Kapitel 22

Der Moment, an dem ich an seiner Brust verweile, kommt mir wie eine Ewigkeit vor und doch unterscheidet sie sich von allen erlebten Ewigkeiten. Sie ist mir lieber, weil ich nicht alleine bin. Ich bin dieses Mal nicht diejenige, die etwas tun und versprechen muss. Nein, dieses Mal wird mir das versprochen, was sonst auf meinen Schultern lastete. "Du musst nichts mehr tun. Sag mir, was immer du brauchst und ich sorge dafür, dass du es kriegst." Und genau das ist es, was ich mir seit Jahren wünsche. Es erscheint mir surreal, dass ich es jetzt wirklich erleben darf. Ich will meine Hand auf seine Brust legen, zögere aber. Am Ende berühre ich ihn doch, aber nur, um mich sanft von ihm zu drücken. Meine Hand bleibt jedoch auf seiner Brust, auf dem glatten, schwarzen Hemd. Und so verharren wir. Ich sehe in seine hellblauen Augen und er mir in meine dunkelbraunen. Sowohl seine als auch meine Augenbrauen sind zu einem gewissen Grad besorgt zusammengezogen. Beide meinetwegen. Könnte es doch gut ausgehen? Könnte ich mich wirklich bei ihm fallen lassen, nachdem ich seit meiner Kindheit gesehen habe, wie grausam Männer eigentlich sein können? "Ich weiß, dass du mir immer noch nicht vertraust. Ich merke es dir an. Nimm dir die Zeit, die du brauchst, aber bedenke, dass ich täglich auf ein Zeichen von dir warte." Wir wollten rein. Das ist besser.

Ich nehme meine Hand von seiner Brust, nicke zum Haus, damit er mir folgt, wenn er möchte. Der Weg zurück bleibt schweigsam. Ein wenig angespannt und unangenehm, aber nichts, was man nicht aushalten könnte. Im Haus herrscht das komplette Gegenteil. Ich höre unsere Eltern lachen und sich prächtig unterhalten. Einer der Brüder telefoniert im Flur und steigt gerade die Treppen hinauf und dann sehe ich wieder Dilnia und neben ihr Aras. Dreimal die gleiche Augenfarbe und doch wirkt nur ein Paar besonders strahlend und fesselnd. "Azad, Avin hat so schöne Sachen heute gekauft!" Oh Gott, bitte nicht. Ich merke seinen Blick schon auf mir und weil ich irgendjemanden dafür bestrafen will, aber Dilnia nicht das Herz irgendwie brechen möchte, visiere ich Aras, der absolut nicht versteht, wieso ich ihn jetzt so anschaue und sich schon fragend umdreht. "Davon hast du mir aber nichts erzählt. Ich weiß nur, dass sie sich ein Kleid holen wollte", wendet er sich dann an Dilnia, die sich mehr über meinen Einkauft freut als ich es tue. "Nicht nur. Es sind wunderschöne Sachen. Wo wollt ihr eigentlich eure Flitterwochen machen?" Flitterwochen. So lethargisch wie ich bin, wird er sicherlich keine spektakulären Flitterwochen haben. "In Dubai hatten wir uns überlegt." "In deinem Haus?", fragt jemand plötzlich hinter uns. Es ist entweder eine Schwägerin oder eine seiner Schwestern, aber ich schätze eher auf eine Schwester. Sie wirkt streng. Zu streng. Ihre Augenbrauen sind skeptisch zusammengezogen und genau das reicht mir, um sie nicht zu mögen.

"Ja", antwortet Azad ihr. Ihre braunen Augen mustern mich, dann Azad, woraufhin sie in die Küche verschwindet. Was sollte das jetzt werden? Ich drehe mich verwirrt und entgeistert zugleich zurück zu Dilnia und Aras. Sie wirkt genervt und Aras sichtlich irritiert. "Was sollte das werden?", frage ich ohne verhehlte Abneigung. "Frag nicht", winkt Dilnia mit verdrehenden Augen ab. Aras zuckt nur lässig seine Schultern und Azad neben mir scheint auch keine Antwort zu haben. "Vielleicht hat sie ihre Klausur verhauen." "Suzan ist schon seit einer Weile mies drauf", kommentiert Aras. Das ist also Suzan ... aha. Ich belasse es einfach dabei. Vielleicht hat sie ja wirklich ihre Klausur verhauen, auch wenn es kein Grund ist, sich so komisch aufzuführen. Wir vier treten in den großen Wohnbereich. Einige sitzen auf den großen Sofas und einige am Esstisch ... wenn sie nur wüssten. Ich spüre, dass er mich von hinten sanft anstößt. Es reicht nur ein Blick hoch zu seiner angezogenen Augenbraue, um zu verstehen, dass er auf unser erstes Essen anspielt. Verrückt, wie schnell alles geht. "Setz dich, Schneeflocke." Er schiebt ausgerechnet den Stuhl zurück, den ich damals am Sonntag schon belegt hatte. Ob es bewusst intendiert ist oder einfach nur, weil ich genau vor diesem stehe, weiß ich nicht. Ich lasse mich einfach, ohne weiter darüber nachzudenken, auf dem Stuhl nieder.

"Schneeflocke? Süß!" Dilnia grinst verschmitzt und auch ihre Schwester und Schwägerinnen am Esstisch scheinen sich über den Kosenamen zu freuen. Ein Glück ist der Rest auf den Sofas zu beschäftigt mit dem lauten Gespräch. "Ja, meine Schneeflocke. Einzig und allein meine." Okay, du blauäugiger Mörder. Schalt einen Gang runter, bevor ich mein Messer in deinen Oberschenkel ramme! Ich lächele ihn verkniffen an, doch er erwidert es ehrlich. Sanft. Zufrieden. Seine Grübchen stechen hervor, seine schönen Lippen ziehen sich in die Länge. Lange kann ich diesen angenehmen Anblick nicht standhalten, weil mir wirklich warm deshalb wird. Wenn es nicht so offensichtlich wäre, würde ich mir an meine Wangen fassen, um zu kontrollieren, ob sie wirklich so heiß sind oder es mir nur vorkommt. "Warum wirst du so rot, Schwägerin?" Mit Aras habe ich einen Feind mehr auf meiner Liste. "Vasodilatation." "Hat dich mein Bruder etwa mit seinem Lächeln verlegen gemacht?", neckt er mich weiter. Dilnia kichert hinter ihrer Hand, statt ihm ihre Faust gegen seinen Adamsapfel schnellen zu lassen. Wenn das Abstreiten nichts bringt, dann geht nur das bestätigen, um Aras nicht weiter die Macht beibehalten zu lassen, mich in Verlegenheit zu bringen. Was ich also tue, ist es, Azads Hand zu nehmen und sie um meine Schulter zu legen. Sofortige Reaktion: Dilnia hört auf zu kichern, gibt stattdessen aber schwärmende Laute von sich und Aras hebt ergebend seine Hände. "Ich habe nichts gesagt." "Besser so", schmunzele ich.

Ich nehme meine Hand wieder von Azads, die noch auf meiner Schulter ruht. Er muss nicht mehr mitspielen, aber wie es den Anschein hat, möchte sie dort verharren ... und kleine Kreise auf meine Schulter zeichnen. Es fühlt sich schön an, aber das tut es immer, wenn man gekrault wird. Nichts Besorgniserregendes. "Wann möchtest du mir zeigen, was du dir gekauft hast?" "Gar nicht." Aras und Dilnia prusten und weil mich ihre Reaktion so amüsiert, muss ich schmunzeln. Das sanfte Zudrücken meiner Schulter ernüchtert mich aber schnell. "Wir haben ja genug Zeit in Dubai." Aras und Dilnia summen bei Azads gelassener Ansage vielsagend im Chor. Na toll. Das hat mir noch gefehlt. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie es in Dubai sein wird. Ich weiß nicht einmal, was man da machen kann. Mir ist nur bewusst, dass alles Luxuriöse dort ist, aber sonst? Keine Ahnung. Worüber könnten wir uns unterhalten? Wie wird es sein, wenn wir in einem gemeinsamen Bett schlafen werden? Oh Gott, ich kann es mir absolut nicht vorstellen. Mir kommt es schon surreal vor, seine Hand auf meiner Schulter zu spüren, auch wenn ich sie dahin geleitet habe. Die Vorstellung, jemals wirklich für ihn zu fühlen, sagt mir überhaupt nicht zu, so nett er zu mir ist und so wohl ich mich oft bei ihm öfter fühle. Er hat mich gerettet. Ich muss alles tun, damit er zufrieden ist, weil ich sonst niemals für seine Taten aufkommen kann.

Auch während des Essens bleiben die Gespräche meiner Eltern mit seinen lebendig und unterhalten den ganzen Tisch. Mein Bruder und meine Schwägerin sind dazugekommen und bringen sich mit ihrer offenen Art ein. Jeder aus meiner Familie scheint das Gen bekommen zu haben, mit Ausnahme von mir. "Möchtest du noch etwas?", raunt Azad nah an mein Ohr. "Passt schon." Gegen gutes Hähnchen und Kartoffeln ist nie etwas zu sagen. Außerdem gibt es sogar Frühlingsrollen. "Kein Dönerteller?" Okay, jetzt muss ich schmunzeln. "Kannst froh sein, dass ich mein Messer nicht mit mir trage." "Ich hätte nie etwas gegen deiner Klinge auf meiner Haut." Und schon fällt mein Schmunzeln. Ich erinnere mich sofort wieder an seine, noch nicht offiziell zugegebene, Vorliebe für seine Waffe zwischen meinen Schenkeln und weiteren, skurrilen Praktiken. Aktuell kann ich nicht sagen, ob er Späße macht oder es vollkommen ernst meint. Ich schiele einmal umher, um sicherzugehen, dass uns keiner beobachtet, als ich mich zu ihm beuge. "Haben diese seltsamen Aussagen etwas zu bedeuten?" "Seltsam?", wiederholt er mit angezogener Augenbraue, als er sich seine Suppe zuführt. Ich erlaube mir einen kurzen Blick auf seine Lippen, über die er leckt, nachdem er seinen Löffel absetzt, schaue aber dann wieder auf meinen Teller. Ich hätte nicht fragen sollen. Vielleicht belässt er es ja dabei und antwortet nicht. Immerhin sitzen wir mit seiner Familie an einem Tisch. Das Essen sollte die größere Priorität gerade besitzen, also nehme ich mir meinen Löffel wieder zur Hand.

Plötzlich spüre ich eine große Wärme an meinem Schenkel. Es ist seine Hand. Es ist seine Hand, die am Ansatz meines Oberschenkels ihren Platz findet und mich in meiner Bewegung erfrieren lässt. Spinnt er?! Doch nicht am Esstisch! Ich setze mich neu auf, in der Hoffnung, seine Hand würde mich von alleine verlassen, aber sie drückt schamlos zu! Was stimmt mit meinen Muskeln nicht, dass sie sich im Unterleib zusammenziehen? Ich schaue warnend zu ihm, lege meine Hand auf seine, um sie von meinem Schenkel zu entfernen, aber er drückt sich fester an mich! "Azad", warne ich ihn leise. Er soll seine Hand von meinem Schenkel nehmen! Es ist mir egal, wie unauffällig er es tut, weil er direkt neben mir sitzt. Es könnte trotzdem irgendwer irgendetwas sehen! Aber das interessiert diesen blauäugigen Mörder überhaupt nicht. Er drückt mit einer Hand meinen Schenkel, während er gelassen sein Essen vertilgt, als wäre nichts. Ich schaue mich unruhig am Tisch um. Keiner bemerkt etwas, aber trotzdem kann ich nicht entspannen. Erst recht nicht, wenn ich plötzlich sein Gesicht an meiner Wange wahrnehme! "Mir gefällt es wirklich sehr, wenn du meinen Namen so aussprichst. Mach mich nicht verrückt, während wir am Essen sind, Schneeflocke." Das reicht! Ich greife seinen Zeigefinger, um ihn so weit wie möglich nach hinten zu dehnen. Azads Gesicht zeigt keine Regung ... was stimmt mit diesem Typen nicht? Er lässt sich keinen Schmerz ansehen, obwohl ich seinen Finger überdehne.

"Nicht wahr, Avin?" Scheiße, nein! Ich schaue überfordert zu meiner lächelnden Mutter. Sie hat ja absolut keine Ahnung, was gerade los ist. "Was denn?", murmele ich. "Du wolltest doch in die Chirurgie, oder?" Ach so, ja. Ich nicke, lächele meine Schwiegereltern noch einmal an, bevor sie wieder mit ihren Gesprächen fortfahren. Das war knapp. Ich halte seine Hand ja immer noch! Na toll! Jetzt lässt er meine Hand nicht mehr los. Egal, wie sehr ich auch rüttele und ziehe, dieser blauäugige Mörder hält mich wie in einem Kerker gefangen, ohne nur einmal seine Miene zu verziehen. Ich gebe auf. Nur dieses eine Mal, weil ich eigentlich essen will, statt mich seinetwegen zu stressen. Er scheint großen Spaß daran zu haben, mich zu berühren, so wie sein Daumen über meinen Handrücken streicht. "Wann möchtest du wieder Schießen?" Jetzt am liebsten. Und dieses Mal bist du mein Ziel. Ich zucke als Antwort nur mit den Schultern. Irgendwann nach der Heirat. Heirat ... wie verrückt sich das anhört. Mich beschäftigen jetzt wieder die Fragen zu seiner Schattenseite. Wie hat er Menschen getötet? Wie fühlt er sich dabei und danach? Ich habe wieder seinen kühlen Blick vor Augen, wie er vor dem Junkie hockt und fast ersticken lässt. Ich ziehe die knusprige Haut vom Hähnchen, als ich mir vorstelle, wie er jemandem die Haut abzieht. Und das tut er auch. Zwar von seinem Stück Hähnchen, aber er tut es. Und oh! Er gibt sie mir. Echt nett. Ich liebe knusprige Hähnchenhaut.

Nach dem Abräumen beschließen unsere Eltern, einen Spaziergang um das Haus zu machen. Mein Bruder unterhält sich mit Azads Brüdern und meine Schwägerin mit seinen. "Für meine Lieblingsschwägerin leckeres Schokoladeneis." Aras zwinkert. Bei seinem selbstgefälligen Grinsen fällt mir auf, dass er keine Grübchen hat. Schein wohl nur Azads Privileg zu sein. "Mag kein Schokoeis. Du machst dich nicht sonderlich beliebt." Dilnia und Dilvin lachen laut los. Auch Azad ist amüsiert, nur diese Suzan starrt mich trockenen an. Möchte sie mir etwas sagen? "Wie respektlos", murmelt sie zu ihrer Schwägerin. Bitte? Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen. "Verstehst du Spaß?" In solchen Situationen reagiert mein Körper sofort mit Hitze und schnellem Herzschlag. Das Gelächter und das Lächeln aller nehmen ab. Was will diese Frau jetzt von mir? "Suzan", warnt Azad sie. Ich bin mehr als nur erleichtert, dass er hinter mir steht. Bei ihrem schäbigen Gesicht und ihrem eingebildeten Blick würde jeder gesunde Mensch Antipathie empfinden. "Was ist daran lustig, meinen Bruder so zu behandeln?" Will die mich verarschen? Dilnia und Dilvin schauen sich sichtlich irritiert an. "Wie wäre es, wenn du mal deinen Dreckskopf anschaltest? Er und ich haben unsere Insider und agieren dementsprechend. Was bildest du dir eigentlich ein, dich mit deiner negativen, abstoßenden Art einzumischen und die Laune aller zu verderben?" "Warum tust du jetzt so, als wäre das hier dein Haus?" Meine Augen weiten sich. Langsam will ich zur Mörderin mutieren. In mir brodelt Hass und Wut auf. Meine Hände zittern vor Wut. "Suzan-," "Es ist mein Haus." Ich will überhaupt nicht überheblich wirken und Azads Eigentum als meins ansehen. Vielleicht hätte er es beenden können, wenn ich ihm nicht dazwischengeredet hätte.

"Es ist mein Haus, seitdem ich beschlossen habe, deinen Bruder zu heiraten. Du hast Nachrang mit deinem Auftreten!", fauche ich. Aras' Augen weiten sich. Ich bin kurz davor, ihr das Eis in ihre komische Visage zu schütten. Wie hässlich kann ein Mensch nur sein? Ihre dunklen Augenbrauen ziehen sich empört zusammen, als sie zu Azad schaut. "Willst du deine Verlobte nicht ein wenig erziehen?" Ich bebe. Ich rase. Ich glaube, ich sollte dich mal erziehen. "Es reicht, Suzan!" Azads strenger Ton hat die perfekte Wirkung. Er bestärkt mich und lässt diese verbitterte Samenverschwendung nur weiter entsetzen. "Was ist los mit dir? Seit Tagen machst du nur schlechte Laune!" Dilnia schaut seufzend zur Seite. Die Süße scheint so emotional zu sein, dass ihre Augen bei dieser Auseinandersetzung schon tränen. "Du ziehst irgendein Mädchen deiner eigenen Familie vor? Woher hast du sie überhaupt?" Woher er mich hat? Irgendein Mädchen? "Beruhig dich mal jetzt. Sie hat einen Witz gemacht und du hast die gesamte Laune heruntergezogen", motzt Aras sie sichtlich genervt an. Ich könnte ausrasten.

Zum Glück steht sie von alleine auf und verschwindet endlich. Dumme Schlampe. Gott! Ich würde am liebsten Bakterien aus dem mikrobiologischen Labor in ihr Essen mischen, damit sie weniger spricht und mehr erbricht. Die Stille hier im großen Wohnzimmer ist so unangenehm, dass ich mich mit dem Eis ablenke. "Hat Suze ihre Tage?" "Aras", ermahnt Azad ihn. Mir wäre es lieber, wenn Aras weiterspricht, damit es nicht weiterhin so ruhig bleibt. "Mach dir nichts draus, Avin. Hör gar nicht hin." Dilnia setzt sich zu mir, um mir tröstend über meinen Oberarm zu fahren. "Passt schon", murmele ich. Es verletzt mich nicht, dass sie so etwas sagt, aber es ist nicht abzustreiten, dass es meine Laune sichtlich heruntergezogen hat. Das wird nicht das erst und letzte Mal gewesen sein. Gerade deshalb male ich mir schon weitere Auseinandersetzungen aus, obwohl ich meine Zeit und Energie nicht mit ihr verschwenden will. Nur kann ich nicht gegen mich ankommen und verspanne mich schon. Das Eis tut mir gerade bei meiner Lage gut, aber vor allem eine neue Wärmequelle an meinem Rücken. Eine Hand. Sie ist zu groß, um von Dilnia zu sein. Seine Hand fährt sachte, streicht dann in kleinen, langsamen Kreisen über meinen Rücken. Ich kann mich gar nicht mehr über seine arrogante Schwester ärgern. Es verpufft wahrhaftig.

"Also ich habe dich verteidigt. Wie stehen meine Chancen jetzt mit deiner hübschen Freundin?" "Aras", seufzt Dilnia. "Was denn?" Azads verspielter Zwillingsbruder wagt es tatsächlich, unschuldig zu blinzeln. Wenigstens lockert er die Stimmung. "Also ich finde mich heldenhaft. Suzan nervt die letzte Zeit wirklich." Alleine ihr Name ist schon nervig. Das Eis schmilzt langsam und für mich ist es jetzt auch viel zu süß, um es weiter genießen zu können. Daher beschließe ich, in die Küche zu gehen, um Wasser zu trinken. Azad steht sofort mit mir auf. Seine Hand verweilt immer noch auf meinen Rücken und jetzt, wo es jeder sehen kann, ist es mir doch unangenehm. "Passt schon. Will nur etwas trinken." Ich nehme seine Hand runter, als ich an ihm vorbeilaufe, aber das scheint wohl nichts zu bringen, weil er mir hinterherkommt und seine Hand wieder meinen Rücken findet. Er scheint keine Probleme damit zu haben, Liebkosungen öffentlich zu zeigen. Ich hingegen habe immer noch Probleme, dass er hinter mir läuft und weiche zur Seite, obwohl ich weiß, dass er mir nichts tut. Ich habe schon wieder die unangenehme Gänsehaut an meinen Armen.

"Was möchtest du trinken?" "Wasser", antworte ich kurz gebunden, als ich ihn vorbeilasse. Am besten zwei Gläser hintereinander, so verklebt, wie sich mein Hals gerade anfühlt. Azad betrachtet mich einen Augenblick stumm. Seine Augenbrauen sind nachdenklich zusammengezogen. Man hört in der Küche nur sein Schlucken. Was ist? Ich drehe mich zögernd um, aber da ist nichts. Habe ich mich bekleckert? Mein T-Shirt ist sauber. "Was ist?" "Alles in Ordnung?" "Ja, wieso?" "Sicher?" Bin ich blass? Atme ich anders und es fällt mir nicht auf? Azad kommt auf mich zu. Immer näher und näher, sodass ich mich verpflichtet fühle, Abstand zwischen uns zu schaffen. "Bedrückt dich Suzans Verhalten?" "Sie kann mich mal." Ich möchte gar nicht so mit seiner Schwester vor ihm sprechen, nur handelt mein Mund schneller, als ich registrieren kann. Zum Glück scheint Azad es gelassen zu nehmen. Er nickt nur und mustert meine Erscheinung. Daher kann ich mir eine verstohlene Möglichkeit genehmigen und ihn mustern. Sein schönes, schwarzes Hemd, die schwarze Anzughose. Selbst sein Gürtel sieht gut aus, obwohl es nur schwarzes Leder und eine glänzende, silberne Schnalle ist. Er sieht gut aus. Unverschämt gut und schlicht. Seine Augenfarbe sticht hervor.

"Hattest du das schon einmal an?" Es ist nur eine Frage. Eine simple Frage und doch werden meine Wangen ungewohnt warm. Ich nicke zögernd. "Nur ohne das Jäckchen", murmele ich. Eigentlich bin ich nur für Wasser in die Küche gekommen und jetzt fesselt er mich, ohne mich zu berühren. Sein Blick gilt meinen Schenkeln, sein Adamsapfel springt. "Beim Schießen?" Verrückt, wie er sich daran erinnern kann. Ich weiß nicht mehr, was er anhatte. "Ja." "Steht dir." "Danke ... kriege ich jetzt mein Wasser?" Ansonsten wird mir das Ganze unangenehmer als seine Schwester. "Natürlich, Schneeflocke." Die Art und Weise, wie er meinen Namen raunt ist so ... intensiv plötzlich. So begehrend. Ich muss den Blickkontakt abbrechen. Es fehlt noch, dass Aras oder Dilnia plötzlich an der Tür steht und es mitbekommt. Es wäre unangenehm für mich, wenn einer der beiden mich dabei erwischt, wie ich seinen breiten Rücken mustere. Ich mag es, wie er sein Haar trägt. Nicht komplett kurz geschoren, ein wenig länger an den Seiten. Mir gefällt es, dass sein Haupthaar länger ist und ein wenig wellig. Manchmal sind sie glatt. Es steht ihm, vor allem mit seinem silbernen Ohrring. Ich senke sofort meinen Blick, als er sich mit dem gefüllten Glas zu mir dreht. Als seine Fingerkuppen meine berühren, weiß ich nicht, wie sich diese kleine Berührung so gut anfühlen kann. Ich mag sie, so kurz sie auch ist.

"Hat dir das Essen geschmeckt?" Ich nicke. "Danke", sage ich, bevor ich zum Trinken ansetze. Dabei bemühe ich mich, ihn nicht anzusehen, so gerne ich es gerade möchte. "Ich werde mit Suzan reden. Sie hat nicht so mit dir zu reden." Mein Nicken ist sowohl ein Befürworten, als auch ein Danken. Weil Azad mir gerade vorkommt, als hätte er Redebedarf, setze ich das Glas ab. "Möchtest du etwas Bestimmtes ansprechen?" Meine Frage verblüfft ihn. Und seine Reaktion verblüfft mich ein wenig, weil er sonst so stoisch ist. "Ich ... du hast mich damit ziemlich überrumpelt, Schneeflocke. Du wärst wirklich eine gute Geschäftsführerin." Er nickt anerkennend. "Also?" "Hast du schon einen Termin für die Vermählung im Kopf? Und hast du schon einen Stoff gewählt? Gefallen sie dir?" Mir gefällt es wirklich, dass er sich offenkundig für mich interessiert. Nur gefällt es mir nicht, dass ich deshalb Mitleid kriege, weil ich oft so reserviert wirke. "Sie sind alle sehr schön. Ich entscheide mich, sobald sie geschneidert sind. Ich habe keinen Termin im Kopf. Das ist dir überlassen." "Willst du die Zimmer überhaupt nicht sehen?" "Mir ist es persönlich egal." Ich zucke mit den Schultern, bemerke zu spät, dass er es aus einem bestimmten Grund sagt. "Aber wir können-," Nein, können wir nicht. Unsere Eltern treten gerade wieder ins Haus, ganz zu seinem Missfallen. "Es wann anders mal machen", beende ich meinen Satz. Etwas lustig ist es schon.

"Machst du dich über mich lustig?" "Überhaupt nicht." Mein Schmunzeln verrät immer mehr meiner Lüge, je größer es wird. "Sondern, Schneeflocke?" "Das können wir im Schlafzimmer besprechen." Meine Antwort gleitet über meine Lippen, bevor ich die Zweideutigkeit registriere. Oh, nein! Meine Augen weiten sich. "Nicht so!" "Ich habe doch nichts gesagt. Weshalb möchtest du dich rechtfertigen, Schneeflocke?" Wieso grinst dieser blauäugige Mörder jetzt so? Wieso wird mir so warm plötzlich? Ich richte meinen Blick finster auf mein halbvolles Glas und entscheide mich, lieber zu trinken, statt die Konversation weiterzuführen. Peinlich. Hätte ich es einfach dabei belassen. "Möchtest du es jetzt im Schlafzimmer besprechen?" "Wenn mein Messer fest über deinen Brustkorb gleiten darf." "So habe ich meine Vorspiele am liebsten." Das hat er nicht gesagt! Ich verschlucke mich an meinem Wasser, verfluche ihn innerlich dafür, dass es mir in den Nasenraum läuft und ein unangenehmes Brennen verursacht. Er möchte auf mich zukommen, um mir wahrscheinlich auf den Rücken zu klopfen, doch ich halte seine Hand warnend fest, während ich mir die Seele aus dem Leib huste. Dieser Komische! "Was hast du für kranke Gedanken?", frage ich abgehakt. Mein Husten lässt endlich nach. Gott! Die Augenbraue des blauäugigen Mörders zuckt nur amüsiert, während meine zusammengezogen sind. Was hat dieser Verrückte bitte für Vorlieben?

"Das können wir im Schlafzimmer besprechen. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, meine Schwiegereltern sitzen im Wohnzimmer und ich würde mich gerne zu ihm gesellen." Oh nein! Das kann er vergessen! Ich zerre ihm am Kragen noch vor seinem ersten Schritt wieder zurück an mich, leider mit viel zu viel Schwung und Kraft. "Scheiße", flüstere ich verschluckt, als sein Oberkörper gegen meinen stößt. Das ist viel zu intim! Meine Augen werden ganz groß, meine leere Hand drückt sich instinktiv gegen seine warme Brust und er? Dieser Schamlose empfindet puren Genuss daran, so nah an mir zu sein. Seine Lippen verziehen sich zu einem schiefen Grinsen, seine Hände kerkern mich ein. Ich ... ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll. Mein Bauch dehnt sich. Mein Magen fühlt sich so an, als würde er fallen. Mein Herz schlägt ganz schnell. Ich fühle mich etwas unwohl, zum Teil bedrängt, aber ... aber es ist mein Zukünftiger. Es ist Azad. Azad würde mir doch nie etwas antun ... oder? Aber was ist, wenn es doch so ist? Er ist mir zu nah. Das ist zu viel. Wieso sind seine Hände links und rechts neben meinen Schläfen? Er könnte sofort mein Auge treffen. "Geh!", rufe ich. Ich kann das nicht. Das ist zu viel. Mein Herz rast. Mir steigen die Tränen auf. Ich kann nur zitternd das Glas absetzen und ihn wegschubsen. Das ist zu viel. Das war zu viel. Er war mir zu nah. Aber hätte er mir etwas angetan? Ich weiß es nicht ... ich bin verwirrt. Das ging alles so schnell.

Ich schaue ihn so verwirrt an, wie er mich. In beiden Ausdrücken liegen zum Teil auch Wehleidigkeit und Vorsicht. Das wird ein langer Weg, bis ich ihm vertrauen kann. "Avin, ich wollte dir nichts tun", beteuert er, als er vorsichtig seine Hände hebt. Ich nicke, viel zu überfordert, um etwas zu sagen. Sicher. Es war ja nur eine kleine Neckerei ... denke ich. Aber der Junkie war seiner Ex-Freundin auch sehr oft sehr nah und hat ihr aus dem Nichts eine verpasst. "Passt schon", murmele ich. Am besten gehe ich wieder zu meinen Eltern ins Wohnzimmer. Das ist sicherer. Das ist beruhigender. Ich muss mich ablenken. Muss ich zur Therapie? Eigentlich nicht. Der Stressfaktor ist weg. Weit weg in einer geschlossenen Psychiatrie. Ich will, dass er all das am Leib zu spüren bekommt, was er meine Familie hat spüren lassen. Ich will nichts anderes, als sein Leid. Im Wohnzimmer verändert sich meine Miene. Ich wirke neutraler und lächele sanft, als ich mich zu meiner Mutter setze, nehme mir sofort einige Sonnenblumenkerne zur Hand, damit sie mich nicht fragt, was los ist, wenn ich stumm sitze und auf den Tisch starre. Ich darf mir nichts anmerken lassen. Nicht hier. Erst, wenn ich alleine bin, aber meine Gedanken beginnen jetzt schon. Wie wird die Zukunft dann aussehen? Wird er irgendwann genervt sein von meinen Angstreaktionen? Kommt er nicht ins Wohnzimmer, weil er gerade genervt ist?

Mein Blick gleitet träge zu Dilnias blauen Augen, die mich fragend ansehen. Ich kann es ihr nicht sagen. Es ist mir unangenehm. Was macht er gerade? Es sind schon mindestens fünf Minuten vergangen und er kam nicht. Ich habe keine Geduld. Ich muss jetzt zu ihm und mit ihm sprechen, ihm klarmachen, dass es alles nur mit der Angst zu tun hat und nicht ... meine Erklärung würde keinen Sinn ergeben, weil ich mir widersprechen würde. Das Problem ist, dass ich schon stehe und wieder aus dem Wohnzimmer laufe. In der Küche ist er nicht mehr. Vielleicht im oberen Geschoss. Um ehrlich zu sein, zögere ich, die großen, schwarzen Treppen aufzusteigen. Ich ziere mich davor, zu ihm zu gehen, aber wenn wir bald verheiratet sind, müssen wir uns ja beieinander wohlfühlen. Es steht nur eine Tür offen, also kann er nur dort sein und da sehe ich ihn auch. Gerade hat er irgendetwas in den Schrank gepackt, den er jetzt schließt. Seine Augen gleiten sofort zu mir, als hätte er gespürt, dass ich an der Tür stehen würde. Was soll ich jetzt sagen? Gerade kann ich nur verkniffen lächeln und die Hand zum zögerlichen Winken heben. Er nickt mir zu, ringt sich dabei auch ein kleines Lächeln ab, ehe er einmal durch den Raum schaut. "Das ist das besagte Schlafzimmer." Ach so. Sieht schön aus. Die Wände sind sehr hoch und eine davon ist ... lila. Die, hinter dem großen Ehebett. "Wenn dir etwas nicht gefällt, können wir es sofort umtauschen lassen." "Passt schon", murmele ich. Das Zimmer sieht gut aus.

Es ist gerade verdammt unangenehm für mich. Selbst in das Zimmer zu treten, fällt mir unfassbar schwer und ich komme mir dabei wie eine Idiotin vor, als ich mich auf das Bett setze. Wahrscheinlich geht er zur Seite, weil ich ihn gerade traumatisiert habe. "Alles gut?" Für diese Frage könnte ich meinen Kopf gegen den Nachttisch rammen. "Ist bei dir alles gut?" "Keine Ahnung", antworte ich wahrheitsgemäß, als ich auf meine Nägel hinabschaue. Ich weiß nicht, ob und wann es mir gut geht. Ich weiß nicht, wann ich aus der Schale falle und die Unbeschwertheit genießen kann. Azad stellt sich vor mich. Für einen Moment wird mir vor Nervosität warm, dann aber spüre ich Erleichterung, als er sich vor mir hinhockt. Dass er meine Knie festhält, macht mir nichts. Im Gegenteil. Gerade beruhigt mich das sanfte Kribbeln sogar. "Du musstest viel erleben." Ich nicke. "Es reicht nicht, zu sagen, dass ich kein Frauenschläger bin. Mir ist bewusst, dass deine Wunden heilen müssen. Avin, ich schwöre dir, dass ich alles tun werde, was du dir nur wünschst." So misstrauisch ich auch bin, glaube ich ihm bei seinem flehenden Blick. Genau dieser Satz ist es, der meine Wunden heilen kann. Seit Jahren lechze ich nach diesem so einfachen Satz. Jemand, der mir sagt, dass er etwas für mich übernehmen und erfüllen kann. Mehr wollte ich doch nie. Nur das und es hat nie geklappt. Über Jahre gab es nur Enttäuschungen in der Monotonie meines Herzes.

Nach Jahren darf ich durch diese klaren, blauen Augen das Meer der Erleichterung fühlen.

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Hätte früher kommen müssen, aber ich war zu naiv, um zu glauben, dass Leute Avin richtig aussprechen können.

Avin wird A-wien,
Azad wird Asad (sanftes s),
Aras wird Araß,
Dijan wird Diezjan (französisches J),
ausgesprochen.

- Helo

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