Kapitel 27

Nachdem wir beim Juwelier waren und Azad mir Fußkettchen gekauft hat, ich endlich im H&M einen schlichten, schwarzen Badeanzug gefunden habe und sowohl meiner Mutter und Dijan geantwortet habe, ziehe ich mir seine Badeshorts über und mache mich auf den Weg ins Wasser. Meine Fußkettchen gefallen mir. Sie sind filigran. Eins besitzt schöne kleine Schmetterlingsanhänger, das andere ist komplett schlicht und Gold und ich konnte an dem anderen sogar noch einen Anhänger befestigen. Ein A. Ich habe darum gebeten, es direkt zu befestigen, damit Azad glücklich wird. Das freut ihn doch, oder? Er wirkte zumindest zufrieden und hat mir ein Kompliment gemacht. Meine Haare binde ich mir zu einem hohen Dutt, damit sie nicht mit dem Wasser in Berührung kommen. Noch sind sie geglättet und nicht fettig und das will ich komplett ausnutzen. Azad ist schon seit mehr als zwei Stunden sicherlich unten im Keller am Trainieren. Manchmal habe ich wieder Lust aufs Krafttraining, aber dann bin ich doch zu faul. Aber ich mag das Gefühl, wenn ich auf der Beinpresse über 120 Kilo drücken kann. Vielleicht geselle ich mich irgendwann ja wieder zu ihm. Sport schadet ja immerhin nie. Aber gerade ist das kühle Wasser doch angenehmer für mich. Das habe ich mir verdient. In Gedanken stelle ich mir vor, wie er beim Trainieren aussieht und wie er doch das eine oder andere Mal überrascht zu mir schaut, wenn ich doch mehr Gewichte stemme, als er angenommen hat. Der Gedanke ist so lustig, dass ich es am liebsten in die Tat umsetzen will.

"Woran denkst du, Schneeflocke? Ich hoffe, dich bringt kein anderer Mann in Gedanken zum Lächeln." Wenn man vom Teufel spricht. Ich schaue zu ihm auf. Seine Brust glänzt vom Schweiß und seine Schultern wirken viel breiter. Er scheint gerade erst fertig geworden zu sein, so atemlos wie er noch klingt. Er sieht hübsch aus. "Sollte es so sein, stelle ich mir vor, wie du ihn in meinen Gedanken erschießt." Er lächelt. "Das ist sehr freundlich. Danke." Azad läuft zu den Treppen, um ebenfalls ins Wasser zu steigen. Das Wasser schwappt an ihm vorbei, nässt immer mehr und mehr seines Oberkörpers, den er seufzend zur Kühlung begießt. Sieht schon gut aus, das muss ich sagen. Aber ich will nicht zu lange schauen, also stelle ich mein Kinn auf meine Unterarme ab und betrachte lieber die gläserne Wand. "Darf ich mich zu dir gesellen?" "Kommt drauf an", murmele ich. Seine Stimme wirkt viel tiefer und vibriert in meinen Ohren. "Worauf, Schneeflocke?" Keine Ahnung. Ich habe nicht weiter nachgedacht. "Was hast du gerade trainiert?" "Schultern und Rücken. Willst du auch mal?" "Mal schauen", murmele ich. Gerade bin ich zu müde durch die Wärme, das Essen und Schlendern durch die riesige Mall. Azad nimmt die gleiche Pose ein wie ich. Er wirkt schon süß, wenn er seine Wange auf seinen Unterarmen ablegt und mir in die Augen sieht. Nur macht es mich ein wenig verlegen und ich will ihn deshalb am liebsten unter Wasser drücken.

"Was ist?" "Nichts. Darf ich meine Frau nicht einfach so betrachten?" "Nein." Sein Mundwinkel zuckt belustigt. "Wie viel muss ich bezahlen?" "Einen Finger." Jetzt schmunzele ich mit ihm. "Darf ich aussuchen, welcher Finger?" "Nein." "Du wärst eine gnadenlose Geschäftsführerin. So vergraulst du noch irgendwann deine Kunden." "Tue ich nicht." "Mir gefällt es, wie selbstsicher du bist. Das heißt, dass du weißt, wie du zu handeln hast, um deine Kunden doch zu behalten. Immerhin ist dein bester Kunde noch hier." Dieser alte Schleimer. Ich verdrehe belustigt meine Augen, drehe dem Beckenrand den Rücken zu und stütze meine Ellbogen auf ihm ab. Die Sonne jetzt zu spüren, fühlt sich durch das kühle Wasser gar nicht so schlimm an. Nur muss ich meine Augen aufgrund der Helligkeit schließen. "Wie hältst du die Sonne hier eigentlich aus?", murmele ich. "Das Auto ist abgedunkelt und hier bin ich auch gerade im Schatten, solange ich nicht direkt in die Sonne schaue. Das Wasser hilft mir und auch du." Ich verstehe nicht, was er meint, als ich dann plötzlich seine Finger auf meinem Schlüsselbein spüre. Meine Lider öffnen sich sofort. Ich habe nicht bemerkt, wie nah er mir schon gekommen ist und schrecke verdutzt zurück, als ich zu ihm aufschaue. "Stört dich das?", raunt er. Mir kommt kein Wort über die Lippen. Es kribbelt ein wenig, aber ... keine Ahnung. Ich fühle mich ganz anders. Er tut nichts, als sachte über meinen Halsbereich und meine Schlüsselbeine zu fahren und es fühlt sich so gefährlich gut an.

So hell seine Augen auch sind, glitzert etwas Dunkles in ihnen. Seine Lider liegen tiefer an und es ist meine Atmung, die sich an seine verlangsamte, tiefere anpasst. "Du hast schöne Schlüsselbeine, Schneeflocke. Sehr schöne." Sein Zeigefinger gleitet über den genannten Bereich, seine Zunge befeuchtet seine Lippen. Mein Unterleib ... genug! Das ist genug für heute! Ich drehe mich wieder zum Rand, sichtlich überfordert und verlegen. Was ist los mit meinen Muskeln, dass sie sich deshalb zusammenziehen? "War es zu viel?" Keine Ahnung. Es war nett, aber ... keine Ahnung. "Passt schon", murmele ich. "Du sagst mir aber, wenn ich dich ungewollt bedränge, oder?" "Ich lasse es dich im schlimmsten Falle körperlich spüren." Ich muss den gröberen Sprachgebrauch in Anspruch nehmen, um mich selbst zu lockern. Das war ... es war so ... keine Ahnung. Intim, schön, aber auch ... es ist nicht falsch, aber es fühlt sich falsch an, weil ich keine Erfahrung habe. Vielleicht hätte ich es doch noch einen Moment genießen sollen. "Du hast dich aber nicht unwohl gefühlt?" "Nein, nein, alles gut", entkommt es mir ungewöhnlich hoch. "Ist nur ungewohnt." "Und ... dürfte ich dich daran gewöhnen?" Dürfte er das? Darf er das? Ich weiß nicht. Es hat sich nicht schlecht angefühlt. Es hat sich wirklich gut angefühlt. Meine Schultern zucken, meine Zähne kauen an meinem Daumen. Ich weiß es nicht. Es hat sich schön angefühlt.

Ich höre durch die Wellen, dass er langsam auf mich zukommt. Durch die gläserne Front vor mir sehe ich ihn auch. "Du dürftest meine Hände führen." Ich dürfte seine Hände führen. Ich hätte die Kontrolle. Der Gedanke hört sich so verboten und so verlockend an. Aber es ist nicht verboten. Er ist mein Ehemann. Ich drehe mich zögernd zu ihm, bemerke erst jetzt wieder, dass ich schwerer atme, als ich seinen Brustkorb sehe. "Du zögerst." Es macht mich verlegen, dass er es bemerkt. Azad kommt einen weiteren Schritt auf mich zu. Seine Pupillen sind viel geweiteter und ich habe das Gefühl, dass ich in das Schwarz seiner Pupillen falle, je näher er mir kommt. Sein Becken berührt meins, sein Bauch presst sich an meinen. Ich lasse zu, wie sich seine Hand auf mein Kreuz drückt, aber selbst tue ich nichts, als meine Hände auf seine Brust zu platzieren. Ich weiß nicht, was ich tun soll. "Ist das okay so?" Seine Finger streichen mir die kurzen Strähnen aus dem Gesicht, fahren sachte über die Kurve meiner Wange. "Wie ist das, Schneeflocke?" Ich muss schlucken, als sein Zeigefinger meinen Hals hinabfährt. Es fühlt sich schön an ... wirklich schön. Ich bekomme deshalb sogar eine Gänsehaut. Mein Herz schlägt schneller, mein Körper wird träger. So träge, dass meine Augen auf seinen Oberkörper sinken. Wie anschaulich sein schweres Atmen wirkt. Mein Körper handelt schneller, als ich es wahrnehmen kann, als meine Finger langsame Kreise auf seine glatte Haut zeichnen. So schön geschmeidig. So warm.

Plötzlich liegen seine Finger unter meinem Kinn, heben es sanft und doch bestimmend an. Seit wann sind meine Lippen gespalten? Seit wann halte ich die Luft an? "Gefällt dir das?" Schon. Ich kann es nur nicht aussprechen, aber meine Finger, die immer noch auf seiner warmen Brust kreisen, sollten Antwort genug sein. Seine Finger umschließen meine Wangen, heben mein Gesicht damit weiter zu seinen schönen Lippen an. Wir sind uns nah. So nah. Zu nah. Ich rechne mit allem, aber nicht damit, dass er mich aus dem Wasser hievt und auf den Rand des Beckens absetzt. Noch überraschender ist es für mich, dass er sich zwischen meine Beine stellt. Das ist so intim. Das ist so neu. Ich kenne mich so gar nicht. Ich habe noch vor wenigen Tagen Angst gehabt und jetzt? Ich wusste nicht, dass der Tag so schnell kommen wird, an dem ich ein wenig schmelze. Ich wusste nicht, dass der Tag so schnell kommen wird, an dem ich seinen großen Händen gewähre, über meine Schenkel zu streichen, die sich unter seiner Berührung anspannen. "Ich weiß, dass du kitzelig bist. Das kann man aber gut nutzen." Ich weiß nicht, was er meint, aber wenn es sich immer so anfühlt, dann ... dann ist es wahrscheinlich okay. Wenn er mich dabei so sinnlich ansieht, dann ist das wahrscheinlich okay. Wenn sich die Aufregung in mir immer so gut anfühlt, sobald er mein Bein über seine Schulter legt, dann ist das schon wahrscheinlich okay so. "Darf ich?" Wie tief seine Stimme plötzlich ist. "Was denn?", wispere ich.

Seine Lippen senken sich auf meine sensible Haut, hauchen mir die sanftesten Küsse auf die Innenseite meines Beines, die ich jemals erleben darf. Ich will mich gar nicht so sehr entspannen, aber mein Rücken biegt sich von selbst durch. Mein Kopf fällt von alleine in den Nacken und mein Seufzen kommt ohne Vorwarnung über meine Lippen. "Kreis deine Hüften noch stärker und ich werde die Beherrschung verlieren." Meine Hüften ... ich habe selbst das nicht bemerkt. Ich schaue träge zu ihm hinab, spüre ein starkes Zusammenziehen im Unterleib, als er zu mir aufschaut. Seine Lippen saugen sanft an der Innenseite meines Oberschenkels. Ich kann nicht anders, als meine Schenkel gegen seine Wangen zu pressen. Die Reaktion seinerseits ist ein scharfes Einziehen der Luft und als wäre sein Körper mit meinem verbunden, tue es auch ich, nur entweicht mir danach sofort ein lautes Keuchen, als Azad mich an sich zieht, meine Beine um seine Hüften schlingt und seine Hand wieder unter meinem Kiefer meine Wangen hält. Wir sind uns so nah. So nah. Zu nah. Seine Lippen schweben über meinen. Ich spüre jeden beschleunigten Atemzug gegen meine Lippen prallen. Ich spüre seine Brust, die meine streift. Ich spüre sein Verlangen überall. "Avin", setzt er leise an. Zu leise und doch so laut für meinen hypersensiblen Körper. Als wäre seine Stimme ein kalter Windstoß, der meinen Körper jetzt erschaudern lässt.

Und doch schaffe ich es, meinen Blick zu senken. Ich bin erregt. Klar und deutlich und das ist der Grund, wieso ich es so weit kommen lasse. Das ist die Psychologie des Menschen und obwohl sie fördernd ist, kann sie genauso tückisch und verratend sein. Nicht der Kuss, nein. Dafür ist es zu früh. Ich weiß, dass ich es schnell bereuen werde und dann würde ich uns beide nur weiter auseinanderbringen. "Tut mir leid", murmele ich. Aber ich muss mich selbst schützen und in Sicherheit bringen. Ich bin sensibel, auch wenn ich dich kaum etwas davon sehen lasse. Azad erwidert nichts. Seine Hand, die noch unter meinem Kinn ruht und meine Wangen sanft zusammendrückt, wandert zu meinem Hinterkopf, als er mir einen Kuss auf die Schläfe gibt. "Entschuldige dich nicht, Schneeflocke. Du hast nichts falsch gemacht. Im Gegenteil sogar." Ich spüre seine Finger wieder unter meinem Kinn und lasse zu, dass er mein Gesicht anhebt. Ich weiß nicht, wann seine Pupillen so geweitet waren wie heute. Wenn ich ehrlich bin, habe ich nie darauf geachtet. Es wirkt so verschlingend, so einnehmend. "Du hast das sehr gut gemacht. Ich danke dir für dein Vertrauen und deine Kooperation, du Geschäftsführerin." Und ich danke ihm, dass er die Stimmung lockert. Ich erwidere sein Lächeln, wenn auch errötend.

Er lässt mich langsam runter. Oh ... stimmt. Ich habe ja immer noch meine Beine um ihn geschlungen ... peinlich. Noch peinlicher ist das Pochen zwischen meinen Beinen. Ich drehe mich weg von ihm, möchte hier und jetzt am liebsten ertrinken, weil ich die Stille nicht aushalte. "Ich gehe hoch, ja?" "Wie du willst", murmele ich. Bitte geh, damit ich hier innerlich in Ruhe sterben kann. Selbst das Prasseln des Wassers, als er aus dem Pool steigt, ist gerade zu laut für mich. Ich werde ihn ganz sicherlich nicht anschauen, aber am Ende gleitet mein Blick doch einmal kurz zu seinem Rücken und wieder auf den Beckenrand. Das ... das war ... keine Ahnung. Es war okay. Es war ... ich weiß es nicht! Am liebsten will ich meine Stirn gegen den steinigen Boden schlagen und wären meine Haare nicht geglättet, hätte ich unter Wasser geschrien und ... und ... Gott! Ich muss beten! Aber ich will nicht hoch ... aber ... durchatmen. Ich muss tief durchatmen. Ich schwimme einfach eine Bahn hin und zurück, atme tief durch und strecke mich einmal ausgiebig, bevor ich mich langsam ins Haus traue. Er ist also oben ... wir könnten ja ein wenig reden und vielleicht auch über das von gerade. Aber erst bete ich, damit ich komplett runterkomme. Das Bad scheint von ihm besetzt zu sein, aber da er nur duscht, wird es schon nicht stören, wenn ich die Gebetswaschung nehme. Ich trete auch so leise wie möglich rein, damit er mich nicht bemerkt.

Ich bemerke aber etwas ... sein leises Atmen. Es wirkt wie nach dem Training. Ich schaue durch die Milchglaswand. Eine Hand ist an der schwarzen Marmorwand abgestützt und die andere ... oh mein Gott. OH MEIN GOTT! Ich störe ihn ganz offensichtlich. Schnell raus hier! Ich renne rückwärts, knalle aber gegen die Kante des Waschbeckens. "Fuck!", zische ich. Scheiße! Er hat mich gehört. Nein, nein, nein. Er dreht sich um. Nicht runterschauen, Avin. Ich töte dich, wenn du runterschaust. Meine Hände sind zögernd angehoben, als würde er mit einer Waffe auf mich zielen. Ich traue mich nicht zu atmen, ganz egal wie provozierend es für mein Asthma ist. Nein, er schiebt die Schiebetür zur Seite. Bin ich gestört, dass ich auf sein nacktes Bein hinabsehe? "Alles in Ordnung?" "Passt schon", presse ich hervor. Dreh dich um und mach mit deiner Handarbeit weiter! "Ich wollte nur die Gebetswaschung machen." Das Wasser läuft noch und trotzdem kommt es mir wie eine unangenehme Totenstille vor. Seine Pupillen sind geweitet. Der Blick zeigt, dass er erregt ist und wenn ich nur ein wenig den Kopf nach rechts in die Kabine strecke, würde ich den deutlichen Beweis sehen. "Machst du das unter der Dusche, oder?" Oh Gott! "Nein!", setze ich viel zu Hysterisch an. "Nein, alles gut. Dreh ... mach ... dusch' weiter." Bitte, ich flehe dich an. Ignorier' mich einfach. Seine Mundwinkel zucken vor Belustigung bei meinem halben Zusammenbruch. Ich nehme erst jetzt das Brennen am Fersenbereich durch den Aufprall wahr. "Wie du willst, Schneeflocke." "Weißt du was? Mach-, dusch' fertig und dann nehme ich die Gebetswaschung." Ich kann das gerade nicht. Ich kann nicht einmal auf seine Antwort warten, sondern renne aus dem Bad.

Oh mein Gott! Ich renne hyperaktiv durch das ganze Haus, mir egal, ob ich an meiner Ferse blute. "Oh mein Gott!", kreische ich leise. Was war das? Er hat ... aber das ist normal, aber er ... oh mein Gott. Und wie locker er noch dabei war, als er bemerkt hat, dass ich ihn erwischt habe. Weil ich gerade so orientierungslos durch die Gegend laufe, gehe ich zurück in den Garten. Schön, dass mir die Gartendusche erst jetzt auffällt. Dann nehme ich eben dort die Gebetswaschung und ich habe recht mit der Annahme, dass mich das Gebet beruhigt. Aber aus Angst, dass ich ihn stöhnen höre, habe ich sowohl das Umziehen als auch das Ausführen des Gebets in ein anderes Zimmer verlegt. Und jetzt sitze ich mit einem Eis am Stiel auf dem großen Sofa und lenke mich mit Dijan ab, die mir gerade erzählt, dass es schon wieder Streit in der Familie gibt, weil ihre Tante mal wieder einen Aufstand daraus gemacht hat, dass sie nicht zum Putzen kommen konnte. Kann diese komische Frau sich mal selbst um ihren Haushalt kümmern? Oder wenigstens zurück nach Marokko? Ehrlich, das ist echt nicht mehr gesund. "Ärgert dich das Eis?" Scheiße. Ich verharre in meiner Position. Was soll ich jetzt machen? Wieso macht mich das so nervös? Ich hatte schon Hoden unter dem Mikroskop, warum stelle ich mich so an? Das gefällt mir nicht. Es gefällt mir ganz und gar nicht, dass ich so unruhig werde.

"Ist kalt", nuschele ich gegen die Spitze. Mein Handy kann weg. Ich kann mich eh nicht mehr auf das Gespräch konzentrieren. Azad scheint wohl keine Probleme damit zu haben, halbnackt herumlaufen zu wollen. Muss er auch nicht ... ist ja immerhin sein Haus. "Hast du gebetet?" "Hab ich, Schneeflocke. Keine Angst. Nur musst du mich weiterhin für das Morgengebet aus dem Bett zerren." Das ist gut. Ich nicke nüchtern, schiele ihm hinterher, als er sich aus dem Gefrierfach ebenfalls ein Eis holt. Oh mein ... wie ästhetisch sich seine Rückenmuskeln anspannen, dadurch, dass ein Arm die Tür aufzieht und die andere nach dem Eis greift. "Hast du einen Wunsch für morgen?", fragt er mich aus der Küche. Ich verneine es. "Wir können morgen Schießen oder nach Al-Khasab und dort aufs Wasser. Es ist schön dort, klar und blau." Wie deine Augen, denke ich mir. "Ist das weit von hier?" "Das ist in Oman. Mit dem Flugzeug sind wir in nicht einmal zwanzig Minuten da. Dort gibt es auch ein gutes Restaurant." "Wir können uns doch auch etwas mitnehmen oder nicht?" Immerhin ist der Kühlschrank voll sowie die anderen Schränke. "Können wir auch, Schneeflocke. Bei dem Wetter wird das Essen sicherlich nicht kalt." Meine Mundwinkel zucken. Er ist lustig. Er soll nicht lustig sein, wenn ich vorhin schwach wurde! Kaum dreht er sich um, schaue ich auf den schwarzen Bildschirm des Plasma-TVs. Gerade ist es mir sogar unangenehm, die Beine auf dem Couchtisch abgestellt zu haben, weshalb ich sie bei seinem Hinsetzen runternehme.

"Lass sie doch oben. Die Kettchen steht dir." "Passt schon." "Wieso denn? Gerade hast du sie noch ausgestreckt." Seine Hand greift nach meinen Waden, um sie wieder auf den Tisch zu hieven. Es kribbelt. Es erinnert mich an unseren kleinen Zwischenfall im Pool. Das war ... interessant. Ich hoffe, er hat es irgendwie vergessen. Ich hoffe, dass mit 27 Jahren schon die ersten neurodegenerativen Prozesse einsetzen, sodass sein Gedächtnis schwindet. Was mich noch stärker stört, ist die Tatsache, dass ich keine Socken trage. Ich will nicht, dass er meine Füße sieht. Das ist mir so verdammt unangenehm! "Ich hoffe, dir ist bewusst, dass ich dir deine Anspannung anmerke." Na toll! Besser kann es heute echt nicht laufen. "Keine Ahnung, wovon du sprichst." "Sicher?" Ich summe, nuckele weiter an meinem Eis. "Möchtest du darüber reden?" "Worüber?" "Über das, was dich versteifen lässt." Gar kein passender Begriff, du blauäugiger Mörder. "Du interpretierst zu viel." "Worein denn?" Ich halte inne. Dieser kleine, raffinierte, blauäugige Mörder. "In mein Verhalten." "Was ist denn mit deinem Verhalten sonst los?" "Gar nichts. Das ist es ja." "Interessant. Dann habe ich es wohl nur fehlinterpretiert." Ich stimme zu, obwohl ich ganz genau den ironischen Unterton heraushöre. "Du hast schöne Beine." Ich steche diesen blauäugigen Mörder gleich ab! "Genug", warne ich ihn. "Gibt es ein Problem, Schneeflocke?" "Ja, mein Messer ist nicht bei mir." "Ich könnte es dir holen. Sagst du mir, wofür du es brauchst?" Ich will wirklich nicht lachen, aber sein neckender Ton ... und diese Sticheleien ... und er einfach.

"Um deine Aorta zu treffen." "Nicht doch. Mit der Symbolik des Anhängers wollte ich nicht ausdrücken, dass du mich abstechen sollst." "Ich auch nicht. Ich will die Hauptschlagader deines Oberschenkels treffen." "Wo genau verläuft sie denn, Schneeflocke?" Ich will gerade zur Erklärung ansetzen, als ich dann seine Hand auf meinem freien Schenkel spüre. Er tut nichts. Er fährt nur sachte über meine Haut. "Hier?" Seine Fingerkuppen fahren auf der Mitte auf und ab, sorgen für Muskelkontraktionen in meinem Beckenbereich. Selbst mein Unterbauch zieht sich deshalb zurück, aber ich lasse mir nichts anmerken. Gar nichts. "Oder hier?" Jetzt streifen sie nach außen. Da bin ich weniger sensibel, aber trotzdem kribbelt es hoch zu meinen Lenden. "Ich meine mich aber aus dem Studium noch erinnern zu können, dass sie eher hier liegt." Nein. Meine Hand rast sofort zu seiner, drückt sie warnend gegen meinen Oberschenkel. "Ich breche dir deine Finger, wenn du mir zu nahekommst!" Genug! Ich werfe seine Hand abgeneigt zurück zu ihm, nehme die Beine vom Tisch und drehe ihm den Rücken zu, um den Rest meines Eis zu essen. Das war zu viel. Ich hätte es früher beenden sollen. Wieso bin ich so blöd und lasse es erst noch zu?! Was stimmt nicht mit mir? Er soll sich nicht so wohl bei mir fühlen ... ich weiß nämlich nicht, was genau ich da tue. Am Ende bereue ich es. Nein. Das ist nicht gut. Mein Verhalten ist gerade zu nachlässig.

Ich atme tief durch. Alles ist gut. Es war nur ein Moment der Schwäche. Das wird nicht mehr passieren. Nur heute und nicht mehr. "Tut mir leid." Was auch immer. Ich lecke das geschmolzene Eis vom Stil, das ich dann auf den Tisch lege. "Avin." "Passt schon", erwidere ich kühl. Ich höre ihn seufzen und sehe im Augenwinkel, wie auch er seinen Stil zu meinem legt. "Ich fühle mich heute anscheinend zu wohl." "Schon." "Kannst du mir sagen, wo deine Grenzen sind?" Keine Ahnung. Ich verstehe es ja selbst nicht. Erst mag ich das Gefühl und dann könnte ich ausrasten und ihn anschreien. Ich seufze. "Hab mein Kontingent an neuen Erfahrungen heute erreicht." "Okay. Möchtest du noch etwas sagen?" Ich will so vieles sagen, aber mein Kopf wirkt gerade wie leer gefegt, obwohl ich doch spüre, was in mir los ist. Ich hasse diese Gefühle. Ich hasse die Unruhe und Aggressionen, die auftauchen, weil ich gerade keine Kontrolle hatte. Weil ich etwas zugelassen habe, was unbedacht war. Ich will ihn am liebsten anschreien und mit Worten verletzen deshalb. Ich spüre die Wut tief in mir und wie sie sich sogar in meine Fingerspitzen ausbreitet. Ich will ihn für Dinge beschuldigen, die er sofort widerlegen kann. Meine Atmung geht schwerer. Ich spüre schon den Drang, gleich husten zu müssen, wenn ich mich nicht beruhige. Nie wieder.

Ich stehe auf, ignoriere ihn dabei vollkommen, als ich mir in der Küche Wasser in ein Glas schenke. Ich ärgere mich. Ich ärgere mich über sein Verhalten. Ich ärgere mich über mein Verhalten. Ich ärgere mich darüber, dass ich mich ärgere. Ich ärgere mich über die gesamte Situation! Aber ich will keine Spannung zwischen uns ... ich will doch endlich meine Ruhe. Durchatmen, Avin. Tief durchatmen. Ich will meine Contenance nicht verlieren, auch wenn es mir leider zu oft schon bei ihm passiert ist. Mein Glas ist leer, als ich es anschaue. Das wäre doch ein Friedensangebot, oder? Wenn ich ihm ein Glas Wasser bringe. Ich will keinen Streit, auch wenn wir uns nicht wirklich gestritten haben, aber ich spüre doch ganz klar, dass gerade eine Distanz zwischen uns ist, die meinetwegen vorhanden ist, aber durch ihn induziert ist und ... das macht mich kaputt. Das ganze Denken, das ganze Hin und Her, das ganze Misstrauen, aber ich kann nicht aufhören. Meine Hand zittert, als ich das Glas wieder auffülle. Mein Magen zieht sich zusammen, als ich auf ihn zusteuere. Es bedrückt mich, zu sehen, wie er nachdenklich die Hände auf dem Bauch ineinander verschränkt hat und auf den Tisch sieht. Es tut mir leid, Azad. Ich komme manchmal nicht gegen mich selbst an. Vielleicht hilft das Glas Wasser, das ich ihm jetzt hinhalte.

Für den ersten Moment wird mir vor Unruhe warm, als er erst mich ansieht und dann das Glas, aber als ich dann den Hauch eines Lächelns sehe und die Erleichterung, als er mir das Glas abnimmt, könnte ich wirklich weinen. Meine Hände zittern, als ich sie gegen meinen Bauch drücke. "Alles okay?", frage ich trotz belegter Stimme. "Ja, Schneeflocke. Setz dich." Er zieht mich an meinem Handgelenk links zu sich. Mein Bein wippt und selbst mein Arm, den ich auf meinem Knie abstütze, um meine Wange zu halten, hält mich nicht davon ab. "Ich kann verstehen, dass ich zu weit gegangen bin und es tut mir leid. Ich dachte nur ... also, was im Pool war ... da dachte ich, dass du dich ein wenig wohler fühlst." Ich habe das Gefühl, zu glühen, als er das Geschehen im Pool anspricht. Mein Blick senkt sich auf seine Knie. Keine Ahnung, was ich dazu sagen soll. "Ist noch alles neu für mich", murmele ich gegen meine Hand. Mein Blick kreuzt immer wieder seinen, weil ich nicht ruhig halten kann. "Ich verstehe es." Azad lehnt sich zurück und fährt beruhigend über meinen Rücken. "Kein Stress. Ich bin heute nur ein wenig durch den Wind durch die Ereignisse." Verständlich. "Passt schon." "Sicher?" Ich nicke. Was anderes geht nicht, wenn er mir so angenehm über den Rücken fährt. Ich muss mich nur einfinden. "Braucht nur seine Zeit." "Wir haben genug Zeit. Was heute passiert ist, ist ein guter Schritt oder nicht?" Schon, aber in mir herrscht immer noch der Wille, sich komplett von ihm zu entfernen, sobald wir uns zu nahekommen.

Es ist fast so, als würde ich es tief im Inneren nicht wollen, dass er mir Wärme gibt. Wärme, die ich eigentlich will. Wärme, die ich eigentlich brauche. Was ist los mit meiner Psyche, dass sie bei einer so herbeigesehnten Sache so rebelliert? Ich will es doch! Ich habe es mir doch so lange gewünscht. Warum wird mein eigenes Wesen zu meinem Feind? Warum jetzt, wo ich mich doch eigentlich so gut fühlen kann? Dieses verfickte Trauma! Ich darf selbst jetzt, wo es vorbei ist, nicht abschalten. Aber was war denn auch bitte zu erwarten? Wie naiv bin ich, zu erwarten, dass ich Erfahrungen von über einem Jahrzehnt einfach so hinschmeißen kann? Ich verspüre dieses vehemente Gefühl, aus Angst, dass er auch so ist. Ich will ihn von mir stoßen, aus Angst, dass er zu tief in mein Herz dringt, nur um es dann zu brechen. Ich will sauer werden und ihn mit Worten verletzen, damit ich mir sagen kann, dass ich ihn verletzt habe, bevor er die Chance hatte. Ich gehe vom Schlimmsten aus, weil ich zu selten Schönes erlebt habe. Ich bereite mich auf Enttäuschungen vor, weil ich nur Enttäuschungen kenne. Das ist traurig. Ich werde bald 24 und darf erst jetzt Positives in meinem Leben halbwegs willkommen heißen. Ich lehne mich seufzend zurück gegen das Sofa, schaue müde in seine eisblauen Augen, die mich schon lange beobachten. Wir werden viel zu bewältigen haben. Als hätte er meine Gedanken gelesen, senken sich seine Lider einmal für ein unausgesprochenes Ja.

"Mach dir keine Sorgen, Schneeflocke. Ich arbeite mich durch den Weg deines Herzes."

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