Kapitel 31

Wir waren fast drei Wochen in Dubai. Wir hätten auch früher zurückkommen können, aber Azad wollte noch bleiben. Irgendwo im Inneren war ich auch froh über diese Entscheidung, denn es tat wirklich gut, endlich mal eine andere Luft atmen zu dürfen. Dubai ist nach wie vor nichts Besonderes für mich, aber die Erinnerungen, die ich dort machen durfte, haben schöne Assoziationen entstehen lassen. Wir waren sowohl in der Wüste als auch in einer Schießhalle am Schießen, haben die wunderschönen Moscheen in Dubai und Abu Dhabi besucht, waren Jetski fahren und jeden Abend am Meer, um meine Haut mit dem Salzwasser zu therapieren. Das war eine gute Gewöhnung an seine Berührungen. Wir sind uns nicht weiter nahegekommen. Nach den Küssen in der Küche habe ich aber gespürt, dass Azad intimer werden wollte, was auch verständlich ist. Er mag mich. Er fühlt sich zu mir hingezogen und er zeigt es auch offenkundig und ich bewundere ihn wirklich dafür. Ich mag es, dass er ehrlich und aufmerksam ist, auch wenn ich ihn als Schleimer betitele. Ich brauche das. Es gibt mir ein kleines Gefühl von Macht. Heute veranstaltet meine Mutter ein Willkommensessen. Sie hat mich schrecklich vermisst und mich deshalb angemeckert, was ich belustigt hingenommen habe. Dijan wird auch dabei sein und auch seine Familie, die auch noch einmal ein Essen für uns kochen möchte. Von meiner Schwägerin, die noch ein Essen zur Feier für unsere Hochzeit veranstalten möchte und all den anderen Verwandten, will ich gar nicht anfangen. Wir werden diesen Monat auf jeden Fall viele Ressourcen sparen.

Azad hilft mir aus dem Jet. Das Wetter hier habe ich mir schon denken können. Wolkige 23 Grad, aber dennoch eine Erfrischung zu der Hitze in Dubai. Bald findet auch die Gala statt, von der Azad gesprochen hat. Wir haben noch kein Kleid, aber ich bin mir sicher, wenn ich einmal nach Duisburg-Marxloh fahre, finde ich etwas. Als ich den Maserati erblicke, wäre mir fast aus Spaß ausgerutscht, dass ich ihn vermisst hätte. Das schöne Auto habe ich lang nicht mehr gesehen und jetzt in ihm sitzen zu dürfen, erweckt eine kleine Nostalgie. Ich erinnere mich daran, wie ich vor Azad weggerannt bin und muss wieder schmunzeln. "Was amüsiert dich so, Schneeflocke?" "Du." Ich schaue zu ihm, schmunzele immer noch dabei. "Ich?" Seine Augenbraue hebt sich. "Ja. Ich habe wieder an das eine Mal gedacht, wo du deinen Mantel ausziehen wolltest und ich das genutzt habe, um wegzurennen." "Wusstest du, dass du watschelst?" Was für ein Themawechsel! Ich pruste los. "Kann schon sein. Mein Skelett ist nicht das Geradeste." "Das steht auch in deiner Orthopädie-Akte. Dein linkes Bein ist ein wenig kürzer-," "Warum weißt du das so genau?", unterbreche ich ihn streng. "Sollte ich nicht alles über meine Frau wissen?" Er fährt vom Platz, ohne den Blick von mir zu nehmen. Weil er aber lieber dafür sorgen soll, dass er niemanden umfährt, drehe ich sein rasiertes Gesicht auf die Straße. "Du hast meine Akte auswendiggelernt." "Leider noch nicht ganz, verzeih mir." "Nein", erwidere ich trocken. Was stimmt nicht mit mir, dass mich der Fakt schmunzeln lässt? Er hat Zugang zu meinen Patientenakten und mir macht es nichts!

"Würde es dir wirklich nichts ausmachen, wenn das Kleid für die Gala hellblau ist?" "Ist mir egal." "Perfekt. Dann habe ich schon ein Kleid für dich gefunden. Du wirst atemberaubend darin aussehen." "Muss es erst sehen." "Ich bin mir sicher, dass es dir gefallen wird." "Verunsichere ich dich also nicht mehr?", frage ich mit angezogener Augenbraue, als ich zu ihm schaue. "Das tust du jeden Tag, sobald du mich vor 05:00 Uhr aus dem Bett für das Morgengebet zerrst, Schneeflocke. Die Wirkung wird mich selbst im Grab nicht loslassen." "Hoffe ich auch für dich", murmele ich und schaue wieder auf die Straße. Er lacht leise auf. "Gefällt dir das Dominieren?" "Ja." "Gefällt mir." "Sei still." "Was immer du wünschst, Schneeflocke. Mir gefallen deine Befehle." "Sicher, dass du nicht degradiert werden willst im Bett?" Fuck. Wieso konnte ich mir den Ort nicht verkneifen? Dass es im Bett stattfindet, musste echt nicht sein. "Ich bin sehr angetan davon, dass du an Tätigkeiten in unserem Ehebett denkst. Dann bin ich nicht der Einzige, aber nein. Degradierungen gefallen mir persönlich nicht. Mir gefällt es aber, wenn meiner Frau ihre Dominanz zeigt. Du könntest mich anschreien und es würde mich anturnen." Ach du Scheiße. Dieser blauäugige Psycho! "Werden wir ja sehen", murmele ich. "Du möchtest also bald intim werden? Endlich-," "Nein!", knurre ich. Wir werden gar nichts machen!

"Schade", seufzt er. Oh mein Gott, was ein Dramatiker! "Bist du immer so verzweifelt?" "Bin ich, seitdem ich dich kenne, Schneeflocke. Meine Liebe bleibt unerwidert." Liebe? Liebe. Was für Liebe? Er liebt mich nicht. Das kann er gar nicht. Das ist unrealistisch. "Deine Liebe kann nicht erwidert werden, wenn du selbst nicht liebst." "Aber das tue ich doch?" "Tust du nicht!" Ich schaue ihn warnend an. Was redet dieser Mann da? Er ist 27 und weiß nicht, wann er liebt? Azads Augenbrauen ziehen sich jetzt zusammen. "Wo ist das Problem?", fragt er ernster. Mir wird warm. "Du redest von Liebe." "Richtig", erwidert er stumpfer und mein Magen zieht sich daraufhin zusammen. "Aber du liebst mich nicht." "Behauptet wer?" Das ... er will mich doch komplett verarschen. "Ich!" "Und bist du ich?" "Nein, aber ich kann anscheinend logisch denken." "Emotional ist nicht rational." Das ... er hat mich wirklich mundtot gemacht. Mit etwas, was ich selbst sagen würde! Das ... ich bin baff. Mir wird heiß vor Scham. Ich bin verdutzt und verdattert. "Du willst mir sagen, dass du mich liebst?" "Sollte es nach meinen bisherigen Taten nicht ein bisschen offensichtlich sein?" "Ist das irgendein Spiel von dir?" "Avin", setzt er warnend an. Die Spannung nimmt zu und leider sorgt sie dafür, dass ich verstumme. Dass er schneller fährt, macht mich nur unruhiger, aber andererseits bin ich froh darüber, weil es mich ablenkt.

"Ich mag dich, ich begehre dich und ich liebe dich. Warum ist das so problematisch für dich? Warum willst du mich von dir stoßen?" Er hat ... hat er ... er hat gerade wirklich gesagt, dass er mich liebt. Mir fehlen dir Worte. In mir herrscht eine Explosion. Ein Chaos. Er hat wirklich gesagt, dass er mich liebt. Mir hat noch nie jemand gesagt, dass er mich liebt. Dauert so etwas nicht länger? Ich habe oft gehört, dass man sich schnell verlieben kann, aber ... ich kann es irgendwie nicht glauben, so schön es sich irgendwo irgendwie auch anhört. Dass er mich mag, ist verständlich. Ich tue es ja auch, aber lieben? So schnell? Wir kennen uns seit März und es ist jetzt Mai. Kann man sich in diesem Zeitraum ineinander verlieben? "Wie kannst du dir so sicher sein?", flüstere ich. Meine Stimme ist ganz belegt. Ich bin überfordert. Ich verstehe es nicht. "Weil ich es fühle, Avin." Er blinkt rechts. Wir sind schon zu Hause. Ich habe gar nicht bemerkt, dass wir schon am See vorbeigefahren sind. Ich möchte nicht sprechen, wenn die Sicherheitsmänner alle da sind. Sie kommen zu uns, damit sie die Koffer ins Haus tragen und uns begrüßen. Wir bleiben ruhig, aber ich spüre ganz genau, dass es gleich weitergehen wird. Mit so einer Diskussion habe ich nicht gerechnet und vor allem nicht direkt nach dem Ende der Flitterwochen.

Azad nimmt mein Handgelenk und zieht mich in den Wohnbereich, in das ich nur widerwillig eintrete. Solange die Sicherheitsmänner noch im Haus sind, wird keiner von uns sprechen. Ich setze mich an den Esstisch, Azad hingegen bleibt vor dem Stuhl am Ende des Tisches stehen und knöpft sich die Ärmel auf, um sie hochzukrempeln, dann auch die nächsten zwei Knöpfe nach dem ersten offenen am Kragen. Dass die Männer jetzt aus dem Haus treten und die Tür ins Schloss fällt, sorgt für ein nervöses Ziehen in meinem Bauch. "Sag mir, was dein Problem ist, Avin." Seine Finger trommeln ungeduldig auf dem Stuhlrücken. "Hab keins." "Offensichtlich doch." "Offensichtlich nicht", erwidere ich schroffer. Was wird das hier? "Wenn du keins hättest, würdest du mich nicht permanent von dir stoßen." "Was erwartest du auch von mir? Dass ich dich auch nach drei Monaten liebe, wie du es angeblich tust?" Ich halte inne, als ich die Wut in seinen Augen aufflammen sehe. Mir wird heiß vor Nervosität. "Avin", setzt er bedrohlich leise an. Seine Finger umklammern den Rand des Stuhls. Seine Sehnen schimmern durch seine Haut hervor. Mir wird schlecht. Ich habe nichts, um mich zu verteidigen. Ich schiebe meinen Stuhl zurück, für den Fall, dass ich vor seinen Händen fliehen muss. "Stell meine Empfindungen nicht als lächerlich dar. Hab ein wenig Respekt davor." Und schon zieht sich mein Bauch erneut zusammen. Ich erwidere nichts darauf, schaue ihn nur stur an.

Ich hatte wahrscheinlich noch nie einen so starken Gegner, der den Blick nicht abwendet. Das Problem ist auch, dass ich Angst habe. Angst, dass er mir etwas antut. Demnach weiß ich nicht, ob ich es riskieren soll, es aus ihm herauszukitzeln, damit ich sein wahres Gesicht sehe oder es niemals provozieren sollte, um die Ruhe zu behalten. Seine Augen wirken so grell, so stark, dass ich sie selbst in dem winzigen Moment sehe, in dem ich blinzele. "Ich verstehe, dass du Angst hast und jahrelanges Misstrauen in dir trägst, aber das heißt noch lange nicht, dass du es dir erlauben darfst, mir meine Empfindungen abzusprechen. Wenn ich Liebe empfinde, tue ich das. Wenn ich Lust empfinde, tue ich das. Wenn ich meine Ehefrau also liebe, weil sie mir so gefällt, wie sie ist, dann zeige ich es ihr, soweit sie es toleriert und sage es ihr. Und so sehr ich dich respektiere, werde ich es mir nicht von dir verbieten lassen. Es gibt keinen Grund, dass du so zu mir bist, weil ich dir alles erzähle. Du darfst an mein Handy, du darfst meine Nachrichten lesen. Ich habe dir sogar Tests angeboten, Avin!", gibt er am Ende lauter von sich. Azad löst sich vom Stuhl, um sich seufzend über sein Gesicht zu fahren. "Darf ich dich jetzt etwa nicht mehr lieben?" Die Frage könnte ich aus Trotz mit Nein beantworten, aber ich will nicht. Gerade möchte ich überhaupt nicht sprechen, weil die Spannung mir alle Muskeln lähmt.

Azad kommt zu mir herum und stemmt seine Hände auf dem Tisch ab. Mein Bauch reagiert wieder. Meine Temperatur steigt. "Ich verstehe, dass du mich nicht liebst. Ich verstehe es voll und ganz und weiß, dass jeder Mensch seine Zeit braucht, bis er Gefühle zulässt, aber nur weil ich da freier bin, musst du es mir nicht ruinieren. Das wirst du nicht schaffen." Ich senke den Blick, kann es mir aber nicht verkneifen meine Augen zu verdrehen. "Avin", setzt er wieder warnend deshalb an. Seine Hand hebt mein Gesicht an und meine Hand krallt sich warnend an seinem freien Unterarm fest. Irrational. Ich dachte, er tut mir etwas. Ich dachte, er wird mir jetzt wehtun. Mir geht es nicht gut. Mein Kopf pocht. Mein Herz rast. Mir steigen die Tränen auf, obwohl ich es nicht will. Meine Atmung geht schneller und ich könnte besser Luft kriegen, wenn ich den Mund öffnen würde, aber ich bin zu stur gerade. Er überfordert mich. Er soll weg. Ich muss weg. Azad versteht, dass es mir zu viel wird und lässt mich sofort los, schreitet zurück, damit ich genug Platz habe. Wieso bin ich so unaufmerksam? Er hätte jetzt alles Mögliche tun können. Mir ist schlecht. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. "Avin." Ich will nicht! Ich will das nicht! Wieso habe ich mich auf eine Ehe eingelassen, wenn ich mit Gefühlen nicht klarkomme?

"Kriegst du Luft?" Ich nicke. Es drückt nur stark im Brustkorb. "Ich hole dir Wasser. Einen Moment." Ich bin verwirrt. Mir ist schwindelig. War's das? Kommt noch etwas? Ist er wieder der normale Azad? War das gerade alles, was er tun konnte? Würde er weitergehen? Oder würde er immer zurücktreten und mir Wasser reichen wie jetzt? Ich trinke das Wasser in drei Zügen aus. Ich muss liegen. Azad hält mir vorsichtig seine Hand hin, um mir aufzuhelfen. Gerade komme ich mir so ausgelaugt vor. So sehr, dass ich meine Beine nicht ganz durchstrecken kann. "Avin ... möchtest du vielleicht professionelle Hilfe in Anspruch nehmen?" "Nein", murmele ich. "Okay. Warte, ich ziehe dir die Schuhe aus." Ich halte mich am Tisch und an seinem Kopf fest, als er sich zu den High Heels hinunterbeugt und die Schnallen öffnet. "Kannst raus." Ich ziehe meinen Fuß aus dem ersten weißen Schuh, dann aus dem zweiten. Bis gerade war noch alles gut und jetzt dreht sich mein Kopf. Ich bin müde. Ich muss liegen. "Komm, lass uns hoch." Ich stütze mich an seinem Arm ab, schleife mich die Stufen hoch zu unserem gemachten Bett. Der Blumenstrauß steht in der Vase auf meinem Schminktisch. Azad hat jemanden beauftragt, der sie mit Glycerin professionell konserviert, sodass sie haltbar bleiben. Ich kenne Glycerin nur als Eindeckmittel für Gewebe und als Oklusionsmittel.

Ich lasse mich seufzend auf dem Bett nieder. Das war zu viel mich gerade. Die Stille ist erdrückend, aber ich brauche sie gerade. Ich brauche Ruhe. Ich will nicht noch mehr Stress. "Soll ich das Essen heute absagen? Brauchst du Schlaf?" Ich verneine es. "Nur kurz Ruhe", murmele ich. "Soll ich dir etwas zu Essen machen für deinen Kreislauf?" Ich verneine es. Wir haben im Flugzeug schon gegessen. "Okay", flüstert er. "Ich komme näher, okay?" Ich nicke. Meine Ohren werden aufmerksamer, als er sich auf dem Bett bewegt. Ich spüre seine Nähe hinter mir und erschaudere deshalb. "Avin ... ich ..." Seufzen. Tiefes, resigniertes Seufzen seinerseits. "Es tut mir leid. Ich wollte dir keine Angst machen. Habe ich dir wehgetan?" Ich verneine es. "Wir haben noch Zeit bis zum Essen. Soll ich dir ein Bad einlassen?" Ich weiß nicht. Wird mir das helfen? Ich habe gerade keine Kraft, mich auszuziehen und alleine bei dem Gedanken, mich einzucremen und wieder anzuziehen vergeht mir die Lust. Vor allem, da ich meine Periode habe. Daher verneine ich es kopfschüttelnd. "Ich ... ach, egal. Wir verschieben das." Seine Finger fahren zärtlich über meinen Oberarm. "Soll ich dich alleine lassen?" Ich schüttele den Kopf, so paradox es auch ist. Ich will nicht, dass er geht, auch wenn ich ihn gerade von mir stoßen wollte. Das macht keinen Sinn. Ich bin verwirrt. Ich weiß nicht, was ich fühlen soll.

"Okay. Soll ich ... willst du dich an meine Brust legen?" Will ich das? Ich mag es. Wir haben das öfter in den Flitterwochen gemacht. Vielleicht hilft mir das. Ich drehe mich zögernd um, schaue unsicher auf seine Brust und dann in seine Augen, die mich vorsichtig erblicken. Ich will nur Schutz und Ruhe und an seiner Brust habe ich sie oft gefunden. Vielleicht finde ich sie ja auch heute dort. Ich lasse mich auf ihr sinken, atme sein herbes Parfüm heimlich ein und schließe meine Augen unter seiner Berührung an meiner Kopfhaut. Und so bleiben wir, bis wir zu meinen Eltern fahren. Wir haben kein Wort gesprochen. Auch jetzt sprechen wir kein Wort, selbst als ich die Straße wiedererkenne, die ich jenen Mittwochabend durchgelaufen bin und ihn zum ersten Mal gesehen habe. Und jetzt wohnt meine Familie in dem schwarzen Haus, wo einst eine Leiche hineingeschleppt wurde. Die Straße ist zugeparkt mit den teuersten Autos, darunter auch Dilnias CLA. Es sind aber nicht alle, was auch unnötig ist. Ich steige aus, richte das wadenlange, lila geblümte Kleid und schultere die kleine, weiße Tasche neu, die Azad mir in den Flitterwochen gekauft hat. Ich warte noch, bis er das Auto abschließt und laufe dann mit ihm zur Tür. Meine Mutter begrüßt uns voller Freude, zieht mich in ihre speckigen Arme und küsst mein ganzes Gesicht ab. Hoffentlich schmecke ich nicht nach Sonnencreme. "Du bist so braun geworden", murmelt sie. Ich spüre Azads Brust plötzlich an meinem Rücken, weshalb ich erschaudere. Meine Mutter scheint wohl sehr ungeduldig zu sein und uns beide schrecklich vermisst zu haben.

"Alle sind im Wohnzimmer." Sie lässt uns wieder los. Ihre Augen tränen vor Freude. Endlich. Endlich keine Tränen der Trauer mehr. Ich trete einen Schritt zur Seite, weil Azad sich hinunterbeugt, nur rechne ich nicht damit, dass die Schnalle meiner High Heels öffnet. Doch nicht vor meiner Mutter! Ich reiße die Augen auf. Das ist eine enorm große Form der Intimität für mich. Meine Mutter versteckt ihr Grinsen hinter ihrer kleinen Hand. Ich scheuche sie wortlos weg. Das ist mir zu viel. "Du sollst das nicht machen", murmele ich angespannt. "Warum nicht?" "Weil das zu intim ist." "Zu intim? Was waren dann die anderen Erlebnisse, Schneeflocke?" Wenn du nur wüsstest. Manchmal denke ich an die Küsse an meinen Beinen oder an meinem Hals nach oder wie seine Finger über meinen Schenkel gefahren sind und bin baff, wie ich so etwas zulassen konnte. Ich steige schweigend aus den Schuhen. "Danke." "Immer wieder gern, Schneeflocke. Gewöhn' dich dran." Ich weiß ja nicht. Ich verstecke meine Füße, trotz dessen, dass sie mir mit dem weißen Nagellack besser gefallen. Trotzdem will ich nicht, dass er sie sieht. Gleich werde ich nur mit versteckten und gekräuselten Zehen im Wohnzimmer sitzen. Ich lasse mich von Azad durch den weißen Flur ins Wohnzimmer bringen, wo schon alle aufstehen, um uns zu begrüßen. Dass Dijan und Aras nebeneinanderstehen, ist kein Zufall. Meine Augenbraue hebt sich, Aras grinst und Dijan lächelt so hohl wie immer. Großer Gott, ich habe schon wieder den Lipgloss vergessen!

"Hallo, Schwester! Du siehst gut aus. Du bist voll braun geworden!" Sie drückt mich an sich und tätschelt meinen Rücken dabei. "Und was hast du so Schönes in meiner Abwesenheit getrieben?" Ich schaue warnend zu Aras, der sich gerade von seinem Zwillingsbruder trennt. "Schwägerin, dein Blick sagt mir hoffentlich, dass du mich genauso schrecklich vermisst hast, wie ich dich." Ich verdrehe meine Augen, schmunzele aber, als er mich in den Arm nimmt. "Ich habe dich endlich wieder in greifbarer Nähe zum Abstechen." "Bitte nicht. Mein hübscher Körper muss intakt bleiben." Meine Nägel bohren sich warnend in seine Schulter. "Ich habe deine hübsche Freundin nicht angerührt", flüstert er. Ich drücke ihn weg von mir, kann meine Drohung gar nicht ansetzen, weil Dilnia mich in ihre Arme zieht. Dieses Mädchen ist verdammt stark, so zierlich sie auch ist! "Hiiiiii! Ich habe dich so vermisst! Du siehst so toll aus und so braun und deine Brüste erst", flüstert sie zum Schluss. Ach, Dilnia. Ich nehme es belustigt hin. Die Begrüßungsrunde geht gut zwei Minuten, wobei ich seine nervige Schwester bewusst auslasse, ehe ich mich zwischen Dijan und meiner Mutter niederlasse. "Dein Auto ist nirgends", merke ich diskret an. "Ja, meine Schwester brauchte es. Sie hat mich gefahren." "Sicher?", hake ich nach. "Ja, Schwester. Ich schwöre." Na gut. Ich bleibe trotzdem skeptisch und genieße es, dass Dijan unter meinem Blick nervös wird.

"Was?", nuschelt sie. An ihrer vollen Oberlippe klebt jetzt ein Splitter der Schale des aufgeknackten Sonnenblumenkerns. "Was habt ihr gemacht?" "Gar nichts!" Ihre braunen Augen werden ganz groß. "Ich hatte die letzten Wochen nur Uni-Abgaben und habe gearbeitet. Du kennst meinen Alltag doch." Leider. Dijan arbeitet bei ihrem Onkel, der sie, ihre Naivität und Geduld ausnutzt. "Hat er sich bei dir gemeldet?" Mein Blick gleitet kurz zu Aras, der sich gerade mit Azad unterhält. "Er kam bei meiner Arbeit vorbei." Aha. Interessant. Ich verschränke interessiert die Arme vor der Brust. "Und?" "Er hat einen Kebabteller bestellt und dann musste er wieder zur Arbeit." "Hat er dich vollgelabert?" "Nein, ich hatte keine Zeit und ich habe nicht gefragt. Du meintest, dass er ein Player ist und ich höre auf Mama Avin." Hoffe ich auch mal für sie. Wie oft habe ich ihr schon gesagt, dass der Typ, mit dem sie gerade schreibt, nicht gut für sie ist sowie eine Zeit- und Energieverschwendung und sie jedes Mal von selbst auf die Schnauze fallen musste, um es zu realisieren. So nett Aras auch ist, kann er genauso sein und dadurch, dass ich ihn erst jetzt kennenlerne, muss ich ihn mit Fragen und Fallen durchlöchern. "Bleib dabei." "Aber er ist so hübsch", seufzt sie viel zu laut. Aras Augenbraue hebt sich gleichzeitig mit seinem Mundwinkel. Dijan kann wirklich kein bisschen Flüstern. Ich müsste mir dringend ihr Karyogramm anschauen, um zu sehen, welches Chromosom einen Riss aufweist.

"Das ist Azads Zwillingsbruder." "Echt? Die sehen sich gar nicht ähnlich." "Es sind zweieiige Zwillinge." "Ach so." Dijan muss man des Öfteren noch einmal Dinge erklären, die man eventuell als Biologie-Studentin wissen sollte. Na ja, wir haben unsere Form der Symbiose: Ich helfe ihr durchs Studium, indem ich ihre Essays, Berichte und weitere Schreiben überarbeite und sie mit meinem Fachwissen aufbessere, wenn möglich, ihr Kreisläufe, Biochemie und weiteres aus dem Studium erkläre und sie schafft es so gut wie immer, das Essen auszugeben, wenn wir draußen sind. Ein guter Deal, wie ich finde. "Und Azad ist der Ältere?" "Nein, Aras, obwohl er wie ein 20-jähriger Player wirkt." "Wie alt sind sie?" Ach, das weiß sie ja gar nicht. Ich schmunzele, als ich durch mein Haar fahre. "27." Ihre Augen weiten sich. "Du hast dir einen Sugardaddy geklärt?" "Dijan!", knurre ich. Es wird zwar wieder viel und laut gesprochen, aber die zwei blauäugigen Mörder hören uns trotzdem! "Schwester, Schwester, du hast einen guten Fang gemacht." Dijan knackt stolz und anerkennend den Sonnenblumenkern zwischen ihren Schneidezähnen auf. "Je älter, desto schneller stirbt er und du kriegst sein Geld." "Oh mein Gott", seufze ich resigniert. Es hat keinen Sinn, ihr zu sagen, dass sie leiser reden soll. Leuten mit Gendefekten kann man ihre Krankheit nicht ausreden.

Das Essen verlief gut. Meine Mutter ist aufgefallen, dass ich Suzan nicht umarmt habe, woraufhin ich ihr gesagt habe, dass ich sie nicht mag. Dijan saß artig neben mir und hat Aras ignoriert und Azad hat mir immer die knusprige Haut seines Hähnchens gegeben. Ich bin aber froh, wieder zu Hause zu sein, so niedlich Dilnia auch war und mir erzählt hat, wie sehr sie mich vermisst hat und sich freut, mit mir rauszugehen. Ich muss ganz dringend mein Gesicht waschen, aber erst muss ich raus aus diesen schönen Schuhen, zu denen Azad sich wieder hinunterbeugt und sie mir öffnet. Es ist wirklich sehr nett und aufmerksam von ihm, aber das muss er nicht tun, auch wenn es mir irgendwo gefällt. "Es freut mich, dass du auch heute die Fußkettchen getragen hast." Die werde ich immer tragen. Immerhin trägt er auch seinen neusten Ohrring. Dilnia hat schon von unserem Schmuck geschwärmt und Aras hat uns angegrinst. "Wollen wir ins Wohnzimmer und reden?" Das Abwaschen muss wohl warten. Ich nicke verdeutlichend und gehe schon mal vor, solange er sich noch die Schuhe auszieht. Das große Sofa ist noch so bequem wie beim ersten Mal. Ich sinke auf dem glänzenden, frisch riechenden Leder nieder, breite meine Beine längst aus, bis er kommt. "Nein, lass." Azad hält meine Beine wieder fest, als ich sie runternehmen möchte, um ihm Platz zu machen. Stattdessen legt er sie sich quer über den Schoß und weil ich schon dabei bin, meine Füße zu verstecken, legt er ein Kissen auf sie. Immerhin.

"Lass uns über die heutige Auseinandersetzung bitte reden." Okay, ich nicke. Dass er mir über mein Bein fährt, kitzelt, aber er hört nicht auf, selbst als ich es anspanne und strecke. Stattdessen übt er sanften Druck auf meinem Schienbein aus. "Erstens: Ich hätte dir kein Haar gekrümmt. Ich werde dich niemals in einem Streit verletzen, Avin. Vor allem, weil ich mit eigenen Augen gesehen habe, was dir passiert ist. Ich. Fasse. Dich. Nicht. An." Er nickt eindringlich bei jedem Wort. Ich nicke, erschaudere aber trotzdem wegen der Erinnerung. "Zweitens: Ich nehme es hin, dass du mich nicht liebst, aber ich dulde es nicht, dass du meine Empfindungen mit Füßen trittst. Es würde dir auch nicht gefallen, wenn du mir deine Gefühle gestehst und ich mich darüber lächerlich mache, oder? Würde dich das nicht auch verletzen, so kühl du dich auch zeigst?" Würde es. Ich wäre sauer. Ich wäre wütend und würde meine Ehrlichkeit bereuen. Ich nicke stumm. Was soll ich auch anderes sagen? Er hat recht. Meine Reaktionen sind irrational. Meine Reaktionen sind Abwehrmechanismen. "Ein Mann kann sich auch in kürzester Zeit verlieben. Weder habe ich Hintergedanken, noch lüge ich dich an. Ich habe Gefühle für dich, Avin. Selbst wenn du mich mit deinem Messer verletzt, werden diese Gefühle bleiben." Er hat Gefühle für mich. Er hat tatsächlich Gefühle für mich, obwohl ich gar nichts mache.

Die Aufrichtigkeit in seinen blauen Augen glänzt. Seine Augenbrauen sind ein wenig zusammengezogen und sorgen für Mitleid in einem Eck meines Herzes. Ich möchte gar nicht so gemein zu ihm sein, aber ... ach, keine Ahnung, wie ich das erklären soll. "Ich würde mich freuen, wenn nur ein bisschen zurückkommt. Ich verlange nicht von dir, dass du mich jetzt zurückliebst." "Ich weiß", murmele ich. Azad lächelt matt ... das tut mir leid. "Aber fühlst du denn gar nichts?" Ich fühle so viel, Azad. Ich kann es nur nicht ordnen. Ich kann die Angst, die die schönen Gefühle überschwemmt, nicht kontrollieren. Es tut mir leid, dass ich dich damit verletze. Ich möchte dich gar nicht verletzen. Du weißt gar nicht, wie sehr ich deine Aufrichtigkeit bewundere und sie sogar ... liebe. Ich liebe seine Ehrlichkeit und dass er mir Aufmerksamkeit schenkt, sodass ich selbst wieder realisiere, dass ich eine Frau bin, die auch geliebt wird. Es kommt mir nur so unfassbar schwer über meine Lippen. Mein Hals fühlt sich eingeengt an. Der Druck auf meinem Nacken und Hinterkopf ist so unangenehm schwer. Meine Zunge fühlt sich sowohl trocken als auch pelzig an, wenn ich an schöne Gefühle für diesen schönen Mann denke. Aber meine Augen zeigen ihm, dass ich etwas fühle. Auch jetzt. Ich bin traurig, ich bin überfordert. Meine Augen glänzen durch den leichten Tränenfilm. Meine Tränen sind meine Worte.

Ich nehme meine Beine langsam runter von seinem Schoß, um zu ihm zu krabbeln und meinen Kopf an seine Schulter zu lehnen. Es ist schwer. Es wird schwer. Es war falsch von mir, ihn so abzustoßen, wo er so ehrlich war. Es war eiskalt und verantwortungslos, seine blanken Gefühle so abzuweisen. Ich weiß, dass es wehtut, auch wenn ich es nie selbst erlebt habe. Niemand möchte seine Gefühle so missachtet bekommen. "Tut mir leid", flüstere ich. Meine Stimme war kurz davor zu beben. "Schon okay", raunt er. Seine Lippen berühren meinen Scheitel, seine Finger meine Kopfhaut. Ich schlinge meinen Arm um seinen Rumpf, freue mich trotz des leichten Schauers, dass er auch seine um meinen Oberkörper legt und seine Hände auf meinem Arm ruhen lässt. "Was hat dein Zwillingsbruder über meine Freundin gesagt?" "Er hat mich darum gebeten, ein gutes Wort bei dir einzulegen. Du scheinst gut auf deine Freundin eingeredet zu haben, denn sie lässt ihm keine Chance." "Ich muss nicht auf sie einreden." Eigentlich schon, dafür, dass sie sonst immer auf Typen hinaus ist, aber dieses Mal bin ich echt stolz auf sie, dass sie denjenigen, der am besten bis jetzt aussieht und die besten Voraussetzungen hat, links liegen lässt. "Ich habe ihr klipp und klar die Sachlage erklärt und sie ist ein schlaues Mädchen." "Aras wird eine Menge zu tun haben." Das hoffe ich für ihn.

Es wird still zwischen uns. Ich mag die Ruhe und unser synchrones Atmen. Die Luft, die aus seiner Nase kommt, kitzelt meine Stirn dadurch, dass die kleinen Haare sie streifen. "Möchtest du die Tage wieder schießen gehen?" Ich nicke. Das wäre gut. "Ich lasse eine Kreditkarte für dich beantragen." "Wofür?" "Damit du eine hast. Mein Geld ist doch dein Geld laut dem Islam." "Schon, aber ich habe doch Geld." "Brauchst sicherlich mehr." "Eigentlich nicht." "Doch. Wenn ich eine schwarze Karte habe, lasse ich eine neue beantragen für dich." Aber ... wozu? Ich habe doch eine Karte. "Passt schon", erwidere ich, woraufhin er mich summend fester an sich drückt. Er liebt mich. Er hat Gefühle für mich. Meine Hand wandert zu seiner Brust ... und tatsächlich schlägt sein Herz schneller. Das ist verrückt. Oder er hat Herz-Kreislauf-Probleme. "Geh zum Kardiologen." "Er wird mir das sagen, was ich dir schon gesagt habe, Schneeflocke." "Glaube ich dir nicht." Doch er seufzt nur. "Ich hoffe, du gehst nicht so mit deinen Patienten um." "Meine Patienten werden sicherlich keine blauäugigen Mörder sein." Und schon brummt er. Azad verlagert uns seitlich aufs Sofa und dadurch, dass ich an ihm gelehnt bin, liege ich jetzt auf seiner Brust und zwischen seinen Beinen. "Ich bin mir sicher, dass du mich irgendwann verarzten wirst. Wenn nicht, werde ich sicherlich eifersüchtig, weil du andere Männer mir vorziehst", raunt er. Wie locker er das sagt.

"Wenn ich dich mit meinem Messer attackiere, schätze ich, dass ich dich verarzten muss." Ich weiß, dass er grinst. Ich muss nicht aufschauen, tue es aber trotzdem und komischerweise zieht sich mein Bauch angenehm zusammen. "Zwei Sachen, von denen ich seit langem träume." Oh Gott. Ich stöhne genervt auf. "Du alter Schleimer." "Tu deinem alten Ehemann doch bitte den Gefallen und pflege ihn." "Ich weiß ja nicht", erwidere ich unbeeindruckt und höre ihn daraufhin lachen. Es vibriert in meinen Ohren ... aber angenehm und nicht wie in Dijans Auto, wenn sie die Musik so laut aufdreht, dass ich mich selbst nicht einmal höre. Und es kribbelt auch auf meiner Haut. "Ach, Schneeflocke, ach ... wann schmilzt du endlich?" Ich muss schmunzeln. "Wir müssen noch zum Standesamt", erinnere ich ihn. Noch sind wir kein staatlich anerkanntes Paar. "Der Termin steht schon. Ende dieser Woche und um deine Bewerbung an der Universität habe ich mich auch schon gekümmert. Die Zusage kriegst du erst nach der offiziellen Bewerbungsphase, damit auch keinem etwas auffällt. Dann bist du offiziell eine Medizinstudentin im ersten Semester." Medizinstudentin. Wie schön sich das anhört. So perfekt. Ich lächele. Stark. Sehr stark. Mir steigen vor Freude die Tränen auf. Ich habe so lange darauf gewartet und es ist mir scheißegal, dass es durch Korruption entsteht. Ich habe es verdient. Ich verdiene es. "Du weißt nicht, wie lange ich darauf gewartet habe", flüstere ich. "Viel zu lang, Schneeflocke. Du verdienst es." Und wie. Ich verdiene es so sehr.

"Danke." "Nicht dafür." Aber wenigstens dafür, dass seine Finger so sanft auf meinem Rücken kreisen. "Du wirst eine grandiose Ärztin. Ich sehe es schon kommen." Wenn er so weiter macht, weine ich wirklich ein kleines bisschen. Es tut so gut, diese Worte zu hören, auch wenn ich sie von Dijan und meinen Eltern oft gehört habe. Es ist das, was ich immer wollte. "Möchtest du eine eigene Praxis oder im Krankenhaus arbeiten?" "Ich weiß nicht." "Du hast ja Zeit, aber in einer Praxis wäre es sicherlich bequemer für dich. Ich finanziere sie dir und das mit dem Papierkram regeln wir gemeinsam." Es kommt mir wie ein Traum vor, dass mir wirklich jemand hilft und Sachen für mich abnimmt. Ich bin wirklich diejenige, die nichts tun muss. Ich bin baff. Mir stärkt wirklich jemand so den Rücken, wie ich es mir immer gewünscht habe. Die Glücksgefühle rauschen mir durch den ganzen Körper, laufen alle in meinen Bauch, der vor Freude zu beben beginnt. Wann war ich zuletzt so glücklich? So erleichtert? Mir tun die Wangen schon vom Lächeln weh und es wird nur noch stärker, als ich zu Azad hinaufschaue. "Lächeln steht dir, Schneeflocke." Er tippt mir lächelnd auf mein rechtes Grübchen. Ich fühle mich gerade so anders. So lebendiger. So viel mutiger. Ich stütze mich langsam auf, beobachte ihn, wie er mich neugierig beobachtet.

Ich ... einmal kann ich es doch machen, oder? Nur ein kleiner Schritt. Ich nähere mich ihm, ganz vorsichtig, sehr zögernd. Azad wagt keinen Ruck. Er beobachtet mich mit geweiteten Pupillen dabei, wie ich mich seinem Gesicht nähere. Mein Herz klopft mir bis in die Ohren. Mir wird warm und ich bin sicherlich rot im Gesicht. Ich weiß gar nicht, ob das so richtig ist, aber anders lenkt mich mein Körper gar nicht zu seiner Wange, um ihm einen sanften Kuss zu geben. Ein wenig länger, ein wenig unsicher. Der Moment ist kurz, aber lebendig. Mein Bauch kribbelt. Es ist, als würde man kaltes Wasser über mich gießen, selbst als ich mich von ihm löse. "Danke für deine Unterstützung." Azad wirkt wirklich zu überwältigt, um zu sprechen. Ihm entkommen nur ganz leise, abgehakte Wortansätze. Das war der allererste Kuss, den ich einem Mann gegeben habe. Mein Herz schlägt schnell. Ich hoffe, seins schlägt genauso schnell. "Avin", setzt er leise an. Keiner von uns regt sich. Dieser Moment ist ... er ist schön. Ich mag ihn. Er ist neu und so frisch. Er erweckt etwas in mir. Ich lächele, ein wenig frech, weil ich den blauäugigen Mörder so aus der Fassung gebracht habe. Es gefällt mir, ihn so zu sehen. Meine Hand legt sich neckend auf seine Brust, spürt tatsächlich, wie schnell sein Herz schlägt. "Mir gefällt es, wenn durch mich dein Herz so schnell schlägt." Azad beginnt mein Grinsen zu erwidern. Mir gefällt sein schiefes Grinsen heute besonders. "Mir auch." Mir auch, Azad. Mir auch.

Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber es kann sein, dass du dich ein Stück weit durch den Weg meines Herzes gearbeitet hast.

____________________________

Versteht ihr Azad?
Versteht ihr Avin?

- Helo

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top