Verlockende Aussichten
Anderswelt.
Ihr Schrei hatte ihren Hals noch nicht verlassen, da landeten sie auch schon auf einem weichen Grund. Eleasar sah ihre schockierte Miene und fing an zu lachen. Sie selbst musste den Schock erst einmal überwinden. Dann versuchte sie, ihm eins über zu ziehen. „Warum hast du mich nicht gewarnt? Ich hab gedacht, ich geh drauf."
Noch immer lachend fing er ihre Hand aus der Luft. „Entschuldige. Ich konnte nicht widerstehen."
Coras Maunzen veranlasste sie dazu, sich umzusehen. Sie lagen auf einem großen Bett, das mit einem Stoff bezogen war, der wie matter Satin aussah und sich unglaublich weich und leicht anfühlte. Sämtliche Kissen und Decken waren mit diesem dunkelgrünen Stoff bezogen. Die Wände hingegen hatten einen schönen, ruhigen cremefarbenen Ton. Neben zwei dunkelbraunen Nachttischen war sonst nichts zu sehen. Coras Korb stand neben ihrem Bett. Hastig kletterte sie von der Matratze und befreite ihre sich noch immer beschwerende Katze.
„Wo sind wir hier?" Sie hatte erwartet, in seinen Räumen in Marjans Schloss zu sein.
„In meinem Haus."
Sprachlos starrte sie ihn an. „Du hast ein Haus." Sie klang baff. „Okay, ich habe auch welche. Gebongt."
„Ria?" Er musterte sie, wie sie wortlos dastand und immer wieder überrumpelt blinzelte. „Geht es dir gut?" Mit gerunzelter Stirn setzte er sich auf.
Langsam drehte sie sich zu ihm um. „Ich glaube, ich weiß noch weniger über dich als du über mich."
Liebevoll zog er sie an sich. „Wir haben ewig Zeit." Seine Miene wurde schlagartig ernst. „Du bist hier in einem Haifischbecken. Ich versuche in deiner Nähe zu bleiben, aber ich kann nicht immer bei dir sein. Wann immer dir jemand Dinge über mich erzählt, möchte ich, dass du mich fragst. Versprichst du es mir?"
Ein mulmiges Gefühl beschlich sie. „Gibt es etwas, das ich wissen müsste?" Vorsichtshalber trat sie einen Schritt zurück. Sie konnte nicht mit ihm kuscheln, wenn er ihr womöglich eine schlechte Nachricht überbrachte.
„Einiges", antwortete er aufrichtig. „Aber nicht jetzt. Du bist zu aufgewühlt."
Er streckte seine Hand nach ihr aus, doch Ria schlug sie beiseite. „Was soll das heißen?", fauchte sie gekränkt. „Meinst du, ich werde damit nicht fertig?"
„Im Moment nicht." Ihren Widerstand ignorierend küsste er sie. Sauer versuchte sie ihm in die Lippe zu beißen. Er griff unter ihr Kinn. „Siehst du, ich habe nicht das Gefühl, sachlich mit dir reden zu können."
Ungehalten stieß sie ihn von sich. „Wie komme ich wieder zurück?"
Mit hochgezogenen Augenbrauen vergrub er die Hände in seinen Taschen. „Da ist die Tür, bitte."
„Mit Vergnügen." Sie war aus dem Raum, bevor er bis drei zählen konnte. Überrascht starrte er die geschlossene Zimmertür an. Damit hatte er nicht gerechnet.
Ria stürmte einen langen Flur entlang, der irgendwann abrupt in einer ausladenden Wendeltreppe endete. An der obersten Stufe hielt sie geschockt inne. Beinahe wäre sie die Treppe runter gefallen. Zwei Dienstmädchen passierten gerade die große Halle am Fuße der Treppe. Sie starrten die Fremde überrascht an, bevor sie kichernd davon gingen.
„Du brauchst sie gar nicht erst zu fragen, ob sie dir helfen können. Sie verstehen kein Wort von dem, was du sagst." Eleasar schlang von hinten seine Arme um ihre Taille. „Solange du die Sprache nicht ausreichend sprichst, musst du dich wohl mit mir begnügen." Er klang unglaublich vergnügt.
„Das gefällt dir oder?" Finster verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Langsam beginne ich deinen Vater zu vermissen. Der hat wenigstens meine Sprache gesprochen."
Unauffällig zog er sie vom Treppenabsatz weg. „Wenn du noch mehr Theater machst, hast du den ganzen restlichen Tag mit den netten Leuten zu tun, deren Sprache du nicht sprichst."
Dass sie mehr verstand als er dachte, verschwieg sie ihm sicherheitshalber. Schließlich konnte das für den einen oder anderen Überraschungseffekt sorgen. „Mit denen würde ich den Tag wesentlich lieber verbringen als mit jemandem, der mich für total verblödet hält", giftete sie.
Seufzend warf er sie über seine Schulter. „Meinst du, ich denke wirklich so über dich?"
Frustriert trommelte sie auf seinen Rücken. „Lass mich runter! Elea!" Sie hörte, wie er eine Tür öffnete und sah, wie sie sich wieder schloss. Dann landete sie auf dem Bett. Schon wieder.
Ernst betrachtete er sie von oben herab. „Ich meine es ernst. Solange deine Laune so unbeständig ist, erzähle ich dir gar nichts."
Schmollend setzte sie sich auf. „Ich bin bestens gelaunt, danke der Nachfrage."
Kopfschüttelnd setzte er sich neben sie. Wie er sie kennengelernt hatte, würde das eine ganze Weile so weiter gehen. Wie hieß es doch gleich so schön? Der Klügere gab nach. „Du bist meine Frau. Das macht dich zur Hausherrin."
Ihre Blicke bohrten sich fast durch ihn hindurch. „Na, das ist jetzt nichts sonderlich Überraschendes. Sonst noch etwas?"
Resignierend schüttelte er den Kopf. „Ria."
Angesichts seines ausweichenden Blickes gab sie ihre wütende Haltung auf. So kam sie nicht weiter. „Was ist los?" Zögerlich kroch sie auf ihn zu.
Ein schenkte ihr ein leicht unsicheres Lächeln. Am liebsten würde er ihr seine volle Identität verschweigen. „Die nächsten Tage werden hart für dich sein. Morgen findet unsere Feier statt. Da werden viele wichtige Leute sein. Unter anderem auch meine Eltern, die anderen Könige und die kaiserliche Familie."
Sie brauchte einen Moment, um das zu verarbeiten. „Feier? Kaiser?" Was für eine Feier hatten sie denn auszurichten? Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern.
In dem Bedürfnis, sie vor der Wahrheit zu schützen, zog er sie an sich. „Ja. Ich habe dir doch einmal erzählt, dass der Posten des Kaisers nicht vererbt wird."
Sie erinnerte sich vage daran. „Ja. Bei der Geburt wird das festgelegt oder?"
Ein knappes Nicken. „Genau." Er ließ ein wenig Zeit verstreichen, bevor er ihr die ganze Wahrheit offenbarte. „Ich bin nicht nur der Sohn meines Vaters, sondern auch einer der kaiserlichen Thronfolger." Während er sprach, vergrub er sein Gesicht in ihren Haaren.
„Du bist WAS?" Überrascht versuchte sie sich von ihm loszumachen, scheiterte jedoch an seinen fest um sie geschlossenen Armen. Sobald der erste Schock über diese Nachricht verwunden war, bemerkte sie, was genau er da gesagt hatte. „Und was soll das heißen ‚einer'? Gibt es denn mehrere?"
Er lachte erleichtert. „Du reißt mir nicht den Kopf ab, weil ich es dir so lange verschwiegen habe?"
Missbilligenden Blickes drehte sie sich zu ihm um. „Warum sollte ich? Ich hatte im letzten halben Jahr genug Zeit, um über unsere gemeinsamen Tage nachzudenken. Es waren nicht besonders viele. Und die meiste Zeit war ich wohl bewusstlos." Aus ihrer Sicht sprach es nur für ihn, dass er nicht mit seiner Stellung hausieren ging. Den Kopf konnte sie ihm später immer noch abreißen.
„Ich mag es, dir beim Schlafen zuzusehen. Dann wirkst du friedlich und nicht kratzbürstig", flüsterte er ihr neckend ins Ohr.
„Hey! Was fällt dir ein?" Sie warf sich nach hinten und riss ihn gleich mit. „Als ob ich dich jedes Mal anfallen würde."
Lachend begrub er sie unter sich. „Nein? Und dabei machst du keinen Hehl daraus, mir eine Abreibung verpassen zu wollen."
„Die hast du verdient", murrte sie unter ihm. „Könntest du bitte von mir runter gehen? Sonst darfst du morgen meine Beerdigung begehen." Dabei schnappte sie gespielt nach Luft.
Leicht stützte er sich auf seinen Armen ab. „Das wäre kein geeigneter Anlass, dich meiner Mutter vorzustellen."
„Hm, nur wenn sie geschwätzige Schwiegertöchter schätzt." Mit ihrem sarkastischen Ton versuchte sie ihre Unsicherheit zu überspielen. Vor der Begegnung mit seiner Mutter graute ihr mit jeder Sekunde mehr. Glück für ihn, dass ihre Eltern nicht mehr lebten.
Besänftigend strich er ihr übers Haar. „Sie reißt den wenigsten den Kopf ab." Als Ria ganz ruhig wurde, konnte er sein Lachen nicht unterdrücken. „Nein, so ist sie nicht. Du hast Talisha kennengelernt oder?"
„Flüchtig", entgegnete sie angespannt.
„Sie und meine Mutter sind eng befreundet. Wenn du kannst, bring dich vor ihnen in Sicherheit. Es gibt keine schlimmeren Klatschweiber als die beiden."
Ria versuchte ein wenig Abstand zwischen sie zu kriegen. „So redest du über deine Mutter?"
Endlich rollte er sich zur Seite. „Versteh mich nicht falsch, ich habe den größten Respekt vor ihr. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie und Talisha versuchen werden, jedes kleine Detail unserer Beziehung aus dir heraus zu quetschen."
Ergeben stöhnte sie auf. „Das ist nicht dein Ernst."
„Ich befürchte doch." Nicht besonders mitleidig begann er, mit ihren Haaren zu spielen. „Wenn du Glück hast, hat meine Schwester Aram und Adele schon ausgequetscht."
„Schick mich wieder zurück", stöhnte sie resignierend und kroch in ihn hinein. „Das überlebe ich nicht."
Zufrieden strich er mit der Hand über ihre Wirbelsäule. Endlich hatte er sie hier. Bei sich. „Du musst dir noch ein Kleid aussuchen."
Ächzend klammerte sie sich an ihn. „Bitte, tu mir das nicht an." Eine solche Grausamkeit ihr gegenüber war einfach unverantwortlich. Leider schien er das ganz anders zu sehen.
„Du könntest irgendwann Kaiserin werden. Da sind Kleider die übliche Kleidung", erinnerte er sie sanft.
„Ich wünsche dir ja nichts Schlechtes, aber für mich wäre es besser, wenn du nicht Kaiser wirst. Von mir aus könntest du auch irgendein unbedeutender Wurm sein, ich wäre trotzdem verrückt nach dir."
Er wollte etwas erwidern, da klopfte es an der Tür. Leise seufzend stand er auf. „Bleib liegen." Er öffnete die Tür nur einen Spalt breit.
Was genau besprochen wurde, konnte Ria nicht sagen, dafür war das Gespräch zu leise. Fest stand, dass Eleasar nicht mit dem einverstanden war, was ihm gesagt wurde. Unsicher, wie sie sich verhalten sollte, setzte sie sich auf und zog die Beine an. Jetzt, wo sie die Hammernachrichten zu verarbeiten begann, hatte sie Zeit, seinen Anblick in vollen Zügen zu genießen. Die gegenseitige Anziehungskraft zwischen ihnen beiden war unglaublich groß. Selbst wenn sie ihm am liebsten an die Gurgel gehen würde, musste sie sich zurückhalten, nicht gleich über ihn herzufallen. Sie hoffte inständig, dass sich dieses Verlangen irgendwann nicht mehr ganz so intensiv anfühlte. Es war jetzt ein halbes Jahr her, dass sie sich einander versprochen hatten. Und erst wenige Tage, dass er wieder in ihr Leben getreten war.
Plötzlich schloss er die Tür wieder und drehte sich zu ihr um. „Ich muss gehen. Tu uns beiden bitte den Gefallen und erkunde das Haus nicht. Ich zeige es dir später. Das Badezimmer ist direkt hier." Er deutete auf die Tür neben dem Ausgang und dann auf den vorderen Nachttisch. „Da drinnen ist ein Wörterbuch. Besser, du nutzt die Zeit, um dir die Sprache ein wenig anzueignen." Er zögerte, dann holte er das Buch aus dem Nachttisch, drückte es ihr in die Hand und stahl sich einen zärtlichen Kuss. „Bis nachher."
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