29 | Erwischt
„Und was tun wir als nächstes?" George versuchte ganz offensichtlich den unangenehmen Moment zu überbrücken, in welchem ich geschüttelt von dem Geschmack des Seetangs hustete und würgte.
„Wie was tun wir als nächstes? Wir haben alles erledigt, was möchtest du jetzt noch?" Mir war schlecht, mein Magen rebellierte heftig gegen das Gift. Er ließ seinen Blick über die vereisten Ländereien schweifen.
„Ich hab eine Idee, komm mit." Bevor ich protestieren konnte lief er schon los und nach einem kurzen Zögern folgte ich ihm.
Kurz hatte ich keinen Schimmer wo er mich hinführte, doch schnell war klar, dass es ihn in die Eulerei zog, wo wir uns zwischen die kurrenden Vögel setzten und von dort oben einen wunderschönen Blick auf Hogwarts und den See hatten. Weit entfernt glitzerten die schneebedeckten Berge und plötzlich spürte ich das dringende Bedürfnis einfach fortzugehen, weit weg von hier und der Magie. Mein Herz zog sich zusammen und ich dachte an ein Leben mit lebenden Eltern und ohne eine Ahnung von dieser Welt. Wie würde das wohl aussehen?
Ich würde Freunde haben, mit denen ich über die Schule und Serien reden konnte, Freunde die mich nicht an den Tages Propheten verraten wollten oder wegen meines Namens hassten. Ich würde mich mit meinen Eltern über belanglose Dinge streiten und das Gefühl haben, dass alles unfair war, doch trotz allem wäre ich glücklich. Manchmal wünschte ich mir wirklich, dass dieser Brief niemals den Weg zu mir gefunden hätte.
George sah mich lange an, während ich meinen Gedanken nach hing.
„Also nochmal zu deinem Vater", setzte er behutsam an, „natürlich weiß ich nichts von ihm direkt, aber Fred und ich fanden vor Jahren ein komisches Pergament in Filchs Schreibtisch, er hatte es irgendwann mal konfisziert. Wir wussten lang nicht was es damit auf sich hatte, doch wir fanden heraus, dass wenn man ‚Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin' sagt, eine detaillierte Karte von Hogwarts auftaucht, die jeden Bewohner und seinen aktuellen Standort zeigt, so haben wir auch von allen Geheimgängen erfahren. Naja, diese Karte hat dein Dad mit seinen Freunden gemacht, als sie selbst noch in Hogwarts waren." Ungläubig lauschte ich seinen Worten, davon hatte ich nichts gewusst.
„Woher willst du wissen, dass mein Dad sie gemacht hat?" Fragte ich verwundert, dass hätte jeder gewesen sein können.
„Die Macher der Karte standen auf der ersten Seite; Moony, Krone. Tatze und Wurmschwanz." Bei diesen Worten zog sich mein Herz zusammen. Seitdem ich wusste, wer eigentlich für den Tod meiner Eltern verantwortlich war, konnte ich Ratten nicht mehr ansehen.
„Sein Name neben seinem ist eine Beleidigung." Presste ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor, er hatte meine Familie an Voldemort verkauft und somit bewiesen, dass sein Animagus zurecht eine Ratte war.
„Das konnte keiner ahnen." Sagte George beruhigend, doch das half nichts, meine Hände begannen heftig zu zittern, allerdings war ich mir nicht sicher ob vor Wut oder vom Gift.
„Und wo ist die Karte jetzt?" Ich würde alles tun, um sie in den Händen halten zu können, etwas, dass meinem Vater gehörte, etwas dass er selbst einmal in den Händen hielt. Ein Stück von ihm.
„Wir gaben sie deinem Bruder, letztes Jahr." Flüsterte George in die eisige Nachtluft und das Blut gefror mir den Adern, wie hatte Harry mir das vorenthalten können? Ein Jahr lang, dachte er etwa, dass ich kein Recht darauf hatte? Das hatte ich und ich würde es schnellstmöglich einfordern.
„Tut mir leid ..." Ich unterbrach ihn schnell.
„Oh nein, entschuldige dich jetzt bitte nicht, es ist nicht eure Schuld, es ist seine. Es war seine Entscheidung sie mir nicht zu zeigen, das ist unverzeihlich." Mein Blick glitt hoch zum Schloss, wo er jetzt vermutlich im Bett lag und an nichts Böses dachte, dieser Verräter.
„Komm schon, er hat es bestimmt nicht so gemeint." Versuchte George es nochmal, doch ich schüttelte heftig den Kopf, meine Haare flogen wild durch die Gegend.
„Er wollte sie nur nicht teilen, dabei ... Weißt du, ich ... Er hat alles bekommen. Das Verließ in Gringotts, den Ruhm, die Aufmerksamkeit von Dumbledore, die Liebe unserer Eltern, die ihn vorm Tod beschützte, den Tarnumhang und jetzt auch noch die Karte. Ich möchte nur einmal das Gefühl haben, dass ich ihnen genauso viel bedeutet habe wie er. Ich möchte auch etwas von ihnen haben, aber es ist alles für ihn. Das ist einfach nicht fair." Wütend ballte ich meine Fäuste und blinzelte die heißen Tränen weg.
„Sie haben dich genauso geliebt wie ihn, das fühlt sich nur grade so an, ich bin sicher das es irgendetwas gibt, dass sie nur für dich bestimmt haben." Er lächelte und ich zuckte nur die Schultern, es war letztendlich auch egal, ich hatte genug von all dem.
„Was auch immer, warum sind wir hier?" Ich wechselte schnell das Thema, bevor es noch zu persönlich wurde.
„Ich mag die Aussicht, es hat etwas beruhigendes, findest du nicht? Ich komme manchmal gern hier hoch um mal den Kopf frei zu kriegen und du wirkst so, als könntest du das dringend gebrauchen."
Da hatte er nicht Unrecht, alles passierte momentan gleichzeitig, mein Kopf drohte zu explodieren, doch ich fühlte mich nicht besonders gut.
„Ich denke wir sollten langsam gehen, es wird kalt." Damit stand ich auf und rieb mir mit zitternden Händen über die fröstelnden Arme, mein Atmen stieg in kleinen Wolken ins Gebälk der Eulerei empor. Den Vögeln schien die beißende Kälte nichts auszumachen, der Großteil von ihnen war ausgeflogen, nur ein paar saßen in kleinen Nischen oder auf Stangen und beäugten uns misstrauisch.
„Wie fühlst du dich, also wegen dem Gift?" George sah schon wieder so besorgt aus und ich zwang mir ein Lächeln ins Gesicht.
„Alles gut, ich bin nur müde und möchte ins Bett, komm schon."
Das war nicht nur gelogen, ich war tatsächlich ziemlich müde und sehnte mich nach meinem Bett, aber gut ging es mir nicht. Die Übelkeit machte sich immer breiter und meine Hände zitterten nach wie vor, dass hatte allerdings nichts mit der Kälte zu tun und hin und wieder verschwamm mein Sichtfeld.
Schweigend stiegen wir die vereisten Stufen hinab, zweimal rutschte ich aus und wäre fast die Treppen hinunter gefallen, hätte George mich nicht festgehalten.
Schlussendlich schafften wir es aber unversehrt bis in die Kerker, wo ich mich vor unserem Portrait von ihm verabschiedete.
„Gute Nacht." Sagte ich knapp und unterbrach damit eine unangenehme Stille, er grinste schief, etwas Bitteres lag in seinem Blick, ich konnte es aber nicht deuten.
„Nacht, Lil." Das Bittere verschwand und Wärme trat an dessen Stelle, ich lächelte und drehte ihm den Rücken zu, er schritt den Korridor hinunter und verschwand schon bald um die nächste Ecke.
Leise murmelte ich das Passwort und trat in den Gemeinschaftsraum, der still und verlassen da lag.
Plötzlich wurde ich von gleißendem Licht geblendet, ich schrak panisch zusammen und hielt mir die Hand vor die Augen.
„Wir haben dich erwartet." Sagten zwei Stimmen völlig synchron, ich verstand immer noch nichts.
„Was zum ..." Setzte ich an, doch mir blieb die Spucke weg, als das Licht etwas dunkler wurde und ich die zwei erkannte, die da mit ihren Zauberstäben auf einem der Sofas saßen und mich böse ansahen.
Draco und Maisie. Verdammt.
„Hey Leute." Sagte ich so locker wie möglich, doch es war zu befürchten, dass es nicht sonderlich authentisch rüber kam.
„Das ist alles, was du zu sagen hast?" Fragte Maisie dramatisch und Draco seufzte.
„Ich dachte wir wollten das theatralische weglassen." Ich musste mir kurz ein Grinsen verkneifen, Maisie ignorierte ihn einfach und richtete ihre gesamte Aufmerksamkeit auf mich, ihre Augen hatten etwas stures an sich und ich versprach mir in diesem Moment, nicht mit ihr zu diskutieren, ich würde verlieren.
„Wo schleichst du dich des nachts rum?" Ihre Stimme war nach wie vor verstellt tief und anklagend.
„Ich musste ein bisschen spazieren gehen um den Kopf frei zu kriegen, Euer Ehren." Sagte ich sarkastisch und entlockte ihr ein schwaches Lächeln, ihre Rolle fiel von ihr ab.
„Und du denkst, dass wir nicht bemerken würden, dass du komplett angezogen ins Bett gehst und dich dann raus schleichst wenn du denkst, dass alle schlafen? Ich habe schon letzte Nacht etwas bemerkt und es Draco erzählt, diese Nacht haben wir dich reingelegt. Er hat sich hier im Gemeinschaftsraum versteckt und ich habe nur so getan als ob ich schlafe." Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich kampflustig an, ich biss mir nervös auf die Wange.
„Fragt sich jetzt nur, warum meine beste Freundin mich belügt und Alleingänge macht." Fügte Draco noch hinzu und damit war alles gesagt, dass ich brauchte um ein schlechtes Gewissen zu haben.
„Ich mache nichts Dummes, versprochen Leute." Sagte ich schnell und musste mich zusammen reißen um nicht aufzugeben, ich belog sie schon wieder.
Draco stand auf, er sah nicht länger wütend, sondern besorgt aus, er kam auf mich zu.
„Aber was machst du denn, dass du dich selbst vor uns davon stiehlst?" Er stand jetzt vor mir und ich sah in seine hellen Augen, sie schimmerten im kalten Licht seines Zauberstabs, ich biss mir auf die Lippe, ich konnte nicht noch mehr Lügen.
„Also ... Ich ... Okay." Ich nickte schnell und gestresst und setzte mich auf einen nahestehenden Sessel.
„Ihr wollt die Wahrheit? Ich habe mich mit meinem Ballpartner getroffen, okay? Es soll ein Geheimnis bleiben, deshalb haben wir uns raus geschlichen, ich wollte nicht das es Gerede gibt, außerdem war es mir irgendwie peinlich vor euch, ich will nicht, dass ihr mich für eins dieser hirnlosen Mädchen haltet, die nur noch an Typen denken und Herzchen auf ihre Hausaufgaben malen." Ich fügte dieser nur halb gelogenen Geschichte noch einen zerknirschten Gesichtsausdruck hinzu und schon wich sämtliche Sorge aus ihren Gesichtern.
„Oh Merlin, ich dachte schon du steckst in echten Problemen." Stieß Draco hervor und zu meinem Entsetzen zog er mich hoch und in seine Arme.
Wie erstarrt stand ich da, fest an seine Brust gedrückt und sog seinen Duft ein. Er roch nach Kiefernadeln und Schnee, wie ein kalter Wintertag. Nach einer Zeit erwiderte ich die Umarmung und klopfte ihm etwas unbeholfen auf die Schulter.
„Es ist alles gut, es ist nur ein dummes Teenagerproblem." Wie sehr ich mir wünschte, dass meine Worte wahr waren.
Immerhin hatte ich sie jetzt nicht komplett belogen, George war ja wirklich mein Ballpartner und es würde wirklich Gerede geben. Er ließ mich los und hatte schon wieder sein verschmitztes Grinsen drauf.
„Und? Sagst du mir jetzt wer der Glückliche ist?" Ich verdrehte die Augen und sah zu Maisie, die zufrieden und belustigt aussah, sie hatte es auch geschluckt.
„Nein, dass werde ich nicht, aber wie wäre es, wenn ihr mich das nächste Mal einfach fragt und nicht einen verrückten Plan ausheckt, in dem Maisie sich wie der Pate aufführt, vertraut ihr mir nicht?" Für die letzte Frage hätte ich am liebsten selbst getreten. Irgendwann musste ich ihnen erklären, was ich wirklich mich George getan hatte und dann würden sie mir vermutlich nicht mehr vertrauen. Ich war die schlimmste Freundin aller Zeiten.
„Tut uns leid ..." Sagte Maisie vom Sofa aus und ich schüttelte nur den Kopf.
„Wer ist der Pate?" Draco hatte seine Stirn in Falten gelegt und sah mich verwirrt an, ich musste lachen. Immer wieder vergaß ich, dass der Großteil meiner Freunde nichts über die Mugglewelt wusste.
„Das ist ein Mafiafilm, ein Klassiker in der Mugglewelt." Erklärte ich kurz, doch seine Verwirrung wurde nur noch größer, Maisie schüttelte sich inzwischen vor Lachen. Sie war ein Halbblut, sie wusste wer der Pate war.
„Guckst du den irgendwann mal mit mir?" Fragte Draco und ich nickte versöhnlich.
„Ja, mach ich, aber jetzt will ich ins Bett, klar?" Damit löste sich die Runde auf und gemeinsam mit Maisie ging ich zurück in den Mädchenschlafsaal. Gleichmäßiges Atmen und hin und wieder das Rascheln von Stoff auf Stoff erfüllte den Raum. Stumm wünschten wir uns eine gute Nacht und ich schlüpfte aus meinem Klamotten.
Als ich endlich die Decke über mich zog, war ich so erleichtert, dass ich das Gift in meinen Adern für eine Sekunde vergaß, doch das hielt nicht lange an. Im Morgengrauen musste ich die nächste Dosis nehmen, bei dem Gedanken drehte sich mir der Magen ein zweites Mal um.
In dieser Nacht schlief ich nicht sehr gut und durchlebte Fiebertraum artige Visionen, die mich im Halbschlaf erschaudern ließen.
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