Überfälle und Konfrontationen
Über ihre Haut tanzende Schmetterlinge weckten Ria am nächsten Morgen. Schläfrig blinzelte sie in das Sonnenlicht, das durch die dunkelgrünen Vorhänge fiel, die das große Fenster verdeckten. Sie vermisste das morgendliche Zwitschern der Vögel vor ihrem Fenster. Noch bevor die Wehmut sie überfallen konnte, spürte sie erneut Schmetterlinge auf ihrer Haut, die eigentlich gar keine waren, wie sie erstaunt feststellte. „Guten Morgen", murmelte sie leise.
Beim Klang von Rias verschlafener Stimme, unterbrach Eleasar das zärtliche Streicheln ihres Armes. „Morgen. Habe ich dich geweckt?"
Müde streckte sie sich, drehte sich um und kuschelte sich schon wieder halb schlafend an ihn. „Weiß nicht."
„Hey." Liebevoll strich er ihr Haar zurück. „Du kannst nicht mehr lange schlafen."
Verärgert murrend tastete sie nach einem Kissen und drückte es ihm vors Gesicht. „Noch fünf Minuten."
Erheitert drückte er seine Frau an sich. „Dann zieh dich gescheit an. Sonst fühle ich mich schwer genötigt."
Seufzend setzte sie sich auf. „Warum sollte ich?"
„Warum wohl?" Grinsend beobachtete er sie dabei, wie sie erst jetzt zu registrieren schien, dass sie ein Nachthemd trug, das ihr so gut wie gar nicht mehr am Körper hing.
Aus verengten Augen fixierte sie ihn. „Was hast du gemacht?"
Ihre aufgebrachte Miene, die zerzausten Haare und das an ihr herabhängende Nachthemd machten es für ihn nicht gerade leicht, ihr zu widerstehen. „Du hast am Fenster gelehnt und geschlafen, wolltest dich aber nicht richtig umziehen lassen. Und jetzt komm her." Begierig zog er sie an sich. „Du führst mich nur noch mehr in Versuchung."
Viel zu zeitig klopfte es an der Tür. Seufzend zog Eleasar sich sein Hemd über. „Du solltest ins Bad gehen. Dann hast du noch ein paar Minuten, ehe du von allen Seiten belagert wirst."
„Und meine Sachen?", fragte sie verwirrt.
„Im Schrank." Er hauchte ihr einen Kuss in den Nacken und schob sie ins Badezimmer, bevor er die Tür öffnete.
„Eleasar, mein geliebter Sohn." Seine Mutter fiel ihm um den Hals, noch bevor er die Tür ganz geöffnet hatte. Neugierig linste sie über seine Schulter. „Wo versteckst du sie?"
Er ließ sie los und musterte die Frau, die ihn auf die Welt gebracht hatte misstrauisch. „Was hast du vor?"
Entrüstet bohrte sie ihm ihren Finger in die Brust. „Die Frau kennenlernen, die meinen Sohn wortwörtlich um den Verstand bringt. Ich habe dich noch nie so schnell verschwinden sehen, wie gestern Morgen."
„Talishas Ankunft hat mich irgendwie dazu verleitet", brummte er ausweichend.
Neben ihm flog die Badezimmertür auf. Unglücklich deutete Ria auf ihre Sachen. „Willst du mich umbringen? Das sind alles Kleider."
Eleasar war sichtlich um Fassung bemüht. Nach einigen Augenblicken gab er es auf und lächelte sie belustigt an. „Was dachtest du denn?"
Ihr Handtuch landete an seinem Kopf. „Dass du wenigstens etwas... ach, du warst ja gar nicht da. Na egal. Ich hasse Kleider. Die habt ihr Männer euch doch nur ausgedacht, damit ihr uns unterdrücken könnt. Ebenso wie Schuhe mit meterhohem Absatz."
„Ha, Lea. Hab ich dir nicht gesagt, dass du nicht alle deinem Willen unterwerfen kannst?" Schadenfroh grinsend wedelte seine Mutter mit ihrem Fächer vor seiner Nase herum. Dann wandte sie sich strahlend an Ria, die sie ihrerseits sprachlos musterte. „Du musst Ria sein! Lisha hat mir schon so viel von euch vorgeschwärmt. Ich bin Sara."
Verständnislos schüttelte Ria ihr die Hand. Sara war wunderschön. Mit ihren knappen einen Meter achtzig war sie ein wenig kleiner als ihr Sohn. Sie hatte schönes hellblondes Haar, klarblaue Augen, einen sinnlichen Mund und eine niedliche kleine Stupsnase. Angesichts ihrer Figur wäre jedes menschliche Model neidisch geworden. „Aha. Freut mich."
Eleasar seufzte. „Ria, das ist meine Mutter."
Fast wäre ihr die Kinnlader herunter getrudelt. Seine Mutter. So hatte sie sich die Frau nicht vorgestellt. Es dauerte einen Moment, bis sie sich gefangen hatte. „Stimmt. Die gleichen Augen. Aber wo hast du nur deine Haarfarbe her? Von deinem Vater wohl kaum." Saras Haar war so blond, dass es beinahe weiß anmutete.
Sara lachte ein glockenhelles, ansteckendes Lachen. „Marjan ist ein wirklich attraktiver Mann. Und er hat Charme."
„Wir müssen wohl zwei verschiedenen Varianten derselben Person begegnet sein", murmelte Ria kopfschüttelnd.
Fürsorglich zog Eleasar seine Frau in seine Arme. „Versuch gar nicht erst, ihn durch Mutters Augen zu sehen."
„Eifersüchtig?", zog sie ihn feixend auf.
Mahnend drückte er sie an sich. „Lass es besser nicht drauf ankommen."
Sie überlegte einen Moment, entschloss sich dann, ihn nicht aufzuziehen. Die Anwesenheit seiner Mutter machte ihn schon angespannt genug. „Heute nicht. Aber bis ich um diese frauenfeindlichen Kleider nicht mehr drum herum komme, bestehe ich auf Hosen. Sonst überlege ich ernsthaft, wieder zu deinem Vater zu ziehen."
„Du hast nie dort gewohnt", erinnerte er sie ernst. „Sondern nur mein Zimmer besetzt."
Entrüstet stieß sie ihm in die Seite. „Stimmt gar nicht!"
Begeistert klatschte Sara in die Hände. „Oh, das müsst ihr mir erzählen. Am besten hole ich Lisha gleich her, damit ich ihr das nachher nicht alles erzählen muss."
„Nein." Eleasar und Ria vertraten ihr gleichzeitig den Weg. „Mutter, lass Ria doch erst einmal ankommen. Bitte. Sie verschwindet nicht wieder."
Misstrauisch musterte sie ihren Sohn. „Na, das will ich hoffen. Du hast sie noch nicht aufgeklärt oder?"
„Wann denn?", fragte er schroff.
Sara seufzte kopfschüttelnd und legte ihrer Schwiegertochter solidarisch eine Hand auf die Schulter. „Ria, du wirst es mit diesem Jungen nicht leicht haben. Er erzählt immer nur das Nötigste. Ich weiß auch nicht, was ich bei ihm falsch gemacht habe." Nach einem mitleidigen Lächeln sah sie ihrem Sohn in die Augen. „Ihr habt nicht mehr allzu viel Zeit. Ich habe das Kleid, das du wolltest mitgebracht. Jetzt solltest du ihr erklären, was eure Verbindung mit sich bringt. Bis zum Mittagessen sollte sie auf dem Stand sein."
Eleasar nickte ungerührt. Er wollte einfach nur seine Ruhe.
Seine Mutter umarmte beide begeistert kichernd und verschwand mit wehendem Haar aus dem Zimmer. Fragend sah Ria ihren Mann an. „Was meinte sie?"
„Komm mit." Mit ernster Miene führte er sie zum Bett. „Setz dich." Er wartete geduldig, bis sie seiner Aufforderung nachkam, dann fuhr er fort: „Du weißt, dass zwischen unseren Seelen eine tiefe Verbindung herrscht."
Sie nickte. „Ja. Irgendwie zieht es mich zu dir hin."
Lächelnd lehnte er seine Stirn gegen ihre. „Ja, das tut es. Man kann es aber auch als Verbindung benutzen. Zum Beispiel, um miteinander zu kommunizieren. In etwa so, wie du mit deinem Geist sprichst." Er legte ihr einen Finger auf die Lippen, um in Ruhe ausreden zu können. „Das geht noch weiter. Man kann auf die Erinnerungen und das Wissen des jeweils anderen zurückgreifen. Glaube ich meiner Mutter, kann das eine Weile dauern, bis man sowas nutzen kann."
Mit großen Augen sah sie ihn an. „Hey, cool. Meinst du, ich kann das ausprobieren?"
„Ich bitte darum." Entspannt streckte er sich auf dem Laken aus. „Also?"
Ratlos starrte sie ihn an. Okay, sagte sie sich, er hat gesagt, das sei so ähnlich, als würde ich versuchen, mit Ragna in Kontakt zu treten. Um nicht unnötig abgelenkt zu werden, schloss sie die Augen und versuchte ihre Verbindung zu erfühlen. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, aber irgendwann hatte sie sie gefunden. An dieser Stelle spürte sie seine Gegenwart besonders deutlich. Mit jeder Faser ihres Seins konzentrierte sie sich darauf, ihn zu fragen, ob er sie hören konnte.
„Ja."
Seine Stimme war so klar, dass sie nicht sagen konnte, ob er mit ihr gesprochen hatte oder nicht. Verstohlen linste sie durch ihre geschlossenen Lider. Ein stolzes Lächeln erhellte seine Züge. „Wenn es dir nachher zu viel wird, kannst du ja so um Hilfe rufen."
Jetzt gab sie ihre Konzentration auf. „Ich hoffe, dass ich das in einem solchen Fall zustande bringen kann."
Sein Nicken war sehr zuversichtlich. „Ich denke schon. Immerhin kommunizierst du so regelmäßig mit deinem Drachen." Sanft zog er sie auf seine Brust. „Du kannst ja den ganzen Morgen üben."
Ria fühlte sich in seiner Gegenwart unglaublich geborgen. Also nutzte sie die Gelegenheit beim Schopf und kuschelte sich an ihn. „Mal sehen. Nicht, dass ich den ganzen Tag mit Kopfschmerzen durchstehen muss."
Voller Liebe strich er wiederholt durch ihre noch immer leicht zerzausten Haare. „Warum hast du eigentlich nicht geduscht?"
Ungläubig sah sie zu ihm auf. „Ernsthaft? Weil ich dachte, du gibst mir vielleicht etwas Gescheites, wenn ich nur lange genug damit warte." Dass sie nicht herausgefunden hatte, wie sie das Teil anstellen sollte, verschwieg sie ihm.
Seufzend ließ er das Thema fallen. „Viel wichtiger ist, dass du wenigstens etwas von der hiesigen Sprache verstehst."
„Mehr als mir die Wörter ins Hirn meißeln, kann ich nicht." Beleidigt schmollte sie vor sich hin.
„Das meinte ich nicht."
Bevor er etwas sagen konnte, materialisierte Ragnarök sich auf Rias Schulter. „Ihr seid unerträglich. Ich mach mich vom Acker." Die kleine Echse löste sich in Rauch auf, der unter der Tür hindurch zog und verschwand.
Die beiden tauschten einen überraschten Blick, bevor Ria losprustete und Eleasar sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte. „Selbst schuld, wenn er meint, lauschen zu müssen", lachte sie munter.
Gedankenverloren musterte er seine junge Frau. „Es liegt an dir."
Fragend hielt sie inne. „Ich kann ihm doch nicht immer die Tür vor der Nase zuschlagen."
Er wartete ruhig, bis sie ihn fragend ansah. „Du kannst es nicht, weil du zu jung bist." Sein Blick wurde eindringlich. „Deshalb musst du auf dem Treffen deinen Geist bei dir haben. Nicht sichtbar. Er wird dich wie bei dem Vorfall mit dem Lich wieder beschützen."
Sie musste schwer schlucken, nickte dann aber. Es war also gefährlich. „Gibt es denn Wesen, die meine Gedanken lesen können? Oder manipulieren?"
„Ja. Ich bin nicht der einzige, der das könnte." Er machte eine kurze Pause, damit sie die Informationen verarbeiten konnte. Ria trudelte die Kinnlade runter, doch sie sagte nichts, sah ihn nur ungläubig an. „Deshalb musst du Ragnarök bei dir haben. Er schirmt dich davor ab."
Sie hörte seine letzten Worte, hing aber immer noch an seinem Geständnis. „Du kannst Gedanken manipulieren? Du hast doch nicht...?"
Entrüstet hielt er ihre Lippen fest. „Nein. Zumindest nicht zu meinen Gunsten." Als sie sich schockiert von ihm losmachte, beeilte er sich das Missverständnis klarzustellen. „Du lagst im Krankenhaus und musstest wieder auf die Beine kommen. Du warst nicht stark genug, um die Trennung verkraften zu können." In Erinnerung an ihre Niedergeschlagenheit musste er sie einfach an sich drücken.
„Was hast du getan?", fragte sie tonlos.
„Dir versprochen, dass du nicht alleine bist und wir uns wiedersehen werden." Fürsorglich strich er ihr durchs Haar. „Das war das einzige."
Kraftlos lehnte sie an seiner Brust. Sie spürte, dass er aufrichtig war. Auch wenn sie sich fragte, inwiefern das über ihre seelische Verbindung hinaus ging. „Du wolltest mir vorhin etwas über Fremdsprachen erzählen."
Langsam fiel der Schock von ihr ab. Auch wenn es Eleasar Genugtuung verschaffte, dass sie bei ihm absolut keine Abwehrmechanismen besaß, war es doch schwer mit ihren Reaktionen umzugehen. „Ja. Das Lernen braucht zwar Zeit, aber genau die hast du nicht. Wenn du mit mir zusammen sein willst, musst du schnell lernen. Andernfalls bringe ich dich ohne Wenn und Aber zurück in die Menschenwelt. Da bleibst du dann so lange, bis du alt genug bist."
Angst und Schrecken wichen einer immensen Wut. „Spinnst du?! Wenn du das machst, werde ich keinen Tag dort drüben überleben, das schwöre ich dir." Verletzt wie sie war, wollte sie aufspringen und davonrennen und sich irgendwo verstecken, wo er sie nie wieder finden würde.
Doch Eleasar rang sie zurück aufs Bett und drehte ihr Gesicht so, dass sie ihn ansehen musste. „Denkst du wirklich, dass mir das letzte halbe Jahr leicht gefallen ist? Denkst du, mir gefällt es, dich den Haien vorführen zu müssen? Solange wir hier sind, kannst du nur überleben, wenn du meinen Schutz annimmst. Weigerst du dich, lässt du mir keine andere Wahl." Seine Miene wurde um einiges weicher. Ein tiefer Schmerz trat in seine Augen, überflutete Rias Sinne. „Zwing mich bitte nicht dazu", bat er flehend.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top