Kapitel 4
Ich stehe an der Bushaltestelle, nachdem ich diesen Mörder endlich loswerden konnte. Dass ich das Angebot überhaupt in Erwägung ziehe, ist krank. Es ist absolut krank und nicht in Ordnung! Wer weiß, was er alles tun wird? Aber ich könnte uns aus dem Kaff holen und meinen Traum verwirklichen. Ich könnte endlich das haben, was mich glücklich macht ... aber er ist ein Mörder! Ich kann keinen klaren Gedanken dazu fassen. Ich will einfach nur nach Hause, etwas essen und ein Buch lesen. Mehr nicht. Ich will weder an seine eisblauen Augen denken noch an seine Stimme oder das Angebot. Hoffentlich kommt er einfach nie wieder. Hätte ich wenigstens die Akte mitgenommen! Gott! Ich will einfach nur nach Hause. Ein Glück kommt der Bus endlich, sodass ich in Ruhe meine Musik hören kann bis ich in meinem Kaff ankomme. Die Kinder spielen kreischend und beleidigend auf der Straße herum, versuchen wieder die verbundenen Turnschuhe an den Bäumen und Laternenmasten abzuschießen, aber spätestens um 21:00 Uhr sind sie im Haus. Wenigstens zeigen sie Unbeschwertheit und verdecken die hässliche Wahrheit der verfickten Junkies und Trinker hier im Kaff. Sie winken mir alle und ich winke zurück. Manchmal kommt mein Lächeln gezwungen, manchmal auch ehrlich. Ich hasse Kinder und doch bin ich immer ein Magnet für sie. Solange sie mich in Ruhe lassen, kann ich sie noch tolerieren. Ich sehe Hamid schon vom Weiten, der immer den Blick ängstlich senkt, wenn er mich sieht. Er ist ein kleiner, respektloser Pisser, den ich angeschrien habe, als er mal frech wurde und seitdem weiß er, wie er sich vor mir zu benehmen hat.
Ich komme vor dem Graffiti beschmierten Komplex der Plattenbausiedlung an, trete durch die schwere Tür, dessen Glas mal wieder von den Finger- und Ballabdrücken der Kinder gereinigt werden sollte. Der Aufzug stinkt. Hier war ein Alkoholiker drin. Ich drücke mit meinem Schlüssel die 11. Etage, will mich eigentlich gegen die Wand lehnen, tue es aber nicht. Dafür ist es auch für mich zu eklig, obwohl ich eine hohe Toleranz für sowas habe. Wer weiß, welche Bakterien hier sind. Ich sollte eine Suspension erstellen und die Bakterien ansetzen. Ich habe ja genug Material zu Hause, um das auszuprobieren. Durch das halb versagende Klingeln, das links und rechts oben aus der rot leuchtenden Anzeigetafel schrillt, weiß ich, dass der Aufzug zum Stillstand kommt. Auf unserer Etage riecht es immer nach Essen, egal zu welcher Uhrzeit. Ich rieche den Knoblauch unserer libanesischen Nachbarin und hoffe, sie hat uns schon eine großzügige Portion Toum in einer Schüssel vorbeigebracht hat. Dann kann ich meine Frühlingsrollen damit essen. Ich schließe die dicke, knarzende Haustür auf, schaue kurz nach meinen Eltern, die beide stumm an ihren Handys im Wohnzimmer sitzen. Der Junkie kam anscheinend nicht nach Hause. Nach den letzten Wochen und Monaten ist es eine Erleichterung und ich hasse mich dafür, dass ich meine Zufriedenheit von seiner wertlosen Anwesenheit abhängig mache. Er terrorisiert meine Mutter so lange bis sie ihm Geld gibt und das geht seit zwei Monaten. Die Polizei zu rufen bringt nicht viel, denn dann spielt er den zahmen Hund, wird weggebracht mit dem Platzverweis, aber nach zwei Stunden taucht er wieder auf und ich würde am liebsten meine Mutter immer anschreien, wenn sie ihm die Tür öffnet, aber ich unterdrücke mir jede verzweifelte Beleidigung, die ich sogar ihr an den Kopf werfen will für ihre Dummheit. Sie ist eine Mutter. Ich kann das Leid nicht verstehen.
Manchmal wünsche ich mir, er hätte sich in der Nacht doch endlich getötet. Er hat Schulden, will aber nicht arbeiten und weil meine Mutter immer wieder nachgibt, wird er sich niemals ändern. Ich habe ihr hundertmal gesagt, dass sie ihn ignorieren soll. Dass sie ihn vor der Tür klopfen lassen soll, aber sie hält es nicht aus. Sie verfällt in eine sofortige Stressreaktion. Als ich sie dann gefragt habe, wie sie sein Geschrei und sein penetrantes Betteln dann aushält, wenn er in der Wohnung ist, aber nicht das Klopfen vor der Tür, ist sie in Tränen ausgebrochen und seitdem habe ich nichts mehr gesagt. Was soll ich denn noch tun? 5000 Euro Schulden. Wenn nicht, sogar mehr. Ich weigere mich, ihm zu helfen, weil ich ihm kein Stück glaube. Jedes Mal sagt er, dass es vorbei ist. Dass es nur noch diese 50 Euro sind, diese 150 Euro, diese 300 Euro, nur um nach vier Tagen nach Mitternacht wieder wie ein verdreckter Junkie an der Tür zu klopfen und mir jeden Funken Schlaf aus dem Körper zu rauben. Ich hasse ihn. Ich hasse ihn bis zum Tod und darüber hinaus und habe nur darauf gewartet, dass er sich in dieser einen Nacht umbringt. Sein verzweifeltes Weinen hat mich kein bisschen berührt. Soll er sich so fühlen. Soll er leiden. Soll er sterben, es ist mir egal. Dann fallen uns nämlich die meisten Lasten ab. Aber leider hat er es nicht getan und ich bedauere es jedes Mal, wenn er ins Badezimmer geht und ich höre, wie er die Klobrille runterklappt. Das Ziehen der Lines vernehme ich bis in mein Zimmer und Gott, ich wünsche ihm jedes Mal den Tod, wenn er erleichtert seufzt, nachdem er das Bad verlässt!
Ich schrubbe im Bad die Unterseite meiner Chucks von den kleinen Kieselsteinen frei, trockne sie ab und lege sie auf dem Boden meines Schranks zurück. Umziehen tue ich mich später. Ich will erst liegen und tief durchatmen. Wenn ich das Angebot annehme, wie soll ich es meinen Eltern erklären? Wenn ich sage, dass ich ihn nach der Arbeit beim Erschießen eines Typen kennengelernt habe und er am nächsten Tag vor meiner Arbeitsstelle stand, wird meine Mutter durchdrehen. Ich will sie und meinen Vater nicht belasten. Ich weiß, dass es ihnen nicht guttut. Meiner Mutter nicht, weil sie extrem emotional ist und ihr selbst der eingerissene Gelnagel von Perwin eine ganze Woche lang Sorgen bereitet hat und mein Vater, weil er seit seinem Kampf gegen den Krebs und der Entnahme von Milz, Gallenblase und 30% seines Pankreas extreme Schwankungen erleidet, sobald er Stress verspürt. Ich würde lügen. Ich kann lügen. Ich muss lügen. Ich kann immer noch nicht fassen, dass das wirklich passiert ist und dass ich das Angebot wirklich eventuell annehmen würde! Ich weiß nichts über diesen Typen und trotzdem sage ich nicht sofort nein, obwohl ich immer Dinge sofort ablehne, sobald eine große Sache nicht meinen Prinzipien entspricht. Und Mord steht neben Drogen, Trinken, Rauchen und Gotteslosigkeit an erster Stelle! Wer sagt denn, dass er Moslem ist? Wenn er keiner ist, darf ich ihn nicht heiraten. Ganz einfach. Aber er heißt Azad. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er Moslem ist. Ich seufze. Ich wollte doch lesen, aber zuerst gehe ich meine Gebetswaschung verrichten.
Ich wasche mir gerade die Mascara und Creme ab, als mein Vater mich ruft. "Ja, gleich", rufe ich zurück. "Baba, schnell!" Ich halte sofort inne. Irgendetwas stimmt nicht. Ich stelle mich schon auf das Schlimmste ein, als ich mir das Gesicht abtrockne und schnell ins Wohnzimmer renne. Mein Vater hockt besorgt vor meiner Mutter ... sie ist diejenige, der geholfen werden muss. Nicht meinem Vater. Ihr Blick ist starr an die Decke gerichtet, ihr Mund offen. Ihr Körper sitzt leblos da. Ich schiebe meinen Vater gefasst zur Seite, taste ihren Puls ab, während ich zitternd den Notruf wähle. Sie atmet noch, aber ich brauche ein wenig, bis ich ihren Puls am Handgelenk endlich finde! Ich nenne am Hörer sofort Postleitzahl, Straße und Hausnummer, bevor ich das schildere, was ich sehe. "Sie hatte Schmerzen in der Brust und Rücken", murmelt mein Vater, dem ich andeute, Wasser zu holen. "54-jährige Mutter. Sie klagte über Brust- und Rückenschmerzen, woraufhin ihr Blick starr wurde und sie nicht mehr ansprechbar ist. Atmung und Puls sind vorhanden, aber reagieren tut sie nicht." Nicht einmal, als ich ihre Hand auf ihr Gesicht fallen lasse, um sie aus der Starre zu kriegen. "Wir schicken einen Wagen sofort los", wird mir gesagt. Ich bedanke mich und lege auf, ziehe daraufhin meine Mutter vorsichtig weg von der Heizung, gegen die sie saß und lege ihren Oberkörper vorsichtig auf den Boden. Ihr Herz schlägt nicht atypisch, das höre und spüre ich. Also lege ich ein Kissen unter ihren Kopf. Ich bleibe gefasst. Es wird alles wieder gut. Ihr Herz schlägt und sie ist nicht kalt.
"Ich glaube, es ist Schlag", setzt mein Vater besorgt an. Immer wieder feuchtet er seine Finger an und fährt über ihre Stirn. Ich schüttele den Kopf. Er verwechselt sicherlich die Begriffe auf Deutsch. "Verdacht auf Herzinfarkt. Stressbedingt." Ich weiß es. Ich weiß, dass sie sich extrem damit belastet und ich hasse es, dass es ihr so schwerfällt. Ich hoffe so sehr, dass es ihr wieder gut geht. Ich atme tief durch, höre schon das Martinshorn. Ich drehe mich seufzend um, sehe, wie Avdar verstummt auf dem Sofa sitzt. Sie sollte das nicht sehen. Ich weiß noch, wie panisch sie wurde, als mein Vater vor Schmerzen plötzlich das Bewusstsein verloren hat und ich sie und meine panische Mutter aus dem Wohnzimmer zerren musste. Pelin und Perwin sind noch auf den Zimmern. Sie sollen das nicht sehen. Vor allem Perwin ist emotionaler. Sie sollen sich auf ihre Prüfungen konzentrieren. Das Klingeln lässt mich hochschrecken. "Ha, Baba! So ... sie sind da", murmelt er. Ich gehe sofort zur Anlage, sage den Rettungskräften, dass wir uns in der 11. Etage befinden und warte so lange vor der Tür, bis sie durch den Aufzug kommen. Zwei Jüngere und eine ältere Frau mit schwarzen Haaren. Mein Vater beginnt mit seinem akzentreichen Deutsch mit der Erklärung, woraufhin ich ihnen noch einmal die wichtigsten Details zusammenfasse. Sie wird sofort ans EKG geschlossen. Herzschlag zeigt keine Atypien auf. Blutdruck ist stabil. Die ältere Rettungskraft besänftigt mich mit ihrer Empathie meiner Mutter gegenüber. Es erleichtert mich, dass es sich nicht wieder um solche wie bei meinem Vater handelt. Bis heute verfluche ich diesen Notsanitäter, der mit seinem Gotteskomplex meinen Vater fast umgebracht hätte. Nicht einmal die Lage des Pankreas wusste er, aber labern konnte er wie ein Weltmeister.
Die Hand meiner Mutter zittert, aber wirklich reagieren tut sie immer noch nicht. "Ich weiß, ich weiß." Die schwarzhaarige Frau drückt bekräftigend die Hand meiner Mutter. Der Fußboden knarzt und ich weiß, dass meine zwei anderen Schwestern im Flur stehen. Spätestens, als Perwin hektisch die Luft einzieht. "Mama!" Ich drehe mich sofort zu ihr, halte sie zurück, als sie sich zu ihr schmeißen will. Ich weiß, dass sie zu ihr will, aber sie braucht nicht noch mehr Stress. "Bleib ruhig. Sie kann uns hören. Bleib ruhig, Perwin!" Ich will weder meine Fassung noch meine feste Stimme verlieren und drücke sie deshalb in den Flur. Pelin hat Tränen in den Augen, kann sich aber still aufs Sofa setzen. "Was hat sie? Was ist passiert?" Ich schließe die Tür des Wohnzimmers, drücke meine kleine Schwester zitternd an mich. Ihr Weinen geht mir nah. Ich muss tief einatmen, damit ich nicht weine und das schaffe ich auch. Ich will nicht weinen, auch wenn es guttut. "Alles wird gut. Sie hat nur Stress. Sie wird gleich ins Krankenhaus gebracht. Hab keine Angst." Ich fahre ihr beruhigend über den Kopf, höre durch ihr Schniefen trotzdem noch meinen Vater mit den Rettungskräften sprechen. "Ja, mit dem Sohn, ja." Das ist alles seine Schuld, Gott! Wie ich ihn hasse! Ich atme tief durch. Ich muss Ruhe bewahren. Solange wiege ich meine Schwester in meinen Armen, bis sie sich langsam von mir löst, biete ihr Wasser an und deute ihr, in der Küche zu warten. Sie wird das nicht vertragen, wenn meine Mutter gleich herausgefahren werden muss.
Ich bleibe an der Türschwelle stehen, öffne die Tür des Wohnzimmers, um zu sehen, was jetzt passiert. Meine Mutter wurde auf das Sofa gesetzt. Reden tut sie immer noch nicht, aber ihre Augen sich offen. Mein Vater reibt ihr den Rücken. Die Sorge in seinen braunen Augen sagt mir schon, dass er die nächsten Tage kaum etwas essen wird. Ich sollte schon mal eine ganze Karaffe voller Zitronenwasser für ihn bereitstellen, damit sich sein Kreislauf beruhigt, falls es dazu kommen sollte. Wir haben genug Zitronen da. Die zwei Jünglinge bleiben bei meiner Mutter. Die ältere, Erfahrene gibt Bescheid, dass sie den Transportstuhl holt. Pelin holt ihre Versichertenkarte und mein Vater hilft ihr langsam auf, als der Stuhl gebracht wird. Hinter mir spüre ich schon, wie Perwin sich an mich drückt. Morgen kann sie sie besuchen gehen. Mein Vater geht mit. Das Krankenhaus ist nicht weit von hier. Vielleicht zehn Minuten zu Fuß, wenn er zurückkommt. "Ich wünsche Ihnen trotz allem einen angenehmen Abend", wünscht mir der große blonde Retter. Ich nicke gefasst, bedanke mich für die Hilfe und wünsche ihnen ebenfalls noch einen entspannten Dienst. Die schwere Tür fällt ins Schloss. Keiner meiner Schwestern spricht. Nur Perwin schnieft hinter mir. Ich nehme ihre Hand, als ich zu den anderen zwei ins Wohnzimmer gehe. Der Couchtisch wurde verschoben. Auf der kleinen Steintreppe zum Balkon liegen die Folien der Elektroden und daneben die silberne Schale mit dem Wasser. "Alles gut?", frage ich. Pelin und Avdar nicken stumm. Ich drücke Perwins Hand.
Ich laufe wieder zu meiner Arbeitsstelle. Ich brauche das. Nachdem mein Vater gestern meine Mutter ins Krankenhaus begleitet hat, hat nur zehn Minuten danach dieser gottverdammte Junkie an der Tür geklingelt und wollte meine Mutter sprechen. Ich habe gebebt vor Wut, aber konnte kaum etwas sagen und ich wollte auch kaum mit ihm sprechen, also habe ich ihn mit zwei trockenen: Verpiss dich weggeschickt. Als mein Vater dann wiederkam, stand er wohl noch mit seiner Junkiebande vor der Tür, aber hat ihn wie ich ignoriert. Ich habe genug Hass und Wut in mir, aber ich weiß, dass es oft nur eine Energieverschwendung ist, auch wenn ich ihn so gerne ein schlechtes Gewissen mache bis er weint. Inzwischen weiß auch mein verheirateter Bruder und die ganze Verwandtschaft Bescheid. Sobald meine Mutter entlassen wird, wird also viel bei uns los sein. Ich habe ihr gestern noch ihre Tasche gepackt, damit mein Vater sie ihr heute bringen kann. Sie wollte ihre Zigaretten trotz meines sanften Tadelns. Mich hat es amüsiert, dass sie wollte, dass ich sie in ihrer Tasche verstecke, damit mein Vater es nicht sieht, obwohl er es doch weiß. Sie schämt sich bis heute, vor ihm zu rauchen. Aber immerhin geht es ihr wieder besser. Die Tage werden bildgebende Verfahren und Herzkatheteruntersuchungen auf sie warten sowie Blutabnahmen für das Labor. Leider nicht für meins, sondern das eigene des Krankenhauses, aber sie werden ihre Arbeit ja auch gut verrichten.
Ich hoffe nur, dass mein Vater sich nicht allzu sehr stresst und auch Perwin nicht. Sie hat noch bis in die Nacht geweint, weshalb ich ihr gesagt habe, dass sie für heute zu Hause bleiben soll. Sie ist eine gute Schülerin und kann sich einen Fehltag erlauben. Das habe ich auch gemacht. Sie braucht eine Pause und ein Freitag eignet sich da sehr gut. Mein Blick gleitet öfter als mir lieb ist zu den Autos, die an mir vorbeifahren. Vor allem, wenn sie schwarz sind. Ich kenne sein Kennzeichen nicht, aber es ist wahrscheinlich ein A oder ein AD auf seinem Kennzeichen. Ich habe keine Lust, heute auf ihn zu treffen. Ich muss mich um meine Schwestern kümmern, auch wenn ich weiß, dass meine Schwägerin nach dem Schluss ihres Deutschkurses kochen wird. Morgen habe ich früher Schluss und da meine Mutter nicht zu Hause ist, wird keiner dem Junkie die Tür öffnen. Ich kann dann morgen einkaufen gehen, falls etwas fehlt und doch zur Parfümerie. Das klingt nach einem Plan. Hoffentlich klappt es auch so. Ich ignoriere, wie jeden Morgen Chiara, als ich den Hof betrete, mache einen extremen Bogen um sie, damit mich auch kein bisschen des Rauches zum Husten bringen kann und wähle wieder den Code für das Gebäude. Die Gedanken zu gestern kommen mir wieder in den Sinn. Wie er mir reingefolgt ist, wie er mit meiner Chefin geredet hat. Oh Gott, sie wird mir gleich sowas von Fragen stellen. Wäre sie mir nicht so sympathisch, würde ich sie trocken hinweisen, diskret zu bleiben. Was soll ich ihr bloß antworten?
Kaum denke ich an sie, treffe ich sie schon im Flur an. Fuck, so früh? Ich konnte mir ja gar keine Lüge zusammenstellen und ihr wissendes Grinsen macht es mir nur noch schwerer. Wieso grinse ich jetzt so? "Na? Schönen Tag gestern gehabt?" Wenn du nur wüsstest. "Alles wie immer", lüge ich. Sie begleitet mich bis ich meine Sachen abgelegt und den Kittel anhabe. "Und nichts Besonderes passiert?" Doch. Der Mörder hat eine Akte mit all meinen privaten Informationen. Zudem hat er mir einen Vorschlag gemacht, der all meine Sorgen verpuffen lassen würde und meine Mutter hatte einen Herzinfarkt. Ich knöpfe meinen Kittel zu. "Nicht wirklich. Bei dir?" "Ach! Tu nicht so. Komm schon." Meine 1.60-Chefin dreht sich einmal um ihre Achse. Noch ist keiner da. "Er ist doch ein ganz Hübscher. Du hast einen guten Fang gemacht. Ich gönne es dir!" Wenn, dann andersherum, aber danke. Ich presse meine Lippen aufeinander, um nicht zu schmunzeln. Wenn sie nur wüsste, was eigentlich los ist, würde sie nicht mehr so reagieren. "Wir schauen, was sich so ergibt." Und damit ziehe ich mir die Nitrilhandschuhe an, genau wie meine Chefin. Sie sollte eigentlich anderes zu tun haben als Doktorandin der Mikrobiologie, aber sie ist mir lieber als Chiara, 99% meiner anderen Mitarbeiter und Chiara, wenn sie spricht. "Mit dem machst du dir auf jeden Fall einen guten Schnapp. Dank ihm kriegen wir den neusten MALDI-TOF! Weißt du, wie sehr ich mich darüber gefreut habe? Neue Färbungen, neue Platten kommen auch und neue Kittel." Gott, endlich neue Kittel! Ich hasse dieses Modell. Ich muss es immer anheben, bevor ich mich setze, weil er so komisch sitzt und ich sonst kaum Bewegung habe. Aber wie kommt dieser Mörder an all das ran? Er ist Großhändler ... nein, man kann ihn einen Großhändler nennen, aber das ist eine Umschreibung für seine blutige Akte.
Meine Chefin hat nicht weiter nachgebohrt, aber mir immer wieder zweideutige Blicke geschenkt. Wenigstens eine Belebung hier für mich. Das Ausstreichen der Suspensionen auf den Platten ist eine Therapie für mich. Ich mag es, wenn die Öse über das Agar fährt, vor allem bei dem MacConkey-Agar. Es ist ein wenig fester und es freut mich jedes Mal aufs Neue, dass es pink ist. Hoffentlich habe ich wieder E. coli, Klebsiella und Citrobacter freundii bei den bebrüteten Platten dabei. Ich mag die Pinkfärbung auf dem Agar und siehe da! E. coli enttäuscht mich nie und auch, als ich mir in meiner Pause in der Pathologie das Präparat anschaue, kann ich fünf neue Fotos für meine mikroskopischen Herzsammlung machen. Ich bleibe heute nicht länger. Ich bleibe nur länger, wenn ich weiß, dass der Junkie die Möglichkeit hat, nach Hause zu kommen und die hat er nicht mehr. Wie lange, sei dahingestellt. Ich kann noch zum Supermarkt und Zitronen für meinen Vater kaufen und auch Neapolitaner für mich, wenn dieser gottverdammte Mörder nicht schon wieder vor meiner Arbeitsstelle herumlungern würde! Wieso steht er denn ausgerechnet vor der Tür? Das ist unangenehm! Ich laufe seufzend an ihm vorbei, verfluche ihn dafür, dass er mir folgt. "Dir auch einen guten Abend, Schneeflocke. Du siehst wieder gut aus." Nerv mich nicht! Ich verdrehe meine Augen und ignoriere es, dass er neben mir läuft. "Lass mich dich heute ausführen." "Vergiss es", maule ich. Ich muss nach Hause. Ich habe keine Zeit für ein Rendezvous mit einem Mörder.
"Ich belasse es auch nur bei einer Stunde." Heute habe ich kaum einen Nerv. "Ich habe keine Zeit! Ich muss nach Hause. Ich muss Zitronen kaufen. Ich habe weder Zeit noch Kopf für dich!", schreie ich ihn an. Ich will gar nicht schreien. Ich will gar nicht mit ihm reden! Er soll mir aber nicht so auf die Pelle rücken, vor allem, wenn ich mich um meinen Vater und meine Geschwister kümmern muss. Seine eisblauen Augen fixieren mich mit ihrem strengen Blick. Es gefällt ihm nicht, dass ich ihn anschreie und irgendwann könnte ich mir vorstellen, mich vielleicht deshalb zu entschuldigen, aber jetzt gerade kann und will ich nicht. Mir geht es nicht gut. Ich will das alles nicht mehr und ich muss mich jedes Mal zusammenreißen, nicht in Tränen auszubrechen. "Weil ich Frauen nichts tue, heißt es nicht, dass ihr mich wie Scheiße behandelt", setzt er angespannt an. "Wenn du Frauen nichts tust, dann stalk' sie nicht und tauch nicht jeden Tag vor ihrer Arbeitsstelle auf. Ich habe Wichtiges zu erledigen. Ich muss was essen-," "Dann komm mit mir." "Nein!", presse ich genervt hervor. Ich konnte heute nicht einmal meine Mutter besuchen. Wenigstens konnte ich in meiner Pause mit ihr telefonieren. "Wer erwartet dich?" "Meine Familie." Ich ziehe verwirrt meine Augenbrauen zusammen. Was ist das für eine dumme Frage? Er leckt sich über seine Lippen. Ich beachte sie zum ersten Mal und wünschte, ich hätte es nicht getan. Ein kleiner Teil in mir freut sich darüber, dass ein großer, schöner Mann Interesse an mir hat, aber er ist ein Mörder! "Sicher?" Was zum? Mein Gesicht zeigt immer mehr Entgeisterung. "Wer sonst? Azad, ich muss-," "Sag es nochmal."
Ich halte bei seinem Näherkommen inne, keuche verschluckt, als er meine Hand nimmt und gegen seinen Brustkorb drückt. Was wird das? "Was machst du?", murmele ich unruhig. Mir wird ganz warm. "Sag meinen Namen." Ich schlucke. Mein Kopf dreht sich zum Gebäude, aus dem ich getreten bin, aber seine Hand dreht mein Gesicht wieder zu seinen eisblauen, eindringlichen Augen. Mein Herz schlägt so ungewöhnlich schnell. Mir ist unangenehm warm. Meine Haut reagiert so ungehemmt auf seine Finger um meinen Kiefer. "Lass mich dich zum Essen ausführen. Nur eine Stunde." Ich verstehe nicht, wieso ich nicht einfach mein Messer ziehe und ihm in den Bauchraum steche. Es gefällt mir überhaupt nicht, dass ich das einfach so zulasse. "Ich muss gehen", gebe ich nachdrücklich von mir. Ich muss weg von dem intensiven Geruch seines Parfüms. Ich habe wieder das Gefühl, als würde die Sonne meine Augen blenden, als ich das helle Blau seiner Augen sehe. "Wartet jemand auf dich?" Mein Gott! "Immer noch meine Familie!" Es reicht! Ich löse mich von ihm, atme tief durch, als ich zurücktrete. Das leichte Zittern meiner Hände und Knie hat hier nichts verloren. "Ich habe nichts zu deinen Beziehungen herausfinden können." Das ist doch nicht sein Ernst! "Weil es dich nichts anzugehen hat! Merkst du nicht, wie penetrant du bist?" Das ist doch nicht zu fassen. Niemals wird er etwas davon erfahren. Soll er ruhig in der Dunkelheit tappen. Sein Kiefermuskel spannt sich unter seiner Haut an. Heute sieht man schon ganz leichte Rasierstoppel.
"Hast du nachgedacht?" Oh mein Gott, ich könnte durchdrehen! Durchatmen. Ich muss durchatmen. "Ich hab keine Zeit. Lass mich jetzt gehen. Ich muss einkaufen-," "Ich fahre dich." "Du kannst auch einfach gehen! Wärst du nicht hier, wäre ich wahrscheinlich schon an der Kasse." Hat er nicht gestern noch gesagt, dass er mir Zeit lässt? "Du wärst wahrscheinlich erst im Bus oder auf ihn wartend." Seine freche Antwort verdutzt mich. Nein, sie lässt mich sogar erröten. Ich schaue stur zur Seite. "Bist du komplett abgeneigt vom Angebot?" Dumme Frage. Er hält mir all meine Wünsche hin und besitzt wirklich die Kühnheit diese Frage zu stellen. "Brauchst du so viel Selbstbestätigung?" "Wenn du mich so oft abservierst, brauche ich sie, Schneeflocke." Kein fragiles Ego, Ehrlichkeit und Geduld. Drei Punkte, die für meine Ansprüche an einen Mann gelten, aber noch lange nicht alles festmachen, auch wenn sie sehr wichtig sind. Ich antworte nicht. Ich bin gerade zu stur und zu stolz, um zu antworten, obwohl ich es nicht riskieren sollte. "Ist das das endgültige Nein?" Ich schließe meine Augen, seufze tief, als ich den Kopf wegdrehe. Ich darf es nicht riskieren. Es könnte alles ändern. "Ich habe wirklich keine Zeit diese folgenden Tage. Ich brauche Ruhe." "Hat dir jemand etwas angetan?" Ich drehe mich zu seiner angenehmen Stimme. Er tritt einen Schritt zu mir. Es fühlt sich schön an, wenn sich einer um einen sorgt. Es fühlt sich wirklich gut an, wenn man einmal nicht alles tun muss. Ich will nicht emotional werden. Ich will mich nicht verwundbar zeigen. "Passt schon." Ich weiche seinem eindringlichen Blick nicht aus.
So sehr ich alle Typen abstoßend fand und immer einen Grund gefunden habe, sie nicht in mein Leben lassen zu wollen, spüre ich bei diesem blauäugigen Mörder kein schlechtes Gefühl. Trotzdem steht mein Verstand an oberster Front. Er könnte mir nur etwas vormachen und dann seine Maske fallen lassen. Er könnte lügen. Wer sagt, dass er wirklich diese Macht besitzt, all das umzusetzen, was er mir versprochen hat? Ich atme tief durch. Ich darf mir diese Chance nicht nehmen lassen, egal wie riskant sie ist. Ich nicke zum Parkplatz, genieße das überraschte Anheben seiner Augenbrauen. Ich will nicht zu stark schmunzeln, laufe deshalb mit zusammengepressten Lippen vor. "Wohin soll ich dich bringen?" "Aldi. Ich will Bedingungen vereinbaren." Das ist krank. Ich setze wirklich einen Schritt in eine riskante Richtung an, aber mein Bauchgefühl hindert mich nicht daran. Selbst, als ich vor der Beifahrertür seines Maseratis stehe. Durch die Spiegelung sehe ich ihn hinter mir und das ist der Grund, wieso ich erschaudere. Ich hasse es, wenn Männer hinter mir sind oder hinter mir vorbeilaufen. Ich drehe mich zu ihm, rechne aber nicht damit, dass sein Unterarm meine Hüfte streift. Er ist mir so nah! Zu nah! Ich drücke mich an sein Auto, hebe die Hände gegen das schwarze Hemd über seiner Brust. Weder atme ich, noch blinzele ich vor Überforderung. Er soll mir nicht so tief in die Augen schauen! "Ich will dir nur die Tür öffnen. Keine Angst. Du weißt, wo meine Waffe sitzt und ich weiß, dass du jetzt aus diesem Winkel meine Leber perfekt mit deinem Messer treffen könntest. Ich tue dir nichts." Er tut mir nichts. Ich hoffe es. Ich nicke, drücke ihn zurück. Ich kann die Wärme seiner Haut durch sein Hemd spüren. Das ist so verdammt intim.
In seinem Auto ist es nicht zu kalt. Er scheint nicht sehr lange auf mich gewartet zu haben. Immerhin kennt er meine Arbeitszeiten. Ich kann es nicht fassen, dass ich wirklich hier im Auto sitze! Ein wenig schlecht fühle ich mich zwar schon, aber ich denke an mein Ziel, als ich mich anschnalle. "Möchtest du Musik hören?" Ich schüttele stumm den Kopf. Noch fühle ich mich nicht wohl genug, Musik neben ihm zu hören. "Ich mag deinen Musikgeschmack." "Du hast meinen Spotify-Account gestalkt?", frage ich entgeistert. Gott, es fehlt noch, dass er meine Körbchengröße weiß! "Ich muss doch wissen, wie viele Gemeinsamkeiten wir aufweisen, Schneeflocke. Nur habe ich dich nirgends auf Social Media finden können. Du benutzt nicht deinen richtigen Namen?" Ich besitze gar kein Social Media, aber da kann er auch ruhig im Dunkeln tappen. Ich habe nur wegen Dijan Pinterest. "Spielt keine Rolle", antworte ich stattdessen und er schnalzt daraufhin mit seiner Zunge. "Wieso bist du nur so verschlossen, Schneeflocke?" "Ich weiß nicht", setze ich mit gespielter Ahnungslosigkeit an. "Vielleicht, weil meine Mutter mir beigebracht hat, nicht mit fremden Männern und vor allem mit Mördern allzu viel Kontakt zu haben." Widersprüchlicher Weise sitze ich im Sportwagen des besagten Mörders und lasse mich von ihm zum Aldi kutschieren. "Ich hoffe, ich kriege ihren Segen." Er denkt ja sehr weit. Ich verdrehe meine Augen. Ich rufe sie später an. Dann, wenn ich ganz sicher weg von ihm bin.
"Beginn mit deinen Bedingungen." "Nein, nicht hier. Erst, wenn ich im Aldi bin." "Wieso nicht jetzt schon?", fragt er verwundert. Meine Mundwinkel zucken einen Moment lang belustigt. "Damit ich Augenzeugen habe, falls du mir etwas antust." Seine Reaktion ist ein seufzendes Zungenschnalzen. "Ich weiß nicht, wie ich dir beweisen soll, dass ich kein Frauenschläger bin. Willst du mir deinen Anfangsbuchstaben in die Haut ritzen?" Selbst das würde ein narzisstischer Frauenschläger zulassen. "Nein." Mein Magen zieht sich unruhig zusammen, als wir auf dem Parkplatz ankommen. Scheiße. Ich hätte mir viel lieber zu Hause Gedanken darum machen müssen. Ich schnalle mich ab und will schon aus dem Wagen aussteigen, als seine warme Hand nach meiner greift. Es kribbelt in meinem Bauch. Mich hat noch nie ein Mann berührt. Dass er das jetzt tut und so sicher dabei ist, lässt mich schwerer atmen. Ich darf keinen Fehler machen. Mein Blick wechselt von seiner venenreichen Hand zu seinem so maskulinen Gesicht. "Lass mich dir die Tür öffnen." Ich schlucke. Ich will den Blick abwenden, aber ich würde kein Wort herauskriegen, um es ihm zu erlauben und das wäre mir nur noch unangenehmer. Stattdessen zucke ich nur mit meinen Schultern. Mir ist warm. Es kreist ein wenig in meinem Kopf durch seinen eindringlichen Blick und ich bin so unfassbar froh, dass er jetzt aussteigt. "Oh Gott", flüstere ich. Mein Herz schlägt schon wieder so schnell für mein sonst so monotones Leben und es schlägt noch schneller, als er mir die Tür öffnet und mir sogar seine große Hand hinhält.
Ich kann sie nicht greifen. Etwas in mir hindert mich daran und das ist auch der Grund, wieso ich mich am Sitz rausdrücke. Ich ignoriere es, dass ich ihm zu nahe komme, als ich aussteige und auch, dass mein Oberarm und ein Teil meiner Brust seinen Oberkörper streift. Ich will nur Zitronen und Neapolitaner. Mehr nicht. Zum Glück ist um diese Uhrzeit nicht viel los. Das heißt im Umkehrschluss, dass ich nicht lange an der Kasse warten muss. "Also, Schneeflocke. Fang an." Mir fällt nichts ein. Es fühlt sich wie ein Blackout an, den ich noch nie in meinem Leben hatte. Ich will vorbereitet darauf sein und nicht einfach drauflos reden. Ich muss mir Gedanken machen, auch wenn ich alles im Kopf habe. Ich ignoriere ihn, weil ich zu gehemmt bin, um zu antworten. Stattdessen nehme ich mir vier Netze Zitronen und zwei 4er-Packungen Neapolitaner zur Hand. Wäre kein Mörder neben mir, würde ich entspannt durch die Gänge schlendern und mir vielleicht noch das eine oder andere greifen, aber das kann ich mir für morgen aufschieben. Jetzt heißt es: zur Kasse gehen. "Ich habe Geduld und ich lasse dir Zeit, aber es gefällt mir nicht, dass du mich ignorierst. Ich meine es ernst mit dir und bin offen für deine Forderungen." Er hat ja recht. Ich will gar nicht so handeln, aber die Situation überfordert mich. Noch nie hat ein Mann so einen Schritt gewagt. Was ist, wenn er mich verletzt? Was ist, wenn er mich verlässt? Ich schaue nur einmal zu ihm. Einmal und das kurz. Mein Blick ist flehend. Flehend, mir meine Zeit zu geben und ich hoffe, er hat es verstanden, denn bis zum Abscannen und dem genannten Betrag des Kassierers, bleibt er still. "Mit Karte", redet er und sofort krame ich nach meiner, nur zu spät, weil er seine schwarze Karte schon auf den Leser legt.
"Du sollst nicht für mich zahlen. Ich arbeite und verdiene genug." "Ich auch. Schon die zweite Gemeinsamkeit. Komm. Den Bon brauche ich nicht. Schönen Abend noch." Er nimmt meine Ware in seine großen Hände und nickt zum Ausgang. Das Ganze fühlt sich so erschreckend normal und sogar angenehm an. Er in seinem Anzug, der nicht zu locker und nicht zu eng anliegt, mit seinem kantigen Gesicht und stechend blauen Augen und ich in meiner legeren blauen Jeans, Chucks, einem weißen Rollkragenpullover und wieder meiner Oversize-Bikerjacke. Mir tut die frische Abendluft gerade unfassbar gut. Am liebsten würde ich nach Hause laufen. "Willst du mir jetzt von deinen Forderungen erzählen?", fragt er mich, als wir im Auto sitzen. Ich schüttele den Kopf. "Ich muss es in Ruhe durchgehen. Ich will nichts vergessen", antworte ich wahrheitsgemäß. Er nickt. "Und wann willst du es mir sagen?" Das ist eine sehr gute Frage, auf die ich keine Antwort habe. "Geh mit mir essen. Nur ein Essen, Avin." Wie schön er meinen Namen ausspricht. So perfekt, so richtig. Viele denken, ich werde Ävin ausgesprochen oder sprechen das i zu kurz aus, aber er spricht den ersten Vokal so wunderschön lang aus wie den zweiten. Ich winde mich kaum merklich auf dem schwarzen Ledersitz. Ich will eigentlich nicht. Ich spüre aber nicht dieses vehemente Rebellieren meines Bauchgefühls. Ich muss. Nur so kann ich meine Familie aus dem Kaff holen und meinen Traum verwirklichen.
"Sonntag. Das Fleisch muss helal sein." Ich liebe mich dafür, dass ich das so apodiktisch und fest sage und ihm dabei tief in die Augen gucke. Er nickt. "Irgendwelche Präferenzen?" Ich bin für den einen winzigen Moment abgelenkt, indem ich sein Schlucken höre. Es war schon immer eine komische Vorliebe, Adamsäpfel springen zu sehen. Der erste Knopf ist auch noch geöffnet und STOPP! Genug! Ich atme tief durch, schließe für einen Moment meine Augen, um meine Contenance beizubehalten. Er wird niemals erfahren, dass sich sein Hals vor meinem geistigen Auge jetzt abspielt und wie sein Adamsapfel in Zeitlupe hochspringt. "Nein. Ich esse alles, aber bevorzuge Hähnchen." "Was ist mit deinen Lebensmittelallergien?" Es würde mich nicht wundern, wenn er sich die Zeit nimmt und meine Gesundheitsakte auswendiglernt. "Das pendelt sich ein. Nichts Lebensbedrohliches." Nur ein wenig Juckreiz. Das passt schon. Er nickt und fährt dann los. Es ist dunkel draußen. Ich muss zugeben, dass ich diese Fahrt ein wenig genieße. So sehr ich mich nie einem Mann hingeben wollte, so sehr habe ich mich nach einer Beziehung gesehnt. Ich konnte es nur in meinem Kopf ausleben, weil ich mich vor der Realität fürchte und doch merke ich gerade, wie sehr sich meine Seele davon nährt, dass dieser große mysteriöse Mann vor meinem Block anhält und mich sogar vor meine Haustür bringt.
"Wann soll ich dich abholen?" Im gelblichen Licht der Wandleuchte stechen seine Konturen noch stärker hervor und das Blau seiner Augen wirkt noch heller. "17:00 Uhr." Dann habe ich genug Zeit, um meine Mutter zu besuchen. Er nickt. Es gefällt mir sehr, dass er nickt. Zu sehr. "Hier." Seine Hand gleitet in die Tasche seines Mantels. Er zieht einen kleinen Schnipsel raus. Es ist seine Handynummer. "Falls du doch nicht kannst, es auf morgen vorschieben willst oder eine zeitliche Änderung ankündigen möchtest. Ich freue mich sehr, dich ausführen zu dürfen. Zieh dir etwas Schönes an." "Mir reicht Döner oder Dönerteller." "Du kriegst sogar beides, wenn du willst. Ich führe dich trotzdem aus und das an einen Ort, der sich deiner edlen Anmut anpassen soll. Wenn du nichts hast, lasse ich dir etwas liefern. Es wäre morgen da." Das ist wie im Traum. Ich habe Sachen ... aber, wenn er von einem edlen, schönen Ort spricht, habe ich doch nichts, was dazu passen würde. Es wäre mir eigentlich egal, wenn ich dem Dresscode nicht entspreche, aber nach Jahren habe ich wieder Lust, mich einmal so richtig schönzumachen. Ich verdiene es. Ich verdiene es, mein Leben ein wenig zu romantisieren. Es ist doch nicht schlimm, so ein Angebot anzunehmen. "Lass es nicht zu freizügig sein." Seine Züge erhellen sich, auch wenn er nicht lächelt. Er ist zufrieden, wenn auch überrascht. Mein Bauch kribbelt ganz aufgeregt. Das wird mein erstes Date jemals sein. "Eine spezielle Farbe?" "Nein." Ich bin plötzlich ganz hibbelig. Das ist nicht gut. Ich vertraue ihm trotzdem nicht. "Sonntag, 17:00 Uhr dann. Ich freue mich, Schneeflocke."
Mein Problem ist, dass ich mich auch freue, so sehr ich mich gegen das Gefühl auch sträube.
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