinkt. Mit meinem Asthma reagiere ich sowieso auf den sanftesten Rauch.
10. Geschichte. Was ist seine Geschichte? Wie kam es dazu, dass er dieses Leben führt? Was für ein Leben führt er? Wie war seine Kindheit? Hat er ein prägendes Ereignis erlebt? Etwas, was sein Gehirn anders verschaltet hat? Wie steht es mit seiner Krankengeschichte? Besitzt er eine vererbbare Krankheit? Ein familiäres Risiko eine Erkrankung zu bekommen? Sind Depressionen, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bestehend in seiner Familie? Ich brauche ihn nicht fragen, ob er Sport macht. Das sieht man, auch wenn er einen Mantel trägt.
11. Grenzen. Wo hört der Spaß für ihn auf? Ich will eine weitere Frage ansetzen, als ich höre, wie Perwin ihr Buch zuklappt und ihre Sachen nimmt. Zeit, um sich das Kleid anzusehen.
Ich schließe hinter ihr die Tür ab und drehe mich zum schwarzen Paket, das mehr kostet, als ich im Monat verdiene. Ich will es anziehen. Sofort. Sobald ich mir neue Sachen gekauft habe, muss ich sie so schnell wie möglich tragen oder benutzen. Ich kann nicht warten und ziehe mich schon bis auf die Unterwäsche aus, greife nach dem schwarzen Kleid. Es ist schlicht, bodenlang und verläuft elegant in die Breite an meinen Kniekehlen. Ich schlüpfe sofort in das teure Kleid. Der Reißverschluss lässt sich butterweich schließen und wow! Es schmiegt sich wunderbar an meine Hüften und an meine Brust. Ich gebe ein überwältigtes Keuchen von mir. Ich sehe verdammt gut aus in diesem Kleid. Meine Hüften und die Hipdips sehen so unfassbar schön aus und meine Brüste wirken größer als sie sind. Nur mein Bauch wird dadurch hervorstechen ... ich hasse meine ganze Familie dafür, dass sie mir den Spaß an meinen Körper mit ihren Idealen verderben. Ich bin nicht dick. Ich habe eine ganz normale Figur. Es ist normal, dass der Bauch größer wirkt, wenn man isst. Das ist natürlich. Das ist physiologisch! Ich lasse mich selten und dass nur für einen kleinen Augenblick davon beeinflussen. Aber jetzt nicht. Nein. Ich strecke die Schultern durch, auf denen sich Highlighter perfekt machen würde. Ein scharfer, schwarzer Eyeliner, dunkellila Nägel und eine Kombination aus dem Lippenstift, den ich mir gekauft habe und Dijans Lipgloss. Ja! Und meine Goldkette mit dem lila Tropfenanhänger. Mein Outfit ist fertig. Ich will noch die Schuhe anziehen. "Wow!" Ich bin mindestens zwölf Zentimeter größer jetzt. Mit dem dicken Plateauabsatz ist auch nichts anderes zu erwarten, aber dadurch schleife ich nicht mehr den Stoff über den Boden. Er hat es durchdacht. Ich sehe wunderschön aus. Edel, anmutig und mysteriös. Ich stelle mir vor, wie er hinter mir steht und erschaudere deshalb am ganzen Körper.
Und als würde meine Seele sich danach sehnen, stelle ich mir vor, wie ich mich an ihn schmiege.
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Was haltet ihr von den beiden bis jetzt?
Was denkt ihr, passiert beim Treffen?
- Helo
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