Kapitel 26
Und so verharren wir. Gemeinsam im Meer, die Wellen streifen ihre erfrischende Kälte gegen unsere Beine. Der Mondschein schimmert auf uns herab. Ich darf sein Parfüm einatmen, es genießen sowie seine Wärme. Azad wagt es nicht zu sprechen. Ich spüre, dass er sichtlich verblüfft und teils überfordert ist. Immerhin bin ich die Kühle von uns, daher braucht er ein wenig, bis er sich mehr zu mir wendet und seine Hand auf meinen Hinterkopf legt, mich damit weiter an seine Brust drückt. Das brauche ich. Ich brauche es so sehr. Es ist ein Moment, in dem ich endlich wieder richtige Zufriedenheit spüren darf. Endlich. Nach so vielen Jahren. Ich habe es verdient. In mir stauen sich lang unterdrückte Emotionen auf, bei denen ich nicht weiß, ob ich sie herauslassen soll oder nicht. Es würde nicht auffallen, aber bei Azads Aufmerksamkeit kann es doch sein, dass er es bemerkt. Ich vergrabe mein Gesicht in seiner Brust, spüre die Wärme durch das T-Shirt zu mir durchwandern. Ich genieße es so sehr, dass seine Finger auf meinem Rücken kreisen und dass seine Hand meine Kopfhaut sanft berührt. Es tut so gut. Es tut so gut, einmal zu entspannen. Ich schlinge meine Arme fester um ihn, drücke mein Gesicht immer fester gegen seine Brust. Ich brauche diesen Moment für mich. Mein Herz nährt sich davon. Er spricht kein Wort und ich spreche kein Wort. Es sind nur die Ruhe und die Natur um uns herum, die wir wahrnehmen und genießen.
Ich habe kein Zeitgefühl, aber es sind sicherlich mehrere Minuten vergangen, in denen ich in seinen Armen bin, seinem Herzschlag lausche, der beschleunigt ist, aber keiner Tachykardie entspricht, die Wellen an unseren Beinen wahrnehme und Azads sanftes Wiegen genieße. So fühlt es sich also an, zufrieden zu sein. So fühlt es sich also an, das zu bekommen, was man verdient. Ich habe nur einen Bissen kosten dürfen und ich möchte jetzt schon nicht mehr ablassen. Aber das muss ich wahrscheinlich nicht. Meine Arme werden langsam müde, daher lasse ich sie zu seinem unteren Rücken fallen und verschränke meine Finger ineinander. Seine Hände hören bis jetzt nicht auf, mich zu liebkosen. Es sind die Kleinigkeiten, die es ausmachen. Wie oft ich es mir in Nächten der Verzweiflung vorgestellt habe. Wie oft ich mich nach einem Mann gesehnt habe, der mir sagt, dass er mein Problem für mich klären wird. Wie oft! So oft. Zu oft. Aber er kam nie. Ich war es, die alles klären musste. Das Leben als älteste Migrantentochter kann depressiver und gefährlicher sein, als ich es mir je vorgestellt habe. Aber jetzt ist es doch vorbei ... hoffe ich. Ich trage immer noch leichte Zweifel und Sorge in mir. Ich will mich nicht auf all das verlassen, so schön es sich anfühlt, aber ich erlaube mir, den Moment zu genießen. Ich traue mich langsam, aufzusehen. Die Tränen habe ich in den vergangenen, stillen Minuten heimlich an seinem T-Shirt abgewischt.
Seine Augen liegen auf mir. Selbst in dieser Dunkelheit wirken seine Augen so grell, so leuchtend wie der Mond. Es ist ein schöner Moment, auch wenn ich mich ein wenig für meine Emotionalität schäme. Mein verlegenes Lächeln zeigt es. Es ist so intim. "Ich habe einen langen Moment nicht geatmet, aus Angst, du würdest dich von mir lösen." Das lässt mich stärker lächeln. Der Arme. "Kann schon mal passieren." "Dann muss ich meine Kondition erweitern." Ich lächele noch stärker. Vor Freude steigen mir sogar wirklich Tränen auf. Wann hatte ich zuletzt Tränen der Freude in den Augen? Bei der Zulassung, die Oberstufe besuchen zu dürfen. Damals, wo ich noch frisch die Hoffnung hatte, keine Zweifel, meinen Traum zu verwirklichen. "Du gefällst mir so viel besser, Schneeflocke." Mein Lächeln wird kleiner. Nicht aufgrund seiner Aussage. Sein Daumen, der mir sanft über meine Wange fährt, ist der Grund. "Es ist schön, dich lächeln zu sehen. Du tust es zu selten aus tiefstem Herzen. Wenn du lächelst, strahlst du schöner als der Vollmond." Alter Schmeichler. Ich schaue schmunzelnd zur Seite. "Wir können zurück, wenn du willst." "Wir können bleiben, wenn du willst", entgegnet er. "Wie du willst." "Passt schon." Ich halte inne. Hat er gerade wirklich meinen Satz verwendet? Gegen mich? Und mich damit mundtot gemacht? Und grinst er mich gerade wirklich frech an? "Ist was, Schneeflocke?" Frech! Ich beiße ihm in die Brust, doch er lacht nur.
Wir machen uns wieder auf den Weg zurück. Der Boden ist warm und da der Sand an unseren Füßen klebt, trägt Azad unsere Schuhe und Socken. "Möchtest du etwas essen?" "Ich habe nicht sonderlich großen Hunger. Ist mir egal." "Wir könnten uns einen Burger und Pommes teilen." Mit Burgern und Pommes kriegt mich jeder rum. "Na gut." Er lächelt wieder. "Heute scheint wirklich mein Glückstag zu sein." Ich höre wieder das Beben in seiner Stimme. Azad wirkt, als hätte er die Welt gerettet, weil ich zugestimmt habe. Das ist echt schön. Wirklich schön. Schön ist auch die Ruhe, die Wärme des Bodens, das Rauschen der wenigen Autos weiter weg von uns, aber auch sein Handrücken, der meinen immer wieder streift. "Haben Restaurants überhaupt noch so lange offen?" "Ja, oft auch nach Mitternacht." Gut, gut. Das wird schön. Ich mag es, nachts draußen in der Wärme zu essen, auch wenn ich es noch nie erlebt habe. Der Gedanke daran war aber stets schön. "Wir können morgen wieder an den Strand. Willst du im Meer schwimmen?" "Ich will nur ein wenig für meine Haut rein. Schwimmen kann ich im Pool." "Wegen der Tiefe?" Ich verneine es. "Zumindest nicht primär. Sind mir zu viele Menschen." Und ich bin immer noch kein Fan von Männern, auch wenn ich mit einem verheiratet bin. "Ist es dir zu laut?" "Nicht primär." "Was ist der primäre Grund, Schneeflocke?", raunte er dieses Mal näher zu mir. Mich schaudert's, aber es kribbelt auch meine Lenden hinab. "Hab keine Lust auf penetrante Männerblicke." Die werde ich leider niemals los, aber da ich das Privileg besitze, einen ganzen Pool zu haben, muss ich mich nicht ärgern.
"Wenn ich ehrlich bin, hätte ich eher gedacht, dass du mich damit sogar provozieren würdest. Ich habe mich schon auf eine sehr kratzbürstige Seite vorbereitet, aber diese äußert sich doch anders." "Warum sollte ich dich eifersüchtig machen?" Das ist unnötig und kindisch. Ich habe keinen Kopf und zu viel Respekt vor mir selbst, um so etwas zu tun. "Ich weiß es nicht. Ich habe es mir nur vorgestellt und ich drehe jedes Mal erneut durch, bei dem Gedanken, wie dir ein Mann zu nahekommt oder dich zu lange ansieht. Dass du dieses Spiel nicht spielen möchtest, trägt viel zu meiner Herzleistung bei." "Falls es problematisch wird, kannst du ja eine Skizze für einen Herzschlag-Reduzierer entwerfen." "Und den nenne ich Avin-Stop, wie wäre das?" Idiot. Er ist lustig. "Ganz okay." Er lacht nur leise. Vom weiten sehe ich schon die drei großen Palmen, die seinem Haus angehören. "Geh um das Haus herum. Da ist ein Wasserhahn." Ich denke erst, dass ich alleine dahingehe, aber anscheinend möchte er mich doch begleiten und anscheinend auch den tiefergelegten Wasserhahn an der Wand für mich anschalten und ... "Was machst du da?" Ich schrecke zurück, als seine Hand nach meiner Wade greift. Um Gottes willen, es ist wirklich schön, dass er mich mag, aber er muss mir nicht die Füße waschen, die ich ihm schon so nicht freiwillig zeigen will.
Azad scheint sichtlich irritiert zu sein, als er zu mir hochschaut. "Wo ist das Problem?" Ich murre, verstecke einen Fuß hinter dem anderen. "Ich kann das auch alleine." "Ich hocke doch sowieso." "Na und?" "Ich habe keinen Fußfetisch, keine Angst." Das hätte noch gefehlt. "Darum geht es nicht!" Und schon wieder blinzelt er irritiert. Das Wasser plätschert noch auf den Boden, während er wahrscheinlich versucht, das Problem zu erkennen. Dann wendet er den Blick zum Wasserhahn, lässt seine Hand unter den Wasserstrahl gleiten und schaufelt es auf meinen Fuß. Ich schrecke wieder zurück. "Geh ins Haus!" "Aber ich habe Sand an den Füßen." "Dann wasch sie ab und geh rein!" "Aber ich will zuerst deine Füße waschen." "Du kannst ..." Gott! Was ist das für eine Diskussion? Ich gehe auf das laufende Wasser zu, stelle mich absichtlich vor sein Gesicht, mir ganz egal, ob er gleich meinen Hintern küsst, so nah er seinem Gesicht ist und stelle meinen rechten Fuß unter das Wasser. Argh! Seine Hand schon wieder! "Azad!" "Geht doch schneller." Nein, geht es nicht! Ich bin extrem kitzelig und seine Hand macht alles schlimmer. So schlimm, dass ich mich an seinem Kopf festhalte und ihn aus Versehen an meine Pobacke drücke. Na toll! "Tut mir leid!", knurre ich. Dieser blauäugige Mörder überfordert mich. "Entschuldige dich niemals für eine schöne Tat. Du darfst das immer wieder-," "Azad, ich schlag' dich gleich!", drohe ich. Mein Kopf dreht sich schon vom ganzen Heckmeck.
"Möchtest du ein Fußkettchen? Wir können morgen in der Mall schauen." Ich seufze. Wie wahllos. "Passt schon." "Ich bestehe darauf. Möchtest du morgen ein wenig einkaufen?" "Mir egal." "Ist es dir wirklich egal oder hast du keine Lust?" "Es ist mir wirklich egal." "Also gut, dann gehen wir morgen einkaufen. Fuß wechseln." Na schön. Ich verdrehe meine Augen dabei. "Aber sei vorsichtig." "Mache ich, Schneeflocke. Ich wusste nicht, dass du so stark kitzelig bist." "Bin ich." "Das stand leider nicht in der Akte." "Azad", warne ich ihn, doch er lacht nur leise. Na gut, ein wenig lustig war der Witz schon. Ich verschränke meine Arme vor meiner Brust. "Ich verstehe immer noch nicht, wieso du mich so unbedingt heiraten wolltest." "Darf ich dich nicht einfach so heiraten, weil ich dich mag?" "Wie konntest du den Entschluss fassen, mich heiraten zu wollen, nachdem ich gesehen habe, wie du jemanden erschossen hast?" Das ist bis heute ein ungelöstes Rätsel für mich. "Ich habe einmal gelesen, dass Adrenalin beim ersten Treffen ein unvergessliches und verstärktes Gefühl auftreten lässt und diese neuronale Vernetzung und Hormonausschüttung wird mit jedem erneuten Treffen mit der Person wiedererweckt und freigesetzt. Eine Sache der Verbindung nehme ich mal an. Ich bin kein Neurowissenschaftler, aber da du bald Medizin studieren wirst, kannst du mir ja diese unerklärlichen Gefühle erklären, Schneeflocke." Ich kann nicht glauben, dass er so charmant ist. "Du bist so ein Schleimer." Ein Schleimer mit einem hinreißenden schiefen Grinsen. Und oh Gott! Er küsst tatsächlich mein Schienbein!
Ich darf mich endlich aus der Tortur befreien. Azad scheint zufrieden zu sein und übergibt mir die Autoschlüssel, damit ich schon mal einsteigen kann. Es ist ein wenig stickig aufgrund der Wärme, aber gleich darf ich wieder den Wind genießen, auch wenn meine Haare dadurch öfter Mal in mein Gesicht fliegen. "Willst du keine Musik hören?", fragt er mich, als er ins Auto steigt. Der Motor schnurrt extrem laut auf in dieser leisen Umgebung. "Mir egal." Azad dreht und tippt auf dem Schalter der Mittelkonsole herum, woraufhin er mir sagt, dass ich mich mit dem Auto verbinden soll. Mit dem Losfahren spielt auch das erste Lied über die Shuffle-Funktion. Freak Like Me von Adina Howard. Ein Klassiker und eins meiner liebsten Lieder, wenn nicht sogar das Lieblingslied. "Gute Wahl. Das haben wir damals ständig gehört." "Damals, als du noch jung und knackig warst?", schmunzele ich und er grinst. "Möchtest du etwas andeuten?" "Nein, aber du gehst auf die 30 zu. Kennst du dich schon mit Altersvorsorgen aus?" "Ich bin mir sicher, dass deine Liebe zu einem alten Mann eine sehr gute Vorsorge sein wird." Und schon verdrehe ich meine Augen - wenn auch ein kleines bisschen schmunzelnd. Ich nicke unauffällig zum Takt, summe den Refrain mit, den ich so liebe. Es macht mir gute Laune. Endlich kann ich das Lied zu der Atmosphäre genießen, die ich mir immer herbeigesehnt habe.
Ich strecke meinen Arm aus dem Fenster, genieße den angenehmen Wind so sehr, dass ich meine Arme auf den Rand der Beifahrertür verschränke und meinen Kopf auf sie ablege. Ich liebe das Gefühl. Keiner ist auf den Straßen, sodass ich mir keine Sorgen darum machen muss, dass mein Kopf abgefahren wird. Nein, ich kann den Wind und das Lied mit geschlossenen Augen genießen. Azad beschleunigt, die Musik wird lauter, der Wind erfrischender. Meine Haare werden durch den Wind nach hinten geweht, meine Kopfhaut kribbelt angenehm durch die Bewegung. Die Lichter rasen alle an mir vorbei. Der Moment ist schön. So unbeschreiblich schön. Gerade verspüre ich wirklich Zufriedenheit. Ich bin wirklich zufrieden mit dem Moment. Es ist schön. Ich mag es. Es macht mich ein wenig glücklich. Das Lied soll nicht enden. Ich mag es gerade nur noch mehr und als würde Azad meine Gedanken lesen, lässt er es von vorne beginnen. Mein Moment beginnt wieder, ein wenig ruhiger, ein wenig gefasster, aber ich bleibe mit dem Kopf auf den Armen liegend und aus dem Fenster schauend, bis wir auf dem Parkplatz des KFCs ankommen. Schade. Ich hätte das Lied noch fünf weitere Male während der Fahrt hören können. Wir steigen aus dem Auto, wobei Azad ziemlich den Eindruck erweckt, mir die Tür aufhalten zu wollen. Ich mag die runde Architektur des Restaurants und dass es lichtdurchflutet ist. Es ist keiner da. Wir haben quasi das ganze Restaurant für uns.
Der kleinere Mitarbeiter mit dem dunkleren Teint begrüßt uns freundlich, wartet geduldig, bis wir uns entschieden haben. "Was möchtest du?" "Mir egal. Wie wäre es mit dem Mighty Zinger?" "Nur das?" "Ich bin ja nicht sonderlich hungrig." "Richtig, aber wenn wir uns einen Burger teilen, wirst du nicht annähernd so satt, wie du es dir vorstellst. Ich hole noch einige Kleinigkeiten, ist das in Ordnung?" Dass er mich fragt, dass er wirklich mein Einverständnis dafür haben möchte gefällt mir. Ich mag es, dass ich die Kontrolle haben darf. "Okay." Und dann höre ich Azad zum ersten Mal Arabisch sprechen. Schnell, fließend, sicher. Ich verstehe es nur, weil die Namen der Produkte auf Englisch sind und ich es mir herleiten kann. Als er aber Bibsi statt Pepsi sagt, kann ich mir mein Prusten wirklich nicht verkneifen. Scheiße, nein. Ich muss mich zur Seite drehen. Mein Gesicht wird warm, weil ich mir mein Lachen unterdrücke. Gott, wie süß hört er sich dabei bitte an? "Was ist?" "Nichts, Bibsi." Ich sage ja selbst Bibsi, wenn ich auf Kurdisch nach Pepsi frage, aber bei ihm hört es sich so schrecklich lustig an. Ein riesiger, blauäugiger Mörder sagt Bibsi. Ich kann nicht mehr. Mir fließen vor Belustigung schon die Tränen ab und es hört nicht auf. Selbst, als wir mit unserem Essen draußen an einem Tisch sitzen. Mir bleibt die Luft vor Gelächter weg, weshalb ich schon kräftig husten muss. Ich sollte aufpassen, dass ich mein Asthma damit nicht provoziere, aber ich kann mich nur schwer beruhigen. Selbst beim Essen der Pommes lache ich wieder los.
"Ich werde dich wahrscheinlich nie wieder so viel und so stark lachen sehen, Schneeflocke. Nur hätte ich niemals damit gerechnet, dass dich ausgerechnet das zum Lachen bringen kann." Ich stehe sogar kurz davor, einen Asthmaanfall zu erleiden, wenn ich mich nicht bald beruhige. Mein Husten kann ich nur einige Male mit der kalten Cola abbremsen, aber die Erinnerung an sein tief gesagtes Bibsi ruft mir wieder die Tränen in die Augen. Mein Bauch tut schon weh. Ich kann nicht mehr! "Okay, okay", flüstere ich. Puh! Ich muss tief durchatmen, huste, aber beruhige mich endlich wieder. Bibsi. Okay, nein. Ich darf nicht daran denken, sonst fängt es wieder an. In der Zwischenzeit hat Azad schon den Burger in der Hälfte zerteilt und die Soßen geöffnet. "Wenn du mir die Ehre erweisen würdest und jetzt ein wenig Nahrung zu dir nimmst." Alles klar, Bibsi. Ich nehme die Burgerhälfte in die Hand, packe noch einige Pommes dazwischen und tunke es in die Mayonnaise, bevor ich reinbeiße. Wann hatte ich zuletzt Burger? Das ist auch eine gute Weile her. Alles ist eine gute Weile her und ich darf es jetzt genießen. "Du tust Pommes in den Burger?" "Muss", nuschele ich mit vollem Mund. Für ihn scheint das Neuland zu sein, aber wenn ich ehrlich bin, wirkt der Burger selbst für Azad wie Neuland. In seinen Händen wirkt es wie etwas Außerirdisches. Er hält es so ... so förmlich. "Tu auch Pommes dazwischen und pack Mayo rein." "Aber da ist doch schon Soße im Burger?" "Es gibt nie zu viel Soße." Dass er das infrage stellt, ist schon frech. "Für dich probiere ich alles, Schneeflocke."
Ich stehe zufrieden und ohne Angespanntheit auf. Azad liegt zwar nicht im Bett, aber das ist kein Problem. Wie viel Uhr haben wir? Wir sind erst nach Mitternacht zurückgekehrt. Azad hat mich noch ein wenig herumgefahren und wir haben wirklich noch fünfmal Freak Like Me gehört, bis ich dann wirklich müde wurde und direkt eingeschlafen bin. Er natürlich wieder in seinen Boxershorts und ich in meinen Satin-Shorts und Oberteil. Während ich mir das Gesicht wasche, denke ich immer wieder an den schönen Abend. Erst am Meer, dann im Auto, dann beim Essen. Selbst das Abwaschen des Sandes kommt mir jetzt gar nicht mehr so schlimm vor. Ich muss auch wieder an den Kuss auf mein Schienbein denken. Das war schon irgendwie schön. Ich mochte es. Mein Gesicht verzieht sich zu einem kleinen Lächeln, als ich die Sonnencreme auf meinem Gesicht und Dekolleté verteile. Der Rest wird an den Händen abgeschmiert, woraufhin ich zur großen Tube für den Körper zurückgreife, mich reichlich vor UV-Strahlen schütze und dann aus dem Bad trete. Erst jetzt nehme ich ungewöhnliche Geräusche wahr. Ich kann es nicht deuten. Es klingt nach einem Schwein, aber irgendwie auch nicht. Hier können keine Schweine sein. Und jetzt klingt es nach einer Krähe und jetzt wie eine Mischung aus einer Krähe und einem Schwein. Was macht dieser blauäugige Mörder da? Ich finde ihn nirgends. Nicht im Wohnzimmer, nicht in der Küche, aber durch das Fenster sehe ich seinen Kopf. Was sucht er im Garten, wenn er nicht lange in der Sonne sitzen kann? Klar, die Abdachung gibt ihm Schatten, aber ... ach, ich frage ihn. Immerhin gehe ich ja jetzt zu ihm.
"Oh mein Gott!" Ich keuche. Tiger! Babytiger und Babylöwen! Ich ... das ist ein Traum. "Komm her. Du kannst ihnen Milch geben." Azad sitzt mit mehreren kleinen Raubtierbabys um sich herum, hält dem Babytiger seinen Arm zum Spielen hin, während der Mann in Safari-Kleidung mir freundlich zunickt. Er hat tatsächlich Babytiger und Babylöwen herbestellt. Ich hoffe, sie hatten genug Platz während des Transports. Fast ungläubig setze ich mich auf die warme Wiese, um die kleinen Babys zu mir zu locken. Gott, sind die süß! Und die Laute, die sie von sich geben! Als würden sie niesen. Ich kraule den kleinen Löwen, kann es nicht fassen, dass ich gerade ein Raubtier berühre. Der Wunsch, eine Katze zu haben, verstärkt sich sofort. "Sobald wir wieder zu Hause sind, holen wir uns die Katzen." "Was immer du wünschst, Schneeflocke." Ich japse erschreckt nach Luft, als der Löwe an meinem Finger knabbert, lasse es aber dann zu. Oh Gott, ich will ihn mit nach Hause nehmen! Und die Tigerbabys! Wie herrlich Azad mit den ganzen kleinen Tieren um sich herum aussieht. Wie schön seine Arme wirken, die er ausstreckt, um als Spielzeug für sie zu dienen. Ich mag seine Unterarme. Die Venen schmücken seine gebräunte Haut und vor allem liebe ich es, wie seine Sehnen hervorstechen. Aber ich will meine Aufmerksamkeit nicht seinen Armen widmen, sondern den ganzen süßen Fellknäuel um mich herum.
Wir betreten gemeinsam die klimatisierte Dubai Mall. Sie ist gigantisch, umgeben von Wasser und selbst in der Mall steht ein riesiger Wasserfall. So einen brauche ich im Sommer in meinem Zimmer ... ich meine Schlafzimmer, aber das ist auch klimatisiert. "Wann genau möchtest du ans Meer für deine Haut?" Gute Frage ... Moment. Ich halte inne. Ich habe gar keine Schwimmsachen dabei. Aber dort kann man sicherlich auch mit T-Shirt ins Wasser, aber ich habe keine Shorts. Na toll. "Wir müssen Schwimmsachen holen." "Hast du keine mitgenommen?", fragt er mich überrascht, was ich zungenschnalzend verneine. "Habe es vergessen." "Nicht schlimm. Hier gibt es auch Victoria's Secret. Da kannst du schauen." Oh ... im Leben nicht. "Passt schon. Will einen Badeanzug. Hast du mehrere Shorts dabei?" "Habe ich." Gut. Dann brauche ich nur noch einen Badeanzug. Du meine Güte, hier gibt es sogar ein riesiges Aquarium! Hier sind mehr Läden, als es in einer gesamten Stadt existieren. Alle Luxusläden reihen sich nacheinander auf. Das hier wäre eine Oase für Dilnia. "Hier muss Dilnia hin." "Wenn du nur wüsstest", seufzt er und ich schmunzele. Anscheinend ist das hier ein gefährlicher Ort für ihre Kreditkarte. "Sie kauft sich Sachen, bei denen ich mich frage, wie man so etwas anziehen kann. Mir ist der Preis egal, aber manche Sachen sind so hässlich, dass es unverschämt ist, solche Preise dafür zu fordern." Da hat er recht.
Wir schlendern weiter, ohne einen der fünfzig Läden zu betreten, die Azad mir nach und nach anbietet. Und dann kommt Victoria's Secret. Da gehe ich nicht mit ihm rein. Kann er sowas von vergessen! Ich schaue schon streng zum blauäugigen Mörder hoch, der sich betreten den Nacken kratzt. "Du hast dein Messer bei dir?" Ich nicke. "Ich will dich nicht allein lassen, Schneeflocke." "Wieso?" "Was ist, wenn dir etwas passiert?" Moment ... hier etwa auch? Ich schaue mich fassungslos um. Wer von diesen Leuten ist ein potenzieller Mörder? "Aber ... überall?" "Man kann sich nie sicher genug sein, Avin." Aber ... ich will nicht, dass er mitkommt! Aber er wird es doch sowieso sehen und ... argh! Na gut. Ich verdrehe meine Augen und trete hinein. Der dunkle Laden schreit vor sinnlicher Unterwäsche. Für seine blauen Augen hoffe ich, dass er sie auch schön gesenkt hält! Ein strenger Blick nach hinten und ich sehe zu meiner Zufriedenheit wirklich, dass er mich ansieht ... das ist nett. Ich schaue wieder hoch, starre ungewollt auf die Schaufensterpuppe mit dem schwarzen Leder-Dessous und lenke sofort nach links. Ich liebe Unterwäsche, aber nicht in Begleitung eines Mannes. "Ich weiß gar nicht, ob sie hier Badeanzüge haben, Schneeflocke." "Schaust du dir die Unterwäsche an?" "Nein, aber ich vermute es. Es ist immerhin ein Laden für Dessous. Bikinis wird es sicherlich geben." Ich will aber keine Bikinis vor ihm tragen.
Ich bin entsetzt. Es kann nicht sein, dass dieser Drecksschuppen keine gescheiten Badeanzüge anbietet. Ich finde nichts. Nirgends. Nur irgendwelche Fetzen, die sich als Badeanzug betiteln, aber gerade mal so meine Brustwarzenvorhöfe bedecken. Echt! "Keine Lust mehr", murre ich. Wir können gehen. Azad lächelt mich sanft an, scheint belustigt von meiner fehlenden Geduld zu sein, während er mit seinen verschränkten Armen angelehnt an ein Regal voller Unterwäsche die Ruhe selbst ist. "Gefällt dir gar nichts? Hier gibt es auch Düfte. Vielleicht ist etwas für dich dabei." "Hab noch einen Jahresvorrat zu Hause." "Stimmt. Unterwäsche? Da ist ein schönes Set in-," "Du hast dir Unterwäsche angeschaut?", hake ich mit angezogener Augenbraue nach. "Ich habe keine Frauen angeschaut", beteuert er. Ich schiele auf seine Unterarme, dann auf seine Oberarme, die durch seine Haltung betont werden und dann auf seinen silbernen Ohrring. Wovon war gerade noch einmal die Rede? "Und?" "Was und?" Er soll weiterreden, damit nicht auffällt, dass mein kleines Mustern mich hat vergessen lassen, wovon wir gerade gesprochen haben. "Und jetzt?" Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. Mir wird warm. Ein Glück ist es dunkler hier. "Möchtest du die Unterwäsche sehen, die ich meine?" Ach so. Stimmt, darum ging es. Will ich es? Keine Ahnung. Unterwäsche ist toll, aber ... keine Ahnung. "Mir egal." Er seufzt nur. "Komm. Sie beißen nicht und haben sicherlich kein Messer bei sich." Ich lasse zu, dass er mich an meinem Handgelenk hinter sich herzieht.
Oh ... wow. Das ist echt schön. Es ist ein Korsett-Oberteil mit Schnürung, passender Spitzenunterhose und sogar Strapsen. Echt hübsch. Hat er sich mich in diesem Set vorgestellt? Dumme Frage, sicherlich hat er das. "Und?" "Ist schön", murmele ich. "Dann hole ich es dir." Aber ... also ich will es ja haben, aber ... keine Ahnung. Es ist so intim. "Was ist deine Größe?" Ich ignoriere die Frage, so sinnlos es auch ist. Ich kann mir ja selbst meine Größe auswählen, nur ist das Problem, dass hier andere Größen herrschen und irgendwie alles zu klein wirkt. XL als Unterhose scheint realistisch für mich zu sein, obwohl ich in Deutschland M trage. Auch gut. Über die Größentabelle finde ich heraus, dass das Korsett auch in XL sein muss für mich. Interessant. Wahrscheinlich müssen 43-Kilo Frauen hier M als Größe nehmen. Ein weiter Grund, wieso Essstörungen so gängig sind bei Frauen. Wir verlassen den Laden. Azad hat mir wirklich Unterwäsche gekauft. Er wollte mir sogar noch mehr holen, aber ich bin immer noch zu schüchtern. Das reicht. Ich habe genug Unterwäsche. "Komm, ich muss etwas abholen." Mich überrascht es ein wenig, dass er meine Hand nimmt. Klar, wir sind verheiratet, aber ... wie auch immer. Es ist gerade kein Problem. Nur schäme ich mich, als wir den edlen Schmuckladen betreten und der Chef Azad wohl kennt und herzlich in eine Umarmung zieht. Ich verstehe nur, dass sie sich gegenseitig fragen, wie es ihnen geht.
Und jetzt fällt die Aufmerksamkeit auf mich. Ich bin mir sicher, dass Azad ihm gerade sagt, dass ich seine Frau bin, so überrascht und erfreut er lächelt und mich mit seiner Hand auf seiner Brust begrüßt. Nur verstehe ich kein Wort von dem, was er danach sagt und schaue hilfesuchend zu Azad, der ihm jetzt wahrscheinlich erklärt, dass ich kein Arabisch kann. Ich hoffe und bete, dass der nette Mann in weißer arabischer Tracht und rot-weißer Kufiya nicht weiter mit mir sprechen will, denn ich habe nicht genug Kapazität, um mit Fremden zu sprechen, vor allem, wenn wir uns in einem fremden Land befinden. Zu meinem Glück darf ich mich auf der rot gepolsterten Sitzbank niederlassen. Mir wird kaltes Wasser gebracht und ich darf Azads breiten Rücken in diesem weißen T-Shirt betrachten. Was essen wir heute? Kochen wir oder essen wir in einem Restaurant? Mir ist beides recht, aber hier gibt es sicherlich frittiertes Hähnchen und das kann ich jeden Tag essen. Ich muss noch Dijan schreiben. Die habe ich ja komplett vergessen! Und meine Mutter! Oh Gott. In der Mall gibt es WLAN, aber ich warte, bis ich zu Hause bin und kontaktiere beide in Ruhe. Azad ist jetzt auch fertig mit seiner Sache, sodass wir gehen können. "Wann essen wir?" "Wir können jetzt essen, wenn du möchtest." Gut. "Können wir frittiertes Hähnchen essen?" "Was immer du möchtest, Schneeflocke." "Was hast du eigentlich gerade gemacht?" "Fällt dir nichts an mir auf?" Die Frage sorgt dafür, dass sich meine Augenbrauen zusammenziehen. Ich schaue zu ihm, sehe aber ... doch! Er trägt einen neuen Ohrring und oh ... es besitzt eine kleine Verlängerungskette und daran hängt ein A. Aber vielleicht steht das A für Azad, was ich mir jedoch nicht vorstellen kann.
Ich schaue wieder nach vorne, kämpfe mit all meinen Gesichtsmuskeln, um nicht zu lächeln. "Steht das A für Aras?", frage ich. Vielleicht hilft das gegen den penetranten Drang, zu lächeln. "Nein. Es ist eine Person, die mir Stück für Stück näherkommt, als es mein Zwilling jemals könnte." Das hört sich schon schön an. Meine Schultern heben sich ein kleines Stück. "Und mit ihrem Anfangsbuchstaben als Anhänger ist sie ganz nah an meiner Halsschlagader." "Schöne Intention", murmele ich. Eine sehr schöne Intention. Ich mag das. "Es freut mich, dass es der gewidmeten Person gefällt." Ich finde es so faszinierend, dass er so locker, so leicht und ohne Unbehagen seine Gefühle preisgeben kann. Wirklich! Das ist unerklärlich für mich. Würde ich so etwas tun wollen, würde mich fünfmal etwas in mir aufhalten. Kommt das, weil seine Eltern ihm die Liebe anders gezeigt haben? Weil er ein anderes Verhältnis zu seinen Geschwistern hat? Meine Geschwister und ich sind nicht kühl und distanziert zueinander, aber irgendwie ... keine Ahnung. Dilnia zum Beispiel hat nur ihre Familie. Ich habe irgendwie niemanden gehabt, obwohl ich Leute um mich hatte. Dijan, meine Schwestern, meine Eltern, aber irgendwie ... es ist schwer zu erklären. Ich bin eine emotional distanziertere Person. Aber ich will mich nicht selbst unter Druck setzen und mich überfordern. Ach ... keine Ahnung, wie ich ihm zeigen soll, dass ich ihn mag und toleriere.
Den Weg zum Essbereich über bin ich wieder lethargischer geworden. Das ist echt verdammt deprimierend, so einen Abwehrmechanismus zu haben, der dann aktiviert wird, wenn jemand aufrichtig Liebe zeigt. Das kann ihn entmutigen und mich entmutigt es auch. "Verzeih mir, dass es so lange gedauert hat, aber ich bin noch zu KFC gegangen, um dir diesen Krautsalat zu holen. Hier. Ich habe auch Jalapeño Cheese Bombers geholt. Das wird dir hoffentlich schmecken." Er ist so aufmerksam. So nett, so zuvorkommend. Und ich? Gerade kann ich mein Dankeschön nur murmeln. Meine Hände vor meinem Mund dämpfen es nur noch mehr ab. Ich will nach Hause und mich hinlegen. "Ist alles in Ordnung?" Ich nicke, lasse den Blick immer noch auf die schwarzen Tabletts gesenkt. "Es wirkt nicht so." "Nur eine ruhige Phase." Die gewöhnte Woge der Bedrücktheit. "Vielleicht lädt dich das Essen mit Energie auf." Er schiebt mir den interessanten Burger zu, als er ihn aus dem Karton holt. "Der hat auch diese Bombers drin und ich habe auch Kartoffelbrei geholt. Vielleicht magst du das ja auch." Ich liebe Kartoffelbrei. Mit Kartoffeln kann man nichts falsch machen. "Danke dir." "Nichts zu danken, Schneeflocke." Ich löse mich leise seufzend aus der Starre, fülle meinen Burger wieder mit Pommes, Mayo und dieses Mal auch mit dem Krautsalat. Im Hintergrund sehe ich, wie er mir nachmacht. Er ist wirklich süß und es freut mich echt, so trocken ich beim Belegen auch schaue.
Ich kriege sogar Schuldgefühle, als ich auf das A an seinem Ohr schaue. Ich bin ganz nah. An seiner Halsschlagader. Ich muss auch etwas für ihn tun, aber ich will mich nicht zwingen. Außerdem fordert er nichts, auch wenn darf gar nichts fordern sollte, nur weil er so nett zu mir ist, aber andererseits basiert eine Beziehung auf Ausgeglichenheit und ... durchatmen. Tief durchatmen. Statt mir den Kopf jetzt darüber zu zerbrechen, tunke ich den Burger in den Kartoffelbrei. Das Braune darauf scheint wohl Bratensoße zu sein. "Du hast interessante Kombinationen. Dafür, dass du wählerisch bist, scheinst du wohl einen großen Toleranzbereich zu haben." Auch er beißt jetzt rein und es ist erschreckend, wie gut ein Mann beim Beißen aussehen kann. Echt verrückt. Ich mag es, wie seine Kiefermuskeln hervorstechen. "Beim Essen bin ich nicht wählerisch. Nur bei Düften, Musik und alles anderem." "Bei Männern auch?" "Sehr." "Dann kann ich ja von Glück sprechen, dass ich deinen Ansprüchen entspreche." "Sehr", murmele ich. Dass ich wirklich das Glück habe, so einen Mann zu haben, hätte ich niemals gedacht. "Du hast einen guten Geschmack, Schneeflocke. Die Kombination ist gut." Natürlich ist sie das. Wenn ich Burger mache, schmecken sie immer. Ich lächele sanft, will gerade nach den Pommes greifen, die er für uns auf dem Tablett ausgebreitet hat, als seine Hand genau nach derselben Fritte greift. Wir beide schrecken zurück, bieten sie uns gleichzeitig an und lächeln auch noch gleichzeitig. Mir wird warm vor Verlegenheit, aber ich mag das Gefühl.
Ich mag das Gefühl, aufblühender Rosen in meinem Inneren.
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