Kapitel 29

"Nein, Salz." Wir sind seit eineinhalb Stunden wieder in Dubai. Der Ausflug war schön - auch wegen der Natur um uns herum. Azad konnte mich nur schwer überzeugen, ins Wasser zu steigen. Anfangs habe ich mich geweigert, aber als wir an einem türkisfarbenen, klaren Bereich angekommen sind, habe ich mich doch getraut, reinzuspringen. Wir hätten länger bleiben können, wenn Azad nicht pochende Kopfschmerzen trotz Sonnenbrille, Ausruhen und Kopfschmerztablette hätte. Die Sonne in Oman scheint wohl doch stärker zu sein als hier in Dubai, aber bei dem ganzen Wasser um uns herum, ist es nicht anders zu erwarten, dass man geblendet wird. Ich bin trotz Sonnenschutz braun geworden, obwohl ich sonst sehr langsam braun werde. Azad hingegen hat seine Farbe behalten. Er ist aber auch von Natur aus dunkler als ich. Im Winter bin ich bleich und im Sommer habe ich einen wärmeren, rötlichen Unterton. "Wir hätten auch einfach in ein Restaurant-," "Sei still und gib mir das Salz." Wie anstrengend es ist, mit ihm zu kochen. Wenn ich das Salz will, will ich es sofort. "Was immer du willst, Schneeflocke." Er reicht mir die Mühle, mit der ich nicht sonderlich viel anfangen kann. Ich mag keine Salz- und Pfeffermühlen. Woher soll ich die Kraft nehmen und mein Handgelenk auf Dauer so zu belasten, dass sich eine potenzielle Sehnenscheidenentzündung entwickeln kann? Ein Streuer ist viel angenehmer.

Die Indomie-Nudeln können gleich zu der Gemüsebrühe. Dadurch, dass ich nicht möchte, dass das Gemüse schlecht wird, habe ich direkt eine große Menge an Zwiebeln, von Azad geriebenen Karotten und Lauch mit Hühnerbrühe aufkochen lassen. Es wird mehr Brühe als Nudeln sein, aber dann haben wir noch etwas für morgen zum Frühstück übrig. "Machst du dir öfter solche Nudeln?" "Ja." "Dann muss es schmecken." Ich antworte nicht weiter, sondern rühre die Brühe um. Vom Salzgehalt passt es, aber ich sollte ihn auch noch abschmecken lassen. Daher löffele ich ein wenig der Brühe auf, puste zweimal und halte es vor seine Lippen, die sich für einen kurzen Moment zu einem Lächeln verziehen wollen. "Probier', bevor ich es mir anders überlege." "Niemals würde ich mir diese Chance-," Ich drücke ihm den Löffel in den Mund, sonst müsste ich noch Stunden warten. "Und?" "Perfekt, Schneeflocke." Gut, dann können die Nudeln hinzu und in weniger als fünf Minuten sind wir fertig. Die panierte Hähnchenbrust wurde schon in Streifen geschnitten und kann gleich schon auf der Brühe mit dem Mais, den übriggebliebenen Lauchzwiebeln und dem geriebenen Mozzarella drapiert werden. "Hat es dir heute gefallen?" "Schon." "Was genau?" Unser Gespräch. Ich mag Gespräche, wenn es meine soziale Batterie zulässt. "Das Wasser tat echt gut." "Da hast du recht. Das hatte ich auch echt nötig, aber meine Kopfschmerzen wurden zu stark. Tut mir leid." "Passt schon. Hier gibt es auch Wasser." Ich weiß ja, wie lästig Kopfschmerzen sind.

Ich muss wieder an sein Geständnis denken. Azad sitzt in T-Shirt vor mir. Wäre es nicht eigentlich eine gute Gewöhnung, wenn er oberkörperfrei herumlaufen würde? "Willst du nicht dein T-Shirt ausziehen?" Meine Frage ruft offensichtliche Überraschung auf seinem Gesicht auf. "Eigentlich nicht, wieso?" "Das wäre doch eine gute Übung zum Gewöhnen oder nicht?" Wenn nicht, dann ist es auch nicht schlimm. Ich meine ja nur. Vielleicht hat es einen fördernden Effekt. Dass er mich weiterhin so ansieht und zum Teil auch verwirrt wirkt, verstehe ich nicht. "Wenn du nicht willst, dann musst-," "Nein, nein, alles gut. Ich ... ich bin nur überrascht, dass das von dir kommt." Eigentlich gebe ich immer Tipps und Empfehlungen, aber es kann wirklich sein, dass es die erste Empfehlung an ihn von mir ist. Irgendwie wirkt er schon süß, mit seinen Augen, die ganz groß sind durch meine Aussage. Er zögert ein wenig, aber dann sehe ich Stück für Stück die tätowierte Haut an seinem Bauch, dann an seiner Brust und am Ende steht Azad wie eine verlegene Jungfrau vor mir und ballt sein T-Shirt in seiner Hand. Ich muss es mir echt verkneifen, zu lachen. "Was ist los?", schmunzele ich. "Ich ... keine Ahnung. Das kam so plötzlich." "Ich dachte, du fühlst dich wohl." "Tue ich, aber ... ich dachte, du fühlst dich nicht wohl." Quatsch. "Es ist natürlich etwas Neues für mich, einen halbnackten Mann um mich herum zu haben, aber es hat ja einen therapeutischen Nutzen." Er will etwas ansetzen, zuckt aber dann doch verdutzt zurück.

"Therapeutisch?" Ich nicke, rühre die Nudeln ein wenig um. "Ich dachte mir, dass du dich mit deinen Narben so wohler fühlen kannst." Es wird still, also schaue ich wieder auf und sehe ihn immer noch verwirrt und verdutzt vor mir mit seinem T-Shirt in der Hand stehen. Was das keine gute Idee? Ich schüttele fragend den Kopf. "Wegen mir?" "Weshalb sonst?" "Ich ..." Ich weiß nicht, wie ich ihn damit so überfordern kann, aber Azad wirkt gerade ganz schön neben der Spur. "Schon gut." "Sag." "Ich dachte, du hattest andere Hintergründe." Warum sollte ich? Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen. "Sprichst du mal endlich Klartext?" Er seufzt nur. "Avin, ich dachte, du willst dich mir nähern. Ich dachte, du willst mich berühren." Oh ... Vollidiot. Ich pruste fast los, kann mir aber noch auf die Unterlippe beißen, um nicht zu grinsen. "Solltest du als Geschäftsmann nicht pragmatisch denken?" "Ich finde es sehr pragmatisch, mich von meiner Frau berühren zu lassen." Ich antworte nicht weiter drauf. Aus dem einfachen Grund, dass ich mir in Gedanken vorstelle, wie ich über seine Brust fahre und er mich an meinen Hüften festhält. Nach dem Geschehen im Pool hat sich etwas in meinem Kopf festgesetzt, was ich so nicht haben möchte. "Hol die Schüsseln." "Was immer du wünschst, Schneeflocke."

Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee war, ihm anzubieten, oberkörperfrei zu sein, denn ich kann meine Augen nicht von ihm nehmen, so unauffällig ich zu ihm schiele. Ich mag das Muskelspiel, wenn er sich bewegt. Mir gefällt es, wie seine Hand nach den Schüsseln in der obersten Etage greift und sich seine Muskeln dabei anspannen. Wenn ich möchte, darf ich ihn berühren, aber ... ach, schon gut. Der Fokus liegt gerade sowieso auf dem Anrichten. Ich gebe Mayonnaise in die Schüsseln, dann einen sehr guten Schuss Chili, vermische beides, woraufhin ich erst die Nudeln zugebe, diese mit der Soße vermische und erst dann die Brühe eingieße. "Wirkt sehr interessant." "Ist es auch", murmele ich. Jetzt kommen der geriebene Käse, die panierten Hähnchenbruststreifen, Mais und Lauchzwiebeln und wir sind fertig. "Hier." Mein Blick gleitet ungewollt auf seine trainierte Brust und wieder zurück. "Danke, Schneeflocke. Du kannst dir meinen Körper ruhig länger ansehen." "Bring mich nicht dazu, die heiße Brühe über deinen Körper zu schütten." "So schmerzhaft es auch klingt, gefällt mir der Gedanke." Gott! Ich drücke ihm warnend die Schüssel in die Hand und ignoriere sein sanftes Lachen in der großen Küche. "Geh lieber Bibsi aus dem Kühlschrank holen." Mein Befehl kann aufgrund dieses einen Wortes nicht mehr streng über meine Lippen kommen. Ich könnte schon wieder lachen bis ich husten muss. Bibsi. Gott, Bibsi!

Ich will gar nicht grinsen, als ich vor ihm am Esstisch sitze, aber in meinem Kopf läuft jetzt in Dauerschleife der Begriff Bibsi. Die große Flasche Pepsi ist da ein wahrhaftiger Trigger. "Die Nudeln sehen gut aus." "Tun sie." Ich bin froh, dass noch so viele Hähnchenbruststreifen übriggeblieben sind. "Die Sommerbräune steht dir." "Danke." Ich gabele die Nudeln auf, um sie ein wenig abkühlen zu lassen, bevor ich sie esse und direkt ein Stück Fleisch abbeiße. "Ich finde es sehr aufmerksam, dass du mir helfen möchtest, meine Narben zu akzeptieren." Kann man das denn schon als Hilfe ansehen? Ich weiß nicht. "Kein Ding." "Kann ich dir denn auch irgendwie helfen?" "Passt schon." Ich kriege doch das, was ich will. In einem halben Jahr bin ich an der Uni im ersten Semester meines Traumstudiums. "Sicher? Wenn du immer noch Hass in dir hast, könnten wir etwas arrangieren, um dich zu entlasten. Hast du eigentlich jemals mit jemanden darüber geredet? Mit deiner Freundin?" "Sie weiß bis heute nichts davon." Azads Augenbrauen heben sich einen Moment. Verständlich. "Und mit deinen Geschwistern?" Kopfschütteln. Keiner hat freiwillig darüber reden wollen. Wenn es eine Zeit lang ruhig war, weil der Junkie bei einer neuen Flamme in der Wohnung lag, wollte niemand den schönen Moment mit einer Anmerkung zerstören. Denn wir wussten, dass es nur von begrenzter Zeit war. Wir wussten, wenn wir meine Mutter ansprechen, würde sie uns leider mit der Wahrheit konfrontieren, dass es nicht lange so bleibt.

"Ist er eigentlich gläubig?" Ich schnaube. "Bei seinem Selbstmordversuch hat er alles auf Allah geschoben. Er hat behauptet, dass nur durch Allah all das passiert ist und wenn es ihn geben würde, dann hätte er das nicht zugelassen." "Astagfirullah", murmelt Azad leise. Ich sage es ihm nach. "Wann war der Selbstmordversuch und wer hat ihn aufgehalten?" "Vielleicht vor zwei Monaten und niemand hat ihn aufgehalten. Er hat die ganze Nacht geheult und ich konnte deshalb nicht schlafen." "Hattest du Angst, dass er es tut?" Nein. "Ich habe an meine Schwestern und meine Mutter gedacht. Mein Vater hat gesehen, wie sein Bruder durch eine Bombe im Krieg verletzt wurde und hat die Hautlappen am Kopf zusammenhalten müssen. Er hätte es noch irgendwie weggesteckt, auch wenn er doch traurig wäre. Für den Fall, dass er es getan hätte, wollte ich bereit bleiben, wenn er tot ist, damit sie nicht ins Bad oder in die Küche gehen und seine Leiche sehen." "Und hättest du ihn aufgehalten?" "Nein." Stille. Eine vielsagende Stille. Das, was ich ihm sage, lässt ihn tief durchatmen. Dafür, dass er schon Menschen getötet hat, ist er ziemlich emotional, was das angeht. "Es ist bewundernswert, dass du so sehr an deine Familie denkst." Mir kommt es ehrlich gesagt gar nicht so vor. Für mich ist es normal. Es geht einfach an mir vorbei. Ich fühle kaum etwas dabei. "Trete ich dir mit meinen Fragen zu nah?" "Du hast mich davor bewahrt, zusammengeschlagen zu werden. Näher geht es nicht." Mir macht es nichts, dass er fragt. Es zieht nur ein wenig im Hinterkopf, aber sonst ist es okay.

Azad genehmigt sich die Nudeln, als ich ihm dann empfehle, direkt danach noch die Brühe zu schlürfen. "Da ist der eigentliche Geschmack." "Du musst es besser wissen, Schneeflocke. Für dich probiere ich alles." Ich mag das. Genau das habe ich mir sogar in der Küche einmal vorgestellt. Mir gefällt es, dass er so zuvorkommend ist. Er ist nett und respektvoll und tut die simplen Dinge, die ich benötige. Ich mag es, dass er auf mich hört. Sehr sogar. Ich esse meine Nudeln, setze die Schüssel zum Trinken der Brühe an sowie er. Sein Nicken bestätigt mir, dass er Geschmack hat. "Ist gut. Die Brühe gefällt mir." "Haben noch genug da." Gerade sprechen wir davon, da läuft ein wenig der Brühe beim erneuten Ansetzen der Schüssel an meinem Mundwinkel hinab. Statt eines Taschentuches beziehe ich mich meiner Finger zum Abwischen und nachträglichen Ablecken. Azad beobachtet mich bei jedem Zug. Seine Augen landen auf meinen Fingern, statt auf seiner Schüssel. Will er etwa auch? Der Gedanke belustigt mich, also tunke ich meinen Zeigefinger in die Brühe und halte sie ihm hin ... und er kommt mir näher ... und er nimmt meine Hand und oh ... seine Lippen umschließen meine Fingerkuppe, um die Flüssigkeit aufzunehmen. Ich weiß nicht, wieso mich ein so angenehmer Strahl dabei durchzuckt und ich verstehe nicht, wieso es im Unterleib deshalb kribbelt, aber ... es ist schon irgendwie süß. Der Moment endet ein wenig zu schnell für mich, aber zum Glück spüre ich seine Lippen und Zungenspitze noch an meiner Kuppe, die ich während des gesamten Essens drücke und streife.

"Danke für das Essen, Schneeflocke." "Waren nur Instant-Nudeln." "Trotzdem. Außerdem waren die Nudeln, die Filets und der Salat von heute auch sehr gut." Ich sehe es nicht kommen, dass er mir einen Kuss auf die Schläfe gibt und für den ersten Moment reagiere ich auch nicht, als ich abspüle. Er hat mir einen Kuss gegeben. Einen Kuss auf die Schläfe. Meine Haut kribbelt. Das war schön. Das darf er auch morgen tun. Ich mochte es. Er braucht sich nicht von mir zu entfernen, um mir Platz zu lassen. "Bist du sauer?" "Nein", murmele ich. "War der Kuss zu viel?" Überhaupt nicht. Ich würde auch noch einen akzeptieren. "Nein, alles gut." Er seufzt erleichtert. "Ein Glück. Ich hatte einen Moment lang Panik, dass es zu viel für dich war. Schneeflocke, du schaffst es immer wieder, mich zu verunsichern. Selbst beim Spülen." "Gut so." "Gut so?", wiederholt er amüsiert. "Ja." "Hast du eine dominierende Neigung?" "Hab ich." "Gefällt mir, Schneeflocke." Na toll. Jetzt geile ich ihn mit meiner trockenen Art auch noch an. "Willst du Obst?" "Ich stehe am Obstkorb." "Dann geh dich hinsetzen." "Aber ich möchte bei meiner Frau bleiben." Ich verdrehe die Augen, als ich die Schüssel zum Trocknen abstelle. Statt mich so grinsend anzusehen, kann er mich auch wieder einen Kuss auf die Schläfe geben. Ich will es ihm aber nicht sagen. Was ich ihm auch nicht sagen will, ist die Tatsache, dass ich ihn gerade am liebsten umarmen will. Ich weiß nicht, woher es kommt, aber ich will es so sehr gerade.

Ich könnte ihn jetzt einfach umarmen. Er würde niemals etwas dagegen haben, aber ... irgendetwas in mir hindert mich daran. Wieso umarmt er mich nicht? Unsinn, er würde mich umarmen, aber er muss einschätzen, wo meine Grenzen sind, aber wenn er mir doch ohne weiteres einen Kuss auf die Schläfe geben konnte, kann er mich doch auch einfach umarmen. Wo ist das Problem? Wieso tut er es nicht? "Avin?" Ich atme tief durch, bevor ich vom fokussierten Fleck aufschaue. "Alles in Ordnung?" Ich nicke. "Hast du gerade an ihn gedacht?" Nein, an dich. An dich und deine Wärme, die ich benötige. Mein Kopf schüttelt sich wortlos, während sich in mir die Emotionen aufstauen und rauswollen. An meinem Nacken drückt schon, wie immer, wenn ich emotionaler werde. Wenn ich jetzt auf ihn zugehen würde, könnte ich einfach meine Arme um ihn schlingen, aber bei jedem Ansatz hält mich etwas auf. Komm her, Azad. Bitte. Ich will gar nicht flehend schauen. Ich will nicht, dass meine Augen glasig werden. Was stimmt nicht mit mir, dass ich mich so schwach zeige? Scheiß drauf. Es ist nur eine Umarmung. Ich komme auch ohne gut zurecht. Mich frustriert es trotzdem, dass er nicht zu mir kommt, sondern am Ende der Theke steht und mich mustert. Es macht mich sauer, aber ich kann nicht wütend auf ihn sein. Ich hoffe einfach, dass mich das Trocknen der Spüle beruhigt.

"Ist alles in Ordnung?" Ich bin ihm so dankbar, dass er sich wieder zu mir stellt. So unfassbar dankbar. Ich warte keinen weiteren Moment, als ich ihn umarme. Ich brauche das. Ich brauche es gerade so sehr. Ich drücke meine Wange gegen seine warme Brust, darf sein Parfüm so nah an mir haben, dass es sogar ohne Luft einatmen meine Sinne beruhigt. Ich brauche das. Ich brauche es so sehr. Und wie schön es sich anfühlt, dass er seine Arme um mich schlingt. Wie sehr ich seine Hand auf meinen Rücken genieße. Er soll niemals aufhören, diese kleinen Kreise auf meine Haut zu zeichnen. "Avin, ist alles gut?" "Ja", hauche ich. Ich brauche nur ein wenig Wärme in meiner Kälte. Mein Blick findet seinen und ich fühle mich gerade sogar so wohl, dass ich mein Kinn auf seiner Brust dabei abstütze. Er ist ein schöner Mann und er gehört mir. Er hilft mir. Er schenkt mir Aufmerksamkeit und Wärme. Meine Finger kreisen auf seinem Rücken wie seine auf meinem. Es ist ein ruhiger Moment voller Augenblicke. Wie schön es sein kann, jemanden anzusehen. Wie schön es sein kann, jemanden zu berühren. Wie schön es sein kann, sich fallen zu lassen. Ich will ihn noch näher an mir haben. Ich möchte mein Gesicht in seiner Halsbeuge vergraben und vielleicht einen Kuss auf seine warme, gut riechende Haut geben.

"Avin", setzt er leise an. So schön. So samtig. Wenn ich jemandem das Privileg geben dürfte, meinen Namen zu sagen, dann ihm. Ich summe nur erwidernd. Er wirkt ganz irritiert, was aber absolut verständlich ist. Ich war bis gerade noch trocken und abweisend und jetzt habe ich mich in seine Arme geschmissen. Seine Hand hebt sich so zögernd, so vorsichtig, als wäre ich ein Reh. Meine Kopfhaut beginnt zu kribbeln, als er mir die halbtrockenen, gelockten Strähnen zurückschiebt. Es tut so gut, dass er durch mein Haar fährt. "Möchtest du etwas?" So viel, aber ich kann es nicht aussprechen, weil ich meine Gedanken nicht ordnen kann. "Können wir so bleiben?" "Natürlich." Danke. Ich lehne meine Wange wieder an seine Brust, kann es mir nicht verkneifen, uns ein wenig hin und her zu wiegen. Ich brauche es. Ich brauche es so sehr. "Ich hätte nicht gedacht, dass du das möchtest." "Habe ich mir schon gedacht", murmele ich und er lacht unterdrückt. "Wie kam es dazu?" "Einfach so." "Einfach so?" Ich summe bestätigend. Das Wiegen beruhigt mich. "Ich hoffe, so etwas öfter zu haben." "Können wir vereinbaren." Es kommt schneller aus meinem Mund, als ich überlegen kann. Ich hoffe, ich bereue es nicht. "Du bist eine sehr kulante Geschäftsführerin, Schneeflocke. Dieses Angebot nehme ich ohne weiteres Hinterfragen an." Ich mag seine Sätze. Sie lassen mich öfter lächeln, als es mir wahrscheinlich lieb ist.

Wir bleiben noch lange in der Küche in der Umarmung, als mir dann irgendwann die Fersen wehtun. Azad schwimmt im Pool und ich habe es mir mit einem Buch auf der Liege gemütlich gemacht, nur lese ich es nicht. Ich weiß nicht, ob ich in den Flitterwochen überhaupt mit dem Lesen anfange, obwohl ich es mir vorgenommen habe. Na ja ... ich habe es ja nicht kommen sehen, dass ich die Zeit so sehr mit ihm genieße und mich ihm ein bisschen öffne. Mich unterhält sein Schwimmen mehr, als es ein Buch jetzt könnte. Dass er sich jetzt keuchend am Beckenrand abstützt, sein Gesicht mit seiner Hand abtrocknet und dann aus dem Wasser steigt, weckt ein aufregendes Gefühl in meinem Bauch. Nicht lächeln, Avin. Nicht lächeln. Und es gelingt mir zum Glück. Azad blickt auf meine Beine. Dabei wandert sein Blick immer tiefer, weshalb ich murrend meine Füße verstecke. "Darf ich mir die Fußkettchen nicht ansehen?" "Nein", murre ich. "Nicht, wenn meine Füße unbedeckt sind." Ich hasse es, wenn man mir auf die Füße schaut. "Aber wo ist das Problem, Schneeflocke?" Er hockt sich zu mir hinunter, stützt sich an meiner Wade ab, die jetzt unter seiner Wärme kribbelt. "Ich habe in meinem Leben schon graue Füße in einer Ecke einer verlassenen Halle gesehen." "Mir doch egal. Meine schaust du nicht an." "Wie gesagt. Ich habe den Schmuck um dein Fußgelenk betrachtet, die ich so sehr an dir liebe." Er liebt sie an mir. Er liebt sie so sehr an mir. Das hört sich so ... ungewohnt an. So außergewöhnlich. Mir wird warm deshalb.

"Du liebst die Fußkettchen?" Er summt bejahend. "Ich würde sogar deine Füße küssen deshalb." Oh Gott, bitte nicht. Ich verziehe angeekelt das Gesicht. Ich hasse Fußfetischisten mit Leib und Seele. Für mich zählen sie zu den erbärmlichsten Kreaturen ohne Würde dieser Erde. "Du wirst das niemals tun dürfen." "Warum?" "Ich hasse Leute mit Fußfetisch. Für mich haben die absolut keine Daseinsberechtigung und ich würde sogar eine Petition unterschreiben, dass man ihnen die Menschenrechte absprechen soll. Welcher Versager kriegt einen hoch, weil er Füße sieht oder weil er daran lutscht? Sicher, dass du keinen Fetisch hast?" Ich weiß gar nicht, was daran so lustig ist, dass er deshalb lächelt. Dieses Lächeln in Kombination mit dem Thema weckt den Drang in mir, mein Messer in seine Grübchen zu rammen. "Habe ich nicht, Schneeflocke. Keine Angst. Mich erregen Füße nicht, aber dein Gesamtbild." Die eisblauen Augen des Mörders wandern einmal über meinen Körper und zurück zu meinem Gesicht. "Aber jetzt weiß ich, womit ich dich ärgern kann." Oh Gott, nein! Bitte nicht! Ich setze mich murrend auf meine Füße, damit er nichts sehen kann, egal wie sehr sich der Schmuck in meine Haut drückt. Sein Lachen lässt mich erschüttern und gleichzeitig umschmeicheln. Idiot.

"Ich schubse dich gleich in den Pool." "Kein Problem, Schneeflocke. Du kannst alles mit mir tun." "Dann ertränke ich dich auch." "Ich kann ungefähr zwei Minuten unter Wasser aushalten." "Dann halte ich dich drei Minuten unter Wasser." "Versuch es." Ich müsste meine Hand einfach nur schnell genug gegen seinen Adamsapfel drücken und schon könnte ich ihn ins Wasser schleppen. Andernfalls ginge es auch, Druck auf seine Augäpfel auszuüben, sodass er mir gehorcht oder ich ziehe an seinem Ohr. Hm. Welche Möglichkeit nehme ich? "Du überlegst gerade wirklich, mich zu ertränken?", fragt er sowohl überrascht als auch amüsiert. "Muss." "Du wärst eine grandiose Mörderin. Willst du mich nicht trainieren?" "Sieh das Ertränken als Training." "Dann komm. Ich will trainiert werden." Ich verdrehe meine Augen und ehe ich mich versehe, zieht dieser blauäugige Mörder mich hoch und zieht mich zum Pool. "Azad!", warne ich, doch er grinst nur schief. "Wehe!" "Ich tu dir nichts." "Ich dir aber." "Das will ich doch." Ich kann nur zu spät und nur mit einem Kreischen reagieren, als er mich mit sich ins Wasser zieht. Ich keuche hustend auf, als wir wieder auftauchen. Azad hat meine Taille umschlungen und ich weiß nicht, ob er es bewusst getan hat, damit ich wieder an das intensive, gestrige Geschehen denken muss, aber genau das rasselt gerade durch meinen Körper.

Sein schiefes Grinsen ... ich hoffe so sehr, dass ich mir das kurze Zusammenziehen im Unterleib nur eingebildet habe. "Nostalgisch, findest du nicht?" Oh, dieser blauäugige Mörder! Ich will ihn an seinen breiten Schultern unter Wasser drücken, aber so groß wie er ist, berührt er wahrscheinlich den Boden. "Ich bringe dich um!" "Ich mag dich." Ich ... die Rage entweicht mir aus allen Poren. Das ... damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Die Ruhe, die von ihm ausstrahlt, die Wärme in seinen eisblauen Augen, das sanfte Lächeln auf seinen schönen Lippen. Ich habe keine Ahnung, was ich dazu sagen soll. "Ich mag es, Emotionen bei dir zu erwecken." Wenn er nur wüsste, was für Emotionen er in mir erweckt, als seine Finger die klebenden Strähnen von meinem Hals und Kiefer löst. "Und ich mag es, wenn du deine Beine um mich schlingst." Oh mein Gott! Ich will mich sofort von ihm lösen, aber er ist schneller und drückt mich gegen den Beckenrand, während seine Hände meine Kniekehlen umschließen, um mich an Ort und Stelle zu halten. "Nicht", haucht er. "Bleib doch." Ich weiß nicht ... es fühlt sich schön an, aber ... ich weiß es wirklich nicht. "Leg deine Hände doch wieder auf meine Brust." Ich tue es nur, weil ich der Instruktion nachgehen kann. Ohne sein Sprechen wüsste ich nicht, was ich tun sollte. "Fühlt sich das schlecht an?" Ich weiß es nicht. Gerade nicht, nein. Mein Kopf schüttelt sich langsam. Meine Wangen werden bei seinem sanften Lächeln ganz warm. "Ich finde es auch nicht schlecht, Schneeflocke. Wieso dann fliehen, wenn wir es gemeinsam genießen können?" Weil ... ich weiß nicht. Einerseits will ich diese Berührungen und Nähe, aber andererseits habe ich immer noch eine gewisse Angst in mir, die genau jetzt hervortritt. Was ist, wenn ich ihm zu viel erlaube? Was ist, wenn ich zu leichtsinnig bin?

Ich senke meinen Blick, bevor sich seine Lippen meinen nähern können. Ich kann das nicht. Absolut paradox, wenn man sich meine Gefühlslage anguckt, aber auch verständlich, wenn man sich meine Gefühlslage anguckt. "Schon okay", flüstert er. Der Kuss auf die Schläfe tut mir gut. "Wir haben Zeit. Willst du dich umziehen? Warte, ich hole dir ein Handtuch." Azad hilft noch mir aus dem Wasser, ehe er ins Schlafzimmer geht und mir einen Moment zum Durchatmen gibt. Meine Hände pressen sich gegen meine Stirn. Was ist los mit mir? Wie konnte ich vorhin so viel Zuneigung aus dem Nichts hervorbringen? Wieso bin ich so oft in kurzer Zeit weniger gefasst? Das ist nicht gut. Ich will nicht allzu emotional werden. Ich kann auch mit ihm leben, ohne anhänglich zu werden. Mein Seufzen entweicht mir tief und lang, als ich mir über mein Gesicht fahre. Durchatmen. Ich muss tief durchatmen. "Hier." Innerlich warne ich mich selbst davor, keine merkbare Reaktion zu zeigen, als ich ihm das Handtuch abnehme und mich abtrockne. "Brauchst du noch etwas? Möchtest du ans Meer?" Ich weiß nicht. Irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht. "Morgen", murmele ich. Gerade bin ich doch zu ernüchtert. Morgen geht es mir sicherlich wieder besser. "Okay, kommst du mit hoch oder möchtest du unten bleiben?" "Komme mit hoch." Ich muss mich ja sowieso umziehen und noch einmal abduschen." Ich finde es aber schön, dass er mich fragt, so normal und selbstverständlich es auch ist.

Am Ende des Tages liegen wir wieder im Bett. Er auf seiner Seite und ich auf meiner. Er auf der Seite liegend und mich beobachtend und ich auf dem Rücken liegend und an die Decke schauend. "Was geht dir durch den Kopf, wenn wir uns näherkommen und du mich von dir stößt?" Wie soll ich das erklären, ohne ihm meine Angst direkt zu nennen? "Misstrauen", murmele ich. "Gefällt dir nichts von den Liebkosungen bis jetzt?" Doch, mir gefällt alles, bis ich wieder auf den Boden der Tatsachen geschmettert werde. "Das ist es nicht." "Sondern?" Ich seufze. "Das Gefühl danach." "Fühlst du dich ausgenutzt?" "Das will ich verhindern." "Aber du wirst nicht ausgenutzt." "Das kann jeder sagen." Meine Antwort lässt ihn innehalten. Was soll er auch dagegen sagen? "Aber du kannst nicht leugnen, dass du mir nicht zu einem gewissen Grad vertraust." Das kann ich wirklich nicht. Der heutige Tag hat es bewiesen. "Setz dich nicht darauf fest." "Tue ich nicht, Schneeflocke. Ich weiß, dass ich mich bei dir auf einem halbgefrorenen, zugeschneiten See befinde. Jeden Schritt, den ich auf die Eisfläche ansetze und dieser nicht unter mir nachgibt und zerbricht, lässt mich wieder neu aufatmen." Gut so. "Wir können morgen Jetski fahren, wenn du möchtest." Das hört sich gut an. Ich mag es, dass er die Tage plant. "Und wir können nach Abu Dhabi, wenn du möchtest." Von mir aus.

Es wird still zwischen uns. Er beobachtet mich immer noch und ich schaue immer noch an die Decke und an die Wand. "Fandest du es bis jetzt nicht schön?" "Bis jetzt hat mich kein Ort wirklich verärgert." "Ich meine unsere Beziehung." Oh. Das ist eine knifflige Frage. Das ist eine sehr gewagte Frage. So gewagt, dass ich mich jetzt auch auf die Seite drehe, obwohl ich es gar nicht will. "Zumindest habe ich das Gefühl, dass es schön ist. Du bist sanfter als du zugibst." Über meine Lippen kommt kein Ton. Ich fühle mich ein wenig ertappt. "Und das ist auch überhaupt nicht schlimm. Im Gegenteil sogar. Es gefällt mir, wenn du mir deine Wärme schenkst." Ja, schon, aber ... keine Ahnung. "Wenn du mich umarmst, fühle ich mich wie in einer anderen Dimension. Für einen Moment denke ich wirklich, ich träume. Es wirft einen aus der Bahn, aber dann fühle ich mich wie ein Gewinner." Süß. Ich lächele kurz. "Magst du es, wenn man dich umarmt?" "Habe kein Problem damit." "Okay. Und wo darf ich dich küssen?" "Schläfe", schießt es sofort aus mir. Ich mag es, wenn er meine Schläfe küsst. Und ich mag es, wenn er mich so sanft anlächelt wie jetzt. "Sonst noch wo?" "Keine Ahnung ... Hand?" "Du bist gerne die Dominante", schmunzelt er. Das kann schon sein, aber ich habe wirklich keine Ahnung, wo er mich küssen könnte. "Ich frage anders. Wo möchtest du nicht geküsst werden." "Mund." Und selbst das kommt zögernd von mir, weil ich vor Augen habe, wie wir uns küssen. Wie sich seine pinken Lippen und dieses schöne Lippenherz auf meine drücken. Wie sich seine Hände auf meinen Rücken legen.

"Okay. Sonst noch wo?" "Glaube nicht." "Ich darf dich also überall küssen, nur nicht auf den Mund?" "Und Füße!", erwidere ich strenger, woraufhin er zu lachen beginnt. "Damit komme ich klar, Schneeflocke. Ich freue mich immer wieder, Geschäfte mit dir zu machen." Seine Hand greift nach meiner und ich lasse es zu. Es fühlt sich schön an. Ich mag es, seine Wärme auf meiner zu spüren. "Fühlt sich doch gar nicht so schlecht an, oder?" Nein, überhaupt nicht. "Ist okay." Meine Antwort entlockt ihm ein Schmunzeln und sein Schmunzeln entlockt mir ein Schmunzeln. "Wäre es auch okay, wenn du näherkommst?" Mein Schmunzeln wird kleiner. Ich weiß nicht. Eigentlich habe ich nichts dagegen, aber ich schäme mich, ihm näherzukommen. Deshalb bin ich ihm wirklich dankbar, als er mich zu sich an seine Brust zieht. Ich mag es, ihm so nah zu sein. Ich fühle mich beschützt. "Ich weiß nicht, ob du auch Sehnsucht hast, aber ich habe sie täglich." Seine Finger fahren in kreisenden Bewegungen über mein Haar. "Anfangs habe ich mich nach einer Frau fürs Leben gesehnt und jetzt sehne ich mich nach ihrer Wärme. Obwohl du nichts machst, verunsicherst du mich. Ich weiß nicht, ob du sauer bist. Es ist, als wäre ich auf einem Minenfeld, aber ich mag dieses Abenteuer. Es lohnt sich." Es lohnt sich. Ja, es lohnt sich, aber es hört sich trotzdem schön an, es von jemanden zu hören. Es nimmt mir unbemerkte Lasten von den Schultern. Es füllt mein Herz mit Dingen, von denen ich nicht wusste, dass ich genau sie benötige.

Es lässt mich Dinge fühlen, von denen ich nicht wusste, dass sie existieren.

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