Kapitel 10

Es ist jetzt eine Woche vergangen und überraschenderweise kam er kein einziges Mal zu meiner Arbeitsstelle. Nicht, dass ich es wollte, aber es hat mich überrascht. Wenn ich ehrlich bin, war mein erster Gedanke sofort, dass er dieses Angebot nicht mehr will, auch wenn mir ein Paket mit neuen Air Force und Jeans geliefert wurde. Ich habe sogar seine Nummer eingespeichert, um ihn zu fragen, ob er das Angebot doch nicht mehr möchte. Ich gehe immer vom Schlimmsten aus, um mich vorzubereiten und immer wieder habe ich genau das im Kopf. Ich stelle mir vor, wie ich ihm begegne und er mir sagt, dass er es sich anders überlegt hat. Deshalb wage ich es auch nicht, ihm zu schreiben, obwohl es alles Mögliche sein kann. Vielleicht hat er keine Zeit. Vielleicht ist er weg. Vielleicht ist er krank. Ich weiß es nicht und so gerne ich es auch wissen würde, kann ich mich nicht melden. Ich ... keine Ahnung. Wenn die Möglichkeit, meine Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen, platzt, dann will ich emotional vorbereitet sein, auch wenn ich noch nicht zugestimmt habe. Aber wenn man mal ehrlich ist, rede ich ja nicht umsonst mit ihm. Auch wenn ich misstrauisch bin, freue ich mich endlich mehr Kontakt zur Außenwelt zu haben. Ich hatte mir auch die Zeit genommen, mich mental auf das Treffen mit seiner Familie vorzubereiten, aber vielleicht war das doch zu früh. Keine Ahnung. Ich will nicht zu sehr daran denken, auch wenn meine Gedanken beim Präparate-Anfertigen immer zu ihm schweifen. Ich mache wieder Extrastunden in der Histologie. Diese Woche sind viele Biopsien eingeliefert worden und ich schneide gerade ein Paraffinblock mit Tumormaterial. Morgen übernehme ich dann höchstwahrscheinlich die Schnittherstellung für die Leiche eines 80-Jährigen. Es ist eine Niere und Niere bedeutet, dass ich wieder herzförmige Sammelrohre unter dem Mikroskop finde.

Ich wechsele Lord I Need You von Kanye West zu Alone Again von The Weeknd. Wir bräuchten einen kleinen Handstaubsauger für die Paraffinreste. Ich kriege jedes Mal einen halben Zusammenbruch, wenn ich den Rest zusammenkehre und er dann durch die Luft wirbelt, wenn ich ihn entsorgen will. Als ich mich einmal dann gebückt habe und mir alle Stifte aus der oberen Kitteltasche geflogen sind und Paraffinstücke an sich kleben hatten, war ich kurz davor, das Mikrotom kaputtzumachen. Seit dem Tag trage ich meine Stifte immer in der unteren Kitteltasche. So! Ich habe jetzt endlich einen schönen Schnitt, kann ihn ins Wasserbad legen und es auf den Objektträger ziehen - die einzige Aufgabe, die ich hier wirklich mag. Schaffe ich noch eine Färbung? Ein Blick auf meine Handyuhr sagt mir, dass es gleich schon 22:00 Uhr ist! Ich muss nach Hause! Der Histo-Chef kommt schon überrascht mit dem Blick auf die Wanduhr rein. "Avin, mach Schluss. Du kannst nicht bis nach Mitternacht hier ackern!", meint er besorgt. "Passt schon", murmele ich durch die Musik meiner Kopfhörer durch, die ich jetzt pausiere. Dr. Steinberger putzt für mich das Mikrotom frei, während ich die ganzen Schnitte lagere. "Ich schätze deine Hilfe sehr, Avin. Du bist eine große Entlastung." "Gerne." Ich lächele leicht. Dass ich es nur tue, um meiner Realität zu entfliehen, muss er nicht wissen. Vielleicht kann er es sich ja herleiten. "Schau Mal! Ich war letztens auf einer Fortbildung für Zytologie und wir haben uns Präparate angeschaut. Schau dir die Langerhans-Inseln mal an." Er tippt lächelnd auf seinem Handy herum und zeigt mir dann das Bild des Präparats. Ich schmunzele sofort bei der herzförmigen Ansiedlung, auch wenn es mir in der Seele brennt, auch als Ärztin jemals eine Fortbildung zu machen.

"Echt süß." "Oder? Ich musste sofort an dich denken. Das wird die neue Geburtstagkarte für meine Frau!", lacht er. Passenderweise ist seine Frau Allgemeinmedizinerin und Diabetologin. "Denkst du, wir können uns mal Handstaubsauger zulegen für die ganzen Wachsreste? Ich drehe noch durch mit diesen Dingern!" Dr. Steinberger seufzt nur. "Das können wir bei der nächsten Sitzung ansprechen. Dieses Mal kriegt die Mibi ja einen schönen MADLI-TOF und wir schicke neue Färbemöglichkeiten. Wir können froh sein, dass die alte Leitung weg ist. Bevor du angefangen hast, gab es einen anderen Chef und er hat an jeder Ecke gegeizt. Die Hämatologie wird jetzt auch die POX kriegen." Dr. Steinberger stellt die Mülltonne zurück und läuft mit mir aus dem Labor, als ich meine Jacke anziehe und den Kittel aufhänge. "Jetzt, mit der neuen Kooperation, stehen uns echt viele Chancen zu. Mehr Angebote, stärkeres Mithalten mit der Konkurrenz und, und, und. Uns werden in Zukunft Färbungen angeboten, die ich seit Jahren nicht mehr gemacht habe. Das füllt mich mit Nostalgie", lächelt er. Ich nicke halb lächelnd zurück. Immer, wenn ich einem Arzt bei seiner Leidenschaft zuhöre, versinke ich in Selbstmitleid. Ich will doch nur das. Mehr nicht. "Wir sehen uns dann morgen, Avin. Schönen Abend noch." Ich winke, weil er in die andere Richtung geht. Vermutlich ins Büro. "Dir auch. Bis morgen." Ich kann von Glück sprechen, so nette Chefs zu haben. So kommt mir mein Alltag wenigstens für einen Moment nicht zu eintönig vor.

Ich drehe mich zur Glaswand, als mein Herz einen Aussetzer macht. Oh Gott! Azad! Ich laufe schneller als eigentlich gewollt zur Tür, an der ich mich beim Aufdrücken ein wenig bremsen kann. Mein Herz schlägt verdammt schnell. Mir ist warm. Er ist hier! Wo war er? Ich will fragen, wo er war und wieso er jetzt wieder hier ist, aber ich will auch nicht, dass er denkt, seine Abwesenheit bedrückt mich oder sonstiges. "Hallo", murmele ich. Mir fällt seine Lederjacke auf ... er trägt T-Shirt und Jogginghose. Verdammt ungewohnt. "Hallo, Schneeflocke", ertönt seine tiefe Stimme, die so angenehm unter meine Haut geht. Wieso trägt er legere Kleidung? War er zu Hause und ist gekommen? Woher wusste er, dass ich heute so spät arbeite? Klar, er hat eine Akte von mir, aber im Vertrag stehen keine festen Uhrzeiten zu den freiwilligen Stunden im anderen Abteil. "Wieso trägst du diese Kleidung?", frage ich letztendlich, weil auch er mich stumm mustert. Er trägt wieder den silbernen Ohrring. Er trägt ihn nicht immer. Wieso eigentlich? "Ich bin gerade erst gelandet." Gelandet? Wie? Wo war er? Ich hebe überrascht meine Augenbrauen. "Wo warst du?" "In Kanada. Komm, ich fahre dich nach Hause." In Kanada? "Können wir ein wenig spazieren?" Meine Frage lässt ihn überrascht innehalten. Ich verstehe es ja selbst nicht. "Das Wetter ist echt angenehm und ich will es genießen." Ich habe ja schließlich nicht immer das Privileg, mit einem großen, bewaffneten Mann an meiner Seite um diese Uhrzeit spazieren gehen zu dürfen. "Komm." Ich hole ihn die zwei Schritte auf, die er angesetzt hat, damit wir gemeinsam weiterlaufen können.

"Was hast du in Kanada gemacht?" "Mich mit dem Vorsitzenden eines Forschungsteams getroffen für unser aktuellstes Projekt und ich hatte zwei Termine mit Kooperationspartnern." "Und du bist wirklich gerade erst gelandet?", hake ich nach. Irgendwie kann ich das nicht so ganz glauben. "Bin ich, Schneeflocke. Ich habe mir mein Auto genommen und bin hier hingefahren. Wieso arbeitest du so spät eigentlich? Hast du eine andere Schicht?" Ich will es verneinen, bejahe es aber doch. Er muss nicht wissen, dass ich nicht nach Hause will, um mit der eventuellen Tatsache enttäuscht zu werden, dass der Junkie wieder da ist, auch wenn es diese Woche erleichternd ruhig war. "Ist das oft so? Du solltest nicht immer so spät erst nach Hause. Hast du etwas gegessen?" Ich habe meinen Hunger mit fast zwei Litern Wasser und Müsliriegeln gestillt. "Geht so." "Definiere es." "Müsliriegel und Wasser." Und schon werde ich an meinem Oberarm zu seinem Auto gezogen. Ich lasse es zu. Ich will nicht nach Hause. "Dann passt es ja, dass ich gekommen bin. Wir gehen was essen." Er schaut über seine Schulter. Vielleicht, um zu schauen, ob ich widerspreche oder wegrennen will, aber ich bleibe. Ich will Ablenkung und Gesellschaft. Meine Hand will zur Klinke der Beifahrertür greifen, als sich dann auch seine dazu bemüht. Weil ich schneller bin, legt sich seine Hand ungewollt auf meinen Handrücken. Bei der Wärme seiner Haut muss ich wieder an den Moment vor dem Krankenhaus denken. Ich will mich nicht aus ihr entziehen, drücke sie einfach mit seiner Hand über meiner zu mir, damit ich einsteigen kann. Ich erschaudere aber trotzdem. Ich mag es immer noch nicht, wenn Männer hinter mir stehen.

Ich kann es mir nicht verkneifen, seine Statur zu betrachten, als er zur Fahrerseite läuft. Das weiße T-Shirt steht ihm wunderbar sowie die Lederjacke und schwarze Jogginghose, nur ist es ungewohnt, den sonstigen Geschäftsmann so zu sehen. Bei seinem Einsteigen vernehme ich einen Duft. Es ist sein Parfüm, aber es ist noch etwas. Ich schnüffele wie ein wahrer Hund die Luft des Autos ein. "Was ist?", fragt er mich. "Was riecht hier so?" Der Duft kommt mir bekannt vor. "Das ist das mein neuer Autoduft. Aus der Reihe, die du so gerne benutzt." Natürlich! "Ich mag den Duft. Du hast guten Geschmack, Schneeflocke." Was anderes geht als wählerische Person gar nicht. Wenn mir der Duft auf Anhieb nicht gefällt, will ich ihn nicht. Danach handele ich immer, wenn es um Konsum geht. Gefällt mir das Lied beim ersten Hinhören nicht, kommt es nicht in meine Playlist. Ist es ein Zwischending, höre ich es mir so oft an, bis ich mein Urteil gefällt habe. Ich lächele leicht. Es freut mich zwar, dass er so denkt, aber ich bin dennoch bedrückt. "Wo möchtest du essen?", fragt er mich. Ich zucke mit den Schultern. "Ist alles in Ordnung?" Ich nicke. Nur eine gewöhnte Woge der Bedrücktheit. "Mir egal, wo. Wo willst du essen?" "Die meisten Restaurants haben schon zu." "Pizzerien haben meistens noch auf. Wir könnten dahin." Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie er Pizza isst. Aber jetzt, wo er nicht im Anzug hier in seinem Maserati sitzt, wirkt es doch ziemlich vorstellbar.

"Kennst du eine Gute?" Er startet schon mal den Wagen und fährt raus. Ich verneine es. Ich finde selten Restaurants, die mich zufriedenstellen. Es ist meistens ein Befriedigend statt ein Gut oder Sehr gut. "Aber mit Pizza kann man nicht viel falsch machen. Meine kleine Schwester macht gute Pizzen." Ich weiß nicht, wieso ich es ihm erzähle. Ich spreche es aus, bevor ich mich noch unterbrechen kann. "Ich hoffe, ich kann sie eines Tages probieren, Schneeflocke." Hm. Eines Tages. Sicherlich nicht in unserer Wohnung. Ich antworte nicht darauf, spiele lieber mit meinen lackierten Nägeln herum, die durch die mangelnden Lichtverhältnisse schon schwarz wirken. "Willst du nur Pizza essen?" Jetzt, wo er fragt, würde ich am liebsten noch Pommes und Frühlingsrollen zerfetzen wollen. "Ich schaue einfach", erwidere ich leise. "Wie geht es deiner Mutter?", fragt er mich. Besser. "Gut und deiner?" "Auch. Und deinem Vater?" Besser. "Auch. Deinem hoffentlich auch." Er summt nur darauffolgend. "Darf ich fragen, was letztens passiert ist?" Eine Erinnerung an meinen Alltag. "Mein Vater hatte einen Schwächeanfall." "Ist er krank? Braucht er eine gewisse Therapie?" Nur Ruhe und regelmäßige Reisen, in denen er allein sein kann. Wie ich. "Nein, alles gut." "Sicher? Ich kümmere mich sofort darum." "Alles gut. Passt schon, wirklich. Trotzdem danke." Ich will gar nicht daran denken. Ich will es vergessen, aber es kommt immer wieder. Immer und immer wieder. Durch die Erfahrungen habe ich schon Trigger gegen Türklopfer und dem älteren iPhone-Klingelton entwickelt, weil nur der Junkie an der Tür klopft und sein kaputtes iPhone 6 nachts in Abständen klingelt, weil irgendein Hurensohn sein Geld von ihm will, statt verdient zu sterben.

Tief durchatmen, Avin. Ich will nicht, dass die Emotionen die Kontrolle übernehmen. Das tut mir nicht gut. "Ist wirklich alles in Ordnung?" Ist es so offensichtlich? "Manchmal hat man ruhigere Phasen", ist das Einzige, was ich von mir gebe. "Wie oft hast du sie?" "Ich bin eine ruhigere Person." "Und als du meinen Arm umschlungen hast, war es eine aktivere Phase?" Ich halte inne. Was soll ich darauf antworten? Er versteht das nicht. Und ich weiß, dass ich mir wieder gleich die Tränen unterdrücken muss, sobald das Thema doch zu weit angeschnitten wird. "War es", erwidere ich halb heiser. Ich muss Husten. Die Pollensaison tut meinen Atemwegen überhaupt nicht gut. Ich habe auch das Asthmaspray gewechselt und trage jetzt mein verziertes Flutiform mit mir herum. Wenn ich ehrlich bin, wollte ich eigentlich nicht mehr das Spray wechseln, weil ich das Hellblau plötzlich doch ganz okay fand, aber dann hatte ich schon das Rezept in der Hand. Immerhin ist die Gasflasche mit einem pinken Aufkleber verziert und passt farblich zu den Steinchen, die ich aufgeklebt habe. "Ich hatte nur einmal das Privileg, aber ich vermisse es." Er weiß es nicht. Er weiß nicht, was für ein Gefühl das in mir auslöst. Einerseits schmeichelt es mir und es macht mich glücklich, dass er so denkt, aber andererseits will ich ihn weiter von mir stoßen, weil ich Angst habe, dass er mir was vorspielt. Dass er doch ganz anders ist. Doch wie alle, die ich durch meine Umgebung erleben musste. Nur steht das Gegenargument, dass er nun mal anders aufgewachsen ist und aus guten Verhältnissen kommt schon fast kodominant mit meinem Pessimismus. Ich darf nicht verallgemeinern, aber aus Angst tue ich es. Aus Angst vor Enttäuschung.

Ich atme tief durch meine Nase, die plötzlich zu laufen beginnt. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Es hört sich schön an. Er betitelt es als Privileg und ja, es ist eins. Er ist der erste Mann, den ich in mein Leben lasse. Ob ich ihn so weit an mich heranlassen würde, wenn er mir nicht den Vorschlag gemacht hätte? Mein Leben wäre immer noch gleich monoton, wenn ich diesen einen Mittwochabend nicht durch die Siedlung gelaufen wäre und ich weiß nicht, ob ich mir deshalb dankbar sein soll. "Wie kannst du so schnell solche Gefühle haben?" Meine Frage gleitet schon fast verärgert über meine Lippen, aber ich kann mich auf den verständnislosen Ton abbremsen. Ist es, weil er so schneller die Frauen rumkriegt? Wäre nicht das erste Mal, dass ich sowas mitbekomme. "Hast du schlechte Erfahrungen machen müssen?", stellt er mir die Gegenfrage. Meine ganze verfickte Kindheit lang. "Man muss doch erst ..." Ich will ansetzen, dass man sich kennen muss, aber jetzt, wo er die Akte und das lange Gespräch mit mir hatte und die kleinen Konversationen vor meiner Arbeitsstelle, kann man das als Kennen definieren. "Man muss was, Avin?" Mich stört die unterschwellige Forderung in seiner Stimme. "Man muss sich doch erst richtig kennen." "Muss man sich wirklich erst richtig kennen, um ein schönes Gefühl vermissen zu wollen?" Ich finde keine Gegenargumente. Nur das Gefühl der Gänsehaut, die meine Arme und Waden nicht verlassen will. "Wenn man nicht bereuen will, es als schön deklariert zu haben, dann ja." "Ich werde es nicht bereuen." "Was macht dich da so sicher?", frage ich bemüht, nicht verzweifelt zu klingen. Wie kann er keine Angst haben, dass diese eventuelle Ehe ein Fehler sein könnte?

"Mein Gefühl." Mein Seufzen entweicht mir lautlos. Sein Gefühl. "Was sagt dir dein Gefühl, Avin? Fühlst du dich bereit, eine Ehe mit mir einzugehen?" Nein. Doch. Vielleicht. Ich weiß es nicht. Ich kenne dich kaum. Ich finde dich aber bis jetzt angenehm und ertragbar, aber du hast einen Menschen getötet. Weiß Gott, wie viele du davor getötet hast. Du bist ein unterschwelliger Krimineller und ich hasse Kriminelle, aber du bist trotzdem respektvoll zu mir und würdest mir all meine Wünsche erfüllen und du schenkst mir die Aufmerksamkeit, die ich verdiene. Ich brauche Luft. Ich muss raus hier. Mir geht es nicht gut. Ich bin froh, dass er anhält. Ich steige aus, laufe in das Lokal rein, ohne auf ihn zu warten. Ich will der Frage keine Antwort geben. Ich bin mir meiner Gefühle nicht klar. Wie denn auch? Das ist das erste Mal, dass mir ein Mann solche Fragen stellt. Es setzt mich unter Druck. Ich weiß es nicht. Ich weiß es verfickt nochmal nicht und es bringt mich um, nicht zu wissen, wie die Zukunft aussieht. Ich erwidere den Gruß des älteren, kleineren Besitzers, setze mich hinten in die Ecke und nehme schon die Menükarte zur Hand, damit ich mich vor seinen eisblauen Augen verstecken kann, die sich mir nähern. Ich weiß schon, was ich nehme, aber ich will mich nicht der Wahrheit stellen. "Was nimmst du?", fragt er mich. "Hollandaise, Mais, Zwiebeln." Wäre ein Helalsiegel oder Zertifikat hier irgendwo, würde ich Hähnchenbrust hinzufügen. Und gerade bin ich nicht sonderlich gesprächig, um zu fragen. "Dann nehme ich die gleiche Pizza. Willst du auch noch Pommes?" Ich nicke. Ich habe großen Hunger und bin unruhig. "Mit Mayo." Ich blicke nur kurz zu ihm hoch, um sein Nicken zu registrieren, ehe er nach vorne zum Bestellen geht.

Seine Stimme ertönt im ganzen großen Lokal klar und deutlich. Sie weckt die kurze Aufmerksamkeit des Pärchens und des glatzköpfigen Typen am Einzeltisch. Seine Hände sind in den vorderen Taschen seiner Jogginghose vergraben, sein Rücken ist gerade, seine Brust ist merklich durch sein Training gewölbt und trotzdem sitzt seine Lederjacke nicht zu eng. Sicherlich hat er eine Nummer größer geholt, damit sie am Rücken und den Schultern nicht spannt. Ich hole Geld aus meinem Portmonee, als mir dann einfällt, dass sein Mantel nicht hier ist, in den ich es reinstopfen kann. Ich lasse sie einfach im Auto unter den Sitz fallen. Er läuft zum Kühlschrank, wo er zwei Dosen Cola rausnimmt. Ich schaue ihn an. Sein Haar, sein Piercing, seine Schönheit. Sein Bart muss er vor Tagen sicherlich wieder rasiert haben, denn die Stoppel wirken sehr leicht auf seiner Haut. "Ich bin kein sonderlicher Pizza-Esser, aber ich bin mir sicher, dass es schmeckt." Es ist schön, dass er so zuversichtlich ist. Ich bin das komplette Gegenteil. Wenn Dijan mit einem neuen Restaurant um die Ecke kommt und mir sagt, dass es gut dort ist, weiß ich, dass es mir nicht gefallen wird. "Ist eine gute Kombination", murmele ich. Meine Nägel trommeln auf dem grauen Plastiktisch herum. "Trägst du immer dieses Dunkellila?" "Hab auch Dunkelgrün und Pinktöne." "Eine spezielle Lieblingsmarke des Nagellacks?" Ich schnalze die Zunge. "Nehme die Günstigsten einfach. Es ist unnötig, acht Euro oder mehr für eine kleine Flasche zu verschwenden. Die decken nicht einmal richtig und splittern trotzdem ganz vorne ab." Ich zeige ihm die gemeinte Stelle an meinem rechten Zeigefinger.

"Darf ich dir Fragen stellen?" Der abrupte Themenwechsel lässt meine Temperatur aufsteigen. Was will er wissen? Wie viel? "Kommt drauf an", schießt es sofort aus mir. "So weit, wie du es zulässt, Schneeflocke. Ich dränge dich zu nichts." Als wäre er vorbereitet, stützt er seine Unterarme auf dem Tisch ab und lehnt sich leicht zu mir vor. Sein Parfüm riecht gut. Welches ist es? "Fang an." "Hast du eine Lieblingsfarbe?" Ich verneine es sofort. "Lieblingsgetränk?" "Cola würde ich behaupten. Mineralwasser und ich mag auch frischgepresste Säfte. Orange-Zitrone. Manchmal auch mit Granatapfel." Paradoxerweise kenne und mag ich sie erst, seitdem der Junkie mir ab und zu welche gemacht hat. Er kann kochen und trotzdem nutzt er die Fähigkeit nicht, um sich endlich einen Job zu suchen. "Herzhaft oder Süß?" "Herzhaft." "Süß oder Sauer?" "Sauer." Ich hätte fast süß gesagt, weil es als Erstes kam. Ich mag allgemein Süßes nicht zu sehr, auch wenn ich meine Lieblingssnacks habe. "Weiße Schokolade oder Vollmilch?" "Zartbitter", schmunzele ich. Seine überrascht angehobenen Augenbrauen lassen mich erhitzen und doch erblühen. "Sommer oder Winter?" "Keins der beiden. Warmer Frühling, wenn überhaupt." "Einer Sache treu bleiben oder sich immer neu herumprobieren?" "Solange herumprobieren, bis man einer Sache treu bleiben kann." "Mir gefallen deine geschickten Antworten, Schneeflocke." Er nickt anerkennend. "Führst du dich immer wie ein Geschäftsmann in einem Bewerbungsgespräch auf?" Mein Schmunzeln wird stärker. Er sitzt so prüfend vor mir, nickt immer, als hätte ich die richtigen Begriffe während einer Prüfung genannt. "Ich bin nun mal ein Geschäftsmann, Schneeflocke. Mir gefällt dein Schmunzeln." Und es wird noch breiter.

Der Teller mit Pommes und Mayo wird uns gebracht sowie die frischen Pizzabrötchen mit mehreren kleinen Containern Soße und gewürzter Butter, die ich sofort beschlagnahme. Er öffnet mir alle Container und hält mir jetzt einen der drei mit weißer Soße hin. Oh! Knoblauch. "Das ist Aioli. Probier mal." Die andere Hälfte meines Brötchens tunke ich wieder in die Soße und halte es dann vor seine Lippen. Er betrachtet seelenruhig meine Hand vor seinen Mund, dann mich und wieder das Brötchen. Ich zögere einen kleinen Moment, als er dann seine Lippen spaltet, nähere mich seinem Mund sowie er sich meiner Hand nähert und weil er den Blickkontakt nicht abbricht, tue ich es. Meine Finger streifen fast seine Lippen, weshalb ich das Brötchen schon fast ängstlich in seinen Mund stupse. Mein Herz schlägt schneller, als hätte ich einem Krokodil Fleisch hingehalten. "Ich hätte auch deine Finger in meinem Mund willkommen geheißen, Schneeflocke. Keine Angst." Oh Gott. Ich muss schlucken. "Magst du es?", lenke ich das Thema wieder auf das Eigentliche. Er nickt. "Mit Aioli kann man selten etwas falsch machen", erwidert er. Es wirkt schon irgendwie süß, wie seine dürre Wange durch das Brötchen links ein wenig voller wirkt. Seine Hand greift nach seiner Cola, als er dann auf meine nickt. "Willst du nichts trinken?" "Ich trinke immer nach dem Essen, wenn ich außer Haus bin." "Wieso?" "Weil ich dann mehr essen kann. Wenn ich bezahle, will ich auch alles essen und nichts verschwenden. Ist so mein Ding", gebe ich am Ende schulterzuckend von mir. Er nickt wieder und setzt dann zum Trinken an. Mit meinen Nägeln komme ich oft dabei ins Straucheln, aber hier sind ja Messer und Gabeln, die ich nutzen kann, um die Dose zu öffnen.

Unsere Pizzen werden uns serviert. Erst jetzt fällt mir mein Hunger wieder ein. Ich habe die Pommes ja nicht einmal angerührt. Der Grund ist offensichtlich. "Haben die Schuhe und die Jeans eigentlich gepasst? Ich musste schätzen." Ich kaue die Pommes zu Ende, ehe ich antworte. "Ich habe beides noch nicht angezogen. Welche Größe hast du für die Schuhe denn geholt?" "37. Jeans 38." "Meine alten Air Force waren 36,5 und meistens trage ich 38 in Jeans. Manchmal 40, je nach Schnitt und Laden. Passt, danke." "Gerne, Schneeflocke. Wie war deine Woche so? Hast du mich vermisst?" Ich halte in meiner Bewegung inne und verfluche meinen Mund dafür, dass ich schmunzeln muss. Da hilft mir das Stück Pizza auch nicht. Was soll ich jetzt sagen? "Ich war froh, nicht wieder vom blauäugigen Mörder vor der Tür erschreckt zu werden." Seine rechte Augenbraue hebt sich neckend. "Blauäugiger Mörder? Ist das mein Kosename?" "Ja", lächele ich. Genug gelächelt. Ich muss essen und nicht flirten! "Passt doch. Du bist die Schneeflocke, ich der blauäugige Mörder. Beides kalt. Wie für einander geschaffen oder nicht?" Ich ... keine Ahnung, was ich darauf antworten soll. Die Spitze des Pizzastücks verbleibt zwischen meinen Schneidezähnen, wartet nur darauf, zerkaut zu werden. Ahnungslos zucken meine Schultern. Das ist mir doch zu viel. Mein Blick senkt sich verlegen auf meine Pizza. Ich bemerke, dass ich hibbelig werde. Mein rechtes Bein will wippen. Ich lasse es nur zu, weil er es nicht sieht. "Möchtest du einen besonderen Ort besichtigen?" Das ist eine echt gute Frage. Ich kenne kaum einen schönen Ort. "Eigentlich nicht. Ich bin nicht der sonderliche Reisetyp." Als ich wieder zu ihm aufschaue, beißt er gerade in sein zweites Stück Pizza. Wie gut er aussieht, wenn er etwas beißt und wie schön er es hält.

"Was tust du denn gerne, Schneeflocke? Außer mich zu verunsichern und dich so verschlossen wie möglich zu verhalten." Fast muss ich schmunzeln - das Kauen kaschiert es. "Nichts." "Wie? Arbeitest du und gehst dann nach Hause?" "Ja." "Kein Hobby?" "Nur das Lesen." Und selbst da brauche ich oft Anläufe, bis ich endlich ein Buch anfange. "Ich glaube, ich habe ein neues Hobby für dich, Schneeflocke." Mein Blick wird misstrauisch. Sein Schelm versteckt sich hinter dem Glitzern seiner Augen. "Nein", antworte ich. Was auch immer er vorhat, kann er vergessen. "Du weißt doch gar nicht, was es ist. Es wird sehr von Nutzen sein." "Nein, danke", erwidere ich warnend. "Wir probieren es aus. Morgen? Dann kannst du Sonntag ausschlafen und ich habe dich lange genug bei mir." Lange genug bei mir. Ich muss schlucken. Was will er machen? "Was ist es?" "Nur eine Kleinigkeit, die du lernen musst. Ach, übrigens." Seine linke Hand gleitet in seine Jackentasche. Als ich mein Taschenmesser sehe, japse ich nach Luft. "Du hast es mir gestohlen!" "Habe ich nicht, Schneeflocke. Du hast es bei mir vergessen und ich habe es während meines Aufenthalts in Kanada gerne bei mir getragen. Ich habe übrigens die Klinge geschärft. Die war ziemlich abgenutzt. Jetzt ist sie wieder extrem scharf. Schau." Er zieht den rechten Ärmel seiner Lederjacke hoch, sodass seine Armhaare freiliegen und gleitet mit der Klinge rüber. Meine Augenbrauen heben sich überrascht. Die Klinge entfernt seine Haare mit einem Zug. Die ist jetzt gefährlich scharf! Er befreit sie mit einem Taschentuch von den wenigen, dünnen Haaren und klappt es wieder zu. "Aber sei vorsichtig. Nicht, dass du dich verletzt." Ich nicke stumm, weil ich so überrascht bin. Er hat mein Messer bei sich gehabt. Das ist echt ... verdammt schön. Er schmeichelt mir.

Ich schaffe die Pizza nicht mehr, aber wenigstens haben wir die Pommes und Pizzabrötchen fertigbekommen. Die Pizza kann man noch erwärmen und genießen. Bei Pommes und Pizzabrötchen ist es ein wenig anders, deshalb habe ich mich am Ende lieber um sie gekümmert. Jetzt sitzen wir hier. Es ist gleich 23:00 Uhr. Ich nehme eins der Speisemesser neben mir zur Hand, um meine Cola zu öffnen. Die Kohlensäure erfrischt mich in Kombination mit der Kälte. Genau das, was ich jetzt brauche. Was machen wir morgen? Wohin will er? "Kannst du mir nicht einen Tipp geben?" Ich will es wissen! Er soll mich nicht so neugierig machen. "Hab was Bequemes an. Es kann sein, dass dir anfangs kalt sein wird, aber später wird dir sicherlich warm, also T-Shirt und Strickjacke oder Ähnliches." Jetzt bin ich nur noch verwirrter. Machen wir Sport oder was? Ich gehe alle Möglichkeiten durch ... nur habe ich kaum welche. Spazieren? Nein. Was zur Hölle machen wir, dass mir erst kalt ist und dann warm wird? "Willst du ein wenig spazieren?" Ja! "Gerne." Ich würde gerade nichts lieber wollen, als bei diesem angenehmen Wetter spazieren zu gehen. Wir erheben uns. Ich bringe unsere Teller weg, während er mit meiner Cola-Dose in der Hand auf mich vor dem Ausgang wartet. Ich gebe dem Besitzer noch 25 Cent Pfand und verabschiede mich. Meine Vorfreude steigt. Die frische Luft ist eine Therapie für mich und meine Seele. Am Himmel scheinen heute unzählige Sterne und dazwischen der Mond so strahlend, dass der Himmel heller als sonst wirkt. Ein schönes Tiefblau. "Du magst anscheinend Abendspaziergänge." "Ich liebe sie. Ich laufe nur deshalb öfter nach der Arbeit nach Hause." "Deine Umgebung wirkt aber nicht so sicher, habe ich das Gefühl." Das stimmt. Ich nicke. "Immerhin bin ich schon einem Mörder entkommen." Ich nicke bedauernd, höre ihn neben mir die Luft amüsiert durch die Nase stoßen.

Ich werde plötzlich von seiner linken Seite auf die rechte manövriert. Jetzt ist er derjenige, an dem die Autos vorbeifahren. "Wieso?" "Ist sicherer so." Oh. "Wie meinst du das genau?" Als ich einen Augenblick zu ihm schaue, wirken seine Gesichtszüge härter. "Falls jemand dir oder mir etwas antun will." Sein Blick senkt sich zu mir. Er gibt mir meine Cola. "Wenn, dann soll ich getroffen werden und nicht du." Mir wird kalt. Der Fakt erschüttert mich und leider ernüchtert er mich auch. Ich habe den essenziellen Punkt vergessen, dass er unter ständiger Überwachung leben muss, weil ihm Leute etwas antun wollen. Es betrübt mich. Ich schaue mich um, aber sehe niemanden. "Meine Männer sind überall. Sie sind wie normale Bürger gekleidet und nicht in Anzügen und Sonnenbrille unterwegs, wie man es aus Filmen kennt." "Also waren sie die ganze Zeit bei uns?" Seine Zunge schnalzt verneinend. "Aber vor der Pizzeria." Wenigstens das. Keine Ahnung, was ich davon halten soll. Es ist ja schön und gut, dass er beschützt wird, aber es ist auch beunruhigend, dass er beschützt werden muss. Wie wahrscheinlich ist es, dass er attackiert wird? Und wieso? "Schwebst du eigentlich oft in Gefahr?" Die Frage kommt neutral von mir, fast desinteressiert, weil ich mich darum bemühe. "Es gab schlechte Tage, aber bis jetzt sollte alles in Ordnung sein." "Und der, den du erschossen hast?", murmele ich vorsichtshalber leise. "Der war nicht von Relevanz", winkt er ab. Mein Handy klingelt. Es kann nur meine Mutter sein.

"Ja?"

"Avin, wo bist du?", fragt sie besorgt. Ich hätte ihr wenigstens eine Nachricht hinterlassen sollen.

"Bin mit einem Kollegen was essen. Er fährt mich danach."

"Wie lange noch?" Lass mich atmen, Mama. Ich will nicht nach Hause.

"Weiß nicht. Geh schlafen. Das dauert noch." Auch wenn ich weiß, dass sie trotzdem noch wach bleiben wird.

Das Gespräch dauert nicht lange. Da meine Schwestern sowieso noch wach bleiben, muss sie sich keine Sorgen machen. Mal abgesehen davon, dass ich von mehreren bewaffneten Männern beschützt werde. "Ich bin ein Kollege?" "Sollte ich meiner Mutter lieber sagen, dass ich mit einem blauäugigen Mörder unterwegs bin?", frage ich ihn spöttisch dreinblickend. Sie würde durchdrehen, wenn sie wüsste, wie ich ihn kennengelernt habe. "Nein, aber du könntest ihr sagen, dass ich dein Verlobter bin." Verlobter. Ich summe nur abwertend. Er ist ziemlich voreilig. Wir laufen eine Runde um den Block, als ich dann wieder ins Auto will. Nicht, weil ich nach Hause möchte, auch wenn ich morgen arbeiten muss, sondern weil ich so irgendwie mehr das Gefühl der Zweisamkeit habe. Eventuell auch, weil ich mich so sicherer fühle. "Woran hast du gedacht? Du bist plötzlich still geworden." "Keine Ahnung", antworte ich wahrheitsgemäß. Ich weiß nur, dass ich ernüchtert bin. "Mach dir nicht allzu viele Sorgen. Ich biete dir genug Sicherheit." Ob das wirklich der Wahrheit entspricht, weiß nur Gott. Ich werde immer müder. Morgen muss ich früh raus, aber ich will nicht. Ich will schlafen. Aber morgen ist das Treffen. Was machen wir? Wohin gehen wir? Ich bleibe still. Ich möchte sprechen, aber mir fällt nichts ein. Mein Blick fällt wieder auf ihn. Auf sein Profil. Auf die Schatten, die die Lichter um uns herum auf sein Gesicht werfen. Es wirkt so gemütlich, wie er dort sitzt. Die Hände gefaltet auf seinem Unterbauch, der Blick auf mich gerichtet. Verlobter. Er könnte mein Verlobter sein, wenn ich zusage.

Die Frage ist nur, wann ich zusagen soll und ob. Bis jetzt haben wir uns gut verstanden, aber wir kennen uns gerade einmal mehr als eine Woche. In einer Ehe sieht das anders aus. Und ich kann nicht warten, bis ich mich in ihn verliebt habe, für die Zusage. Und wie wird dann die ... Hochzeit? Wird es eine richtige Hochzeit sein? Es sagt mir gerade nicht wirklich zu. Ich habe keine Ahnung. "Tag oder Nacht?" Seine urplötzliche Frage reißt mich aus meinen Gedanken. Woher kommt das jetzt? "Nacht. Vor allem, wenn es warm ist." "Wegen der angenehmen Spaziergänge?" Ich nicke. "Laute oder leise Musik?" "Eher leise. Ich mag es nicht allzu laut." Jedes Mal muss ich die Musik in Dijans Auto runterdrehen. Ich könnte durchdrehen, wenn es so laut ist! "Buch oder Film?" "Buch." Ich schaue kaum Filme oder Serien. Ich habe nicht die Kraft dazu und lasse sie nur laufen, wenn ich in der Zwischenzeit etwas anders tun muss. Mich wachsen oder so. "Ein gewisses Lieblingsgenre?" "Ich mag medizinische Literatur und Romane, aber auch Islam und Psychologie." "Romane also? Liebesromane?" Ich kann mir mein wachsendes Schmunzeln bei seinem neckenden Ton nicht verkneifen, auch als ich ausweichend auf meine Hände schaue. "Eventuell." "Und würdest du auch einen Romanhelden als Mann haben wollen?" Wer nicht? "Scheint die einzige Welt zu sein, in der die Frau die Ansprüche kriegt, die sie wirklich verdient", erwidere ich statt des eigentlichen Jas - wenn man die toxischen Verhaltenszüge einiger Charaktere weglässt. "Und wer ist dein liebster männlicher Protagonist?" "Willst du ihn dir anlesen?", schmunzele ich und er nickt tatsächlich! Ich lache amüsiert auf. "Dann musst du entweder schon fast gelbe, grün-braune, grüne oder ein grünes und ein blaues Auge haben", grinse ich. Gott, mich überkommt schon wieder der Drang alle Werke von Helan zu lesen! Und bald kommen endlich neue!

"Dann gehe ich mir morgen Kontaktlinsen kaufen, Schneeflocke. Am besten mache ich die Autorin ausfindig und lasse mich von ihr beraten." "Solltest du", pflichte ich bei. So langsam kann sich mein Grinsen auch mal wieder beruhigen. "Wer weiß, Schneeflocke? Vielleicht werde ich die Inspiration ihres nächsten Buchs?" "Dann wäre es ihr erster Flop", kontere ich trocken. Sein empörtes Keuchen lässt mich dann aber doch aus meiner Fassade fallen und ich lache laut los. Seine gefasste Empörung wird mich noch im Schlaf zum Lachen bringen. "Du bist ziemlich frech", merkt er amüsiert an. "Das musst du wohl oder übel aushalten." Vor lauter Angriffslustigkeit stütze ich mich an der Armlehne an. "War das ein indirektes Ja?" Mein Lächeln wird sofort kleiner. Ich realisiere erst jetzt, was ich gerade eigentlich gesagt habe und sofort will ich zurückschrecken, als er mich an meinen Armen festhält. "Nein, bleib doch." Wie sanft seine Stimme darum bittet. "Passt schon", murmele ich. In den Momenten der Unbeschwertheit vergesse ich das Eigentliche. "So passt es doch besser." Auch er beugt sich zu mir. Ich will zurück, aber es wirkt so, als würde mich eine Kraft an meinem Rücken daran hindern wollen. "Ist es so nicht schöner?" Mir kommt keine Antwort über die gespaltenen Lippen. Ich weiß es nicht. Ja, es ist schöner. Nein, es ist nicht schöner. Vielleicht ist es schöner. Ich weiß es nicht. Auf einmal ist die Unbeschwertheit weg. Auf einmal ist der Fakt wieder da, dass ich einen Mörder heiraten muss, um meine Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen. Auf einmal ist der Fakt wieder da, dass ihn andere töten wollen und dass auch ich in Gefahr schweben könnte. Vielleicht sogar meine Familie! Daran habe ich überhaupt nicht gedacht.

Ich senke meinen Blick auf seine Brust. "Wieso verschließt du dich wieder?" Aus Angst. Aber sollte ich wirklich mehr Angst davor haben, meine Zufriedenheit zu erlangen, statt wieder der Routine meiner Monotonie ausgesetzt zu werden? Ich weiß es nicht. Ich habe mir doch schon so lange eine Änderung in meinem Leben gewünscht. Er sieht mich erwartungsvoll an, aber mir bleibt die Wahrheit im Hals stecken. Egal, wie gerne ich meine Ängste und Befürchtungen ansprechen möchte, es geht nicht. Es legt sich ein unangenehmer Druck in meiner Brust fest. Die Beklommenheit setzt sich auf meinen Rücken, will mich immer weiter herunterdrücken, bis ich meinen Blick wieder senke. Zum einen will ich jetzt einfach in den Arm genommen und gehalten werden und zum anderen will ich einfach nur fliehen und alleine sein. Ich will in meinem Bett liegen und doch will ich bis zum Morgengrauen in diesem Auto bleiben, nur um einmal endlich weg von meiner Eintönigkeit zu kommen. Ich hasse mein inneres Hin und Her. "Kannst du mich nach Hause fahren?" Der Motor schnurrt sofort, aber es übertönt nicht sein leises Seufzen. Ich schnalle mich wortlos an, beobachte die Lichter, die an uns vorbeiziehen. Mein linker Arm verharrt auf der Armlehne sowie sein rechter. Das ist mein einziger Trost gerade. Ich hoffe, meine Bedrücktheit lässt sich ausschlafen. Ich möchte den Tag morgen nicht verstummt und betreten mit ihm angehen. Ich möchte nicht, dass er wieder so endet wie jetzt. Ich möchte nicht, dass meine Unsicherheiten mich einholen.

Ich möchte nur nicht weiteren Enttäuschungen begegnen, die den letzten roten Fleck meines Herzes bedecken.

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