Gleichgesinnte

Mein Kopf schwirrt, als er von Lukes Gedanken erfüllt wird. Es ist, als ob er mich nur Bruchstücke hören lässt. Er kann anscheinend ganz genau kontrollieren, was bei mir ankommen soll und was nicht. Das habe ich noch nie geschafft. Nicht, dass ich es ausprobiert hätte. Sonst bin ich schließlich auch die einzige, die diese Fähigkeit besitzt. Plötzlich fühle ich mich nackt, schutzlos. Ich muss wie ein offenes Buch für ihn sein, und noch dazu wie eines das aufgeschlagen auf dem Tisch liegt. Fühlt Ben sich etwa so in meiner Gegenwart? Ist das der Grund, warum es ihm zu viel geworden ist?

"Sascha?", fragt Luke besorgt. Die Art, wie er meinen Namen ausspricht scheint so vertraut, als ob er mich schon ewig kennen würde.

Schon ewig kennen würde...Ich bekomme eine Gänsehaut, als ich genauer darüber nachdenke. Erst jetzt wird mir klar, dass er immer noch meine Hand festhält. Wütend ignoriere ich das warme Kribbeln, das die Berührung bei mir hervorruft und ziehe meine Hand abrupt weg.

"Du wusstest schon vorher, wer ich bin!", stoße ich hervor. "Woher? Ich hab dich vorher noch nie in meinem Leben gesehen!"

Er öffnet den Mund, wie um etwas zu sagen, aber schließt ihn dann schnell wieder, als ob er es sich anders überlegt hätte. "Das kann ich dir gerne erklären. Aber...vielleicht nicht hier."

Erst jetzt bemerke ich, dass wir die letzten in der Bar sind. Ist es wirklich schon so spät? Ich drehe mich zu dem Barkeeper um. Oh, verdammt. In meinem Unterbewusstsein habe ich mitbekommen, wie er überlegt hat, einzuschreiten. Er ist sich allerdings nicht ganz sicher, was er von der Szene halten soll, die sich gerade vor seinen Augen abspielt. Anscheinend hält er meinen Blick für eine Art Hilferuf, denn er kommt hinter dem Tresen hervor und schreitet bedrohlich auf Luke und mich zu. Na toll.

"Belästigt er Sie, Miss?"

Luke sieht erschrocken auf, und plötzlich sind alle Augen auf mich gerichtet.

"Oh Gott, nein, es ist alles in Ordnung, wirklich. Wir hatten nur eine ziemlich...lebhafte Diskussion."

Der Barkeeper mustert mich genau, anscheinend um ganz sicherzugehen. Ich lächle ihn beschwichtigend an und nicke Luke dann zu. "Wir sollten besser gehen."

Die kalte Luft draußen trifft mich wie ein Schlag und verstärkt nur noch die Kälte, die sich in mir ausgebreitet hat. Der schwächer werdende Rausch des Alkohols raubt mir neben dem euphorischen Glücksgefühl vor allem eines- meinen Mut. Kaum zu glauben, dass ich ein paar Stunden vorher mit einem völlig fremden Mann in einer Bar getrunken, gelacht, ja sogar geflirtet(?) habe, und jetzt einfach nur noch im Boden versinken will. Verstört richte ich meinen Blick auf den Boden.

Luke versucht mit einem Räuspern, meine Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. Wir sind ein paar Straßen entfernt von der Bar stehen geblieben. Er hat wieder das gewohnt lockere Lächeln auf den Lippen und wirkt auch ansonsten vollkommen entspannt. Für ihn ist gerade anscheinend nicht sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt worden.

"Du musst bestimmt nach Hause", sagt er mitfühlend. "Wir können ein anderes Mal weiterreden."

Schon werde ich von der Realität eingeholt, einer Realität in der ich quasi von zu Hause weggelaufen bin. Schnell verdränge ich die Gedanken, weil ich nicht will, dass Luke sie liest. Aber eigentlich ist es sogar eher unwahrscheinlich, dass er nicht weiß, was gerade in meinem Leben vor sich geht. Tut er etwa nur so, als ob er keinen Schimmer hat, dass ich nicht nach Hause kann?

"Okay, hör zu, es wird langsam echt arschkalt hier draußen und du siehst ganz schön durchgefroren aus. Willst du nicht einfach mit in meine Wohnung kommen? Ich mach dir einen Kakao, bring dir eine Decke, und wir reden."

Ich hasse es, dass Lukes Angebot fast verlockend klingt. Aber ich kann beim besten Willen nicht mit mit irgendeinem Fremden, den ich seit ein paar Stunden kenne, mit in seine Wohnung kommen. Nicht einmal heimatlos, und obwohl er die selbe Fähigkeit besitzt wie ich.

Ich beiße mir auf die Unterlippe. "Ich weiß doch gar nichts über dich. Woher soll ich wissen, ob du nicht ein Vergewaltiger oder Mörder bist? Gedanken lesen hin oder her."

Er lacht schallend und schüttelt amüsiert den Kopf. "Du bist echt was Besonderes, weißt du das? Und das meine ich vollkommen unabhängig davon, dass du Gedanken lesen kannst."

Das warme Gefühl kehrt wieder in meine Brust zurück. Wie macht er das nur, dass ich mich so...geborgen in seiner Gegenwart fühle?

Luke nickt nachdenklich und tritt ein paar Schritte näher an mich heran. Er holt tief Luft. "Also gut. Ich mach das nicht besonders oft, aber...ich schätze für dich kann ich eine Ausnahme machen."

Mit großen Augen schaue ich ihn an. Was könnte er damit nur meinen? Ganz vorsichtig legt er seine Hände an meine Schläfen. Ich schlucke und versuche mich möglichst nicht zu bewegen. Seine Augen sind geschlossen, er wirkt hoch konzentriert. Das ganze ist einfach nur überaus merkwürdig. Und dann geschieht es. Es ist wie ein Stromschlag, der mit voller Wucht durch mich hindurchfährt. Ich schnappe nach Luft. Es fühlt sich an, als ob ein Teil von mir aus meinem Körper herauskatapultiert worden wäre. Ich stehe zwar immer noch an der selben Stelle, aber ich sehe mich. Ich sehe alles, was er sieht. Durch seine Augen. Und nicht nur das, all seine Gedanken, Gefühle und Empfindungen befinden sich auf einmal in meinem Kopf. Oder ist sein Kopf plötzlich meiner? All das ist beinahe unmöglich in Worte zu fassen.

Aber das, was am Meisten hervorsticht, sind seine Absichten. Nämlich genau die, die er mir gegenüber geäußert hat. Er stellt keine Gefahr für mich da, das weiß ich jetzt ganz genau. Nur für den Bruchteil einer Sekunde meine ich etwas Dunkles am Rande seines Bewusstseins wahrzunehmen, aber die Empfindung ist so schnell wieder verschwunden, dass ich mir noch nicht einmal sicher bin, ob ich sie mir nicht nur eingebildet habe. Plötzlich ist alles vorbei und ich bin wieder ich. Panisch schnappe ich nach Luft, und Luke reibt entschuldigend meine Schultern.

"Tut mir leid. Das war nur die einzige Möglichkeit, dich zu überzeugen. Menschen sagen eine Menge Dinge, die sie eigentlich nicht so meinen, das weißt du wahrscheinlich besser als jeder Andere." Luke lächelt schwermütig.

Er hat so recht. Sogar Gedanken kann man verdrängen oder unterdrücken, aber niemals Gefühle. Ich habe gerade ja quasi in ihn hineingeschaut. "Heißt das etwa...dass ich das auch kann? Jemanden in mich hineinsehen lassen?", flüstere ich ehrfürchtig.

Er nickt. "Ja. Aber das erfordert eine Menge Übung. Genauso wie alles Andere, das mit unserer Fähigkeit zu tun hat." Er streckt mir seine Hand hin und wir schauen uns in die Augen. Seine Geste hat auch eine symbolische Bedeutung.

Mein Herz rast in meiner Brust, und in diesem Moment weiß ich, dass nach heute Nacht nie wieder etwas so sein wird wie zuvor. Ich kann mich immer noch umentscheiden. Ich könnte mich umdrehen und wegrennen, so tun, als ob das alles niemals passiert wäre. Aber die Wahrheit ist, niemand ist gerne anders. Nein, wenn dir der erste Mensch, der so ist wie du, die Hand reicht, dann nimmst du sie auch.

Und genau das tue ich. Ich verschränke meine Hand mit seiner und wir laufen durch die Nacht; die Ungewissheit lauert wie ein großes Ungetüm über uns. Doch die Wahrheit ist, ich habe mich noch niemals zuvor lebendiger gefühlt.

Ich bedanke mich an dieser Stelle erstmal ganz herzlich für die Kommentare und die vielen Reads, auch wenn ich noch nicht allzu viel geschrieben habe scheint die Story ja ganz gut anzukommen, wenn ihr wollt könnt ihr mir ja eure Vermutungen schreiben, wie ihr denkt dass es weitergeht, oder eben einfach generell eure Gedanken, so lange bis es wieder neue Updates gibt ^^

Cheers!

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