Kapitel 42
"Alles Gute zum Geburtstag, Schneeflocke." Ich kriege einen Kuss auf die Wange von Azad, die schon vom ganzen Lächeln wehtut. Vor mir leuchten die Zahlen zwei und vier aus lila schimmerndem Wachs auf einem Kalter-Hund-Kuchen umrandet von Crispy M&Ms. Auf dem Schokoguss sind sogar kleine Meersalz-Streusel drauf. Azad hat sich gemerkt, dass ich die Kombination aus Schokolade und Salzigem mag und hat damit wahrscheinlich den besten Geburtstagskuchen für mich gebacken. Es ist auch mein erster Geburtstagskuchen. Der erste, wirklich selbstgebackene und der wirklich als Überraschung gilt. Es ist auch das erste Mal, dass ich wirklich deshalb so stark lächele, dass mir die Wangen wehtun. Es ist 00:00 Uhr. Azad ist eigentlich müde und kaputt von der Arbeit, weil er heute noch in die Firma fahren musste und dann noch einmal für ein spontanes Meeting zu einer Firma in einer entfernteren Stadt, aber er ist wach geblieben und hat mir untersagt, die Küche zu betreten. Ich durfte den Kühlschrank nicht öffnen, weil ich sonst den Kuchen sehen würde, den er mir gebacken hat. "Ich wollte die Schokolade eigentlich lila färben, aber ich wusste nicht, ob das klappen wird mit der Zartbitterschokolade." "Passt schon. Sieht gut aus." Ich liebe Kalter Hund. Damit kann man nichts falsch bei mir machen, vor allem, wenn es noch mit Meersalz verfeinert ist.
"Gut." Er fährt mir über mein Haar. Mir gefällt es irgendwie, dass er neben mir steht. Azad ist so ein Workaholic, dass er noch seinen Anzug trägt - übrigens den dunkelblauen Dreiteiler, den ich so sexy an ihm finde, aber ohne Jackett. Dafür mit hochgekrempelten Ärmeln. Das Süßeste ist, dass er heute einen anderen für die Arbeit getragen hat. Er hat sich extra für mich schick gemacht, während ich wieder in meinen helllila Satinshorts und Hemdchen sitze. "Willst du ein Foto mit deinem Geburtstagskuchen?" Ich weiß wirklich nicht, wieso mich das so plötzlich trifft und verstummen lässt. Ich habe schon Fotos von mir als Kind mit einer Geburtstagstorte, aber ... ich ... keine Ahnung. Ich nicke einfach, blinzele gegen die kleinen Tränen, die sich auf meiner Wasserlinie ansammeln und wische sie dann verstohlen weg, als Azad sein Handy hervorzieht und sich gegenüber von mir niederlässt. Auf meinem rechten Jochbein spüre ich noch die Frische der weggewischten Tränenflüssigkeit. Aber das sollte nicht allzu sehr auffallen, zumal ich meine Abendroutine vor vielleicht zehn Minuten beendet habe. Ich weiß nur nicht, wie ich posieren soll. Steif sitzen und in die Kamera schauen, ohne zu lächeln? Ich bin nicht fotogen. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich posieren soll, stütze daher ahnungslos meine Ellbogen auf dem Tisch ab und umrahme mein Gesicht mit meinen Händen. "Genau so! Perfekt! Bleib bitte so." Oh ... okay. Azad lächelt sanft, während er fleißig Bilder von mir schießt und als wäre es eine Kettenreaktion, muss ich deshalb auch lächeln. Es fühlt sich schön an. Es fühlt sich wirklich schön an, Liebe zu bekommen.
"Das wird mein neues Hintergrund- und Sperrbild." Er dreht mir stolz sein Handy zu, um das Foto von mir zu zeigen, auf dem ich lächele. Das ist schön. Ich mag es. Es ist jetzt schon der schönste Geburtstag, den ich je hatte. Die Kätzchen tapsen um uns herum, beobachten dann Azad ganz konzentriert, wie er sich zu mir setzt und zu den Kerzen nickt. "Puste sie aus. Ich will dir ein Stück Kuchen geben." Es fühlt sich verdammt ungewohnt an, Kerzen auszupusten, obwohl es eine so simple Tat ist. Ich kann es nicht mit dem Auspusten normaler Duftkerzen gleichsetzen. Es ist anders. Ein wenig unangenehm, weil ich mir so amateurhaft vorkomme. Das liegt jedoch an meiner inneren Einstellung. Daran, dass ich nicht weiß, wie ich mich verhalten soll. Ich habe seit Jahren keinen richtigen Geburtstag mehr gefeiert und vor allem keinen Kuchen bekommen. Das hier ist etwas Besonderes. Es ist wie die erste Erfahrung. Es ist bedeutsamer als irgendein vergangener Kindergeburtstag, weil ich diesen Moment hier nicht vergessen werde. Er ist von wesentlich größerer Bedeutung. Azad nimmt die Kerzen raus, platziert sie auf dem Rand zu großen Tortenplatte und legt mir das Messer in die Hand. "Ich hoffe, er ist gut geworden." "Wenn nicht, wird das Messer nicht nur den Kuchen zerteilen." "Nicht doch, Schneeflocke. Wie soll ich die Bauchdecke in Ruhe heilen lassen, wenn ich dann über dich herfallen will bei deinen schönen Worten?" Ich schmunzele verlegen, als ich sein Kinn an meiner Schulter spüre. Idiot.
Der Kuchen lässt sich angenehm durchschneiden. Das liegt aber auch an der guten Qualität des Messers. Ich freue mich schon darauf, ihn gleich kosten zu dürfen, jetzt, wo Azad das erste Stück auf den Teller legt und ein Stück für mich aufgabelt. "Mund auf." "Befiehl mir nichts", warne ich ihn, doch er lächelt nur besonnen. "Öffne deinen Mund für mich, Schneeflocke. Bitte." Na gut ... aber nur, weil es sich so schön anhört. Azad unterdrückt sich sein Schmunzeln, aber seine Grübchen verraten ihn. "Was gibt es zu schmunzeln?" "Ich finde deinen Mund süß, Schneeflocke." "Nein." Ich schließe die Lippen um die Gabel, ziehe das Stück Kuchen zu mir und genieße die dunkle Schokolade in Kombination mit Keksstücken. Perfekt. Ein kleines bisschen salzig, aber vor allem cremig. "Ich darf deinen Mund nicht süß finden?" "Du darfst gar nichts." "Natürlich nicht. Alles läuft über die Regelungen und Konsens meiner Geschäftsführerin. Ich würde mich ihr niemals widersetzen." "Besser so." Der Kuchen ist ihm wirklich gelungen. Ich nehme den Teller an mich, um ihm ein Stück zu seinen schönen Lippen zu führen, die routinemäßig von meinen Fingern berührt werden, während er schläft. Es ist wirklich unglaublich süß, wie sehr sich Azad deshalb freut und wie sehr seine eisblauen Augen deshalb strahlen. Für einen Moment wirkt die Müdigkeit wie weggefegt.
Mein Blick fällt auf seine sinnlichen Lippen, die die Gabel umschließen. Der Oberlippenbart ist ein wenig länger und sein Bart ist im Allgemeinen dichter die Tage, aber es ist nichts, was ihn nicht noch attraktiver macht. Solange es kein Vollbart ist, habe ich kein Problem damit. "Gefallen dir meine Lippen, Schneeflocke?" Sehr. Ich will sie spüren. "Ich bringe sie gleich zum Bluten." "Mach mich nicht verrückt, sonst verschlucke ich mich am Kuchen." "Wäre mir lieber." "Stehst du auf Würgespiele?" Sein kauender Mund verzieht sich schmunzelnd. Dieser kleine, dreckige, blauäugige Mörder. "Ich will dich seit dem ersten Treffen würgen." "Gefällt mir." Oh Gott. Ich seufze. Das macht keinen Sinn, Azad zu bedrohen, wenn er es als Dirty Talk auffasst. "Nur wirktest du in dem Moment ziemlich verschreckt." "Ich wollte dich abstechen." "Und ich hätte es genossen." "Du bist krank." "Das stimmt. Seit dem ersten März bin ich krankhaft besessen von einer schönen Frau, ehemaligen Laborantin und zukünftiger Ärztin. Passend dazu kannst du ja deine Geschenke öffnen." Er holt die lila Kiste unter dem Tisch hervor. Schon wieder spüre ich Wellen an Überwältigung in mir. Ein Geschenk. Ich habe schon Geschenke bekommen, aber es hat sich nie wie eins angefühlt. Das hier ist sogar farblich angepasst. Ich weiß nicht, ob das mein Belastungstremor ist oder pure Einbildung, aber ich habe das Gefühl, dass meine rechte Hand zittert, als ich die schimmernde helllila Schleife ziehe.
Die Kätzchen springen sofort nach der losen Schleife, die vom Esstisch hängt und nach und nach vom Ziehen und Rütteln gänzlich auf den Boden ankommt. Ich stehe auf, ein wenig unsicher, als ich den Deckel greife. Ich brauche ein wenig, bis ich realisiere, dass es unter anderem ein lila Stethoskop ist. "Ich dachte mir, als Ärztin brauchst du das entsprechende Equipment und was ist da wichtiger und besser als ein handgefertigtes Stethoskop?" "Du hast das gemacht?" Meine Stimme ist ein halb stabiles Gemisch aus Heiserkeit, Zittern und Überwältigung. "Nur das Beste für meine schöne Schneeflocke. Gefällt es dir?" Ich nicke. Das ist mein Stethoskop. Mein erstes Stethoskop. Ich hebe es an, spüre schon den sofortigen Gewichtsunterschied des Doppelkopfs zu den billigen Flachkopfstethoskopen, die man während des Pflegepraktikums benutzen musste, um den Blutdruck der Patienten zu messen. Die Gummihülse, die den Schlauch und Schlauchhals bildet, glänzt in einem schönen, pastelllila. Das Bruststück ist beeindruckend schwer und auf der Membran schimmern golden die Initialen AD. "Avin Dastan." Ich nicke. Das war mir klar. Das Lustige ist, dass es auch für Azad Dastan stehen kann. "Damit kannst du auch immer meine Tachykardie abhören. Ich habe Membranen benutzt, die wir für die Produktion kardiologischer Stethoskope benutzen." Und diese sind extrem teuer. "Du hast das beste Stethoskop der gesamten Universität." Ich lächele. Und ich spüre wieder Tränen in meinen Augen.
"Lass es mich dir um den Nacken legen. Du sollst dich schon mal in die Rolle deiner Zukunft einleben." Er weiß nicht, wie viel mir das bedeutet. Er kann sich gar nicht vorstellen, wie wertvoll dieser Moment für mich ist. Mir rollen zwei dicke Tränen über meine Wangen, als ich ihm wortlos das Stethoskop überreiche und dann das kühle Material des Schlauchs auf meiner Haut spüre. Er weiß nicht, wie oft ich geweint habe, weil ich schon wieder nicht angenommen wurde. Er weiß nicht, wie oft ich für das Tahajjud-Gebet im letzten Drittel der Nacht aufgestanden bin, nur um unter Tränen für eine Zusage zu beten. Er weiß nicht, wie oft mich der alleinige Gedanke an eine Zusage weinen ließ. Azad dreht mich zu sich und sofort fällt sein Lächeln. "Was ist los?" Du lässt mich all das fühlen, wonach ich mich über Jahre gesehnt habe. Ich zucke schniefend die Schultern, lasse mir die Tränen von ihm wegwischen. "Ist schön." "Sicher?" Ich nicke. "Es ist schön, endlich seinem Traum einen großen Schritt näherzukommen." Und es ist schön, ihn lächeln zu sehen. "Das stimmt. Wenn es Freudentränen sind, bin ich beruhigt." Mich beruhigt das sanfte Zusammendrücken meiner Wangen durch seine warme Hand. "Willst du weiterschauen?" Will ich. Unbedingt. Ich war mir noch nie bei einem Geschenk so sicher, dass es mir gefallen wird, wie bei diesem hier. Meine Hände greifen nach dem weißen Stoff, wohl wissend, was es ist. Ein Kittel! Ich habe während meiner Zeit im Labor einen Kittel getragen, aber der hier ist trotzdem viel schöner. Er wirkt angepasst an meine Maße. Sogar mein Name ist eingenäht an der Brust.
Ich finde noch eine farblich passende Diagnostikleuchte, ein lila farbiges Butterfly-Messer und eine Menge an Bücher, die ich mir holen wollte. Daneben sind sogar mehrere Textmarker in den verschiedensten Lilatönen und eine Sache, die ich sehr speziell finde. Ich hebe überrascht den winzig kleinen kristallinen Schneeflockenanhänger an, in dem Blut schwimmt. "Es würde mich ehren, wenn du sie tragen würdest." "Ist das wirklich-," "Ist es, Schneeflocke." Oh ... okay. Interessant. "Woher hast du den Anhänger?" "Ich kenne jemanden, der sowas herstellt. Da dachte ich mir, es passt doch eine kleine Schneeflocke mit meinem Blut." Ich bin verdutzt. So ein Geschenk hatte ich noch nie. Ich hebe den Anhänger erneut an, halte ihn gegen das Licht. Welche Blutgruppe hat er eigentlich? "Oder ist dir das zu viel?" "Nein", murmele ich. "Ich finde es cool." Wirklich. Das ist echt mal etwas anderes und passt zu unserer komischen, kranken Beziehung. Ich halte Azad die goldene Kette hin und deute ihm zu, sie mir umzubinden. Es kribbelt sanft meinen Rückgrat entlang, als ich ihn nah hinter mir spüre. Das ist neu, glaube ich. Ich weiß es nicht. Die sachten Berührungen beim Schließen der Kette kitzeln meine Haut, aber ich mag es. Was ich auch mag, ist Azads Hand, die sich von hinten unter meinen Kiefer auf meinen Hals legt, um mein Gesicht zu ihm hochzuheben.
"Steht dir." Er lächelt ... und mein Bauch kribbelt deshalb. Ich lächele unwillkürlich mit, so warm sich mein Gesicht auch anfühlt. Als ich mich dann langsam zu ihm umdrehe, bemerke ich erst jetzt wieder, wie müde er doch ist. Die kleinen Äderchen in seinen Augen wirken erschreckend attraktiv. Wer weiß, wie gut er aussieht, wenn er blutet? "Geh schlafen, alter Mann." Er grinst. "Alter Mann, hm?" Azad packt mich urplötzlich an meinen Hüften, um mich an sich zu pressen. "Azad!", keuche ich. "Dafür, dass ich alt bin, kann ich noch ziemlich schnell zugreifen." "Nicht vor den Kätzchen!" Die liegen gerade gemütlich in einer Ecke und sind kurz davor, einzuschlafen. "Ich setze es im Schlafzimmer fort." "Dein Seniorenschlaf sollst du auch dort führen. Woanders kriegst du Rückenschmerzen." "Das könnte tatsächlich passieren. Ich akzeptiere nur eine Form von Schmerzen." Mein kleines Lächeln nimmt ab, als er mir über meine Lenden fährt. "Die deiner Hände." Okay, das geht in eine andere Richtung und ich weiß nicht, wie schnell es geht, bis er erregt ist, also beende ich das Ganze schnell - egal, wie stark sich mein Unterleib bei dem Gedanken zusammenzieht - und bringe meine Geschenke hoch. Den Kuchen stellt Azad in den Kühlschrank. Morgen kann ich Platz für die ganzen Sachen finden. Jetzt will ich liegen und diesen schönen Moment Revue passieren lassen. Am liebsten in seinen Armen.
Azad gesellt sich endlich zu mir ins Zimmer. Eigentlich möchte ich gar nicht, dass er sich die Weste auszieht, weil er so unbeschreiblich attraktiv darin aussieht und seine breiten Oberarme in diesem hellblauen Hemd so unverschämt gut betont werden, aber ich kann es ja noch ein wenig genießen, indem ich ihm beim Ausziehen helfe. "Komm her." So wie er reagiert und sich sein kleines Lächeln unterdrückt, hat er nur darauf gewartet. Der alte Mann hat das geplant. Ich setze mich schmunzelnd an die Bettkante, greife nach der dunkelblauen Krawatte, um ihn daran grob zu mir hinunterzuziehen. "Knie dich hin." Und er tut es, ohne Widerspruch zu leisten. Nein, stattdessen weiten sich seine Pupillen. Ich bemerke sofort, wie schwer seine Atmung wird - und auch meine. Diese Neckereien wirken immer gleich stark. Es ist verrückt, wie berauschend es sich anfühlt, Azad beim langsamen Hinknien zwischen meinen Beinen zu beobachten. "Sonst noch was, Schneeflocke?" So viel. Ich atme tief durch. Ich will nur seine Krawatte öffnen, auch wenn ich mir währenddessen schon vorstelle, wie ich seine Handgelenke damit ans Bett fessele. Heute sind seine Haare glatter. Ich vermisse die kleinen Löckchen, die sich bei der zu hohen Luftfeuchtigkeit bilden und an seiner glänzenden Stirn kleben. Sie harmonieren perfekt mit seinem Ohrring.
Die Krawatte ist gelockert und gelöst. Mein Zeigefinger hakt sich in sein Hemd fest, zieht sein Gesicht nur noch näher zwischen meine Beine. Ich will ihn noch näher an meiner Haut haben, will dafür sorgen, dass seine Haare durch die Luft wellig und lockig werden, aber mein Herz schmilzt bei seinem Welpenblick, als er sein Kinn auf meinem Schenkel abstellt. Dieses Lächeln ... Gott, er ist wirklich süß. Ich lächele sanft zurück, lasse meine Finger durch sein weiches Haar gleiten. "Heute bin ich ausnahmsweise mal nett", setze ich neckend an. Mein Herz schlägt schneller, fällt mir gerade auf. Nicht, dass ich wieder unbewusst gestresst bin. Mein Herz schlägt verdächtig oft schnell die letzte Zeit. Vielleicht ziehe ich wieder ein 24-Stunden-EKG in Erwägung. Mal schauen. Wir verweilen einen stillen Moment so. Still, aber schön. Das Fenster ist offen. Mich trifft die frische Nachtluft, ich höre die Grillen zirpen. Alles fühlt sich ausgeschlichen an. So angenehm. Entspannt. Auch Azad scheint es zu bemerken, denn er setzt sich auf den Boden, um meine Beine zu umschlingen, während er seine Wange an meinen Schenkel schmiegt. "So könnte ich einschlafen", brummt er tief. Und so könnte ich Stunden verbringen. Ich zeichne sanfte Linien an seinen kürzeren Seiten. "Mir gefällt es, dich so zu sehen." Und schon wieder grinst er. "Mir auch." "Steh auf, ich will schlafen", erwidere ich dann schroff, ohne mein Lächeln zu verlieren. Es wird nur noch größer, bis wir am Ende beide prusten und ich kreische, weil er mich aufs Bett drückt.
Ich wache ohne Azad im Bett auf, aber das ist nicht schlimm. Er hat - nachdem er neurologisch in der Lage war - vor dem Morgengebet schon gesagt, dass er heute wieder in die Firma muss. Dijan, meine Schwestern, mein Vater, Dilnia und der Rest seiner Familie - zum Glück ohne Suzan - hat mir gratuliert. Ich nehme mir Zeit, mich bei jedem zu bedanken, wobei ich bei Aras einen gewissen Widerstand verspüre. Ich möchte seit der Enthüllung wirklich so wenig wie möglich mit ihm zu tun haben, so amüsant unsere Gespräche auch waren. Ich kann das nicht. Aktuell bin ich nicht in der Lage und werde nur aggressiv. Und das will ich nicht, jetzt, wo ich endlich zur Ruhe kommen kann. Dijan möchte die nächsten Tage etwas mit mir unternehmen. Ich habe nur neutral zugestimmt, ohne mir viel zu erhoffen. Sie muss weiterhin im Restaurant aushelfen und hat nicht einmal Zeit, richtig für ihre anstehenden Klausuren zu lernen deshalb. Das hat Zeit. Vielleicht kann sie ja, wenn Dilnia die Feier schmeißt - die ich noch vor mich hinschiebe. Einen Moment denke ich, dass es spaßig wird, aber dann überkommt mich die Welle der Sorge, dass es mir doch zu viel wird und ich verstumme und mich verschanzen will. Ich weiß es nicht. Ich kann mich da nicht einschätzen. Ich weiß nur, dass ich einen Tag davor am liebsten alles absagen will. Zu oft erinnere ich mich an das eine Mal, wo mich Dijan mitnehmen wollte zu einem Ausflug in den Freizeitpark - mit ihren Uni-Freunden. Ich war kurz davor, es abzusagen, habe mich aber doch zusammengerissen. Aber genug von diesem Albtraum: Azad hat mir geschrieben.
'Zieh dich schön an. Lass uns gut essen und am Ende am See auf einer Decke liegen und reden.'
Mehr will ich nicht. Genau das. Den Sternenhimmel konnte ich nur aus meinem Fenster genießen, voller Sehnsucht und unterdrückter Trauer. Ich wollte es nie alleine genießen, weil ich oft genug alleine war. Ich freue mich auf den Abend. Ich will auch draußen übernachten. Das wollte ich im Sommer schon immer tun, aber in einer Plattenbausiedlung voller Junkies und Alkis ist es nicht zu genießen, wenn ihr Gelaber um nach Mitternacht losgeht. Ich telefoniere in der Zwischenzeit ein wenig mit meiner Mutter, die mir alles Gute zum Geburtstag wünscht, hofft, dass ich noch tausend weitere Jahre lebe und meine Ehe gesegnet ist und bleibt. Dass sie mich vermisst, war mir klar und dass sie mich liebevoll anmeckert, weil ich kein Heimweh habe, war mir schon bewusst und trotzdem schmunzele ich. Auszuziehen war schon immer eines meiner Wünsche und es wurde von Mal zu Mal größer, je öfter sie den Junkie hereingelassen hat. Wie oft ich meine Wut doch nicht in mir lassen konnte und doch einen passiv-aggressiven Spruch abgegeben habe, weil er durch sie abhängig wurde und nicht lernen konnte. Aber es ist ja vorbei. Ich muss nicht mehr mit ihr in einer Wohnung leben und der Drecksjunkie ist irgendwo, wo ich ihn nicht sehen muss. Wäre er wieder frei und ich würde noch bei meiner Mutter leben, würde es vielleicht einige Monate dauern und meine Mutter würde ihn doch zum Duschen hereinlassen oder zum Essen - und darauf habe ich absolut keine Lust. Mir egal, was eine Mutter fühlt. Deshalb will ich keine werden.
Die Stunden vergehen. Ich bin geduscht, eingecremt und stehe in Unterwäsche vor meinem Kleiderschrank, ohne zu wissen, was ich anziehen soll. Heute ist es wärmer und so wirklich Lust auf Schminke habe ich nicht, zumal sie schneller bei mir bröckelt und sich absetzt durch meine fettigeren Cremes. Aber Mascara? Ein kleines bisschen? Und ein ganz feiner Eyeliner. Sonst mag ich meine Eyeliner sehr auffällig, scharf und dramatisch. Es ist 17:11 Uhr, also bin ich gut in der Zeit. Meine Bücher habe ich schon mit aller Liebe einsortiert, meinen Kittel und mein Stethoskop an einen Wäschebügel im Schrank aufgehängt und das Butterfly in meine Nachtschublade verstaut. Die Frage ist nur, was ich jetzt anziehen soll. Was ist mit dem Zweiteiler, den Azad mir letzte Woche geholt hat? Es ist freizügiger und sogar bauchfrei, aber da nur er mich darin sieht, ist es kein Problem. Es ist süß und sexy ... das passt doch. Das helllila Oberteil besitzt kurze Ballonärmel mit Rüschen und einen tiefen Ausschnitt, der sich zusammenbinden lässt. Auch am Bauch wird der enge Saum von süßen Rüschen umrahmt. Der gleichfarbige Rock ist ähnlich aufgebaut. Ein wenig lockerer, dennoch betonend, mit einem kleinen, frechen Schlitz rechts und Rüschen. Die weißen Schnürschuhe passen perfekt drauf. Ich habe mir sogar Finger- und Fußnägel weiß lackiert. So sehen sie wenigstens akzeptabel aus. Beim Schminken lasse ich mir Zeit, aber ich habe wirklich echt Hunger. Ich esse einfach so lange ein Stück Kuchen. Azad meinte, er lässt das Essen passend zum Eintreffen liefern, wenn es mir recht ist und ich habe zugestimmt.
Ich esse den Kuchen in der Küche, bin kurz am Überlegen, ihn draußen auf der Hollywoodschaukel zu essen, belasse es aber dabei, ihn auf der Kücheninsel zu essen. Wir haben schon nach acht. Sonst ist er immer pünktlich ... meine Laune sinkt. Es kann aber auch Stau sein. Ich will nicht zu negativ an meinem Geburtstag denken, aber ich bin zu pessimistisch. Warum verlasse ich mich eigentlich auf andere? Was stimmt nicht mit mir, dass ich so naiv bin? Ich ... ach, egal. Er sollte auf dem Weg sein. Es ist erst fünf nach. Trotzdem habe ich ein schlechtes Gefühl. Ich fahre mir unwohl durch mein geglättetes Haar, schaue jede halbe Minute auf die Uhrzeit meines Handys, nur um mit einem leeren Bildschirm enttäuscht zu werden. Dann lenke ich mich eben mit den Katzen ab. Die müssen ja sowieso auf Trab gehalten werden. Zum Glück habe ich sie schnell stubenrein bekommen. Ihre Futternäpfe kann ich säubern und neu befüllten sowie ihr Wasser. Sie trinken weniger Milch, als ich dachte, aber dafür essen sie Leckerlis wie wahre Weltmeister. Ich reinige sogar die Platte, auf der ich die Näpfe abstelle und immer noch kommt kein Azad durch die Tür. Mein Bauch dehnt sich enttäuscht. Ich hätte nicht so sicher sein sollen. Es gibt niemanden, auf den ich mich verlassen kann. Wir haben gleich halb und Azad hat sich nicht gemeldet. Ich will ihn nicht fragen, wo er ist. Ich will nicht abhängig klingen, aber ... vielleicht kommt er gleich. Ich esse noch ein Stück Kuchen, dieses Mal antriebsloser, lenke mich mit irgendwelchen Videos ab und gehe meine Galerie durch, um unnötige Fotos oder Videos zu löschen.
Es ist schon 21:00 Uhr. In meinem Bauch macht sich regelmäßig das Gefühl der enttäuschenden Leere breit. Ich bin sauer. Extrem sauer. So sauer, dass ich mir schon frustriert die Tränen wegwische. Ich komme mir gerade so peinlich vor, hier so fertiggemacht zu sitzen und zu warten. Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht, mich auf jemanden zu verlassen? Warum habe ich mich so gefreut? Bin ich dumm, dass ich es dieses Mal anders angehen wollte? Als würde ich nicht wissen, dass niemand verlässlich ist? Nicht einmal an meinem verfickten Geburtstag? Der Fakt ruft mir eine weitere Welle an Tränen hoch, die allesamt vom Taschentuch aufgesaugt werden. Nie wieder. Nie wieder werde ich auf irgendwen warten. Ich habe absichtlich mit dem Essen gewartet, obwohl ich schon schwerer Luft kriege. Wie naiv bin ich bitte, dass ich meine Grundbedürfnisse nach hinten schiebe? Ich habe keine Lust, mit den Katzen zu spielen. Die Schminke fühlt sich gerade so schwer auf meinen Augen an. Umsonst. Alles war umsonst. Diese Dreckskette brauche ich gar nicht zu tragen. Soll er sie zurückgeben oder sonst was damit machen. Ich schmeiße sie wütend auf den Tisch, streife mir aggressiv die Schuhe ab. Meine Hände zittern. Meine Augen füllen sich wieder mit Tränen.
Ich will nicht weinen. Ich will nicht deshalb weinen, aber es macht mich so wütend und traurig, dass nicht eine Person ein so simples Versprechen halten kann. Wieso konnte ich das dann trotz all der Lasten? Ich atme zitternd durch, will am liebsten den Absatz zerschmettern, weil die Schnüre so quälend langsam aufgehen. Ich will im Bett liegen und drei Tage nicht mehr sprechen. Ich will ihn gar nicht sehen. All die Energie, all die Freude auf den heutigen Tag sind mir verdorben worden. Schon wieder. Es gab zu wenige Geburtstage, an die ich mich erinnere, wo ich nicht geweint habe. Da dachte ich, dass es einmal doch nicht so ist und es wird mir verdorben. "Scheiß drauf", flüstere ich schniefend, wische mir daraufhin die Nase sauber und nehme die Schuhe in die Hand. Weder werde ich mich in Zukunft noch ein einziges Mal auf ihn verlassen, noch werde ich mir Mühe bei der Kleidung und sonstigem geben. Er soll nicht einmal hoffen, dass ich mit ihm reden werde. Es ist mir scheißegal, was der Grund für sein fehlendes Erscheinen ist. Ich will es nicht einmal hören ... mir reicht schon die Tatsache, dass ich wieder an meinem Geburtstag alleine bin, um mich zum Weinen zu bringen. Ich gehe gesenkten Hauptes in den Flur zur Treppe und erst jetzt setzt mein Herz aus. Die Tür wird aufgeschlossen. Mein Magen zieht sich zusammen. Meine Abneigung steigt empor ... oh mein Gott.
"Azad!", schreie ich. Was ist passiert?!
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Könnt ihr Avins Reaktion nachvollziehen?
- Helo
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