Sayana und Kilian

Von innerer Unruhe geplagt wachte Ria auf. Sie hatte schlecht geträumt, eine Erinnerung an den Tod ihrer Eltern. Elea hatte sie gewarnt es könnte vorkommen, dass sie sich an vergessen geglaubte Dinge erinnerte. Dieses Mal hatte sie sich an Einzelheiten vom Tod ihres Vaters erinnert, die lieber in Vergessenheit geblieben wären. Abgespannt ließ sie sich zurück in die Kissen fallen. Dabei streifte ihre Hand etwas Warmes. Erschrocken drehte sie sich zur Seite. Eleasar schlief neben ihr. Es war das erste Mal, dass sie ihn schlafen sah. Seine braunen Haare verdeckten sein schlafendes Gesicht. Wie gern hätte sie es beiseite gestrichen, um einen Blick aus seine entspannten Züge zu erhaschen. In der Regel wirkte er immer so reserviert. Erstarrt hielt sie inne. Das durfte nicht sein, hier lief etwas mächtig falsch! Etwas zog sie zu ihm hin, wie Insekten zum Licht. Dabei hatte sie sich doch vorgenommen, so schnell nicht wieder etwas mit einem Mann anzufangen.

Was versuchst du dir eigentlich vorzumachen? Ragnaröks Stimme klang verschlafen und leicht verärgert. Du fühlst dich wohl bei ihm. Und sicher. Das hattest du noch nie zuvor. Nicht einmal bei Aleix. Also weck mich bitte nicht mehr mit deiner ablehnenden Haltung deinen Gefühlen gegenüber.

Ich will mich nicht von einem Mann abhängig machen. Außerdem lebt er hier. Machen wir uns nichts vor, Ragna. Wir werden zurück gehen. In die Menschenwelt. Er ist hier zu Hause, nicht drüben.

Wenn du meinst, ich hol mir noch ne Mütze Schlaf.

„Blöder Drache", murrte sie und zog sich die Decke über den Kopf. Manchmal wünschte sie sich, er wäre ein Mädchen.

„Drache?", erklang es verwundert hinter ihr.

Vor Schreck sprang sie aus dem Bett. „Du bist wach."

Noch leicht verschlafen richtete Eleasar sich auf. „Du ebenso."

Verlegen stricht sie sich ihre Haare zurück. „Ja, gerade eben erst." Verlegen deutete sie aufs Bad. „Ich geh dann mal."

Er hörte die Dusche angehen und setzte sich auf. Wie es aussah, war er eingeschlafen. Dabei hatte er sich nur kurz ausruhen wollen, aber Ria hatte sich im Schlaf an ihn gekuschelt und ihr gleichmäßiger ruhiger Atem hatte ihn schläfrig werden lassen. Entschieden schlug er die Decke zurück. Jetzt wusste er mit Sicherheit, dass er sich von ihr fern halten musste. In Windeseile stand er auf, warf sich seinen Umhang über und eilte aus dem Zimmer.

Auf halbem Weg lief er seinem Bruder in die Arme. „Eleasar."

„Kilian", entgegnete er knapp. „Was willst du?"

Sein Bruder klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Meinen Bruder begrüßen. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen."

„In der Tat. Ich habe es eilig." Eleasar versuchte an ihm vorbei zu gehen.

Verständnislos vertrat Kilian ihm den Weg. „Wir haben dich neulich Abend vermisst."

„Da hatte ich zu tun."

Eine kalte Vampirhand legte sich um sein Handgelenk. „Wir waren alle sehr betrübt. Du solltest deiner Familie nicht den Rücken zukehren."

Finster sah Eleasar ihn an. „Lass los."

Widerstrebend löste Kilian seinen Griff. „Wie ihr befiehlt, Hoheit." Seine Stimme troff vor Missgunst. Der jüngste Bruder wandte sich gerade zum gehen, da rief der ältere ihm hinterher: „Vielleicht sollte ich mir das Mädchen einmal ansehen. Vater meinte, du hättest keine Verwendung für sie."

Eleasar gefror. „Welches Mädchen?"

„Na, die Kleine, die in Wasserstadt für Unruhe gesorgt hat."

Er fragte sich, wie viel sein Bruder wohl über Ria wusste. „Tu dir keinen Zwang an." Mit vor Zorn geballten Fäusten eilte er zu Aram. Es störte ihn nicht im Geringsten, dass die beiden noch im Bett lagen. „Steh auf." Ungehalten zog er seinen Freund auf die Beine.

„Was soll das?" Entrüstet griff Adele nach ihrem Geliebten.

„Sei still", fuhr Eleasar sie an. An Aram gewandt sagte er: „Du musst die Kleine wegbringen. Sofort."

Seinem Freund entging die unterschwellige Panik in seinem Blick nicht. „Was ist passiert?", hakte Aram alarmiert nach.

„Kilian weiß von ihr."

Sämtliche Farbe wich aus Arams Gesicht. „Kilian?"

Eleasar ließ von ihm ab und setzte sich niedergeschlagen aufs Bett. „Sie kann euch nicht wahrnehmen."

Seufzend schleppte der Vampir seinen Freund ins Wohnzimmer. „Erzähl."

Aufgebracht schilderte Eleasar das Zusammentreffen mit seinem ältesten Bruder. „Solange ich hier bin, ist sie eine Zielscheibe. Sie muss zurück in ihre Welt."

„Glaubst du wirklich, dass sie dort sicher ist?"

„Deshalb sollst du sie ja begleiten."

„Eleasar." Ernst sah Aram ihm in die Augen. Spätestens jetzt fühlte er sich in seiner Annahme bestätigt, dass sein Freund und Ria füreinander bestimmt waren. Andernfalls würde er nicht so kopflos und überstürzt handeln, wann immer es um sie ging. Normalerweise blieb er ruhig und besonnen und wog sorgsam alle Optionen ab, bevor er handelte. „Vielleicht wollte er nur testen, wie du reagierst. Sollte er sich tatsächlich für sie interessieren, kann man immer noch etwas unternehmen."

„Ich schicke sie zurück." Entscheiden ging er zur Tür.

„Und wie willst du das deinem Vater erklären?"

Eleasars kalter Blick jagte ihm eisige Schauer über den Rücken. „Ich bin ihm keine Rechenschaft schuldig."

Nachdem die Tür ins Schloss geflogen war, kam Adele verschüchtert in den Wohnraum getappt. „Was sollte das denn?"

Liebevoll zog Aram sie in seine Arme. „Er hat Angst. Das ist ein ganz neues Gefühl für ihn, deshalb kann er damit noch nicht umgehen." Wenn er sich schon in den Konflikt zwischen Marjan und Sem einmischen wollte, musste es wirklich schlimm sein. Normalerweise hielt er sich aus den politischen Machenschaften seines Vaters heraus.

Verständnislos blickten ihre grünbraunen Augen in die seinen. „Angst? Wovor? Ich dachte, den bringt nichts aus der Ruhe."

Seufzend knickte er ein. „Versprich mir bitte, dass du damit nicht sofort zu Ria rennst." Er wollte ihr nichts verschweigen, also musste er sich auf ihre Diskretion verlassen.

Adele nickte vage. „Okay."

Mit einem Kuss fesselte er ihre Aufmerksamkeit. „Das starke Band zwischen uns. Du spürst es auch."

Sie nickte stumm und schnappte nach Luft.

„Bei Eleasar und Ria ist es dasselbe. Ihre Seelen sind füreinander vorherbestimmt."

Seine Liebste strahlte ihn an. „Aber das ist doch etwas Tolles."

Traurig schüttelte er seinen Kopf. „Im Grunde schon. Nur glaubt Eleasar nicht, dass ihm diese Bindung zusteht. Es ist fraglich ob und wenn ja, wie viel deine Freundin davon weiß. Von ihm wird sie kein einziges Wort darüber erfahren."

„Aber warum soll ich ihr nichts davon sagen? Das ist doch toll. Und was hat das mit seiner Angst zu tun?" Argwöhnisch tippte sie ihm auf die Brust.

Leise lächelnd küsste er sie auf die Stirn. Sie war ja so niedlich. „Das, was ich dir jetzt sage, sollst du ihr nicht erzählen. Aber meinst du nicht auch, dass das eine Sache zwischen den beiden ist? Eleasar ist nicht der einzige, der eine Beziehung ausschließt." Er machte eine kurze Pause, bevor er zu erzählen begann. „Vor vielen Jahren hat er sich schon einmal verliebt, aber die Frau hatte bereits ihre Seele an jemand anderen verloren. Also begnügte er sich damit, ihr als treuer Freund zur Seite zu stehen." Er dachte nur ungern an diese Jahre zurück. Sein Cousin war damals beinahe unerträglich gewesen.

„Was ist passiert?", fragte sie angespannt.

Traurig strich er ihr übers Haar. „Ihr Geliebter betrog sie und Eleasar brachte sie auf ihren Wunsch hin fort. Es ist nicht bekannt, wohin sie gingen. Irgendwann tauchten sie einfach wieder auf. Er hat mir erzählt, dass der Kaiser sich eingemischt hat. Auf seinen Wunsch hin begleiteten sie ihn zu einem Treffen. Sayana war Prinzessin eines anderen Landes. Die Vertrautheit zwischen den beiden war bekannt und so erklärte Sayanas Mann während ihrer Abwesenheit Marjan den Krieg. Auf diesem, vom Kaiser initiierten Treffen sollte er verhindert werden. Leider waren die Fronten zu stark verhärtet. Der Kaiser verfügte, dass Sayana zu ihrem Angetrauten zurückkehrte." Gedankenversunken wickelte er sich eine Haarsträhne um seinen Finger. Nur ungern dachte er daran zurück, wie fertig sein Cousin damals bei seiner Rückkehr gewesen war. „Der Krieg, der danach ausbrach, hat tiefe Wunden in dieser Welt hinterlassen. Nach einem halben Jahr war klar, Marjan würde den Sieg davontragen. Sayanas Mann drehte durch. Er wusste, dass Eleasar auf Marjans Seite kämpfte, schließlich ist er sein leiblicher Sohn. In einem Anflug von Wahnsinn brachte der Kerl sie mit auf das Schlachtfeld."

Adele schluckte schwer. Dieser Mann hatte seine eigene Frau mit aufs Schlachtfeld gebracht? Das hatte doch nichts mit Liebe zu tun! „Er hat sie doch nicht als Schild benutzt?"

Sacht wischte er ihr die Tränen aus den Augen. „Nein. In einer Schlachtpause schleppte er sie in die Zone zwischen den beiden Fronten."

„Was wollte er?"

Schützend drückte er seine unschuldige, empathische Frau an seine Brust. „Sie vor Eleasars Augen töten. Allerdings kam der ihm zuvor", fügte er schnell hinzu. „Es war das erste Mal, dass ich Eleasar auf diese Weise habe töten sehen." Mit einem Seufzen schüttelte er die Bilder der Schlacht von sich ab. Normalerweise war sein Freund nicht grausam. Aber damals... Der Anblick des toten Lich in Wasserstadt hatte ihn unwillkürlich an damals erinnert.

„Was ist danach passiert?" Angespannt klammerte Adele sich an ihren Mann. Wenn das das Ende war, wäre der Prinz jetzt mit dieser Frau zusammen.

„Die Schlacht war vorbei. Zumindest dachten wir das alle. Eine dritte Partei hatte sich unbemerkt eingemischt und ließ Sayana ermorden. Sie starb in Eleasars Armen."

Tränen liefen unaufhaltsam ihre Wangen hinab. „Wer war das?"

Er wusste, dass ihr die Wahrheit nicht gefallen würde. Aber seine Frau anzulügen lag ihm fern. „Wir haben Nachforschungen angestellt. Vermutlich hat Eleasars Bruder Kilian ihre Mörder beauftragt. Genaue Beweise haben wir aber nicht."

Adeles Augen weiteten sich vor Schrecken. „Kilian? Ist das nicht der, der sich für Ria interessiert? Hat er deshalb so viel Angst um sie? Wie konnte sein Bruder ihm das nur antun? Und warum ist alle Welt hinter Ria her?"

Beruhigend strich er über ihr blondes Haar. „Ja, deshalb fürchtet er um Ria. Und zu deiner anderen Frage: Ich denke, Kilian ist eifersüchtig. Marjan hat drei Söhne und eine Tochter. Kilian ist der Älteste und Eleasar der jüngste. Soweit ich mich erinnere, war Kilian bis zu Eleasars Geburt Marjans Lieblingssohn."

„Dann bist du älter als er?" Adele klang aufrichtig überrascht.

„Ein halbes Menschenleben." In seiner Welt war das kein nennenswerter Unterschied. Liebevoll sah Aram Adele in die Augen. Sie war sein Ein und Alles. Und er war froh, nicht die Probleme zu haben, die zweifelsohne auf seinen besten Freund zukommen würden. „Es wird Zeit, dass du etwas isst.

.

Das forsche Klopfen an der Tür überraschte Ria. Als sie aus dem Bad zurückgekommen war, war Eleasar verschwunden gewesen. Das war auch besser so, denn sie hatte nicht gewusst, wie sie ihm gegenübertreten sollte. Das konnten nur Adele oder Aram sein. Eleasar klopfte nicht an. In freudiger Erwartung auf ein Treffen mit ihrer Freundin eilte sie zur Tür und riss diese auf. Enttäuscht starrte sie den im Gang stehenden großen Mann an. Das war eindeutig nicht Adele. Das war ein Vampir. Scharfe, graublaue Augen musterten sie. Wären seine Züge nicht so übermäßig markant, könnte man sein Gesicht, das von rotblonden Locken umrahmt wurde, ohne weiteres als feminin bezeichnen. Irgendetwas an seiner Erscheinung erinnerte sie an Marjan. Sie konnte nicht genau benennen, was es war. Es war eher die nicht greifbare Ahnung einer Verbindung.

Um auf Abstand gehen zu können, schloss sie die Tür ein wenig. Sie musste ihn ja nicht gleich ins Zimmer einladen. „Wer sind Sie?"

Der Fremde lächelte sie emotionslos an. „Ein Gast."

Misstrauisch zog sie die Augenbrauen zusammen. „Das bezweifle ich. Ich habe Sie nicht eingeladen. Bitte gehen Sie." Demonstrativ schloss sie die Tür vor seiner Nase.

Im letzten Augenblick schob er seinen Fuß dazwischen. „Aber nicht doch. Ich möchte mich vorstellen."

Böse funkelte sie ihn an. „Wie ich schon sagte, ich habe kein Interesse. Wenn Sie jetzt bitte Ihren Fuß von meiner Türschwelle bewegen würden."

„Würdest du Eleasar rein lassen?"

Die Falle in seiner Frage war allzu offensichtlich. Er klang zu angespannt, um sie nur beiläufig gemeint zu haben. Sie seufzte betont genervt. „Ich wüsste nicht, was es Sie angeht, mit wem ich verkehre und mit wem nicht. Und jetzt, Ihr Fuß."

Der Vampir fixierte sie kurz nachdenklich, dann stieß er die Tür auf. Das Holz knackte hässlich, als es unter seinem festen Schlag nachgab. „Nein."

Wütend starrte Ria von den Trümmern zu dem Vampir, der ungerührt ins Zimmer trat. „Auch gut. Sie erklären das dem Hausherrn." Erhobenen Hauptes stieg sie über die Überreste der Tür hinweg und stolzierte aus dem Zimmer. Außer Sichtweite des Türrahmens begann sie zu rennen. Sie wusste nicht warum, aber dieser Vampir verhieß nichts Gutes. Das spürte sie. Noch nie hatte sie von einem dieser Art so viele Spuren des Leides wahrgenommen. Das war fast schlimmer als Marjans vollkommene Kälte.

Bald schon musste sie sich jedoch eingestehen, dass sie sich verlaufen hatte. In diesem verfluchten Schloss sahen alle Gänge gleich aus.

„Man könnte meinen, du kennst dich hier nicht aus, Mädchen."

Ria zuckte nicht zusammen, denn sie hatte seine nahende Präsenz gespürt. „Seltsam, bei Ihrem Anblick könnte man meinen, Sie waren einst eine Frau."

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Tja, Ende. Was meint ihr, wir wird Kilian auf Rias Provokation reagieren? Irgendwelche Vermutungen? Und was haltet ihr von der Geschichte, die Aram Adele erzählt hat?

Liebe Grüße, Eure Ama :)

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