Kapitel 17
Sonntag. Der Tag ist wirklich gekommen. Heute werden Azad und ich versprochen. Dijan und ich frühstücken heute draußen in einem der zehn orientalischen Cafés hier auf der Hauptstraße. Das ist das erste Mal, dass wir gemeinsam draußen frühstücken, aber es hat ja auch einen triftigen Grund. Ich konnte mich einfach nicht überwinden, es ihr zu sagen. Es ist sehr knapp, aber heute hat sie nichts vor und ich bin mir sehr sicher, dass ihre Eltern sie zu meiner Versprechung lassen, denn ich bin ihre einzige Freundin und sie wissen, dass ich gut erzogen bin. Und jetzt sitzt sie in ihrer Jogginghose und ihrem Pullover vor meiner aufgeregten Person in meiner Jogginghose und meinem Pullover. "Los! Sag mir endlich, was los ist!" Ich habe sie mit wahllosen Emojis und Buchstaben jeden Tag belästigt, weil ich so hibbelig bin. Wir putzen seit zwei Tagen die Wohnung durch. Meine Mutter erzählt ganz aufgeregt der ganzen Welt, dass ich endlich heirate und jeder reagiert gleich: überwältigt, überrascht, ungläubig, fassungslos. Avin heiratet? Unsere Avin? Ich kann es ja selbst nicht einmal wirklich realisieren. Ich werde wirklich heiraten! Oh Gott, ich werde heute seine gesamte Familie kennenlernen. Azad hat mir vorgeschlagen, seine Schwestern doch zumindest bei einem Essen kennenlernen zu wollen, aber ich habe abgelehnt. Ich bin verdammt schlecht darin, Kontakte zu knüpfen und mich zu unterhalten. Mein Partner muss die extrovertierte Rolle einnehmen und mich aus meiner passiven Schale locken.
"Bitch? Sag es mir endlich! Was ist los? Hast du dich geschlagen?" Ich verdrehe schmunzelnd meine Augen, als mir die unschöne Wahrheit wieder einfällt. Das ist etwas, was ich ihr niemals erzählen würde, obwohl sie mir auch von schlimmen Dingen in ihrer Familie erzählt hat. Ich kann es nicht. Es bleibt mir im Hals stecken. "Nein", setze ich leise an und Gott sei Dank bringt uns die Kellnerin nach und nach das Frühstück. "Sag doch!", ruft sie durch die ausgestreckten Arme der Kellnerin. Ich schmunzele amüsiert. Sie will immer alles wissen und ich treibe sie oft mit meiner Verschlossenheit zur Weißglut. Sie verzeiht es mir bis heute nicht, dass ich ihr nie meine Brustwarzen gezeigt habe, ich ihre aber gesehen habe. "Gleich", setze ich mit angehobenem Zeigefinger an, der meine Aussage noch einmal unterstreichen soll. Sobald die Kellnerin alles gebracht hat und wir auch unseren Schwarztee haben, kann ich anfangen ... nur drücke ich mich immer noch. Ich habe nicht mehr viel Zeit. Ich muss noch duschen und mir die Haare glätten. Mein Antihistaminikum habe ich schon eingenommen und mir die Augenlider mit aller Liebe mit Cortison eingeschmiert, damit ich nicht auf die Schminke auf meinen Augen reagieren kann und es genug Zeit hat, um einzuziehen und zu wirken. Ich kaue auf einer grünen Olive herum, in der Hoffnung, dadurch den Mut zu fassen, ihr das zu sagen, was sie schon wissen sollte. Ihr Blick zeigt schon langsam Sorge. Die Arme denkt bestimmt, ich brauche bald eine neue Bleibe. "Ist alles in Ordnung? Brauchst du etwas?" Ich verneine es, lächele sie dabei beruhigend an.
"Ich werde mich verloben." Keine Reaktion für den ersten Moment und dann lacht sie los. So laut und so herzhaft, dass sie sich schon in die Hände klatscht. "Ja, klar! Sag jetzt endlich!" Es war mir klar, dass sie es mir nicht glauben wird. "Ich werde mich heute verloben, Dijan. Zieh ein Xeftan oder ein Takshita an." "Junge, sag doch endlich!", fordert sie schon fast erzürnt. Oh Mann, Dijan glaubt mir kein Stück und ich finde es so lustig. "Dijan, wirklich. Ich werde bald heiraten." Ihre großen braunen Augen blinzeln träge. Ihr Mund steht offen, als würde sie in Gedanken sein. Nicht, dass eine Wespe plötzlich hineinfliegt. "Wenn du mir jetzt nicht die Wahrheit sagst, steche ich dich mit der Gabel ab!" Ich genieße ihre Unwissenheit gerade sehr, vor allem, da sie wirklich frustriert über den vermeintlichen Fakt ist, dass ich lüge. Aber heute sage ich wirklich die Wahrheit. Ich habe ihr immer wieder in unserer elfjährigen Freundschaft erzählt und geschrieben, dass ich einen Freund hätte, nur um mich dann über ihre Reaktion zu amüsieren, weil sie mir nie geglaubt hat. Dass einmal wirklich der Tag kommt, an dem das Gesagte stimmt, werde ich ihr immer wieder unter die Nase reiben. "Ich sage dir die Wahrheit, Dijan. Bei Allah, ich sage dir die Wahrheit." Ihre Augen weiten sich. "Du laberst Scheiße!" "Ich habe geschworen!", lache ich. Ihr klappt fassungslos die Kinnlade auf. Sie errötet sogar ernsthaft. "Avin, bei Gott, wenn du mich anlügst, dann ... ich töte dich!", ruft sie überfordert. Ich lehne mich nur amüsiert zurück. Es tut gut, sie so aufzuwühlen. "Ich habe immer noch geschworen." "Zeig mir ein Foto von ihm!" Oh ... ich habe keins.
Ich zücke verdutzt mein Handy. Er hat ein Profilbild, das weiß ich. Das kann ich ihr ja zeigen. Passt doch. Ich drehe meinen Bildschirm zu Dijan, nur um mir mein Handy rabiat aus der Hand reißen zu lassen. Ihre analytischen Fähigkeiten setzen gerade ein. Sie mustert jede Ecke im Bild von ihm im Restaurant. Seine freien Unterarme, seine bedeckten Oberarme in diesem schnuckeligen, cremeweißen Pullover, seine Augen. Wahrscheinlich auch, ob sich etwas auf dem Tisch befindet - da ist nichts. "Azad? Wieso habt ihr kein einziges Mal miteinander geschrieben? Hast du den Chat gelöscht oder ist es nur ein neuer Kollege, der mit dir arbeitet?" Ach, das mit der Arbeit weiß sie auch nicht. "Ich habe gekündigt." Schon wieder zeigt sie im ersten Moment keine Reaktion. Ihr Blick ist kühler als ihr gebräunter Hautton und trockener als meine Haut in ihrer schlimmsten Phase. "Noch was? Bist du vielleicht schwanger?" "Ich hasse Kinder und das weißt du", erwidere ich charmant. Sie hingegen findet diese kleinen Blagen zum Abknutschen süß und sagt mir immer wieder, dass ich ihr eins machen soll. Im Leben nicht. "Ich glaube dir nicht." Wir sind uns trotz vieler Unterschiede doch so ähnlich. "Du wirst es ja heute sehen. Eigentlich solltest du mir glauben, weil ich geschworen habe, aber dann musst du es wohl mit eigenen Augen sehen." "Selbst dann glaube ich es dir nicht. Was redest du? Wie? Seit wann? Wieso erfahre ich das erst jetzt?", fragt sie am Ende sauer.
Ich greife schmunzelnd nach dem frischen Fladenbrot, tunke es in die Tomaten-Ei-Pfanne. "Ich wollte es dir früher erzählen, aber ich konnte mich nicht überwinden. Ach! Dein Lipgloss ist noch bei mir." "Hast du den deshalb gebraucht? Hast du dich mit ihm getroffen? Habt ihr gefickt?", flüstert sie am Ende mysteriös und schon wieder lache ich auf. Oh, Dijan. Wenn du nur wüsstest. Ich verneine es amüsiert, kaue umso dynamischer auf meinem Bissen herum. "Wir haben geredet", nuschele ich. Oh! Schwarze, matte Oliven. Ich liebe die Dinger! "Geredet?", wiederholt sie trocken. Sie schaut mich so unbeeindruckt an, dass ihr beim abschätzigen Senken ihres Blicks eine geglättete Haarsträhne vors Gesicht fällt. "Ja, geredet." "Hat er zwischen deinen Beinen geredet oder du zwischen seinen?" Ich huste verschluckt los. Ein Glück ist er nicht hier. Ich hoffe, ihr rutscht nichts aus, wenn wir in unserem Wohnzimmer sind. Manchmal kann sie nicht den Mund halten und sie kann überhaupt nicht flüstern. Ihr fehlt das Gen und wahrscheinlich auch das gesamte Chromosom dafür, wenn ich mir manchmal ihre Hohlheit vor Augen führe. "Du wirst heute dabei sein. Du wirst ihn ja sehen und dir ein eigenes Bild davon machen. Xeftan oder Takshita?" "Xeftan, wenn es eh alles Kurden sind. Du verarschst mich wirklich nicht, oder?" Ich kichere. "Wirklich nicht." "Ich kann dir alles zutrauen, nachdem du mich mit dem Dildo angelogen hast." Und schon wieder lache ich an diesem Sonntag morgen los. Ich lobe mich bis heute noch dafür, dass ich Schuhe für mich an ihre Adresse geliefert habe, mit der Lüge, dass niemand es öffnen darf, weil ich mir einen Dildo gekauft habe. Das werde ich noch ihren Kindern erzählen.
Als ich mich wieder erhole und Dijan anscheinend komplett verstummt, können wir endlich richtig mit dem Frühstück beginnen. "Wie lange kennt ihr euch schon?" Oh ... gute Frage. Was soll ich antworten? Die Wahrheit oder soll ich es doch ein wenig überziehen? "Einige Wochen." "Und du heiratest ihn so schnell?" "Islamisch, ja." Sie ist skeptisch, egal wie lustig ihr leerer Blick wirkt. "Seit wann lässt du jemanden so schnell an dich ran? Du willst mir sagen, er darf deine Nippel sehen, aber ich nicht?" "Sh!", zische ich. Meine Augen reißen bei ihrer lauten Stimme warnend auf. Im Café sitzen jetzt auch noch Leute und die Tür ist offen! Azad wird gar nichts sehen! Oh Gott, ich heirate den blauäugigen Mörder. Ich komme immer noch nicht klar mit diesem Fakt. "Manche Dinge passieren doch ungeplant. Ich will nicht allzu lange warten und es so religionskonform wie möglich halten." Meine Antwort scheint ihr zu reichen. Sie nickt, die Lippen beeindruckt gespitzt. "Find ich gut, Schwester. Du weißt, was du willst, aber ich finde es trotzdem komisch. Ich kenne dich so gar nicht." Ja, weil es auch eigentlich überhaupt nicht typisch für mich ist. Du hast absolut recht, aber es war eine Notlösung. Ich habe keine Kraft, das noch weitere Jahre durchmachen zu müssen. Wahrscheinlich würde ich nie wieder diese Chance kriegen, einen so angenehmen Mann anzutreffen, der meinen Ansprüchen gerecht ist und mir meine Wünsche erfüllt. "Tja", setze ich schulterzuckend an. "Ich kann es mir auch nicht erklären. Die Liebe macht das, was sie will."
Ich steige eilig unter die Dusche. Sie kommen nicht gleich, ich habe Zeit, aber ich will lieber zu früh fertig sein als zu spät. Argh! Ich muss gleich noch beten. Das darf ich in der Hektik nicht vergessen. Dijan glaubt mir immer noch nicht wirklich, dass ich mich heute verspreche und verlobe, aber spätestens, wenn sie die eisblauen Augen sieht, wird sie es realisieren. Ich sollte mir endlich einen Ganzkörper-Lasertermin machen, denn ich habe keine Lust aufs Wachsen und Rasieren zurückzugreifen. Ich entferne die kurzen Stoppel nur an meinen Unterarmen, die vom Waxing unregelmäßig nachwachsen, lasse währenddessen die Papaya-Haarmaske einwirken, die ich gleich auch als Leave-In verwenden werde und rasiere mir auch wirklich allen Ernstes die Stoppel zwischen meinen Beinen weg, obwohl ich doch immer aufs Intimwaxing zurückgreife. Na toll. Ich werde wieder Juckreiz haben, obwohl das total unnötig ist. Er wird nichts sehen! Ich schrubbe mir motivierter als sonst die tote Haut von meinem Körper, bis sich meine Haut rot färbt. Heute ist das Versprechen. Ich glaube es ja selbst kaum! Als ich aus der Wanne steige, fühle ich mich so anders. Als würde ich den Boden gar nicht berühren. Ich realisiere mein Leben im Hier und Jetzt auf einen Schlag ganz plötzlich und es fühlt sich so verdammt surreal an. Es dreht sich ein wenig. Das bin wirklich ich. Heute werde ich wirklich verlobt. Meine Mutter hat die Tage prächtig mit seiner Mutter telefoniert und ihr von all meinen Eigenschaften erzählt, während meine Schwestern und Schwägerin sich um die Ideen für die Deko gekümmert haben. Lila und weiß. Lila, weil ich ein lila Xeftan anziehe und weiß, weil ... na ja, etwas anders wäre zu viel. Weiß und Silber, obwohl ich Gold bevorzuge.
Ich renne schon fast in mein Zimmer, wo ich bete, meine Haare mit Hitzeschutz voll sprühe und dann mein Gesicht eincreme. So viel, wie ich in meine Haare gesprüht habe, kann ich mir vorstellen, dass ich den Leave-In Conditioner ausspüle. Die Feuchtigkeits- und Sonnencreme muss gut einziehen, sonst wird die Schminke nicht halten. Ich föhne mir deshalb schon verzweifelt das Gesicht mit, kämme mir die Haare mit meiner Rundkopfbürste so glatt wie möglich, damit ich gleich nicht zu lange daran sitze und vermutlich dann zu schwitzen beginne. Ach! Wieso habe ich das Deo nicht davor schon aufgetragen? Wieso habe mir die Glykolsäure nicht unter die Achseln geschmiert? Argh! Ich mache es jetzt, weil ich sowieso eine kleine Pause von der Hitze brauche. Ich schwitze, na toll! Erst reibe ich mir die Achseln mit meinem Handtuch trocken und dann gebe ich meine Glykolsäure auf ein Wattepad, reinige meine Achseln damit und föhne dann weiter. Später trage ich trotzdem Deo auf. Ich trage gleich einfach Puder auf, damit nichts glänzt und klebt. Dann hält die Schminke sicher auch gut - aber ich föhne mein Gesicht vorsichtshalber doch mit. Jetzt Haare glätten und dabei überlegen, wie ich die Schminke auftrage ... ich kann nur das machen, was ich bei unserem ersten Essen aufgetragen habe. Habe ich vielleicht lila Lidschatten? Obwohl, nein. Lieber nicht. Ich kann nicht sonderlich gut mit Lidschatten umgehen, da ist der simple, schimmernde Nudeton sicherer.
Meine Haare sitzen fixiert, mit Öl und Haarspray und meine Schminke auch. Ich sehe gut aus. Sehr gut sogar. Die Frage ist jetzt nur, welches Xeftan ich anziehe. Ich habe mehrere in Lila. Ich will es nicht zu prunkvoll heute haben, also fällt das Schwerste mit den ganzen Perlenstickereien weg. Mein dunkellila Xeftan? Das ist schlicht. Das Kleid ist dunkellila und die Übergangsjacke hübsch mit lila und goldenen Blumen bestickt. Die kleinen, goldenen Perlen setzen noch schöne Extras. Ja, das ist es. Ich hüpfe aufgeregt in die lockere Hose, dann ins gleichfarbige Unterkleid, woraufhin dann das Übergangskleid kommt und alles bedeckt. Soll ich meinen goldenen Gürtel unter der langen Übergangsjacke anziehen oder darüber? Aber dann kann ich mich eingeschränkter bewegen. Einfach darunter. Die Frage ist jetzt nur welcher Gürtel? Meine Schwägerin hat mir ihre gebracht, sogar den aus Echtgold. Er liegt neben denen meiner Schwestern und meinen auf meinem Bett. Nicht zu groß, aber auch kein ganz dünner. Der mittlere dreireihige Münzgürtel. Ja, der passt. Ich ziehe etwas längere Ohrringe an, auf jeder Seite drei goldene Armreifen und bin fertig ... glaube ich. Oh Gott, ich habe meinen Körper gar nicht eingecremt, ich kriege die Krise! Es klingelt an der Tür. Mein Herz! Aber es ist nur Dijan. Oh Gott, ich bin so verdammt angespannt. Beim Eincremen meiner ... und seiner liebsten Bodycream anscheinend, kann ich mich langsam entspannen. Ich trage viel und mit Bedacht die Creme auf meinen Hals, auf und hinter meine Ohren auf und verteile sogar den kleinen Rest in meinen Haaren.
"Wow, Schwester! Du siehst gut aus!" Aber sie! Oh mein Gott! Ich kreische, als ich ihr Xeftan sehe. Es ist Puderrosa, ein wenig ins Lila-gehende. Dijan versteht, wieso ich so ausraste, weil sie und ich diese schon fast gruselige Gleichgesinntheit besitzen. Wir wollten so oft dasselbe kaufen, ohne es abgesprochen zu haben oder dasselbe lesen oder sagen. "Oh Gott, Schwester! Schon wieder!" "Heftig!", pflichte ich bei. Sie trägt einen goldenen Gürtel mit Blumenbroschen, ihre Übergangsjacke besitzt auch kleine goldene Stickereien und sie trägt auch an beiden Armen Armreifen. Nur trage ich jeweils einen mehr. "Die Frauen im Haus tragen alle auch Xeftans, das heißt, ich werde nicht verarscht. Wo ist dein Vater?" "Der kommt gleich. Er holt noch Gebäck. Habe ich irgendwo Dellen im Haar?" Ich drehe mich und schüttele mein Haar, lasse sie darin fummeln, um mir jede potenzielle, wellige Strähne rauszusuchen. "Nein, Schwester. Alles perfekt." Okay. Tief durchatmen, Avin. Ich räume schnell den ganzen Schmuck zurück, aber ich kann nicht entspannen. Habe ich irgendetwas vergessen? Mein Bodyspray trage ich auf, wenn es klingelt, damit es noch frisch und intensiv riecht. Dijan merkt mir meine Unruhe an. Wer könnte es nicht? "Ich kenne dich gar nicht so", merkt sie belustigt an. "Warum wohl?", murre ich. Können die mal schneller kommen? Ich hab schon Herzstolpern, weil mein Vater jetzt die Tür aufschließt.
"Deine Mutter macht so geiles Essen. Ich freue mich schon richtig drauf." Das ganze Haus riecht nach Biryani, Iprax, frittierten Kutilk, Hähnchen und Lammkeulen. "Sie hat auch Halawet el jibn gemacht." "Geil!", stöhnt sie. Der ganze Stoff raschelt, weil mein Bein nicht aufhören kann zu wippen. Wo sind sie? Brauchen sie lange? Ich könnte ihm schreiben, aber ich schäme mich. Ich weiß nicht, ob ich mir dann dadurch noch mehr Druck mache. Alle außer mir scheinen ausgelassen zu sein. In der Küche läuft kurdische Hochzeitsmusik, ich höre meine Mutter und Schwägerin singen und selbst Dijan wippt mit. Fehlt noch, dass sie Reggeda tanzt. "Tanz doch ein bisschen!" Fast verdrehe ich meine Augen. "Ich bin gerade absolut nicht entspannt." "Gibst du ihm gleich einen Kuss?" "Nein!", antworte ich entgeistert. Er kriegt gar nichts. Azad soll einfach ins Wohnzimmer und mich am besten gar nicht angucken. Wenn ich schon wieder daran denke, dass ich den blauäugigen Mörder wirklich heirate, dreht sich mein Magen. Ich erhebe mich, um nach meiner Familie zu schauen. Mein Bruder sitzt in Hemd und Hose auf dem Sessel, spielt wahrscheinlich Clash of Clans, während mein Vater betet. "Bûkê delalê rabe xwe karke." Meine Mutter summt den Rest des Liedes weiter, während sie mich mit Taschentüchern umkreist und Dijan hinzuholt. Es ist schön, sie so glücklich zu sehen. Ihre Handgelenke haben keine Blutergüsse mehr dank der Heparincreme und mein Gesicht auch nicht, weil ich immer die Reste auf meine Wange geschmiert habe. Meine Knie und mein Bauch werden nicht sichtbar sein, deshalb habe ich sie ausgespart. Die Handgelenke meiner Mutter standen im Fokus für mich.
Meine Schwägerin zieht mich auf den Küchenstuhl, Avdar nimmt mich lächelnd auf, während Perwin mir lächelnd ein Stück Baklawa hinhält. Ich öffne schmunzelnd meinen Mund, halte mir vorsichtshalber die Hand unter die Süßigkeit. Kaum beiße ich rein, beginnen meine Mutter, Schwägerin und Dijan die traditionellen schrillen, pathetischen Laute von sich geben, bei denen meine Schwestern aber kläglich versagen. Ich muss loslachen, weil sich vor allem Avdar wie ein Truthahn im Stimmbruch anhört. Doch das Klingeln der Tür lässt mein Lachen ersticken. Scheiße. Scheiße! Er ist da! Fuck! Ich drücke den Rest der Süßigkeit in Perwins Hand weg, nur um es dann wieder hektisch zu mir zu ziehen und es in einem Bissen zu verschlingen. Ich brauche Wasser. Scheiße, ich muss den Lipgloss richtig auftragen! Ich komme mir wie ein Blauwal vor, als ich drei riesige Schlucke Wasser trinke und dann in mein Zimmer renne, um mir mein Bodyspray und Dijans Lipgloss neu aufzutragen, die Farbe wieder ein wenig mit meinem pinken Lipgloss zu vermischen und heilige Scheiße, ich weiß, dass sie im Aufzug sind. Mein Magen dreht sich. Ich komme nicht klar damit. "Avin, komm! Sie sind gleich da!", ruft meine Mutter schon hibbelig. Sie richtet im Spiegel ihr grünes Kopftuch und ich helfe ihr nach, weil ich noch einige winzige Strähnen herausgucken sehe. Wir stehen alle hier im Flur, warten nur darauf, dass es an der Tür klopft oder klingelt. Mein Herz schlägt ganz schnell. Ich bin auf einer mentalen Achterbahnfahrt und Gott! Der sich öffnende, gelbe Aufzug ist der Moment, in der die Gondel in meinem Bauch steil abfährt. Dijan drückt kreischend meine Schultern. Es klopft! Oh Gott, es klopft!
"Bismillah", flüstert meine Mutter für mich, als ich langsam die Türklinke runterdrücke. Da ist er ... mein Zukünftiger. Hinter ihm die gefühlte Fußballmannschaft und jeder trägt ein Geschenk mit sich! Er steht in einem schwarzen Anzug vor mir, weißes Hemd und ... eine lila Krawatte. Lila wie meine Kette. Die herzlichen Begrüßungen meiner und seiner Eltern beginnen. Ich hingegen kriege kein Wort raus, als er langsam hineintritt. Ich bin unsicher, als ich ihm meine Hand hinhalte. Im ersten Moment denke ich, er schüttelt sie, aber dieser Idiot will sie zu seinem Mund führen! "Nein!", murre ich angespannt. Um uns herum lachen alle belustigt auf. Nur mir ist ganz heiß. "Umarm' ihn!", flüstert Dijan zu laut. Azad nickt bekräftigend. Sein sanftes Lächeln lässt seine Grübchen wieder hervorschauen. Also schön! Ich hebe zögernd meine Arme und bin mehr als nur froh, dass er mir entgegenkommt und mich umarmt. "Er ist groß, Schwester. Guter Pluspunkt." "Dijan!", knurre ich. Ihr macht es nichts aus, dass alle es mitbekommen, aber sie soll trotzdem bitte lernen, zu flüstern. Ich flehe sie an! Azad drückt mich an sich. Der Druck ist angenehm. Ich mag es, wie sich sein Körper an meinem anfühlt und vor allem sein Parfüm. Aber die Umarmung geht mir viel zu lange. Ich löse mich wieder von ihm, sichtlich verlegen. Seine Mutter grinst mich schon voller Vorfreude an, aber das macht mich kein bisschen lockerer. Nur Dijans hohles Hi, als sie jedem die Hand gibt.
"Wie schön!", summt sie jetzt fasziniert, als er mir den Blumenstrauß hinhält. Es ist ein wirklich schöner und vor allem großer Blumenstrauß. Und er passt zu meinem Kleid und der Dekoration. Lila Tulpen, weiße und blassviolette Rosen sowie weißes und lila Schleierkraut. Die anderen gleich farbigen Blumen sagen mir nichts. "Dankeschön", murmele ich. Das ist ein wirklich schöner Blumenstrauß. Ich werde ihn gut trocknen lassen und lagern. "Gerne, Schneeflocke." Mein Blick wird wieder warnend. Seine tiefe Stimme ist zu laut für den Raum! Ich drücke ihn zur Seite, um die Mutter zu begrüßen, die gerade meinem Vater die Hand schüttelt, nehme ihre Hand, um diese aus Respekt zu küssen, als sie mich davon abhält und mich in eine herzliche Umarmung zieht. "Meine schöne Tochter. Ich konnte es nicht abwarten, dich endlich zu sehen!" Es beruhigt mich doch mehr als ich gedacht habe. Ich werde zweimal auf die Wangen geküsst und dann noch einmal fest gedrückt, ehe ich unsicher vor dem großen Vater stehe. Die Augen hat Azad von ihm und anscheinend auch das schwarze dichte Haar hat er weitervererbt. Er erinnert mich ein wenig an meinen Vater mit dem schmalen Gesicht und der größeren Statur. Nur hat mein Vater durch die Strahlentherapie schütteres Haar. Ich halte ihm unsicher meine Hand hin, bin aber erleichtert, als auch er mich umarmt. "Bi xêr hatî", murmele ich. "Xerindar, keça min." Oh Gott, jetzt muss ich zehn Geschwistern und drei Schwägerinnen die Hand reichen und oder sie umarmen. Alles ist so im Chaos, weil jeder jeden begrüßt, lacht und irgendetwas erzählt, aber das ist mir lieber als eine peinliche Stille.
Ich weiß nicht, wer der älteste Bruder ist, aber ich werde von jedem umarmt. "Willkommen in der Familie, Schwägerin", sagt mir der blauäugige Bruder, als er mich umarmt. "Danke", murmele ich betreten. Ist das sein Zwillingsbruder? Ich weiß es nicht. Sie sehen sich ein wenig ähnlich und dadurch, dass nur wenige der Geschwister blaue Augen haben, kommt das recht gut infrage. Als ich auch endlich durch bin mit den zehn Geschwistern und den Schwägerinnen und alle ihre Schuhe und Jacken ausgezogen und Geschenke abgelegt haben, gehe ich meiner Schwägerin nach in die Küche, um ihnen Wasser zu bringen. Meine Hände zittern, als ich das Tablett wartend vor ihr halte und es nimmt zu, je mehr Gläser das Tablett einnehmen. Es passen nur acht drauf und wir sind mit den Frauen seiner älteren Brüder 24. Das wird ein Marathon für meine Unruhe. Die ersten Gläser bringe ich den Eltern und den ältesten Brüdern. Azad kriegt das letzte Glas. Runde Nummer zwei beginnt. Meine Schwägerin hat meinen Blumenstrauß schon in eine Vase gestellt. Meine Eltern reden kreuz und quer mit seinen, scheinen sich sehr gut mit ihnen zu verstehen, aber etwas anderes hätte ich mir nicht denken können, so gastfreundlich und redselig sie sind - das komplette Gegenteil von mir. Dieses Mal kriege ich beim Verteilen der Gläser mit, wie meine Eltern von meiner aktuellen Arbeit erzählen, ganz stolz, wie ich täglich im Labor Bakterien anzüchte und erkenne, wer welchen Erreger besitzt und dann, wie ich bald Medizin studieren werde. Sie wissen nicht, dass ich ... dass Azad stellvertretend für mich gekündigt hat und dass ich dank ihm bald studieren darf, aber das müssen sie auch nicht wissen. Die Hauptsache ist, dass wir alle zufrieden sind.
Als ich dann dem letzten sein Glas Wasser gebe, lasse ich mich im Wohnzimmer auf dem Boden nieder. Der dekorierte Stand mit meinen Blumen, den Ballons und dem Kuchen steht auf dem großen Balkon. Hier wäre sowieso kaum Platz bei der Menge an Leuten. Weil unsere Eltern immer noch reden, spiele ich ablenkend an meinem Kleid herum. Dijan drückt mir hibbelig den Arm. "Du kleine Bitch. Du heiratest wirklich!", murmelt sie in mein Ohr und ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass seine Schwestern es auch gehört haben. "Er sieht gut aus, Schwester. Wenigstens nicht hässlich. Und er guckt dich die ganze Zeit an", grinst sie. Ich nicke. Er soll mich nicht anschauen! "Und voll süß, wie seine Krawatte zu deinem Kleid passt. Habt ihr das abgesprochen?" Ich verneine es. "Also ich finde, ihr passt." "Danke", schmunzele ich. "Und was macht er so? Er sieht aus wie ein Mafiaboss." Ich halte mir prustend die Hand vor den Mund ... aber er hat doch einen Mann erschossen. Dijan hat wieder nicht leise gesprochen und ein verstohlener Blick zu ihm sagt mir, dass er es mitbekommen hat. Mein kleines Lächeln fällt. Sein blauäugiger Bruder neben ihm stößt ihm heimlich in die Seite ... nein ... oder? Ich ernüchtere. Soll ich Dijan dankbar sein, dass sie nicht flüstern kann oder sie verfluchen? Ich bin nur froh, dass die Eltern gut und laut miteinander sprechen und auch mein Bruder sich mit den anderen Brüdern unterhält. Mafia ... das würde das Haus erklären, aber das kann er sich auch als Chef leisten, aber die Akte und die Waffe. Ich atme tief durch. Es gibt manche Dinge, die er mir erzählen wird, wenn ich wirklich seine Frau bin. Danke, Dijan. Ich weiß jetzt ungefähr, was mich erwartet.
"Also", setzt der Vater an. "Wir sind ja aus einem bestimmten Grund hier", führt er lächelnd fort, die Hand stolz auf der Schulter seines Sohnes. "Azad hat uns schon viel von Avin erzählt und so, wie wir sie auch jetzt miterleben, sind wir wirklich mehr als nur zufrieden. Wir würden sie gerne als Braut für unseren Sohn haben." Meine Eltern schauen erwartungsvoll zu mir, obwohl sie schon wissen, dass ich einverstanden bin. Der Abend, an dem Azad bei uns war, habe ich ein langes und intensives Gespräch mit meinen Eltern im Wohnzimmer geführt. Sie haben mich dreimal gefragt, ob ich das wirklich möchte und wie genau ich es mir vorstelle. Sie selbst waren mit Azad von meinen und der eigenen Erfahrung meiner Mutter sehr zufrieden. Seine Eşiret ist ziemlich bekannt. Man kennt den hohen Rang also. Ich nicke stumm. Was soll ich denn bitte sonst sagen? Azad ist ja nicht umsonst hier mit lila Krawatte. Mein Vater lächelt sanft. "Solange meine Tochter glücklich und zufrieden ist, soll sie heiraten. Sie möchte aber in Ruhe studieren und deshalb keine Hochzeit. Ihr reicht ein Mela vorerst." Mein Vater hat schon einen Religionsgelehrten kontaktiert. Nur muss ein entsprechender Tag ausgewählt werden, wann wir die islamische Eheschließung durchführen. "Gar nicht?", fragt die Mutter ein wenig enttäuscht. Sie fährt sich betrübt über die goldenen Armreifen. Ich bleibe still, viel zu überfordert, eine richtige Antwort von mir zu geben. Ich kann und möchte nicht sagen, dass Azad und ich mehr auf einer vertraglichen Basis heiraten als aus Emotionen.
"Wenn sie sich bereit fühlt, werden wir eine Hochzeit organisieren. Wir haben genug Zeit und sie soll sich erst im Studium einfinden. Vor und nach der Vermählung könnt ihr ja tanzen und feiern", spricht nun Azad mit. Ich bin dankbar, dass er für mich redet. "Wie ihr möchtet, meine Kinder. Wir übernehmen alle Kosten." Mein Vater widerspricht seinem und sofort beginnt die Diskussion der Großzügigkeit. "Lasst uns wenigstens die Kleidung für den Bräutigam übernehmen", mischt sich meine Mutter jetzt ein, woraufhin Azad dankend ablehnt. "Es ist meine Pflicht, zu zahlen. Ihr werdet keinen Cent anrühren. Es ist schon vieles gekauft worden." Meine Mutter sackt ein wenig zusammen. Ihre kleinen, dicken Hände fahren sich betreten über ihre Armreifen. "Ich komme mir so schamlos vor. Das können wir so nicht annehmen." Und schon wieder beginnen seine Eltern und auch die Schwiegertöchter und ältesten Söhne, beruhigend auf sie einzureden. "Wir möchten auch, dass ihr in unsere Nachbarschaft zieht. Wir besitzen einige Häuser dort", spricht der Vater wieder. "Nein", unterbricht meiner ihn inzwischen vollkommen ernst. Mein Vater ist mit mir der sturste Kopf der Familie und er wird es auch nicht akzeptieren wollen. Schon beginnt die nächste Diskussion, bei der mein Vater ganz stoisch permanent ablehnt, während meine Mutter und meine Schwestern komplett sprachlos sind. Mein Vater möchte eigentlich auch nicht hier leben, weil hier viele kriminelle Machenschaften hergehen und er es für seine Töchter und Frau zu unsicher hält, aber er will es aus eigener Hand schaffen. Dabei frage ich mich, wieso denn? Es ist doch schön, Hilfe anderer anzunehmen. Ja, es ist etwas unbeschreiblich Großes und von viel Wert und ich kann verstehen, dass es ihm unangenehm ist, aber wenn dadurch eine so große und jahrelange Last von ihm abfällt, wieso dann nicht annehmen?
Die Diskussion beruhigt sich nur durch das Einmischen meiner Mutter und ihrem Vorschlag, dass sie Miete zahlen. Der Vater will widersprechen, aber ich sehe Azads Hand an seinem Rücken, die ihm sagen soll, dass er es hinnehmen soll. Ich bin mir sicher, dass es nur zur Beruhigung der Diskussion dient und sie es sowieso nicht annehmen werden, aber mein Vater wird sich sicherlich trotzdem irgendwie durchsetzen. "Wollen wir jetzt die Fotos machen und den Kuchen anschneiden oder nach dem Essen?", fragt Perwin. "Wie sie möchte." Azad nickt mir fragend zu. "Fotos und Kuchen jetzt. Nicht, dass es gleich plötzlich regnet." Auch wenn der ganze Tag nur 20 Grad und Sonne verspricht. Dijan hilft mir hoch, hält das Kleid für mich, damit ich auch ja nicht ausrutsche, als ich die drei Treppenstufen zum Balkon aufsteige. Die Mädels haben es echt schön dekoriert. Die Ballons umrahmen den Rosenbogen links und rechts und mir fallen erst jetzt die lila Plastikrosen auf. Echt schön. Das gefällt mir wirklich. Ich könnte aber loslachen, als ich bemerke, dass das schimmernde lila Tischtuch nichts Weiteres ist als der Stoff für Pelins nächstes Xeftan. Sie wollte unbedingt eins, das meinem ähnelt und dann haben wir diesen Stoff mit schimmernden Kristallen gefunden, der gerade missbraucht wird.
"Hallo, wo ist der teure Champagner?", fragt Dijan empört und bringt vor allem meinen Vater damit zum Lachen. Ich schüttele schmunzelnd den Kopf. Ein Glück lockert sie die Situation für mich, denn ich komme mir gerade mehr als nur unvorbereitet neben Azad an diesem kleinen Tisch vor. Der kleine, dreistöckige Kuchen muss von unserer libanesischen Nachbarin gemacht sein. Sie liebt alles, was mit Teig und Fondant zu tun hat. Wie glatt das helllila Fondant gestrichen ist und wie perfekt sein und mein Name und das Datum in Silber schimmern. Das hat sie zwar nicht selbst geschrieben, aber mich fasziniert es, dass man sowas Essbares drucken kann. Aber die silberne Schleife um die zweite Etage ist von ihr. Das weiß ich. Dafür, dass sie mit aller Liebe jede einzelne silberne Essperle im perfekten Abstand in den Fondant gedrückt hat, muss ich mich bedanken. "Avin, in die Kameras gucken!", ruft meine Schwägerin. Jedes Handy ist gezückt um den Moment aufzunehmen. Meine Mutter hat schon rote Augen vom Weinen, die sie sich mit ihrem pistaziengrünen Kopftuch wegwischt. Jemand hat auch schon romantische kurdische Musik abgespielt und zu meiner Überraschung ist es ein schönes Lied. Das muss von meiner Schwägerin kommen. Als ich sehe, wie meine Mutter sich verstohlen ihre laufende Nase mit der grünen samtigen Übergangsjacke ihres Xeftans saubermacht, muss ich lachen.
Wir müssen mehrere Positionen für die ganzen Fotos einnehmen, einmal mehr nach links drehen für die eine Seite und einmal mehr nach rechts. Ich bin sogar gezwungen, meine Hand auf seine Brust zu legen, weil so viele darauf bestehen, aber es ist mir so unangenehm, so viel Zärtlichkeit vor unseren Eltern zu zeigen. "Aras", sagt Azad nickend. Der Bruder, den ich als Zwilling gedeutet habe, reagiert verstehend und geht mit einer seiner Schwestern weg. Warum, weiß ich nicht. Meine Mutter und Avdar hören kein einziges Mal auf zu filmen. Dijan schießt aus jedem Winkel Fotos von uns und mein Vater steht zufrieden vor mir und lächelt. Seine Augen sind glasig, aber er lässt sich nichts anmerken. Wir sind gleich. Wir wollen uns so beherrscht wie möglich zeigen. Die Geschwister kommen mit einem Silbertablett wieder. So passend, wie all das farblich ist, bin ich mir sehr sicher, dass meine Mutter seiner von der Farbe der Dekoration erzählt hat. Auf dem Tablett ist ein Satintuch in Lila drapiert und auf ihm zwei Kästchen mit Ringen. Ich bin ein wenig verdutzt von den Unterschieden unserer Ringe, weil seiner Silber und komplett schlicht ist und dann mein wunderschöner Ring kommt. Wow. Das ist mal ein Ring! Die drei dünnen Fassungen sind von winzigen, funkelnden Kristallen reihum besetzt, aber der ovale lila Hauptstein ist der eigentliche Blickfänger und er sticht umso mehr hervor durch die größeren Kristalle, die ihn umrahmen. Wow. Wirklich.
Die Fotos werden wieder geschossen. Mehrere, wie wir das Tablett halten und dann, wie wir uns die Ringe gegenseitig anstecken. Azad nimmt meine rechte Hand in seine, drückt sie einmal, bevor er mir den Ring ansteckt. "Gefällt er dir?" Ich nicke. Der Ring ist wirklich wunderschön und in der Sonne funkeln die kleinen Kristalle. Seiner ist dagegen echt trocken. Ich komme mir gerade ein bisschen blöd vor, als ich seine Hand nehme und den Ring anstecke. Mich lenken die Venen auf seinem Handrücken ab, aber ich kann mich beherrschen, nicht allzu sehr draufzugaffen. Um uns herum wird geklatscht. Meine Mutter ist wieder am Weinen und steckt meine Schwägerin damit an. Kaum zu glauben, dass ich jetzt wirklich verlobt bin. Dijan jubelt euphorisch, weckt damit wieder das Gelächter aller. "Schwester, du hast es geschafft!" Ich kann mich nicht mehr halten und lache los. Selbst Azad neben mir ist sichtlich amüsiert von ihr. Durch die Sonne wirken seine Grübchen auf seinen rasierten Wangen noch tiefer. Es ist Zeit, den Kuchen anzuschneiden, aber nirgends finde ich das Messer. Dijan japst schon erschreckt nach Luft und holt schnell eins, nur um damit vor uns wie mit einem Schwert auf Hochzeiten herumzuschwingen und zu tänzeln. Ich bin beeindruckt von ihrem Mut und glücklich darüber, dass sie sich so sehr für mich freut und einsetzt. "Ich kaufe das Messer für meinen Bruder frei!", lacht Aras, der auf sie zukommt ... nicht, dass er ein Auge auf meine einzige Freundin geworfen hat. "Tausend Euro", spricht sie wagemutig aus und schon zückt Aras sein schwarzes Portmonee, um den ersten Hunderteuroschein auf das Silbertablett zu legen. Macht er das jetzt wirklich?
Der zweite grüne Schein legt sich hin. Aras scheint es wirklich durchzuziehen und sein süffisantes Grinsen lässt seine Brüder pfeifend jubeln. Seine Blicke liegen mir ein Ticken zu lang auf meiner Freundin, die sich nicht beeindruckt, aber amüsiert zeigt. Mit dem Messer breitet sie die Scheine aus und zählt vorsichtshalber noch einmal nach. "Es fehlen noch fünfhundert." "Keine Sorge, ich habe genug Geld, um meinem Bruder ein Stück Kuchen zu finanzieren", merkt er gelassen an und tatsächlich liegen jetzt eintausend Euro zwischen den zwei schwarzen Ringkästchen. Selbst die Kissen der Kästchen sind lila! "Da hast du das Geld." Dijan summt nur nachdenklich. "Ich weiß nicht. Schwester, reicht dir das?" Ich nicke schmunzelnd. "Dieses Mal bin ich großzügig. Eigentlich verlange ich fünftausend." "Dann gebe ich dir noch vier weitere Tausend." "Nein!", rufe ich hysterisch, als er wieder nach seinem Portmonee greift. Großer Gott, es ist schön, dass keiner in dieser Familie geizig ist, aber das ist wirklich zu viel des Guten. Dijan überreicht ihm lächelnd das schwarze Messer, damit Aras es uns zwinkernd gibt. Ich muss an mein Taschenmesser denken und an die lustigen Momente, in denen ich ihn abstechen wollte. "Stell dir mich statt des Kuchens vor", raunt Azad. Ich muss mir mein Lachen echt verkneifen. Das Messer liegt in meiner Hand, die von seiner bedeckt wird, als wir den ersten Schnitt ansetzen. Ich sehe sofort braunen Kuchenteig und noch dunklere Creme. Das wird ein Kuchen, den ich mit Liebe verspeisen werde.
Dijan hält aufgeregt den weißen Teller hin, gibt die Dessertgläser an Avdar weiter, damit sie sie schnell auffüllt. Hoffentlich Eistee, denn ich habe gerade richtig Lust darauf. "Der Mann muss der Frau das erste Stück geben", merkt Dijan streng an. "Natürlich. Ich will es mir weder mit meiner Frau noch ihrer Freundin vermiesen", erwidert Azad bescheiden. Seine Finger umschließen die Gabel so perfekt wie er das kleine Stück für mich durchtrennt und zu meinem Mund führt. Ich sehe das Neckende in seinem Blick, als er seine linke Augenbraue zucken lässt, beiße warnend auf die Gabel, als er mir das Stück in den Mund führt. Azad merkt den kleinen Widerstand mit einem amüsierten Schmunzeln an. Dass er sich jetzt so plötzlich zu meinem Ohr vorbeugt, gefällt mir überhaupt nicht. Dijan japst schon wieder nach Luft deshalb. "Ich hätte deinen Biss lieber an meiner Haut", raunt er. Dieser blauäugige ... er ist so schamlos! Ich will ihm am liebsten die Gabel durch sein teures Hemd drücken, aber stattdessen spiele ich mich gelassen und schneide ihm ein gutes Stück vom Kuchen ab. Das kann er doch nicht sagen, wenn sein Bruder nur vielleicht einen guten Meter von ihm steht! Ich lasse mir nichts anmerken, als ich die Gabel zu seinem Mund führe, aber kaum schließen sich seine schönen Lippen um das Metall, schiebe ich die Gabel einmal warnend weiter. Er erschreckt sich und zu meinen Gunsten lachen alle amüsiert. Auch Azad ist amüsiert und er nickt sogar anerkennend. "Guter Zug, Schneeflocke. Der Kuchen könnte durch deine Tat nicht besser schmecken." Ich fühle mich ein weiteres Mal wieder wie in einer anderen Dimension. Ich realisiere jetzt wieder, dass ich wirklich heiraten werde. Dieser Mann wird mein Mann, obwohl ich keine Liebe für ihn empfinde. Ich kenne ihn kaum. Ich fühle kaum und unsicher.
Und dennoch habe ich das Gefühl, dass er durch den Weg meines Herzes kommt.
__________________________
Und? Was sagt ihr?
Habt ihr mehr Vertrauen zu Azad?
- Helo
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top