Kapitel 24
Der Ton einer quakenden Ente weckt mich um kurz nach fünf. Ich liege immer noch in seinen Armen, als ich den Wecker abstelle und sein tiefes Brummen hinter mir wahrnehme. "Was ist los?", murmelt er. "Aufstehen." Ich schlage die Bettdecke weg und gehe das Licht anschalten. Azad hingegen verdeckt sich die Augen, statt sich aus dem Bett zu bewegen. "Wie viel Uhr haben wir?" In mir macht sich der Wille breit, viel mit ihm zu reden, um mehr seiner rauen Stimme zu hören. "05:04 Uhr. Los, Morgengebet." Und schon wieder brummt er. Meine Augenbraue hebt sich wissend. "Betest du überhaupt?" "Wenn ich ehrlich bin, lasse ich das Morgengebet schleifen." "Tja, nicht mehr. Aufstehen." Ich hätte nicht gedacht, dass er so ein Morgenmuffel ist. Wie es den Anschein aber hat, muss ich den blauäugigen Mörder aus dem Bett zerren, denn wirklich regen tut er sich nicht. Ich ziehe ihm die Decke von seinem Körper, hole aus dem Schrank ein T-Shirt und Jogginghose für ihn raus, das Gleiche für mich und entferne nachträglich noch seinen warmen Arm von seinen Augen. Es ist zwar ein sehr schöner Film, wie er mir verschlafen in die Augen sieht und tief einatmet, aber das Gebet steht an und wenn es sein muss, klatsche ich ihn wach. "Stehst du auf oder muss ich dich mit meinem Messer bedrohen?" "Du würdest damit alles mit mir anstellen, aber mich nicht bedrohen." Ich ... ich gehe nicht darauf ein.
Zu meinem Glück setzt er sich endlich auf und zieht sich die Kleidung über. Weil er mir dabei aber auf die Beine schaut, erinnere ich mich selbst daran, mich anzuziehen. Wie es den Anschein hat, muss er noch auf sein Leben klarkommen, so müde wie er auf dem Bett sitzt. In der Zwischenzeit nehme ich die Gebetswaschung und putze mir die Zähne. Zu seinem Glück steht er schon müde an der Tür angelehnt, als ich heraustrete. Ich tätschele aufmunternd seine Brust. "Du gewöhnst dich schon daran." Solange hole ich die Gebetsteppiche aus dem Schrank und warte, bis auch er endlich kommt. "Leute, die sofort mit dem ersten Klingeln des Weckers aufstehen, sind Psychopathen, Schneeflocke." Ich habe einen Mörder geheiratet und er anscheinend eine Psychopathin. "Weniger reden, mehr beten." "Was immer du dir wünschst." Ich stelle mich beim Gebet hinter ihn. Eigentlich würde ich alleine beten, weil ich es nicht mag, wenn man mir dabei zusieht und ich oft den Faden verliere, aber es wird sicherlich unsere Bindung stärken. Dieses Mal macht es mir nichts aus, nur ist er vor mir fertig. Das liegt aber auch daran, dass ich während der Niederwerfung mehrere Bittgebete aufsage und im Anschluss nach meinen persönlichen Bittgebeten noch mein routinemäßiges Gedenken an Allah ausführe. Dass er mir dabei zusieht, macht mir ausnahmsweise nichts.
"Du machst mir Schuldgefühle." Ich ziehe mir das Gebetsgewand vom Kopf. "Wieso?", frage ich, als ich alles wegräume. "Dein Gebet wirkt besser als meins." "Das kann keiner von uns beurteilen." Ich schalte das Licht wieder aus und lege mich hin. Die Sonne scheint zwar noch nicht, aber der Himmel ist schon heller. "Warum hat dein Gebet länger gedauert?" "Weil ich Bittgebete während der Niederwerfung aufsage und am Ende noch Dhikr mache. Sagt dir das was?" Er schüttelt langsam den Kopf, als er sich zu mir legt. "Ich kenne nur das normale Gebet." "Dhikr sind Gedenken an Allah. Ich sage nach jedem Gebet 34 Mal Allahu Akbar und 33 Mal Subhanallah und Alhamdullilah. Deshalb." "Merke ich mir", murmelt er mit geschlossenen Augen. Ich lächele kurz. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich mit ihm in einem Bett liege. Mein Blick gleitet wieder auf die Narbe an seinem Hals. Es ist erschreckend, wie besonnen er dennoch ist. Sein Rücken ist vernarbt. Man hat versucht, ihn abzustechen. Aber was hat er getan, dass es dazu gekommen ist? Laut eigener Aussage tut er keinen Unschuldigen etwas. "Wie viele Menschen hast du schon getötet?", murmele ich. Was ist, wenn eine Frau versucht, ihn zu töten? Würde er ihr immer noch nichts antun? Ich glaube nicht und das fände ich okay so. Wenn jemand ihn angreift, hat er jedes Recht, sich zu verteidigen. Seinerseits folgt keine Antwort. Mir fällt erst jetzt auf, dass er schon eingeschlafen ist.
Als ich aufwache, liegt Azad nicht im Bett, aber dafür steht mein Blumenstrauß in der Vase neben mir auf der Fensterbank. Wir haben 11:41 Uhr. Oh Mann, tat der Schlaf gut. Ich rolle mich aus dem Bett, gehe mir die Zähne putzen, das Gesicht waschen und schauen, wo sich dieser Mann in diesem riesigen Haus befindet. Hier im Geschoss höre ich nichts, also gehe ich nach unten. Es ist wahrscheinlich, dass er sich im Wohnzimmer befindet und da finde ich ihn auch mit seinem Laptop auf dem Schoss - in T-Shirt und Jogginghose. "Wie lange arbeitest du schon?" Azad hebt den Blick vom Bildschirm, scheint wohl überrascht zu sein, dass ich ihn anspreche. "Seit 08:30 Uhr." Ich verschränke meine Arme vor meiner Brust. "Hast du gefrühstückt?" "Ich habe mir eine Kleinigkeit gemacht." "Willst du Frühstück?", hake ich noch einmal genauer nach. Ich weiß nicht, ob er gerade wirklich so überrascht ist oder nur so tut. Was ist? "Und?" "Willst du?" "Kannst du mir mal antworten? Ja oder nein?" So schwer ist das doch nicht. Was irritiert ihn so? "Wenn du möchtest, gerne." Bitte! Geht doch. Ich mache mich auf den Weg in die riesige, schwarze Küche, schaue mir an, was es so gibt und was ich vorbereiten kann. Ist er immer so zögernd, was sein Frühstück angeht oder was war das gerade eben? Er hat Blätterteig da. Das ist doch perfekt. Ich finde noch Schafskäse und alles andere, was man für ein Frühstück benötigt, nehme noch spontan Hackfleisch raus, weil ich damit einige Blätterteige mit Reibekäse füllen will und fange schon mal an, mir die Hände zu waschen, nachdem ich mir die Haare zu einem Dutt binde.
Als ich mich umdrehe und ihn erblicke, ziehe ich die Augenbrauen zusammen. "Brauchst du was?" "Nein. Ich helfe dir." Ach so ... oh. Ich dachte, er muss arbeiten. "Stehen keine Termine an?" "Besprechung ist erst um 13:00 Uhr. Soll ich die Tomaten schneiden? Du hast doch eine Allergie dagegen. Kannst du sie überhaupt essen?" Da scheint jemand seine Hausaufgaben gemacht zu haben. "Gekocht oder gebraten habe ich keine Probleme. Würfel' sie so klein wie möglich. Paprika und Zwiebeln auch." Solange kann ich mich um die Zwiebeln und den Koriander für das Hackfleisch kümmern. "Möchtest du heute irgendwohin?", fragt er irgendwann. "Nicht wirklich. Du?" "Nein", antwortet er mir. "Wann möchtest du wieder Schießen?" "Mir egal." "Heute?" "Von mir aus." Das Schießen hat etwas Nostalgisches an sich. Es war echt schön. "Ich dachte, wenn wir verheiratet sind, werde ich nicht mehr verunsichert, aber du schaffst es immer wieder, Schneeflocke. Hut ab." Was habe ich jetzt getan? Ich schaue hoch zu Azad, der seelenruhig die Tomaten klein würfelt. "Wovon sprichst du?" "Du bist abweisend. Fällt dir das nicht auf?" Wo bin ich abweisend? "Ich habe doch zugestimmt." Nun beginnt er tief zu seufzen und zu mir aufzuschauen. "Nicht wirklich, mir egal, von mir aus. Das wirkt nicht wirklich so, als würdest du es wollen. Wenn du nicht möchtest, sag es mir und ich lasse dich in Ruhe." Oh ... das wusste ich nicht. Wenn ich ehrlich bin, überrollt er mich damit ein wenig und irgendwo tief im Inneren fühle ich mich attackiert. Jetzt bin ich diejenige, die ihren Blick auf das Hackfleisch in der Pfanne vor mich richtet.
"Das war nicht so gemeint", murmele ich. Mir ist nicht einmal aufgefallen, dass ich ihn damit eventuell verletze. Ich wollte damit nur ausdrücken, dass wir es machen können, aber nicht müssen, falls er doch keine Zeit hat. Ich will einfach nur nicht enttäuscht werden. "Es hört sich aber ziemlich danach an." "Ich weiß halt nicht, ob du wirklich heute Nachmittag noch kannst oder nicht." "Wieso sollte ich nicht können?" "Weil es immer so bei mir ist." Sei es Dijan mit ihrer komischen Familie oder all den anderen Versprechungen, die mir gemacht, aber nie erfüllt wurden. Nicht einmal mit der Ausbildung und dem Studium hat es geklappt. "Ich möchte mich einfach auf niemanden verlassen, um nicht enttäuscht zu werden." "Wirke ich denn so?" Keine Ahnung. Ich kann es nicht einschätzen. "Avin." Ich sehe aus dem Augenwinkel, dass er auf mich zukommt, lege deshalb das Salz wieder zurück und schaue ihm fest in die Augen. "Avin, wieso sollte ich dir so eine simple Sache nicht erfüllen können?" "Kann doch sein. Hatte es oft." "Bin ich vergleichbar mit den Erfahrungen, die du gemacht hast?" "Keine Ahnung. Ich kenne dich zu wenig." "Wie lange möchtest du noch auf mir herumtreten?" "Solange, bis ich dich gut genug kenne", erwidere ich matt. Genug jetzt. Ich will das Frühstück vorbereiten und mich nicht mit ihm streiten. Ich wende mich mit dem gewürzten Hackfleisch von ihm ab, höre sein leises Seufzen, das mich ein wenig weich macht. Ich hätte nicht so gemein sein sollen.
Langsam keimen sich Gewissensbisse auf. Er meint es nur nett. Ich ... argh! Bin ich dumm, dass ich so scheiße mit ihm umgehe, obwohl er mein Leben vor noch mehr Stress und Kummer bewahrt hat? Ich drehe mich zögernd zu ihm. Er hat mir schon den Rücken zugewandt. Mein Bauch zieht sich bei dem Fakt zusammen, dass er jetzt traurig ist. Ich weiß nicht, wie ich mich richtig ausdrücken soll und dann passiert das und ... Gott! Ich muss wirklich mit mir selbst kämpfen, als ich auf ihn zugehe. Er bemerkt mich nicht einmal, weil ich so leise auf ihn zu tapse. Ich bin so überfordert, dass mir nichts anderes einfällt, als ihn von hinten zu umarmen. Ich weiß nicht, ob es wirkt, aber zumindest lässt er vom Messer ab. "Tut mir leid", nuschele ich gegen seinen Rücken. Ich weiß nur nicht, wie ich mit diesen Emotionen umgehen soll. Ich brauche ein wenig. "Träume ich gerade?" Idiot. "Das Messer ist nicht weit von mir entfernt. Überleg' dir deine Worte gut", warne ich ihn. Kurz darauf folgt sein warmes Lachen, das mich lockert. Sein Rücken bewegt sich unter meiner Wange durch sein so herzhaftes Lachen und auch ich kann mir mein Grinsen nicht verkneifen, das ich gegen seinen Rücken drücke. Das fühlt sich echt schön an. So harmonisch, ruhig und es füllt mich ein wenig mit Zufriedenheit, so angespannt ich trotzdem bin.
Azad dreht sich lächelnd zu mir, erwischt mich dabei, wie ich immer noch lächele. Mir wird ganz warm dabei und ich bemerke, wie ich langsam, aber sicher schüchtern werde. "Nicht, nein." Seine Daumen heben meine Wangen an. "Du lächelst doch so schön. Wieso hörst du auf?" "Deine Finger sind nass von den Tomaten." "Ich trockne sie gleich an deinem Gesicht ab, wenn du den Moment noch einmal zerstört, Schneeflocke", warnt er mich. Dieses Mal kann ich nicht anders, als zu lachen. Es ist nicht zu fassen, dass ich wirklich so locker sein kann und das mit einem Mörder. Mit einem Mitglied der Mafia ... meine Frage. Die Erinnerung lässt mich langsam wieder ernüchtern und ihn auch. Sein Kopf schüttelt sich schon fragend. "Wie viele Menschen hast du schon umgebracht?" Ich weiß, dass es absolut unpassend ist, aber ... ich weiß nicht. Er seufzt nur tief als Antwort. "Meinst du nicht, das ist etwas-," "Nein. Antworte." "Willst du dich aber nicht um das Hackfleisch kümmern?" Stimmt, ich sollte es langsam ein wenig wenden. Trotzdem will ich die Antwort. "Ich warte", sage ich, als ich wieder am Herd stehe. "Ich kenne die genaue Zahl nicht." "Ungefähr?" "Es waren maximal zehn Stück. Wie gesagt, mache ich so etwas nicht freiwillig. Das tut niemand in der Familie." Wieso habe ich nicht auch an seine anderen Familienmitglieder gedacht? "Deine Schwestern auch?" "Nein, die halten wir raus und beschützen sie mit unserem Leben." Ich könnte mir Dilnia aber doch irgendwie mit einer Waffe vorstellen.
"Und wieso musste der Letzte sterben? Er hatte eine Waffe, aber warum?" "Wir hatten einen Vertrag, an den er sich nicht gehalten hat. Unter Großfamilien kommt es öfter vor, dass man festmacht, wer wie viel pro Jahr importiert und exportiert. Er hat sich nicht daran gehalten und mehr Profit gemacht. Das plus die Waffe hat mir gereicht. Hätte ich ihn nicht erschossen, hätte er mich erschossen." "Ist das die komplette Wahrheit?" "Es gibt keinen Grund, dich anzulügen, wenn du beim Geschehen dabei warst." Hm. Ich rühre das Hackfleisch um, fülle einen Topf schon mal mit Öl auf zum Frittieren. "Wie fühlst du dich dabei?" "Es wäre gelogen, zu behaupten, dass ich nichts dabei fühle. Ich habe jedes Mal Adrenalin im Körper. Verständlich, wenn man kurz davor ist zu sterben, oder?" Ich summe nur. Keine Ahnung. Ich war nie kurz davor zu sterben, außer das eine Mal in der Küche vielleicht. "Ist sicher nicht angenehm." "Ist es nicht." Okay. Solange das Hackfleisch auf der niedrigeren Hitze brät, kann ich mich um die Omeletts kümmern. Vier Eier für zwei Omeletts werden reichen. Jetzt nur noch mit Chili, Salz und Pfeffer würzen, geriebenen Mozzarella und kleingeschnittene Frühlingszwiebeln hinzugeben und warten. Azad hat schon die Tomaten, Zwiebeln und die Paprika kleingehackt, also kann es auch gewürzt werden und auf den Herd.
Jetzt stehen wir vor der voll bedeckten Herdplatte und starren auf die Speisen, die langsam vor sich hin köcheln. "Wann schaltest du die zwei anderen Platten an?" "Sobald ich die Blätterteige gefüllt habe." Die Tomatenpfanne braucht ein wenig, bis sie fertig ist, aber das Hackfleisch kann schon mal runter. Ich habe etwas zu viel gemacht, fällt mir jetzt auf, aber wir können den Rest ja einfrieren. "Du kannst schon mal das Öl auf eine mittlere Hitze stellen." Das Befüllen geht schnell. Nur müssen meine Finger durch den zerbröselten Schafskäse für die andere Füllung immer wieder gewaschen werden. Solange hat Azad das geschnittene Gemüse, Besteck und Getränke ins Esszimmer gebracht. "Möchtest du heute also wieder schießen?" "Ja." Fast hätte ich gesagt: Können wir machen. "War es dir einen Moment lang unangenehm, als ich dich in der Nacht an mich gezogen habe?" Oh ... mit der Frage habe ich wirklich nicht gerechnet. "Nein." Wenn ich ehrlich bin, hat es sich echt schön angefühlt. Es ist nicht so recht zu beschreiben, aber ich habe mich erschreckend wohl an deiner Brust gefühlt, obwohl ich es hasse, wenn Männer mir zu nahekommen und ich dich nicht kenne. Ich weiß nicht, wie du das machst, dass ich mich manchmal so anders verhalte, aber es macht mir im Nachhinein mehr Angst als es vermutlich sollte. "Hab nur nicht damit gerechnet." "Ich auch nicht, als du mich vorhin umarmt hast. Ich mochte es." Verrückt, wie er so einfach seine Gefühle gestehen kann und ich mich schon schwertue, ein einfaches Ja oder Nein anzusetzen.
"Danke für das Frühstück, Schneeflocke." "Du hast mitgeholfen", erwidere ich, als wir vor unserem fertigen Frühstück sitzen. "Trotzdem. Ich hätte nicht gedacht, dass du Frühstück machen wirst." Woher kommt diese Annahme jetzt? Meine Augenbrauen ziehen sich fordernd zur Antwort zusammen. "Du frühstückst nicht und du liebst mich nicht." Oh Gott. Ich verdrehe meine Augen. "Du stellst es so dar, als wärst du unsterblich in mich verliebt und ich eine grausame Ehefrau", gebe ich halb genervt von mir. "Ich lasse im Gegensatz zu dir Gefühle zu. Du bleibst die eiskalte Schönheit, die mich abweist." Er kann mir doch nicht sagen, dass er schon Gefühle für mich hat. Das kann niemals so sein! "Azad, du ... du kannst doch nicht jetzt schon Gefühle für mich haben", erwidere ich verständnislos. Nein, das kann niemals möglich sein. Ich mache doch gar nichts! Was habe ich jetzt gemacht, dass sich sein Blick so wollend verändert? "Wenn du nur wüsstest, wie ich mich fühle, sobald du mal meinen Namen sagst, Schneeflocke. Ich fühle mich jedes Mal wie der mächtigste Mann dieser Welt." Ich ... keine Ahnung, was ich dazu sagen soll. Mein Blick senkt sich verlegen. Seine Augen liegen viel zu lange auf mir und zu hitzig. Selbst jetzt, wo wir verheiratet sind, kann ich das nicht wirklich glauben. Entweder kann ich es nicht glauben oder ich will es nicht glauben. Keine Ahnung. Es überfordert mich noch zu sehr.
"Wie kann es sein, dass du so schnell so fühlen kannst?" Wirklich. Ist das normal? Klar, ab und zu fühle ich mich auch anders, aber bei ihm wirkt es so intensiv und leidenschaftlich. "Weil ich mich bei dir wohlfühle. Du gefällst mir wirklich sehr und ich weiß nicht, wie ich es dir beweisen kann. Soll ich mir deinen Namen in die Brust ritzen?" "Kann es sein, dass du einen kleinen Fetisch hast?", frage ich skeptisch und verstört zugleich. Ich glaube, er mag solche Sachen wirklich. "Ich habe meine Vorlieben, Schneeflocke. Du würdest mich sogar anturnen, wenn du mir ein Messer in den Bauch rammst." Dieser ... verrückte Mörder! Genug! Das ist genug für heute. Ich fokussiere mich voll und ganz aufs Frühstück, egal wie oft ich sein schiefes, hinreißendes Lächeln vor Augen habe, während ich ihm ein Messer vor die Nase halte. Der spinnt doch! Seinetwegen kriege ich dieses Szenario nicht mehr aus dem Kopf, selbst beim Abräumen, beim Spülen, sogar beim Lesen! Ich ermahne mich selbst, bevor ich bete, nicht daran zu denken. Ob er wohl während seiner Besprechungen und Arbeit daran denkt? Ich kann es ihm zutrauen. Wann gehen wir los? Ich bin schon angezogen und spiele ungeduldig an mit der goldenen Patrone herum, die er mir beim ersten Mal geschenkt hat. Die nächsten Tage sollte ich mir eine kleine Aufbewahrung für diese Erinnerung kaufen.
Azad scheint wohl fertig mit der Arbeit zu sein, so wie ich sein Eintreten beurteile. Im Gegensatz zu mir scheint er sich wohl genug zu fühlen, um sich vor mir aus- und anzuziehen. Wie er möchte. In diesem Licht wirken seine Narben noch intensiver. Das sind stark vernarbte Stellen, die an einigen Stellen schon Dellen besitzen. "Haben deine Tattoos eine Bedeutung?" "Nein. Ich fand den Drachen ansprechend." Ach so. Das Motiv bedeckt gut viele Narben, vor allem die raffiniert eingesetzte Rose in einem der Fänge des Drachens. "Und willst du noch mehr Tattoos?" "Das kann ich mir gut vorstellen." Azad dreht sich mit seinem schwarzen T-Shirt in der Hand zu mir. Einen kleinen Blick auf seinen angespannten Bizeps erlaube ich mir - aber nur dieses eine Mal. "Vielleicht eine Schneeflocke. Was sagst du?" "Bist du immer so ein Schleimer?" Er grinst schief. "Erhöht das meine Chancen bei dir?" "Nein." Doch. Ein bisschen. Ich mag die Aufmerksamkeit, die er mir schenkt. Sein Grinsen wird größer. "Bis jetzt hat es mich aber bis zur Ehe mit dir geführt, Schneeflocke. Ich glaube, ich bleibe noch ein wenig dabei." Ich verkneife mir mein kleines Schmunzeln, egal wie lange er mich anlächelt. "Beeil dich. Ich will schießen." "Ich hoffe, nicht auf mich." "Ich überlege es mir", erwidere ich, als ich aus dem Raum laufe.
Ich weiß nicht, woher der plötzliche Sinneswandel kommt, aber gerade kommt es mir so vor, als würde mich eine Wucht treffen und auf den Boden zerren. Würde er mich jemals betrügen? Wird eine Zeit kommen, in der alles zerbricht? Was ist, wenn er nur temporär so charmant und ruhig ist, wie er sich gerade gibt? Was ist, wenn er doch Affären führt? Ich ... wie soll ich das wissen? Ich drehe mich wieder zur Tür, drücke sie bestimmend auf, rechne aber nicht damit, ihn fast damit zu treffen. Seine Augen weiten sich überrascht bei meiner plötzlichen Stimmungsänderung. Ich bin überfordert ... ich weiß nicht, ob das richtig ist, was ich tue. "Alles gut?" "Würdest du mir dein Handy geben?", frage ich mit zusammengezogenen Augenbrauen. Er zögert einen Moment verdutzt, nickt aber dann sichtlich verwirrt und reicht es mir. Er hat mich falsch verstanden. Ich wollte wissen, ob er es mir rein hypothetisch geben würde, aber das hier beruhigt mich umso mehr. "Musst du wen anrufen? Hast du kein Akku?" Ich bin immer noch sichtlich irritiert und überfordert. Aber was ist, wenn er es mir gibt, damit ich denke, dass er nichts verheimlicht? Ich kenne es doch. Ich habe es oft genug gesehen. "Was ist dein Code?" "1161." "Wieso diese Zahlen?", frage ich, als ich es öffne. Mir wird immer übler, je mehr Zugang ich zu seinem Handy habe. "Die ersten beiden Einsen stehen für unsere Namen, die dritte eins für meinen Geburtsmonat und die sechs für deinen. Suchst du etwas?" Ich nicke. Mein Daumen zögert, als er vor dem grünen WhatsApp-Emblem schwebt.
"Hättest du ein Problem, wenn ich auf die App gehe?" "Nicht wirklich, aber wieso möchtest du das? Was ist passiert?" Ich weiß es nicht. Ich bin verwirrt. Wieso tut er nichts dagegen? Ja, er soll nichts dagegen unternehmen, aber wieso benimmt er sich so normal? Ich verstehe das einfach nicht! "Avin?" "Würdest du mich jemals betrügen?" Wieso stelle ich so dumme Fragen? Als ob ein Betrüger jemals zugeben würde, dass er betrügt. Das ergibt keinen Sinn. Das war alles nicht durchdacht. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. Mein Herz schlägt unwillkürlich schneller, als er auf mich zukommt. "Was ist los? Setz dich." Ich lasse es zu, dass er mich an meinen Schultern zum Bett führt. Mir ist ein wenig schwindelig, ich bin verwirrt und mir kommen gerade keine Worte über die Lippen. Ich kann ihm gerade nur zusehen, wie er sich vor mich hinhockt und meine Hände festhält. "Was ist los? Wie lange hast du solche Gedanken? Hat Suzan irgendetwas gesagt?" "Wieso ausgerechnet Suzan?" Weiß sie etwas? "Weil sie sich offensichtlich nicht mit dir anfreunden möchte und deshalb dachte ich mir, dass sie versucht hat, dich zu vergraulen. Hattest du deshalb eventuell auch Anspannungen und hast geweint?" Suzan geht mir am Arsch vorbei, diese nervige Schlampe. Ich will nur wissen, ob er mich betrügt oder nicht. Aber ... es gibt keinen Ansatz dafür.
Mir kommen keine Worte über die Lippen. Nein, meine Augen füllen sich nur mit Tränen. Ich will nicht weinen. Ich werde nicht weinen. Nein. Mein Blick gleitet zur Seite. Ich will nicht, dass er mich so sieht. So soll mich niemand sehen, auch wenn er es, öfter als mir lieb ist, schon gesehen hat. "Wir verschieben das Schießen. Dir geht es nicht gut." Mir ging es nie gut, erzähl mir nichts. Mein Bein wippt ungeduldig, mein Bauch nähert sich dem Platzen, weil ich mir mein Weinen unterdrücke. Ich bin ihm unfassbar dankbar, dass er sich zu mir links auf Bett setzt, sodass er nur noch meinen Hinterkopf sehen kann. "Du hast mehr erlebt, als du dir ansehen lässt." Es war meine gesamte Kindheit. Was ist da zu erwarten? "Willst du dich hinlegen?" Ich nicke, krabbele ins Bett, ohne ihm Zugang zu meinem Gesicht zu gewähren. Weil er mir die Haare aber sanft aus dem Gesicht streift, ziehe ich mir die Decke hoch zu den Augen für den Fall, dass ich doch weinen muss. "Ich schreibe mit keinen Frauen, die nicht meiner Familie angehören. Geschäftliche Beziehungen zu Frauen finden über E-Mail, Geschäftstelefon und Tuncay statt. Du kannst dir alles anschauen. Ich bin an dir interessiert, so unrealistisch es sich für dich auch klingen mag. Man kann auch innerhalb eines Monats Gefühle und Interesse für eine Person haben. So haben es doch auch unsere Eltern damals gemacht." Ja, aber ... keine Ahnung.
"Schau, Schneeflocke." Die Matratze bewegt sich unter mir. Er legt sich zu mir, zieht mich wieder an sich. Es fühlt sich schön. Wirklich so schön, aber was ist, wenn es trotzdem falsch ist? "Du kannst mich von mir aus sogar orten und DNA-Tests bei mir durchführen. Meine letzte Bettgeschichte war vor mehr als einem Jahr. Wenn du willst, besorge ich Tests und du testest mich." "Wer sagt denn, dass die Tests nicht von dir manipuliert wurden?" Er seufzt tief in meine Halsbeuge. "Ach, ach, Schneeflocke. Wann schmilzt du endlich?" Gar nicht. Ich kann nicht. "Kannst du mir sagen, wie es angefangen hat?" "Es war einfach da", murmele ich. Ich kann mich nicht erinnern, wann es angefangen hat. Irgendwann habe ich einfach nur die Schreie und das Leid wahrgenommen und es von Mal zu Mal absorbiert. Manchmal frage ich mich, wie es so lange unbemerkt für mich blieb. Hatte ich da noch genug Zufriedenheit? Ich weiß es nicht. "Und hast du mitbekommen, wie er seine Freundin betrogen hat, dass du mir misstraust?" "Nicht nur einmal." Immer. Jedes Mal. Und er hatte immer wieder Lügen parat. "Er ist ein pathologischer Lügner." "Ich wünschte, ich hätte schon früher etwas tun können." Wäre Azad früher da gewesen, hätte ich wahrscheinlich eine bessere Entwicklung. "Ich kann die Vergangenheit nicht rückgängig machen, aber ich kann dir eine bessere Zukunft versprechen, Avin. Sag mir, wonach sich dein Herz sehnt und ich tue es sofort. Ich will eine zufriedene und glückliche Ehefrau." Und da beginnen schon meine nächsten Zweifel. Was mache ich für ihn? Ich misstraue ihm und ich weise ihn ungewollt ab.
Mein Gesicht vergräbt sich immer weiter in der Decke. Ich verstehe mich selbst nicht. Der Tag ist ein komplettes Auf und Ab. Mal bin ich wärmer, mal kälter. Mir gefällt es selbst nicht, dass ich so bin. Ich brauche Ruhe. Ich brauche Abstand. Ich brauche Hilfe. Keine Ahnung, irgendetwas! "Wann fliegen wir?" "Wir können jederzeit los." "Auch morgen?" "Wenn du es unbedingt willst." Ich muss mich einfinden. Flitterwochen dienen doch dazu, oder? "Will ich." Stille. Azad sagt nichts. "Wie du möchtest, Schneeflocke. Aber pack dann schon mal deinen Koffer. Ich gebe Bescheid, dass unser Jet startklar gemacht werden soll." Gut. Das ist das Beste, glaube ich. Mein Bauchgefühl sagt zumindest nichts dagegen. Urlaub. Mein allererster, richtiger Urlaub. In mir taucht plötzlich wieder dieser Drang auf, mich zurechtzumachen, wie nach dem Mittwochabend unseres Kennenlernens. Ich will mich zusätzlich zum Waxing rasieren. Ich will mich eincremen, meine Augenbrauen noch einmal zupfen, obwohl sie gezupft sind, mir Vaseline auf die Wimpern schmieren. Ich muss packen. Ich muss so vieles noch machen, aber ich schaffe das. Azad ruft irgendjemanden an, während ich mir meine schönsten Kleider rausnehme ... ich will schön aussehen. Für mich, aber auch für ihn. Ich will ein schönes Eheleben führen, so schwer es mir auch fällt. Ich will raus aus dieser grauen Schale der Monotonie. Es sind zu viele Jahre in Unzufriedenheit und Trauer vergangen.
Ich möchte einmal die Schönheit der Sterne genießen, statt Angst zu haben, mich mit ihrer Helligkeit zu verbrennen.
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Beschreibt:
Avin
Azad
mit drei Emojis
- Helo
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