Kapitel 18

Gold. Gold, Gold und noch mehr Gold. Ich besitze jetzt für jeden Körperteil Goldschmuck. Die Geschenke hören gefühlt nicht auf, die ich gerade im Schlafzimmer mit allen Frauen aufmache. Goldketten, Goldgürtel, Umhängeketten aus Gold, Armbänder und -reifen, Ringe, Ohrstecker! Alles! Alles, was sich eine kurdische Braut träumt zu besitzen, damit sie im schlimmsten Fall abgesichert ist, wurde mir von jeder Schwester, jedem Bruder und jeder Schwägerin der Familie gerade hübsch verpackt gegeben. Ich habe wahrscheinlich noch nie so oft Danke gesagt wie heute. Ich bin baff. Und Dijan erst. Sobald wir alleine sind, werde ich sie erst einmal über Aras ausfragen. Sie haben viele, viele Blicke und Sprüche ausgetauscht, als wir nach dem Essen noch die Süßspeisen im Wohnzimmer gegessen haben. "Und hier, damit du dir Kosmetik und Kleidung kaufst. Gib mir Bescheid, wenn du mehr brauchst." Die Mutter hält mir einen Stapel an Fünfzigeuroscheinen hin. Oh Gott. "Nein, alles gut! Das ist alles schon viel zu viel." Doch sie winkt nur ab. "Doch, das muss so sein. Wir waren uns wegen der Parfüms nicht sicher und wollten, dass du es dir selbst aussuchst. Azad meinte, du hast Asthma und bist deshalb sensibler." Aber das ist alles schon viel zu viel! "Passt schon, wirklich! Ich habe genug Parfüms. Ich kann das nicht annehmen. Das ganze Gold ist schon zu viel", flehe ich schon. Heute sind mir zu viele hohe Zahlen um mich herum.

"Doch, mein Kind. Ich bestehe darauf." Sie packt das Geld auf die Box mit der Goldkette. Oh Gott, das ist zu viel! "Kauf dir etwas Schönes." Ich weiß, dass es Tradition ist, dass die Eltern des Bräutigams eine Summe an die Braut geben, damit sie sich Sachen kauft. Es ist ein wenig unangenehm zu wissen, dass jede hier weiß, dass das Geld unter anderem auch dafür genutzt werden soll, schöne Unterwäsche zu kaufen. Ich habe aber schon genug schöne Unterwäsche. Ich denke nicht weiter daran. "Dankeschön", murmele ich beschämt. Azads Mutter lächelt sanft und fährt mir über meinen Oberarm. "Meine schöne Braut. Ich würde die Tage einen Schneider vorbeischicken, damit er dir dein Xeftan für die Vermählung schneidert. Dann kann er auch all die anderen Stoffe für dich schneidern." Ich habe so viele schöne Stoffsets von der Familie geschenkt bekommen. Wunderschöne Blautöne unter anderem. Der weiße Stoff sieht wirklich sehr vielversprechend aus. Ich schaue einmal zu meiner Mutter, welche nickt. Würden wir es zu meiner Tante schicken, könnte es vermutlich länger dauern, weil sie ja noch andere Kunden hat. Ich will sie nicht allzu sehr damit belasten. Meine Familie aus ganz Deutschland und weiteren Ländern wird anreisen. Sie werden hier nicht in die Wohnung passen, weshalb ich vorgeschlagen habe, die kommenden Feten in Azads Haus zu verlegen. Da ist genug Platz, auch wenn ich nur im Wohnzimmer war.

"Habt ihr schon einen gewissen Tag im Kopf?" Ich verneine die Frage meiner Mutter. Keine Ahnung, wann es komplett besiegelt ist. Ich bin wirklich verdammt gespannt, was Azad mir zu berichten hat mit seinen dubiosen Geschäften. Wie es den Anschein hat, ist er nicht alleine damit. Meine Mutter unterhält sich wieder mit seiner. Sie ähneln sich. Beides sind kleine, pummelige Frauen, die gerne ihre Hände beim Reden verwenden. Dadurch, dass sie Armreifen tragen, klirren sie jedes Mal. Nur ist der Unterschied, dass seine Mutter kein Kopftuch trägt, sondern ihre braunen Haare in einem ordentlichen, tief sitzenden Dutt. Die Töchter ähneln ihr, vor allem mit den fülligen dunklen Lippen. Ich bin nicht wirklich warm mit ihnen und den Schwiegertöchtern geworden, weil ich einfach zu verschlossen bin, um mit ihnen zu sprechen, sondern nur Fragen beantwortet habe, falls sie mich angesprochen haben, aber Dijan und meine Schwägerin sind wahre Weltmeisterinnen. Alle scheinen beschäftigt zu sein, nur ich sitze alleine da. Ich spiele ein wenig an meinen Nägeln herum. Diesen dunkellila Nagellack muss ich mir nachkaufen. Der ist wirklich sehr gut! "Sind das gemachte Nägel?" Ich werde bei der sanften Stimme neben mir aufmerksam. Blaue Augen schauen mich warm und zögernd zugleich an. Ich verneine es kopfschüttelnd. "Das sind meine eigenen." "Die sind echt schön. Ich schaffe es nie, sie so lang werden zu lassen. Sie brechen immer wieder ab, deshalb habe ich Gelnägel." Azads kleine Schwester hält ihre schmalen, manikürten Finger hoch. "Ich hatte eine Zeit lang auch aus dem Nichts brüchige Nägel. Oft liegt es am Eisen- und Biotinmangel. Aber je öfter du dir deine Nägel machen lässt, desto brüchiger werden sie und vor allem desto schneller altert deine Haut." Ihre Augen weiten sich.

"Wie? Gehen die Chemikalien auf die Haut über?" "Du hältst deine Hand unter eine UV-Lampe und das sorgt dafür, dass die Haut schneller altert. Verwende UV-Handschuhe und creme deine Hände davor mit Sonnencreme ein. Am besten jeden Tag auch im Gesicht und Halsbereich auftragen." Sie nickt ganz eifrig. "Du weißt viel über sowas, oder? Deine Haut ist auch total rein. Ich kriege das nie hin." Sie schiebt ihre dunkle Unterlippe hervor. "Das ist auch primär vom Hauttypen abhängig. Aber deine Haut ist doch gar nicht so schlimm", merke ich forschend an, als ich den Kopf schief lege. Sie hat ein wenig Akne, die durch die Schminke bedeckt ist. "Doch, ich habe immer wieder Akneausbrüche", murmelt sie verlegen. Wie niedlich sie doch ist. "Hast du denn mal dein Blut untersuchen lassen?" "Ich hab ein wenig Angst vor Nadeln. Mein Arzt hat mir Salben gegeben, aber so wirklich klappen tut es nicht. Es kommt immer wieder." Ich nicke verstehend. "Ich würde dir wirklich raten, mal deine Hormone untersuchen zu lassen und auf deine Ernährung zu achten. Wie isst du denn?" Ihr verlegenes Schmunzeln verrät mir schon, dass sie nicht das gesündeste Essverhalten pflegt. "Na ja ... ich mag halt Döner und so." Ich schmunzele wissend. "Ich auch. Frittiertes ist mein Leben." "Aber du hast trotzdem schöne Haut", schmollt sie. Ja, was meine Haut angeht, habe ich trotz Neurodermitis verdammt viel Glück. Ich habe selten Pickel, die wirklich bemerkbar sind, egal wie sehr ich mir ins Gesicht fasse, ungesund ernähre und wie oft ich meine Abendroutine verpenne.

"Manche haben eben das Glück. Meine Hautschutzbarriere ist zwar gestört, aber das wirkt sich anders auf meine Haut aus. Lass dir wirklich dein Blut abnehmen, versuch die Anzahl der fettigen Speisen auf einmal pro Woche zu minimieren und hol dir Vitamintabletten." Sie schaut mich fragend an. "Wieso die Tabletten?" "Weil Pickel nichts anderes als Entzündungen sind. Klar, bei dir ist es Akne und diese kann auch hormonell bedingt sein, aber ein gutes Immunsystem schützt vor Entzündungen." Sie summt verstehend. "Das muss ich mir merken. Du bist echt total schlau." "Danke", lächele ich. Ich muss Azad fragen, wie sie heißt. Wäre es mir nicht so unangenehm, sie zu fragen, wüsste ich es wahrscheinlich schon. "Wie alt bist du?", frage ich. Sie müsste ungefähr in meinem Alter sein oder jünger. Manchmal lässt Schminke einen älter wirken als man eigentlich ist und vor allem geklebte Wimpern. "Ich bin 20 und du?" Ah. Ich nicke. "23." "Merkt man dir gar nicht an." Ich schmunzele und sie hält sich entschuldigend die Hand vor den Mund. "Also nicht, dass 23 alt ist. Azad ist 27 und das ist alt, aber ich meine damit, dass man dir gar nicht ansieht, dass du schon 23 bist. Du siehst sogar jünger aus als ich." So ein Kompliment höre ich gerne. Ich nicke dankend. "Also macht Solarium auch schneller alt?", fragt sie verzweifelt und auch das bestätige ich ihr. "Oh Mann!", seufzt sie. "Kein Wunder, wieso du jünger als ich wirkst. Ich werde voll oft viel älter eingeschätzt und das verunsichert mich richtig." Ich mag sie. Sie wirkt so unschuldig, aber leider auch ziemlich unsicher.

"Das muss nichts Schlimmes sein." "Ja, aber als ob ich dann einen Mann finde, der eine Frau haben möchte, die viel älter aussieht, als sie ist. Am Ende sehe ich mit 23 so aus wie 32!" Sie erinnert mich ein wenig an Dijan, wenn sie ihre unsicheren Phasen hat. "Also erstens gibt es genügend Menschen, die ein reiferes Aussehen bevorzugen und außerdem ändert es nichts daran, dass du hübsch bist und es nicht durch Männer definiert ist. Ich würde dir aber empfehlen, nicht mehr ins Solarium zu gehen." "Aber ich habe voll oft gelesen, dass es bei Akne hilft", schmollt sie. Hach, sie tut mir leid. "Es verschlimmert deine Haut nur. Wie gesagt, Hautalterung." Die geschminkten blauen Augen senken sich auf ihre manikürten Hände. "Weißt du, ob es wirklich etwas bringt, die Pille zu nehmen, wenn man größere Brüste haben möchte?" Herrje, sie ist ja von Komplexen überlagert, obwohl sie eine schlanke Schönheit ist. Ich seufze einmal tief. Mein kleines Lächeln macht sie verlegen. "Ich habe manchmal echt das Gefühl, dass alle um mich herum einfach die perfekten Brüste haben. Du weißt gar nicht, wie oft ich dir auf deine Oberweite gestarrt habe", murmele sie am Ende. Ich lache laut los. Ich mag sie wirklich. Das ist mir überhaupt nicht aufgefallen, zumal sie diejenige war, die mit Aras die Ringe gebracht hat. "Würdest du es empfehlen? Ich würde wirklich gerne größere Brüste haben. Ich habe nicht einmal B und ich lasse mir schon BHs mit extra Einlagen nähen", murrt sie unzufrieden. Ich kann ihre Unzufriedenheit verstehen. Manchmal hilft es der Person nicht, ihr zu sagen, dass sie lernen soll, sich zu akzeptieren. Ich bin sowieso der Ansicht, dass man das tun soll, was man möchte. Wenn man nicht zufrieden ist, soll man sich eben so optimieren, wie man möchte, solange es nicht zu einem Zwang wird. Warum das Leben unnötig erschweren?

"Es gibt die hormonelle Brustvergrößerung. Da werden dir weibliche Sexualhormone in den Brustbereich gespritzt, aber das ist wie mit der Einnahme der Pille nur so lange haltbar, wie du es zu dir nimmst. Du müsstest es dir jedes Mal spritzen lassen und ob das wirklich so große Wirkungen erzielt, ist auch nicht so wahrscheinlich. Nimmst du die Pille, hast du eine Liste an wahrscheinlichen Nebenwirkungen, weil die meisten Gynäkologen gar nicht richtig schauen, welche Pille am besten passt. Wenn dich das wirklich seit Jahren plagt und dich stört, ist die Brustvergrößerung das beste Mittel zur Wahl." Ihre blauen Augen schauen mich einen Moment lang stumm an. Ich merke anhand ihrer gekrümmten Haltung, wie unsicher sie ist. Das ist ein vulnerabler Moment für sie. "Aber würde das nicht total komisch sein, wenn ich gemachte Brüste habe?" "Wieso denn? Erstens hat es niemanden etwas anzugehen und zweitens muss es nicht jeder wissen. Solange du keine anderen Personen für ihre Eingriffe verurteilst, ist alles in Ordnung. Manche Sachen kann man nicht durch Sport oder Ernährung in den Griff kriegen, weil sie wirklich genetisch veranlagt sind und mit Selbstakzeptanz muss man nicht immer alles erzwingen." Ich verdrehe meine Augen, wenn ich wieder daran denke, wie penetrant Chiara bei dem Thema ist. Von Feminismus sprechen, aber sich bei mir einmischen und mir sagen, dass ich als Frau meinen Rücken zu meiner damaligen Fitnessphase nicht trainieren brauche.

"Für manche Dinge ist Selbstakzeptanz gut und auch hierfür, aber bei manchen reicht es nicht. Selbstbewusstsein heißt für viele nur, alles positiv an sich zu sehen, aber Selbstbewusstsein heißt auch, zu den Dingen zu stehen, die man nicht an sich mag. Wenn es dich wirklich plagt und das schon lange und du jedes Mal daran denkst, hilft dir dieses Mantra an Selbstakzeptanz nicht. Such dir einen guten Chirurgen und finde deine Ruhe." Ich bin mir sicher, dass sie das dringend mal hören musste. Hoffentlich hat sie ihre Familie wegen ihres Körpers nicht auch aufgezogen wie es bei mir schon Routine ist. Es wirkt so, als hätte ich sie ein wenig erschlagen mit meiner Rede, aber ihre gespaltenen Lippen sagen mir, dass sie über mein Gesagtes nachdenkt. Vor allem ihr Nicken. "Du hast recht." Sie nickt wieder, öfter und eindringlicher, als sie mich wieder ansieht. "Ich habe das wirklich gebraucht. Danke. Ich habe immer nur gehört, dass es egal ist und dass mich der Richtige so lieben wird wie ich bin, aber darum ging es mir gar nicht. Ich will es in erster Linie für mich und mir reicht es nicht, wenn mir jeder sagt, ich soll mich akzeptieren." Ich nicke verstehend. Deshalb sage ich auch nie einer Person, dass sie sich selbst akzeptieren muss, wenn sie mir ihr Problem anvertraut. Es bringt den Personen in diesem Moment überhaupt nichts. Das ist so sinnlos wie die Aussagen, dass man einfach mehr essen soll, wenn man unzufrieden mit der Schlankheit ist.

"Ich finde dich echt sympathisch. Ich freue mich wirklich, dass Azad dich als Frau gefunden hat. Kann ich deine Nummer haben? Ich würde mich gerne öfter mit dir unterhalten." Es freut mich, dass es so schnell klappt, guten Draht mit seinen Geschwistern zu knüpfen. Ich gebe ihr meine Nummer und werde im nächsten Moment auch direkt von ihr angeschrieben. Dilnia. Schöner Name. "Spricht dein Name auf dich zu? Bist du jemand, der viel mit dem Herzen an die Sache rangeht und hofft und sicher ist, dass es gut ist?" "Immer", seufzt sie schon fast verzweifelt. Süß. "Aber ich habe immer recht mit dem, was mein Herz mir sagt. Immer! Deshalb verlasse ich mich so oft darauf, auch wenn ich es manchmal ignoriere." "Bitch, hast du mich ersetzt?", springt Dijan plötzlich zwischen uns. Ich schmunzele, tätschele beruhigend ihren Arm. "War mal erfrischend, dich loszuwerden." "Du wirst mich niemals los. Worüber habt ihr geredet? Über den mysteriösen Azas", schmunzelt sie und sofort pruste ich los. "Azad. Kann es sein, dass du einen anderen Namen im Kopf hast? Zufälligerweise mit S endend?" Sie schüttelt ihren Kopf. Sie lügt. Dijan kann mir nicht sagen, dass sie nicht an Aras gedacht hat. "Nein, an wen soll ich denn denken?" Ihre füllige Oberlippe hebt sich bei ihrem verstohlenen Lächeln und ihre unruhigen Augen schauen zwischen Dilnia und mir hin und her. Ich schmunzele nur, mehr nicht. Sie findet ihn hübsch. "Ich will Wasser trinken. Kommst du mit? Ich will nicht alleine am Wohnzimmer vorbei." Ob Dijan wirklich etwas trinken will oder doch Aras' Aufmerksamkeit kurz erwecken möchte, steht infrage. Ich erhebe mich, gebe Dilnia Bescheid, dass wir gleich wiederkommen und laufe schon erahnend in die Küche.

Die Tür schließt sich und damit verfestigt sich meine Theorie. Ich drehe mich schmunzelnd zu ihr, hebe wissend die Augenbraue, während Dijan weiterhin die Unwissende mimt und an ihrem aufgefüllten Glas Wasser nippt. "Immer noch durstig?" "Das ist gutes Wasser, Schwester. Euer Wasserspender ist echt gut." Ich summe nur, genieße es, wie sie meinem Blick ausweicht und tatsächlich so hohl ist und sich zur Tür dreht, in der Hoffnung seine vage Silhouette durch das Milchglas zu sehen. "Wie war der Flirt heute?" "Was meinst du?" "Sag mir doch einfach die Wahrheit, Dijan", grinse ich und schon wird sie rot. "Keine Ahnung, was du meinst. Ist Azad nett?" Ich nicke und kaum fällt sein Name, tritt er in die Küche. Dijan dreht sich japsend um, hat wahrscheinlich einen Moment lang die Hoffnung, dass es sein Zwillingsbruder ist, aber es ist zu ihrem Bedauern nur Azad, der sie mit seinen blauen Augen überrascht anschaut. "Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich wollte nur Wasser trinken." "Was ein Zufall", merke ich amüsiert an. "Ich auch und dann ... ach, viel Spaß!" Sie rennt ernsthaft weg. Sie wird mir nicht entkommen, aber für den heutigen Tag lasse ich ihr mal Freiraum. Ich schüttele meinen Kopf belustigt, trete zur Seite, damit er sich sein Wasser am Spender auffüllen kann. "Gefallen dir deine Geschenke?" Wenn ich schon wieder daran denke, kann ich nur überwältigt den Kopf schütteln. "Das ist echt sehr viel. Danke für alles, aber das musstet ihr nicht tun." Doch er winkt nur ab. Stattdessen deutet er mir an, mich zu setzen. Mich scheint wohl ein Gespräch zu erwarten.

Ich schaue ihm abwartend zu, wie er in Ruhe sein Wasser trinkt. Sein Adamsapfel springt wieder so herrlich und ich liebe das leise Geräusch, das dabei entsteht. Er hat sich sein Jackett ausgezogen und schon wieder sind die Ärmel hochgekrempelt. Ich werde ihn in Zukunft darum bitten, an ihm das Blut abnehmen zu üben, um es zu perfektionieren. Er hat die perfekten Venen dafür. Beim Absetzen des leeren Glases atmet er einmal tief durch und ich komme mir so komisch dabei vor, diesen Vorgang so attraktiv zu finden. Am besten senke ich meinen Blick lieber. Azad setzt sich an den Platz neben mich, überrascht mich damit, dass er nach meiner Hand greift. Mein Blick gleitet fragend zu ihm, dann auf unsere Hände und dann wieder zu ihm. Er ist vollkommen ernst. Zu ernst. Mein Herz schlägt ein wenig schwerer deshalb. Mich erwartet etwas. "Kannst du dir denken, was ich ansprechen möchte?" Irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht und irgendwie macht es mich unruhig. Meine Schultern zucken stellvertretend für meinen Mund. Seine Reaktion darauf ist das leichte Anwinkeln seines Kopfs. "Ich habe dir gesagt, dass manche Dinge erst besprochen werden sollten, wenn du meine Frau bist." Seine Hand hebt andeutend meine rechte. "Du und deine Familie werden rund um die Uhr geschützt. Sollen es deine Eltern erfahren?" "Nein", antworte ich sofort. Mein Vater würde nur Angst vor Gott haben, aber meine Mutter ist zu sensibel und würde eine weitere Last auf ihren Schultern tragen, vor allem bei dem Gedanken, dass ihren Töchtern etwas zustoßen könnte sowie mein Vater. Azad nickt verstehend.

"So soll es sein. Dass es in der Geschäftswelt Konkurrenz gibt, ist nicht gelogen. Manche gehen für Geld über Leichen." Ich nicke. Sein Blick ist so eindringlich, als würde er versuchen, die Hälfte über den Blickkontakt an mich zu vermitteln. "Das hier ist nicht der richtige Ort dafür, aber was deine Freundin aus Spaß zu dir gesagt hat, entspricht der Wahrheit." Mir wird augenblicklich kalt. Ich habe mir schon denken können, dass es Dinge gibt, die nicht mit rechten Dingen laufen, aber es noch einmal zu hören und bestätigt zu bekommen ist einfach ... unbeschreiblich. Ich erschaudere, ziehe instinktiv meine Hand zurück. Scheiße. Ich weiß, dass ich mich darauf eingelassen habe, aber ich muss es trotzdem verdauen, egal wie paradox es ist, dass ich wohl bewusst einer Heirat mit einem Mörder zugesagt habe. 24-Stunden-Schutz heißt das für mich. Für alle. Azad betrachtet mich nachdenklich, wartet wahrscheinlich auf eine Antwort oder eine Reaktion, doch weder das Eine noch das Andere kriegt er. Was soll ich sagen? Ich war ja dabei. Ich weiß, wozu er in der Lage ist. Es ist mir, ehrlich gesagt, gerade lieber als mein voriges Leben. Ich schaue auf seine lila Krawatte hinab, immer noch nicht in der Lage, ein Wort von mir zu geben. Wenn es das ist, was ich in Kauf nehmen muss, damit mein Leben nie wieder so wird, wie es war, dann nehme ich es hin. "Es ist eine lange Geschichte, die viel mit Armut und Verrat zu tun hat. Irgendwann wird man reingeboren." Das muss ziemlich deprimierend sein auf einer Seite. Keine Ahnung, was ich dazu sagen soll.

Wir verweilen in dieser Stille. Die lauten Stimmen der Männer und das Lachen meines Vaters dringen zu uns in die Küche. Ich weiß, dass er eine Antwort von mir erwartet und ich kann mir vorstellen, dass ich ihn damit ein wenig verunsichere, aber ich lasse mich zu nichts drängen. "Möchtest du die Tage einkaufen gehen?" Das ist ein sehr abrupter Themenwechsel. So wahllos. "Könnte ich mir vorstellen." Immerhin habe ich ja Geld von meiner Schwiegermutter bekommen, damit ich mir Sachen kaufen soll ... unter anderem Unterwäsche. Das wird ein Desaster. Irgendwann werden wir Sex haben. Werde ich mich wirklich darauf einlassen? Mich von meiner Lust treiben lassen? Nein, ich kann es mir einfach nicht vorstellen, mich ihm hinzugeben, wenn ich ihn nicht liebe. Das ist schon wieder so paradox. Diese Situation ist paradox. Ich habe mir immer gesagt, dass ich niemals eine arrangierte Ehe eingehe, sondern die Person heirate, die ich liebe und siehe da! Ich heirate den Mörder, den ich auf meinem Weg nach Hause an einem Mittwochabend kennenlernen durfte. "Ich würde dir auch wieder gerne weiter das Schießen beibringen. Willst du mit einer meiner Schwestern einkaufen gehen?" Oh Gott, niemals gehe ich mit Dilnia Unterwäsche einkaufen. Da gehe ich entweder alleine oder mit Dijan. "Einmal mit Dijan und einmal mit Dilnia." "Du hast dich mit ihr angefreundet?", fragt er überrascht, was ich bestätige. "Das ist gut. Dilnia ist sehr intuitiv und achtet auf ihr Bauchgefühl. Dass sie dich mag, ist ein gutes Zeichen." Dann bin ich ja beruhigt. "Ist bei mir aber nicht anders", erwidere ich. Ich kenne das vehemente Gefühl in mir, wenn eine Person vor mir steht, die mir absolut nicht passt.

"Und was sagt dein Bauchgefühl zu mir?" Das ist eine sehr gute Frage. Nichts. Mein Bauchgefühl sagt mir nichts. Er ist einfach da und manchmal bin ich nervös, weil ich neue Erfahrungen mit ihm mache und er mir oft körperlich nahekommt. "Gar nichts." Sein Kiefer zuckt einmal. "Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?" "Kann ich dir nicht sagen. Weder noch." Das ist wahrscheinlich nicht so schön und ermutigend zu hören, aber es ist die Wahrheit. Ich liebe ihn nun mal nicht und ich kenne ihn erst seit einigen Wochen. Ich kann mir vorstellen, dass wir uns gut verstehen werden und wer weiß? Vielleicht empfinde ich irgendwann wirkliche Liebe für ihn, aber aktuell ist da nichts. Ich tappe durch die unbekannten Wege meines Herzes. "Magst du mich denn überhaupt?", fragt er mich ernst. Azad beugt sich zu mir vor, die Arme ineinander verschränkt auf dem Tisch. "Bestimmt." Wenn ich ihn hassen würde, wäre er nicht mein Zukünftiger. "Bestimmt?", hakt er mit angezogener Augenbraue nach. "Ja. Ich hasse dich nicht. Du bist einfach da. Du bist mein Zukünftiger, aber ich liebe dich eben nicht." Und dieser Satz sorgt für ein unzufriedenes Zucken seiner Lippen. Sein Kiefer zuckt und mahlt, aber etwas sagen tut er nicht. "Du kannst das jetzt auch nicht von mir erwarten." "Tue ich auch nicht", erwidert er patziger als er wahrscheinlich wollte. Mich überrascht der leicht bissige Ton, aber ich verstehe ihn und sage deshalb nichts. "Ich würde mich nur freuen, wenn ich mehr Positives höre." Verständlich. Er hat so vieles für mich getan und ich bin ihm mein Leben lang dafür dankbar.

Ich bin dran, seine Hand zu nehmen. Ich würde mich an seiner Stelle auch betreten und beleidigt fühlen, aber er muss verstehen, dass ich durch mein Trauma geprägt bin und dadurch gelernt habe, reserviert und kühl zu sein. Manchmal quellen die Emotionen einfach hoch und ich muss sie unterdrücken, weil ich nicht weiß, was ich damit anfangen soll. Ich streichele seinen Handrücken mit meinem Daumen, lasse meine Mundwinkel für ein erzwungenes, kurzes Lächeln aufspringen. "Du weißt, dass es Zeit bedarf", setze ich an. "Du hast einen Einblick in mein Leben bekommen. Du kannst dir ungefähr vorstellen, wie sich das auf ein Mädchen auswirkt, das sowas seit der Kindheit durchmachen musste. Man fängt an, zu unterdrücken. Dass ich ein gewisses Urmisstrauen besitze und mich nicht so leicht öffnen kann, ist mehr als nur verständlich, auch wenn ich nicht alle Männer über einen Kamm scheren kann. Wir verstehen uns bis jetzt, wir haben miteinander gegessen, wir werden heiraten, Azad", mache ich ihm am Ende noch einmal deutlich. Es gibt aktuell kein Zurück mehr. Ich lasse mich darauf ein. Ich lasse mich auf das unbekannte Spiel durch den Weg meines Herzes ein. Aktuell habe ich kein schlechtes Gefühl dabei und er soll sich auch nicht den Kopf zerbrechen, solange nichts passiert ist. "Wir haben Zeit. Wir werden genug Möglichkeiten finden, uns aneinander zu schweißen. Mach dir nicht so viele Gedanken darum." Ich drücke seine Hand bekräftigend, lächele dieses Mal sogar wirklich aus reinem Herzen, als er nachdenklich nickt. Sein Blick hebt sich.

"Ich laufe mit aller Geduld durch den Weg deines Herzes."

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