Dunkelheit

Cole Sprouse als Lennox

Kurzgeschichtezum Schreibwettbewerb von pulmera18

Ca. 1.500 Worte

Lyrics: "SELFM4DE" von Tj_Beastboy

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"Sie lachen über mich, weil ich anders bin.
Aber ich lache über sie, weil sie alle gleich sind."
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Die Musik dröhnte laut durch die Dunkelheit. Lennox hatte das Gefühl, mit jedem Bassschlag ein Stückchen zu wachsen. Jede Zeile der Musik machte ihn stärker, jedes Wort ließ ihn klarer denken. Für seine Begleiter war es nur Musik, für Lennox war es sein Lebenselexier, sein persönlicher Stein der Weisen.
Es interessierte ihn in dieser Nacht nicht, dass sie die gesamte Nachbarschaft vom Schlaf abhielten. Es war schon längst Mitternacht, und vermutlich würden bald die ersten Anwohner die Polizei verständigen. Diese würde dann Drogen in den Taschen von Lennox' Begleitern feststellen, in ihrem Blut, in ihrem Kopf.

Lennox hatte ihre Namen längst vergessen, doch sie erschienen ihm nicht so wichtig, weshalb er nicht noch einmal nachfragte. Es war ohnehin nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich einen neuen 'Freund' suchten, den sie in Schwierigkeiten bringen konnten. Noch höchstens eine Woche, dann war Lennox nicht mehr interessant genug, unwichtig. Man würde sich auf dem Flur zunicken, und ab und zu mal miteinander sprechen. Die Clique, der er sich angeschlossen hatte, um keine Probleme mit ihr zu bekommen, war bekannt dafür, rebellisch zu sein. Rebellisch bedeutete in dieser Welt allerdings nichts anderes, als sich Nachts zu besaufen, mit gefälschten Ausweisen auf Parties zu gehen, für die sie zu jung waren, und sich gegen die liebenden Eltern zu wenden, die daheim langsam verzweifelten.

Für Lennox galt das nun auch. Er war ein Rebell, ohne, dass jemand die wahre Rebellion in seinem Inneren sah. Ein ständiger Kampf mit sich selbst, nach außen hin die coole Fassade, die er bewahrte. Lange Zeit war er naiv gewesen. Er hatte auf die Frage "Wie geht es dir" ehrlich geantwortet. „Scheiße", hatte er damals gesagt, und doch tatsächlich darüber reden wollen. Kein Wunder, dass seine Freunde sich abgewendet hatten, und er plötzlich wieder allein dastand. Aber dadurch hatte Lennox gelernt, dass man niemandem wirklich vertrauen sollte. Schlussendlich sicherte jeder Mensch sein eigenes Überleben in einer Gesellschaft, in der es jeder gewohnt war, schneller und besser sein zu müssen, als alle anderen.

Ey, jetzt mal Hands down, bist du stolz?

Lennox unterdrückte ein Seufzen. Er war nicht stolz auf sich. Er war nicht stolz, auf das, was er erreicht hatte, dass er nun zu denen gehörte, die fraßen. Sonst hatte er das Schauspiel von außen beobachtet, abgeschottet, unbeachtet. Bis er in seine Klasse kam. Kurz sah er zur Seite, wagte einen Blick zu Akita, wie er sich nannte. Der Kämpfer. Und nichts passte besser als dieser Name. Akita war eine Ausnahme, die Farbe in der grau-schwarzen Masse, die sich gegenseitig verschlang. Er stand irgendwo dazwischen und gleichzeitig direkt an der Spitze. Blau-weiß-rosa schritt er voran, und versuchte, das beste aus seinem Leben zu machen.
Er nahm die Drogen nicht, um cool zu sein, er nahm sie, um für eine kurze Zeit dem zu entfliehen, was ihn niedermachte. Der Realität.

Nachdenklich musterte Lennox den Jungen. Es schien, als würde er mit jedem Schritt einen regenbogenfarbenen Fußabruck hinterlassen, ein Zeichen. Sie wären perfekt, doch Akita war unerreichbar für Lennox. Sein silber gefärbtes Haar ließ ihn unnahbar erscheinen, die leichten Muskeln, die sich unter seinem Shirt abzeichneten, gaben ihm etwas kämpferisches und wenn er Lennox aus seinen ungewöhnlichen, durchdringend grünen Augen ansah, hatte dieser das Gefühl, als könnte sich alles zum Guten wenden. Als seien all die Probleme um ihn herum, all die Ignoranz, nicht so schlimm.

Wie definierst du Erfolg?
Was siehst du, wenn du von der Zukunft träumst? Siehst du dich selber lächeln oder 'n Rolls Royce?

Um sich selber abzulenken, konzentrierte sich Lennox wieder auf die Musik, die ihn schon seit viel zu vielen Monaten vorm Abrutschen bewahrte. Sie war seine Droge. Mehr brauchte er nicht. Musik. Und Akita.
Nur für ihn war er Teil der Clique geworden, hatte ihr Angebot angenommen, mit den Leuten Zeit zu verbringen, die er sonst immer als Mörder betitelt hatte.
Mit der Zeit wurden sie weniger. Die Jugendlichen gingen heim, bis sie nur noch zu zweit waren.
Nur noch Akita und Lennox. Nur noch sie beide.
„Das ist deine Playlist, nicht wahr?", durchbrach Akita die Stille zwischen ihnen, und sah ihn von der Seite an. Lennox nickte verunsichert. Sein Herz raste, sein Körper fühlte sich viel zu warm an, dafür, dass die Luft eigentlich ziemlich kühl war.

Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. In Lennox Kopf war nichts als Leere. Was er sagte, wie er ging, wie er sich bewegte - all das schien von allein zu geschehen. Er konnte es nicht steuern. Das Kribbeln in seinem Körper betäubte ihn besser, als Drogen es jemals könnten.
„Willst du mit zu mir?", fragte Akita weiter, und blickte kurz hoch zu den Sternen, „Ich habe gehört, dass du kein Zuhause hast."
„Ich-", Lennox brach kurz ab, um dann nochmal zu beginnen: „Ich habe ein Zuhause. Es ist bloß nicht besonders schön dort, weißt du? Meine Mutter trinkt... Und mein Vater ist völlig überfordert mit meinen Geschwistern. Ich will ihnen nicht auch noch auf der Tasche liegen."

„Wo schläfst du normalerweise?", Akitas Stimme war leise, gerade noch tönte sie über die Musik hinweg in Lennox' Ohren.
„Hier und dort", antwortete Lennox, und zuckte mit den Schultern. Er wollte nicht darüber sprechen, nicht über sich sprechen. Im Leben ging es nicht um ihn, also warum tat Akita so, als wäre es so? Doch dieser schien neugierig zu sein, fragte ihn weiter aus. Unterdessen liefen sie eine Straße entlang, in der Lennox noch nie gewesen war. Gewöhnliche, vielleicht etwas ältere Häuser lösten die Villen der anderen Cliquen-Mitglieder ab.

Akita stellte die Musik leiser, und verlangsamte seine Schritte, bis er anhielt. Sie standen vor einem kleinem, rotbraunem Häuschen mit gepflegtem Vorgarten. Bis auf ein Fenster waren alle dunkel. Hinter dem erleuchteten Fenster zeichneten sich die Silhouetten zweier wild gestikulierender, erwachsener Menschen ab, ein Mann und eine Frau, wie Lennox glaubte, zu erkennen.
„Wenn wir reingehen, musst du kein Wort zu meinen Eltern sagen. Lächle einfach. Meine Mutter ist taub, und mein Vater wird sich nicht für uns interessieren", erklärte Akita, während er das Gartentor aufschob. Die Musik endete nun, und ließ Lennox allein in einer Situation zurück, die ihn schon jetzt überforderte.

Unsicher folgte er dem, völlig in schwarz gekleideten, Jungen, den er noch nicht allzu oft getroffen hatte, dem er allerdings längst verfallen war. Dieser nestelte kurz an seiner Jackentasche herum, und zog dann einen Schlüssel hervor. Mit großen Schritten durchquerten sie den Garten, um kurz darauf das Haus zu betreten. Lennox schlug sofort eine wohlige Wärme entgegen und der Geruch von Pfannkuchen hing noch leicht in der Luft. Das Essen musste schon etwas her sein.
„Komm, wir gehen hoch in mein Zimmer", flüsterte Akita, und hintereinander eilten sie die Treppe hinauf, und oben den Flur entlang.

Als sie ein Zimmer betraten, hüllte Lennox die Dunkelheit vollständig ein. Zuvor war noch Licht von den Laternen draußen nach innen gedrungen, doch hierher kam kein Stück Licht.
„Komm", eine Hand griff nach seiner. Weiche, warme Haut schmiegte sich in Lennox' Handflächen, und ohne zu antworten ließ er sich durch die Dunkelheit ziehen. Nur unsicher trat er vorwärts, und gleichzeitig fühlte er sich unglaublich geborgen in Akitas Nähe, er wusste, er war sicher, würde nirgendwo gegen prallen.

„Setz' dich", Akita drückte ihn vorsichtig runter, und kurz darauf spürte Lennox Stoff unter sich. „Mein Licht ist ausgefallen, und um ehrlich zu sein... Ich habe nicht das Bedürfnis danach, etwas zu sehen."
Neben ihm sank etwas leicht ab. Akita setzte sich neben ihn. Langsam gewöhnten sich Lennox' Augen an die Dunkelheit, er erkannte die Silhouette des anderen, sowie die Umrisse der Möbel um die beiden herum. Sie saßen auf einem großen Bett unter dem Fenster, wo die Jalousien heruntergelassen waren.
Nachdem er sich umgesehen hatte, blickte er wieder zu Akita, der auf seine Hände sah.

„Warum hast du mich mit zu dir genommen?", neugierig und gleichzeitig verunsichert stellte Lennox die Frage, die ihn schon seit sie hier waren beschäftigte.
„Weil", begann Akita, musste dann aber scheinbar kurz nachdenken, bevor er fortfuhr: „Weil ich dir schon die ganze Zeit etwas sagen will, was ich mich nicht getraut habe, auszusprechen."
Für einige Sekunden blieb es wieder still zwischen ihnen. Lennox genoss diese Ruhe genauso sehr wie das Gespräch, wie Akitas bloße Anwesenheit.
„Ich will dich kennenlernen, Lennox. Ich will erfahren, wer du bist, und zwar nicht so oberflächlich, wie die anderen", murmelte der silberhaarige dann, und hob den Kopf an.
Sie waren sich nah, vielleicht zu nah für Fremde, vielleicht noch nicht nah genug für ihre Seelen.

Aber in dieser Sekunde begriff Lennox, dass er Akita nicht so schnell wieder gehen lassen konnte. Akita schien wie eine kleine, flackernde Kerzenflamme der Hoffnung in der undurchdringbaren Dunkelheit, wie der Farbkleks in der eintönigen Masse. Akita war alles und gleichzeitig nichts. Und Lennox war bereit, den steinigen Pfad mit ihm zu gehen, der Akita äußerlich zu dem machen würde, was er innerlich schon längst war. Ein farbenfroher Junge.

„Ich will dich auch kennenlernen, Akita."

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