Kapitel 49
"Willst du vielleicht noch näherkommen?" "Wenn du mich schon so großzügig fragst, traue ich mich endlich zu sagen, dass ich am liebsten unter dein Oberteil schlüpfen möchte." Ich seufze. Azad klebt an meinem Rücken, hält es für außerordentlich wichtig, so nah an mir zu stehen, damit ich keine weiteren Kopfschmerzen auslöse durch das Schießen, weil meine Haltung immer noch nicht die Beste ist. Dass ich seinetwegen schwitze, ist ihm aber herzlichst egal. Wenigstens riecht er gut. "Visieren." Tue ich. "Bereit?" Ich summe nur, schüttele den kleinen Schauder ab und warte auf das Startsignal. "Schieß." Der Schuss drückt mich ein weiteres Stück an seine warme Brust, obwohl ich dachte, dass es nicht näher gehen würde. In meinen Ohren surrt es wieder durch den lauten Knall und ich bin schon wieder frustriert. "Ich habe doch auf die Mitte gezielt!" Wieso treffe ich dann nicht die Mitte? "Dein Arm ist eben nicht dein Auge, Schneeflocke. Das bedarf viel Übung und Erfahrung." "Aber mein Arm ist auf Augenhöhe!" "Auf Augenhöhe, aber nicht eins zu eins. Versuch ein wenig versetzter zu zielen. Es gibt auch Waffen mit integriertem Laser. Damit lasse ich dich auch einmal schießen und mit denen wirst du sicherlich besser umgehen können. Lass dich nicht von der Waffe ärgern. Du bist gut." Bin ich nicht. Ich weiß, dass es dumm ist, sich mit einem erfahrenen Mann zu vergleichen, aber diese schlechte Eigenschaft werde ich einfach nicht los!
"Und du bist schon sehr geschickt mit den Messern. Dadurch, dass du bald auch noch die Anatomie lernst, wirst du mir und Aras weitaus überlegen sein." Apropos Aras ... wir haben beschlossen, ihn heute mal einzuladen. Wie es wird, weiß ich nicht und ich bereue es jetzt schon halb. Ich weiß einfach nicht, wie es sein wird und ich kann es mir nur unangenehm vorstellen. Das ist auch der Grund, weshalb ich die Halle gar nicht verlassen will und als würde Azad es erahnen, nimmt er mir die Waffe ab. "Wir sollten langsam los. Uns erwartet immerhin ein Gast." Na toll. Meine Lippen zucken demotiviert. "Möchtest du mir etwas sagen?" "Wolltest du nicht endlich wieder zurück in die Firma?" Jetzt zucken seine Lippen. Nur ist er amüsiert. "Ich bin noch zu sehr an das Home-Office gewöhnt und an die Nähe meiner schönen Ehefrau." Kaum beendet er seinen Satz, zieht er mich an sich. Die plötzliche Wucht lässt mich keuchen. Ich halte mich an seinen Schultern fest. "Wie soll ich mich dazu zwingen, zurück in mein Büro zu gehen, ohne meine Schneeflocke um mich herum zu haben?" "Wie willst du es dann machen, wenn ich dann studiere?" "Vielleicht sitze ich in den Vorlesungen neben dir?" Das fehlt noch. Und doch finde ich die Vorstellung so lustig, dass ich schmunzeln muss. "Wäre nichts Überraschendes. Immerhin bist du immer zu meiner Arbeitsstelle gekommen." Verrückt, wie schnell die Zeit verfliegt. Ich vermisse die Zeit irgendwie.
"Ich hole dich an deinem ersten Tag an der Uni ab, nachdem ich dich dort abgesetzt habe. Willst du eine Schultüte für den ersten Tag?" Die Vorstellung lässt mich wieder schmunzeln. "Ich habe nicht meinen ersten Tag an der Grundschule." "Du bist doch erst seit gestern auf der Welt." Wenn man es auf meine veränderte Lebenslage bezieht, dann stimmt es. "Daran erinnerst du dich noch? Ich dachte, in deinem hohen Alter vergisst man alles nach zehn Minuten." "Das Wichtige bleibt im Kopf und im Herzen, meine schöne Tulpe." Meine schöne Tulpe. Dieser Mann lässt mich zu oft lächeln. Wir beginnen zu tänzeln. Die Hand, in der die Waffe liegt, ruht jetzt auf meinem Kreuz. Die andere hält meine Hand. "Was sollen wir heute essen?" "Ich kann auch bis zum Nachtisch hungern." "Das wirst du noch", erwidere ich lächelnd. Noch habe ich nicht mit ihm abgeschlossen und werde ihn noch mindestens einmal foltern, bevor er irgendwann einen Orgasmus kriegt. Was das betrifft, habe ich mich für das Hormonschirmchen entschieden. Wenn ich die Höchstdosis nehme, habe ich einen Verhütungsschutz von fünf Jahren. "Ich muss einen Termin bei der Gynäkologin machen." "Du hast dich entschieden?", fragt er mich überrascht. Ich summe bejahend. "Will es schnell eingesetzt bekommen." Warum grinst er jetzt so schief?
"Wieso so ungeduldig? Kannst du es nicht mehr abwarten, mit deinem Mann zu schlafen?" Wenn ich ehrlich bin, hatte ich gestern einen Traum ... und ich bin froh, dass Azad so tief schläft. Ich weiß nicht, ob ich auch außerhalb des Traumes stöhne, aber sicher ist, dass ich nicht nur im Traum gekommen bin. "Sicher ist sicher." Sein Schmunzeln bleibt und es steht ihm unverschämt gut. Er ist ein hinreißender Mann und genau deshalb will ich jetzt schon abgesichert sein, für den Fall, dass ich mich doch nicht mehr zurückhalten kann. Er kann meine Gedanken nicht lesen, aber es ist nicht zu schwer zu erraten, wenn ich ihn mit halb offenen Augen ansehe und langsamer atme. Und immer wieder zwischen seine Beine schiele. "Was immer du dir wünschst." Seine Lippen senken sich warm auf meine. Kurz, aber schön. "Was wird es?" "Das Schirmchen. Hormonspirale nennt man es auch." Er summt. "Stellt eure Firma so etwas nicht her?" "Tatsächlich nicht. Sollten wir es in Betracht ziehen?" "Wieso nicht? Bringt doch Geld oder nicht?" "Wenn es sich gut verkaufen lässt, dann ja." Azad hebt seinen Arm, um mich zu drehen und meinen Rücken an seinen Oberkörper zu drücken. Ich erschaudere minimal. "Du besserst dich", setzt er leiser an. "Manchmal reagierst du überhaupt nicht, wenn du mir deinen Rücken zudrehst. Du machst sehr gute Fortschritte, Schneeflocke. Ich bin stolz auf dich." Sobald er mir diesen Satz mitteilt, schmelze ich dahin.
Es ist verrückt, dass ich so schnell eine so verankerte Reaktion bei ihm schon fast abgelegt habe. Über Jahre bin ich zusammengezuckt, hatte Gänsehaut und spürte den Schauder am gesamten Körper, sobald jemand Männliches hinter mir vorbeilief und jetzt schmiege ich meinen Rücken enger an seine Brust. "Ich sollte dich dafür belohnen. Welches Auto wünschst du dir?" "Du willst mir ein Auto dafür schenken, dass ich mich bei dir wohlfühle?" "Ist das zu wenig? Willst du noch einen See?" "Ich liebe meinen See. Den würde ich gegen keinen anderen eintauschen." Azad schweigt einen Moment. Dann spüre ich, wie sich sein Kinn auf meine Schulter legt. "Ich bin eifersüchtig." "Worauf?" "Auf den See." Ich pruste los, weil er sich so ernst anhört. "Du bist eifersüchtig auf einen See?" "Bin ich", erwidert er trocken. Moment, meint er das gerade ernst? Ich drehe mich prüfend zu ihm um und oh mein Gott, Azad ist tatsächlich eifersüchtig! "Was ist los?" "Der See kann froh sein, keine Nerven zu haben." "Hättest du ihn sonst gefoltert?" "Hätte ich", erwidert er vollkommen ernst. Ich kann gerade überhaupt nicht einschätzen, ob er es wirklich ernst meint oder gleich wieder der verspielte Azad ist. "Warum?" "Weil ein See vor mir die Aufmerksamkeit bekommt, die ich will." Oh Gott, was ein Riesenbaby! Ich verdrehe meine Augen stöhnend, drücke ihn an seinem Dickschädel wieder an mich. "Lass uns gehen."
Azad ist wirklich schlechter gelaunt. Er ist tatsächlich eifersüchtig auf den See! Ich hoffe, dass der See morgen nicht weg ist. Es schmeichelt mir schon ein wenig, aber es ist ein gottverdammter See! Und wieso lädt er jetzt die Waffe durch? Ich lasse mich von ihm verdutzt zur Seite ziehen, nur um Zeuge von vier perfekten Schüssen in die Mitte des Männchens zu werden. Einhändig. Ohne Zeit zum Visieren zu nehmen. Wow. "Komm", setzt er ernüchtert an, als er seine Hand auf mein Kreuz legt und mich zum Maserati dirigiert. Armer Azad. "Bist du wirklich sauer?" "Es kratzt an meinem Ego, dass ein See tatsächlich meine Konkurrenz ist", erwidert er bescheiden. Ich muss mir auf die Unterlippe beißen, um nicht loszulachen. Er kann wirklich zu süß sein. Ich fahre ihm schmunzelnd über seinen freien Oberarm. Dieses dunkelgrüne Polohemd steht ihm ausgezeichnet. "Du schmeichelst mir." Er brummt nur. Mein Ehemann ist tatsächlich eifersüchtig wegen eines Sees. Ich kann es nicht glauben! "Ich habe mich doch für dich entschieden und nicht für den See." "Sehr schmeichelnd", erwidert er matt. Mein Riesenbaby ist traurig. Deshalb fahre ich ihm aufmunternd über seinen Oberschenkel, den er abgelenkt betrachtet. "Schau auf die Straße." "Das Auto kann automatisch fahren. Wenn du dich auf meinen Schoß setzen möchtest und mir deine Liebe zeigen willst, stelle ich den Autopiloten ein." "Netter Versuch, aber ich vertraue der Technik nicht so sehr." "Lieber mir?" "Kannst dich glücklich schätzen", schmunzele ich, als ich seinen Schenkel drücke.
Wir kommen schnell zu Hause an. Ich schicke Azad hoch zum Beten, während ich meine Katzen einsammele und sie als Wärmeflasche-Ersatz benutze, als ich mich im Wohnzimmer aufs Sofa lege. Zwar flüchten sie direkt, aber die kurze Wärme tat gut. Mein Bauch ist aufgebläht und ich habe dumpfe Rückenschmerzen. Zum Glück sind meine Periodenbeschwerden auszuhalten. Nur selten habe ich starke Unterleibsschmerzen, die man mit Schmerzmitteln kurieren muss. Ich habe sie heute Morgen bekommen und dennoch weiß ich, dass ich Azad morgens für das Gebet wecken muss. Aras wird heute kommen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie es wird. Wird er wieder etwas sagen, damit ich ihn ärgere? Wird er mich fragen, wieso ich Drogen so verabscheue? Was werde ich ihm antworten? Werde ich ihn wieder ärgern? Ich kann mir beim besten Willen keine Situation ausmalen. "Worüber zerbrichst du dir den Kopf?" Ich schaue träge zu ihm hoch. Sein Haaransatz ist noch feucht von der Gebetswaschung und ich sehe schon, wie sich die Haare langsam kräuseln. "Ich weiß nicht, wie das Aufeinandertreffen wird." "Es wird gut. Dilnia kommt auch. Wir machen uns einen gemütlichen Tag." "Ich wusste gar nicht, dass Dilnia kommt." "Ich auch nicht, aber Aras hat mir erzählt, dass er Angst hat und daher hat er sich mentale Unterstützung geholt." Ich schmunzele, genau wie Azad, der sich neben mich niederlässt und meine Beine über seinen Schoß legt.
"Möchtest du neue Schuhe?" "Hab doch genug." "Wieso willst du nur ein Paar weiße High Heels?" "Reicht ein Paar nicht?" "Ich will die Fußkettchen an mehreren Modellen sehen." Er fährt mein Schienbein hinab bis zu meinem Fußgelenk, wo ich ihn abbremse und warnend ansehe. "Ich habe immer noch keinen Fußfetisch", beteuert er. "Dann beachte meine Füße nicht." "Aber der Nagellack-," "Ruhe!", warne ich ihn. Ich finde meine Füße nur mit Nagellack erträglich, aber das gibt ihm noch lange nicht das Recht, sie anzusehen. "Ach, Schneeflocke, ach." Er fährt lächelnd über mein Schienbein. "Ich finde jede Partie deines Körpers schön. Vor mir brauchst du nichts zu verstecken. Nicht einmal deine blutigen Slips." "Hast du ernsthaft im Wäschekorb meinen Slip herausgefischt?" "Nein, aber als ich heute nach dem Frühstück duschen wollte und meine Wäsche in den Wäschekorb geben wollte, habe ich mich gefragt, seit wann meine schöne Ehefrau rot-pinke Unterwäsche hat." "Azad!", knurre ich. Dieser Typ ist krank! "Was denn?", lacht er. "Du sollst nicht in meiner Wäsche schnüffeln!" "Tue ich doch nicht. Ich kann doch nichts dafür, dass dein süßer Slip in Blut getränkt ist." "Sei still!" Dieser Mann braucht dringend eine Therapie. Ich kann mir sein Grinsen schon vorstellen, als er den Slip gesehen hat. "Ich muss zugeben, dass mich Blut auf Kleidung anturnt." Ich stöhne resigniert auf, lege mir eine Hand an die Stirn. Natürlich erregt ihn so etwas. Wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen?
"Bitte nenn mir jetzt all deine Fetische, damit ich es verarbeiten kann und in Zukunft weniger entsetzt bin", murmele ich erschöpft. Dieser Mann macht mich fertig! "Ich bin da Bescheiden, Schneeflocke. Mir reicht es schon, wenn du vor mir sitzt, ich stehe und du mich mit deinen schönen Augen ansiehst." "Das ist kein Fetisch." "Eigentlich schon." "Kein kranker Fetisch", korrigiere ich mich und schon schleicht sich ein ertaptes Grinsen auf seine schönen, vollen Lippen, als er den Blick wieder auf meine Beine senkt. "Wie ich dir schon an deinem Geburtstag erzählt habe, könnte ich Stunden damit verbringen, dich zu suchen und zu überwältigen. Ich will deine Nervosität spüren, wenn ich dich erwische. Ich will, dass du versuchst, zu fliehen, wenn ich dich in meinen Händen halte. Ich will dich an deinen Haaren gegen die Wand drücken, dir dein süßes Kleid vom Körper reißen, dir den Mund zuhalten und dich ficken, bis deine schönen Beine zittern und du erschöpft gegen meine Brust fällst." Mein Mund öffnet sich überwältigt. Das ging mir jetzt zu schnell. Seine Finger kreisen langsam auf meinem Schienbein. Sein Blick zeigt, wie abgelenkt er ist. "Ich mag es ungezähmt. Beiß mich, bring mich zum Bluten, Avin. Ich will das. Ich will dich jetzt am liebsten aufs Sofa drücken und dir zeigen, wie brutal ich es will." Ich halte die Luft an, als er seinen Blick anhebt. Seine Pupillen sind geweitet. Sein Blick wirkt so einnehmend. "Aber ich halte mich zurück. Ich kann bei deinem ersten Mal nichts dieser Vorstellungen in vollster Form umsetzen. Das wäre falsch."
Ich habe keine Worte. Er hat mir vor Tagen auf der Hollywoodschaukel sogar gesagt, dass ich ihn zum Bluten bringen soll, aber ich habe gar nicht verstanden, dass er es wirklich ernst meint. "Wow", ist das Einzige, was ich von mir gebe und geben kann. Das war wirklich ... wow. Und ich weiß, dass es nur die Hälfte ist. "Ich habe viele Gedanken. Vieles davon könnte man als moralisch verwerflich deklarieren, aber solange es einvernehmlich ist, passt es." "Was denn zum Beispiel?" "Sicher, dass es dir nicht zu viel wird?" Ich nicke. Ich werde schon damit klarkommen. Azad atmet einmal tief durch, ohne einmal den Blick von mir abzuwenden. "Stalking", setzt er an. "Ich verfolge dich den ganzen Tag. Jeden deiner Schritte und dann, wenn du zu Hause ankommst, überwältige ich dich." Keine Reaktion. Ich stelle es mir nicht sonderlich aufregend vor, wenn ich ehrlich bin, aber ich verstehe es auch nur halb. "Als Unwissende kann das entweder verstörend oder unspektakulär wirken. Jedoch ist es etwas komplett anderes, wenn man es dann umsetzt. Kein anderer darf davon erfahren. Das Stalking findet in der Öffentlichkeit statt, also kann man jederzeit erwischt werden. Wann werde ich dich fangen, Schneeflocke? Du weißt es nicht." Ich weiß es nicht. Ich weiß es tatsächlich nicht. Das ist verrückt. Ich erschaudere leicht deshalb. "Ist es zu viel für dich?" Tatsächlich nicht. Ich schüttele den Kopf. Klar, es ist etwas Neues, aber wirklich verstört bin ich nicht.
"Gut. Komm her." Als hätte mein Körper auf diese Forderung gewartet, nehme ich seinen ausgestreckten Arm und lasse mich auf seinem Schoß nieder. Das tut gut. Das tut mir unbeschreiblich gut. "Wann willst du zur Gynäkologin?" "Am liebsten morgen, aber morgen hat die Praxis zu." "Fühlst du dich bereit für mehr?" Irgendwie schon. Ich fühle zumindest nichts, was dagegensprechen sollte. Ich vergrabe mein Gesicht in seiner warmen Halsbeuge, knöpfe das Polohemd auf, damit ich mehr Zugang zu seiner gut duftenden Haut habe. "Ich habe ein Ferienhaus in der Schweiz. Wir sollten noch vor deinem Studienbeginn dort hin. Aber im Winter ist es auch schön dort. Dann friert der See zu." Ich schmunzele gegen seine Haut und spüre, wie sich seine Hand warnend gegen meine Hüfte drückt. "Ärgere mich nicht." "Ich mache doch gar nichts", grinse ich. "Du bist eine sehr freche Geschäftsführerin. Man sollte seine besten Partner nicht ärgern." "Stimmt. Man wirft sie lieber in den See." Azad brummt, doch ich rechne nicht damit, dass er mich urplötzlich aufs Sofa drückt und sich über mich stemmt. Seine Locken fallen vor seine Stirn. Er sieht gut aus, vor allem aus diesem Winkel. "Was geht dir durch deinen hübschen Kopf, dass du so schief lächelst, Schneeflocke?" Mein Lächeln wird nur noch stärker, als auch er schief lächelt und Gott, wenn er nur wüsste, wie sehr mein Bauch kribbelt. "Du siehst aus diesem Winkel recht gut aus." "Recht gut?", wiederholt er mit angehobener Augenbraue.
"Ja, recht gut." Meine Finger fahren langsam seinen Hals hinab zum offenen Kragen, necken dort die Haut, bevor ich ihn an seinem Kragen zu mir hinabziehe, aber nicht den Plan verwirklichen kann, ihn zu küssen, als es an der Tür klingelt. Wer stört jetzt? Azad erhebt sich, hilft mir, mich aufzusetzen, bevor wir zur Tür gehen. Ich rechne damit, dass es Jamal ist oder einer der anderen Sicherheitsmänner, aber mein Bauch zieht sich zusammen, als ich Aras sehe. Aras und Dilnia. Aras sogar mit einem Blumenstrauß in der Hand. Dilnia umarmt Azad voller Freude, springt dann in meine Arme. Wollten sie nicht später kommen? Ich bin gar nicht vorbereitet. "Hi!" Dilnia zieht die Begrüßung wie gewohnt in die Länge, als sie mich innig umarmt. "Hey, wolltet ihr nicht später kommen?" "Doch, aber ich habe euch vermisst, also sind wir jetzt schon hier. Ich habe Lust auf Pizza. Sollen wir etwas bestellen?" Sie löst sich von mir, um mich mit ihren blauen Kulleraugen anzustrahlen. Ich nicke, schaue zu Azad, der ebenfalls nickt. Aras steht immer noch betreten neben seinem Zwillingsbruder, den er gerade noch umarmt hat und sich jetzt noch halb in der Umarmung befindet. Ich weiß nicht, wie wir das jetzt angehen werden. "Komm, Dilnia. Willst du was trinken?", fragt Azad sie. "Ich will Drinks machen!" Dilnia streift sich ihre High Heels ab und rennt eifrig in die Küche. Azad lächelt mir zuversichtlich zu, als er ihr hinterhergeht und jetzt stehen zwei betretene Menschen voreinander und wissen nicht, was sie tun sollen. Bei mir ist es noch vorstellbar, dass ich steif im Flur stehe, aber bei Aras sonst so entspannten und selbstsicheren Einstellung? Fast unvorstellbar.
"Hey", setzt er leise an. So unwohl wie er sich fühlt, kratzt er sich den Nacken. Der Strauß in seiner Hand knistert wegen der Bewegung leicht. "Ich habe dir Blumen gebracht. Du reagierst nicht allergisch drauf, oder? Azad hat mir nichts dazu gesagt. Er meinte nur, ich darf keine lila Blumen und Tulpen holen." Hat er das? Meine Augenbraue hebt sich und ich muss mir mein Schmunzeln unterdrücken, als er die lila Blumen und vor allem die lila Tulpen in den Vasen hier im Flur erblickt. "Warum hat er das gesagt, wenn hier lila Blumen sind?" "Ist sein Privileg", antworte ich ihm. Soso, mein Ehemann möchte also nicht, dass mir andere Männer lila Blumen schenken. Gut zu wissen. "Ach so", murmelt er, als er auf den Strauß guckt. "Aber Lilien magst du, oder? Ich dachte mir, dass sie dir gefallen würden." Ich atme tief durch. Es ist wirklich sehr nett von ihm und in mir wird ein Teil ganz weich bei seiner Unsicherheit. "Ja, der Strauß ist schön." Rosa Lilien und weiße Rosen passen gut zueinander. Aras hält ihn mir hin und kaum nehme ich ihn ab, kratzt er sich schon wieder den Nacken. Er ist sehr nervös und wartet wahrscheinlich schon darauf, dass ich etwas tue, um ihm entgegenzukommen. Das Problem ist nur, dass ich selbst keine Ahnung habe, was jetzt zu tun ist. Wäre eine Umarmung jetzt angebracht? Ich weiß es nicht. Vielleicht? Ich hebe zögernd die Arme, gehe nur einen Schritt auf ihn zu, als er sich schon fast erleichtert auf mich fallen lässt. "Du weißt, wie man jemanden verunsichert", murmelt er. "Gut so", erwidere ich leise.
Die Umarmung tut gut. Sie macht mich, ehrlich gesagt, ein wenig emotional, aber die kleinen Tränchen wird er nicht sehen. Die werde ich mir gleich heimlich wegwischen. Wir lösen uns wieder voneinander. Ich halte vorsichtshalber den Blick auf die Blumen gesenkt, während er sich wieder seufzend an seinem Nacken kratzt. "Kannst schon mal ins Wohnzimmer", murmele ich und begebe mich auf den Weg in die Küche, wische mir heimlich die zwei kleinen Tränchen weg, bevor ich zu Azad und Dilnia trete, die gerade am Experimentieren sind. Es werden blaue Mocktails, wie ich sehe. Passend zur Augenfarbe der drei Geschwister. Azad lächelt mich zufrieden an, als er den Strauß in meinen Händen sieht. "Und? Gefällt er dir?" "Keine lila Blumen und keine Tulpen also?" Meine Augenbraue hebt sich vielsagend. Dilnia versteht nicht, was los ist, aber beeinflussen lässt sie sich auch nicht, weil sie so viel Spaß daran hat, Mischen herzustellen. "Manche Dinge dürfen nur von Auserwählten bewältigt werden." "Und wer hat dich als Auserwählten erwählt?", frage ich kess, als ich weiter zu ihm trete. Azad schmunzelt vielsagend. Sein Arm streckt sich hoch zum Wandschrank, um eine Vase für die Blumen zu greifen. Ich wäre ohnehin nicht drangekommen. "Manche Dinge ergeben sich." Damit nimmt er mir den Strauß ab. "Wir bringen gleich die Getränke. Geh dich schon mal setzen." Also auf in Runde zwei mit Aras.
Also gut. Ich trete ins Wohnzimmer, muss fast schmunzeln, als ich Aras steife Haltung sehe. Wenigstens fällt es mir nicht als Einzige so schwer, aber irgendwie wäre es vielleicht doch leichter, wenn Aras doch der verspielte, selbstgefällige Zwillingsbruder meines Mannes wäre. Aras sitzt auf dem mittleren Sofa rechts in der Ecke, wo Azad vorhin noch saß. Ich hingegen lasse mich auf dem Sofa nieder, auf dem ich bei meinem ersten Essen hier im Haus eingeschlafen bin. "Du schickst also Bücher an die Adresse meiner Freundin, scheust dich aber, sie anzuschreiben?" Seine Lippen zucken verräterisch. Da bringt es auch nichts, wenn er sich durch sein Haar fährt, um sich den Nacken daraufhin zu kratzen. "Ein kleines Geschenk tut doch keinem weh." "Stalking", setze ich an. "Ach, komm", erwidert er bescheiden. "Sie mag die Bücher anscheinend und wenn sie ihr im Studium helfen, helfe ich ihr. Das mit der Nummer ist ein wenig kompliziert, wenn sie mir aus dem Weg geht." "Du könntest dir die Nummer einfach so besorgen." "Könnte ich, aber ich würde doch wie ein komischer Stalker aussehen, wenn ich sie aus dem Nichts anschreibe." Ach so. Meine Augenbraue hebt sich. "Klar", erwidere ich stumpf. "Und? Wie geht es dir so?" Ich muss fast schmunzeln, als er dem Thema entgehen will. "Gut und selbst?" "Auch. Die Arbeit ist die Tage stressig, aber ich kann mich nicht beklagen." Er war ja auch betroffen, als sie an meinem Geburtstag überfallen wurden. "Und wie ging es dir nach der Auseinandersetzung mit Sherzads Männern?" Er stöhnt genervt auf.
"Dieser fette Bastard! Keiner will seine Tochter und deshalb lässt er uns nicht in Ruhe. Wenn man ein Clanmitglied ist und mit jemanden aus einem anderen Clan heiratet, dann profitieren diese Clans. Wir brauchen das aber nicht und er kommt nicht klar, dass ihm ein so wichtiger Schritt weggenommen wurde. Seitdem dreht er durch. Er gibt seine Tochter weiter, als wäre sie ein Fußball. Von uns wollte keiner sie heiraten. Azad hingegen ist ein komischer Romantiker und dachte sich, dass es vielleicht klappt, aber dann wollte er doch nicht und jetzt, wo sie wissen, dass er verheiratet ist, suchen sie Gründe für Krieg." Aras lässt sich seufzend gegen das Sofa fallen. "Ich bin dafür, dass wir ihn abknallen, aber alle anderen sind dagegen. Dabei haben wir genug Gründe." Haben sie tatsächlich. Er verschränkt seine Arme hinter seinem Kopf. "Ich bin auch dafür, dass wir Sherzad ein wenig vergiften. Nicht so, dass er direkt stirbt, aber dass er für einige Tage kotzen und gleichzeitig scheißen muss." Und jetzt schaut er grinsend zu mir. Ich weiß, was kommen wird. "Meine Lieblingsschwägerin hat doch zufälligerweise Ahnung von Bakterien oder nicht?" "Staphylococcus aureus." Er zückt sofort sein Handy. "Du bist die Beste", grinst er voller Eifer, den Begriff aufzuschreiben. "Schreibt man den mit C oder mit K?" "Mit C. Doppelt." Nun summt er verstehend, nur um kurz darauf diabolisch zu grinsen. Wahrscheinlich hat er den Begriff gegoogelt und wird sich heute die Grundlagen dazu anschauen.
"Übrigens", setzt er an, legt dann sein Handy wieder weg, als er zu mir schaut und sein schwarzes T-Shirt dabei richtet. "Ich wusste nicht, dass du so ein Problem mit Leuten hast, die kiffen. Ich mache das kaum. Ich ..." Aras verzieht betreten das Gesicht und kratzt sich heute zum fünften Mal seinen Nacken. Nicht, dass er heute Abend eine Hautirritation feststellt. "Ich habe nicht damit gerechnet, dass du so wütend wirst. Ich weiß nicht, was passiert ist, weil Azad mir nichts gesagt hat, außer, dass du schlechte Erfahrungen gemacht hast, aber wenn ich das gewusst hätte, hätte ich es niemals erwähnt. Ich kann verstehen, wieso du das nicht möchtest. Ich hoffe, der Draht zwischen uns wird dadurch nicht kaputtgehen. Ich mag meine Familie wirklich sehr." Ich mag meine Familie wirklich sehr. Der Satz trifft mich mehr als er sollte. Ich muss tief durchatmen. So etwas kenne ich nicht. In meiner Familie sagen wir so etwas nicht. Dementsprechend weiß ich nicht, wie ich darauf antworten soll. Er sieht mich als Familie und es stört ihn, wenn etwas innerhalb seiner Familie nicht stimmt. Ich senke wortlos meinen Blick auf meinen Ehering. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. "Ich hoffe, zwischen uns ist alles wieder gut." Ich nicke träge. Gerade bin ich zu nachdenklich und zu überfordert, um zu antworten.
Durch die schlechten Erfahrungen, die ich innerhalb meiner Familie gemacht habe, habe ich mich innerlich distanziert. Ein Jahrzehnt lang Kommentare zu meinem Körper zu hören und zuzusehen, wie sie immer wieder einen Junkie in unser Leben lassen und kaum etwas dagegen tun, waren mit den dadurch entstehenden Auseinandersetzungen Grund genug für mich, Distanz zu schaffen. Ich bereue es nicht, aber mir fehlt etwas tief im Inneren. Etwas, was seine Familie hat und zeigt. Zusammenhalt und eine richtige Bindung. Es ist verdammt traurig, wie etwas so Selbstverständliches doch so überwältigend und verstummend auf jemanden wirken kann, der es nicht kennt. Ich fahre mir träge über meine beringte Hand. Meine Augen schauen ohne jegliche Fokussierung auf einen losen Punkt am Tisch. Mich macht es nachdenklich. Wenn ich ehrlich bin, gibt es doch einen winzig kleinen Teil von mir - ein wirklich verdammt kleiner -, der doch vielleicht ein Kind haben möchte. Oder doch zwei. Damit ich es anders machen kann. Aber der größte Teil will keine Kinder und ich werde mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit dabeibleiben. Dafür bin ich nicht bereit, so schön es auch sicherlich wäre, eine solche Bindung zu schaffen, wie sie in Azads Familie herrscht. Ich kann mir vorstellen, distanziert zu ihnen zu sein und das will ich nicht. Aber genug dazu. Azad und Dilnia gesellen sich endlich mit den blauen Mocktails und Snacks zu uns. Sein Lächeln sagt mir, wie dankbar er ist und wie stolz er auf mich ist. Ich erwidere es leicht, lasse aber dann meinen Blick zurück zum Tisch schweifen.
Die Stunden vergehen schnell. Wir lachen viel. Es wird auch viel geredet, wobei ich mich eher zurückhalte. Mir ist nicht danach und mein Lächeln ist das eine oder andere Mal doch aufgesetzt. Wenn ich ehrlich bin, fühle ich nichts als Erleichterung, als die Tür wieder ins Schloss fällt und das Haus wieder für Azad und mich allein ist. Es war nicht unangenehm, aber ich brauche gerade meine Ruhe. "Alles in Ordnung?" Ich wusste, dass er mich fragen wird. So ruhig ich oft bin, kann er zwischen meiner normalen Ruhe und der verstummten Ruhe differenzieren. Und ich weiß nicht, ob ich ihm dafür danken oder ihn deshalb verfluchen soll. "Alles gut", murmele ich, als ich die Treppen hinaufsteige. Ich wusste, noch bevor er die Treppen aufsteigt, dass er es tun wird. Er wird nachhaken. Aber zuerst muss ich mein Gesicht waschen und meine Pflegeroutine durchführen. "Du bist so still." "Kann schon sein", erwidere ich, als ich meine Haare hinter meine Ohren streife, die er dann allesamt in seine Hand nimmt, als ich mich zum Waschbecken vorbeuge. "Habt ihr etwas Bestimmtes besprochen, als ich mit Dilnia noch in der Küche war?" "Nein", murmele ich. Das kalte Wasser tut meinen müden Zügen gut. Was mir weniger guttut, ist seine Hand, die über meinen Rücken fährt. Als würde er mich trösten. Es löst einen Strom an Gefühlen in mir aus, den ich unterdrücke. Durchatmen. Ich muss tief durchatmen.
Ich beende schnell das Waschen meines Gesichts und Dekolletés, creme mich ein und schalte auch schon das Licht im Schlafzimmer aus, um mich im Bett zu verschanzen. Dass Azad noch seine Kleidung trägt, fällt mir erst jetzt ein, aber er schläft doch sowieso nur in Boxershorts. Ich hingegen habe mich während des Besuchs schon umgezogen. Ich höre das Rascheln seiner Kleidung. Er legt sie in den Schrank und dann kommt er auch schon zu mir ins Bett. "Ich spüre doch, dass dir etwas fehlt." Fehlen ist das richtige Stichwort. Er zieht mich an seine Brust, küsst meine Schulter und umschlingt meinen Bauch. In seinen Armen kann ich mich geborgen fühlen, aber gerade fühle ich mich so schwach. Ich will deshalb nicht trauern. Das ist pure Energieverschwendung, aber ... es macht mich traurig. "Was ist passiert?" So viel. Und ich merke erst jetzt, was mir doch alles gefehlt hat. "Nichts." Es ist auch nichts vorgefallen. Es war nur eine Realisation. Mehr nicht. Ich komme schon klar. Es ist nur eine einmalige Sache. Einmal schwach werden und dann hat sich das Ganze auch schon erledigt. "Wieso bist du dann bedrückt?" Weil ich das sehe, was ich nie hatte. Ich dachte, ich bräuchte es nicht und ich sage es mir immer noch, aber es wäre sicherlich schöner gewesen, wenn wir als Familie auch so einen Zusammenhalt hätten wie Azad ihn mit seinen Geschwistern hegt und pflegt.
Ich drücke die Decke fester an mich. Näher an mein Gesicht für den Fall der Fälle, dass sich doch einige Tränen durch die Mauer pressen. Azad sagt nichts mehr. Er wartet, dass ich aus mir herauskomme, doch dort liegt die Hürde. Ich kann es gerade mal so halb im Kopf eingestehen. Wie soll ich ihm dann sagen, dass mir das fehlt, was ich immer in seiner Familie sehe? Ich komme mir so dumm deshalb vor. So penetrant. Ich brauche das überhaupt nicht. Ich kam mein ganzes Leben lang damit klar. "Aber es ist nichts, was Aras gesagt hat, oder?" Doch, ist es. Wenn ich es ihm aber bestätige, wird er denken, es sei etwas Negatives. Ich nehme einen tiefen Atemzug. "Ist schon gut." "Es fühlt sich aber nicht so an." "Das vergeht." "Vergeht die Trauer wirklich oder drückst du sie tiefer in dein Herz?" Die Trauer ist doch schon ein Teil von mir. Sie kann gar nicht mehr durch den Weg meines Herzes. Ich schließe müde meine Augen. Ob ich körperlich oder emotional müde bin, weiß ich gerade nicht. Vielleicht beides. "Sie bleibt nicht, keine Angst", flüstere ich, noch bevor sich meine Lippen traurig verziehen. Ich schaffe es mit aller Kraft, nicht verkrampft Luft zu holen, als mich eine Welle an Trauer übermannen will. Wogegen ich aber keine Chance habe, sind die zwei schweren Tränen, die sich ihren Weg sehr langsam über meine Augenlider bahnen. Deshalb habe ich auch die Decke nah an mein Gesicht gezogen. Ich muss nur den Kopf weiter senken und schon werden die Tränen aufgesogen.
Solange ich die Tränen meines Herzes in Stille ausschütten kann, werde ich in keinem Sturm ertrinken.
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Versteht ihr Avin?
- Helo
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