Politik

Auf dem Flur veränderte sich der Kaiser. Seine Ausstrahlung wurde erhabener, seine Miene ernster. Es war klar, dass er jetzt nicht mehr der Privatmann war, sondern der Herrscher über alle Anwesenden. Würde sie eines Tages Eleasar ans Volk verlieren? Schmerzhaft brannte dieser Gedanke in ihrem Kopf. Nein, das würde sie nicht zulassen.

Als plötzlich leises Stimmengewirr erklang und mit jedem Schritt immer lauter wurde, konzentrierte auch sie sich auf ein selbstsicheres Auftreten. Jetzt zählte es Ragnas Rat, ihre Aufmachung als effektive Waffe zu nutzen und sie alle umzuhauen, zu befolgen. Sie blendete die Meute aus, die unten im festlich hergerichteten Saal ihr Unwesen trieb. Was zählte war der Mann, der in der Nähe der Treppe stand und langsam den Blick hob. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er sie erblickte. Und an diesem Lächeln hielt sie sich fest.

Der Kaiser führte sie langsam die Stufen hinunter. Es kam Ria wie eine Ewigkeit vor, bis sie endlich auf dem Boden stand.

Es war nicht zu übersehen, dass die junge Frau an seiner Seite nur Augen für Eleasar hatte. Zufrieden stellte Raphael fest, dass alle im Raum von ihrem Auftreten beeindruckt waren. Das Mädchen strahlte die nötige Stärke aus, die sie als Eleasars Frau haben musste. Mit würdevollem Nicken übergab er seinem möglichen Nachfolger dessen Gemahlin.

Eleasar zog Ria in seine Arme und lehnte seine Stirn gegen ihre. „Hallo schöne Frau." Das hast du gut gemacht, ich bin stolz auf dich.

Verlegen schlug sie die Augen nieder. Meinst du nicht, dass wir das für später aufheben sollten? Hier sind so viele Leute.

Lächelnd nahm er ihre Hand. „Ich möchte dir jemanden vorstellen."

Solange du mit jemandem nicht den ganzen Saal meinst, entgegnete sie hoffnungsvoll.

Nur den halben, versicherte er ihr gut gelaunt. Eigentlich meine Familie, die anderen Könige und Kandidaten für den Kaiserthron. Du wirst es überleben.

Zuerst machte er sie mit seinen Konkurrenten bekannt. Ria mochte beide nicht. Weder den gelbäugigen Rory, noch den zwar charmanten, aber irgendwie schleimigen Nathan. Sie freute sich schon darauf, Eleasars andere Familienmitglieder zu treffen, da vertrat ihnen eine Frau den Weg, die Ria stark an den Vorfall in Wasserstadt erinnerte. Ein Hauch von Tod und Verbotenem umwehte sie. Elea, ich will hier weg.

Rias Stimme in seinem Kopf vibrierte vor ängstlicher Anspannung. Vorsichtig musterte er Orla. Sie sah aus wie immer, doch Ria reagierte nicht ohne Grund so verschreckt. Was ist?

Sie ist ein Lich.

Eleasar gab sich Mühe, das übliche Geplänkel mit der Königin schnellstmöglich hinter sich zu bringen. Wenn Orla wirklich ein Lich war, sollte Ria nicht in ihrer Gegenwart sein. Er nahm Kontakt zu Raphael auf, der ihm mit kurzem Nicken zu verstehen gab, dass er sich darum kümmern würde. „Wenn du uns entschuldigst, der Kaiser wünscht uns zu sprechen."

Orla nickte spitz und ließ sie stehen.

Dem Kaiser genügte ein Blick auf Ria, die ein wenig aus der Bahn geworfen schien, um Grund zu der Annahme zu haben, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Aufmerksam suchte er mit den Augen die nähere Umgebung des Paares ab, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches erkennen. „Was ist los?"

„Orla ist tot", flüsterte Eleasar kaum hörbar. „Ria hatte schon einmal Kontakt zu einem Lich. Sie hält Orla für einen."

Der Herrscher sah zu seinem Schützling. „Danke." Mit einem aufmunternden Blick auf Ria verschwand Raphael wieder in der Menge.

Eleasar deutete auf eine Frau, die sich gerade mit Marjan unterhielt. „Rahel, die andere Königin. Sie hat auch nach dir gesucht."

„Warum?" Fassungslos schüttelte sie den Kopf.

„Weil Raphaels und Islas Sohn unbedingt einen Jäger sehen will", erklärte er sachlich. „Du hast dich vorhin kurz mit Miro unterhalten."

„Und der Mann, der sich gerade mit Aram unterhält?"

Eleasar folgte ihrem Blick und gefror kurz. „Von dem solltest du dich fern halten. Das ist Sem."

Das war also Sem. Feuerrotes, kurzes Haar, das mit mehr als nur ein bisschen Haargel - oder dem Äquivalent der hiesigen Welt - nach hinten gekämmt war. Sein Gesicht strahlte Autorität aus, wenngleich eine der Art, die Ria nicht gefiel.

„Oh, ich bin mir sicher, dass ich dir den Gefallen tun kann."

Der Rest des Abends verlief ruhig. Ria ließ Eleasar keine Sekunde lang aus den Augen - genau genommen hing sie den ganzen Abend über an seinem Arm. Sie traute sich nicht, ihn loszulassen, aus Angst ihn in der Menge zu verlieren. Die anderen Leute waren ihr allesamt suspekt. Eleasar war ihr Anker. Warum ihn also verlassen? Erst als die anderen Gäste fort waren, konnten sie ebenfalls nach Hause gehen. Ria war so müde, dass sie auf der Rückfahrt einschlief. Für sie war es ein nervenaufreibender Abend gewesen.

.

Müde streckte Ria sich auf dem Bett aus. Etwas hatte sie geweckt, wenngleich sie sich nicht erinnern konnte, welches Geräusch es war. „Wie spät ist es?", fragte sie schlaftrunken.

Neben ihr setzte Eleasar sich auf. Auch er war noch halb am schlafen. „Viel zu früh, wenn du mich fragst."

Da konnte sie ihm nur zustimmen. Das nun drängende Klopfen an der Tür bedeutete jedoch, dass jemand das anders sah. „Bleib liegen, ich reiß demjenigen den Kopf ab." Müde kletterte sie aus dem Bett.

Es klopfte erneut. Ungehalten riss sie die Tür auf. „Was zur Hölle nochmal...?"

Ungläubig starrte sie in das Gesicht des Kaisers.

Entschuldigend lächelte der sie an. „Guten Morgen. Ich wollte euch nicht wecken."

Ria schnaubte. „Ja, hab ich gemerkt." Sie war zu müde, um sich an ihre Manieren zu erinnern.

Im Hintergrund stand Eleasar auf und klopfte aufs Bett. „Leg dich hin, es betrifft dich nicht."

„Ihr habt fünf Minuten." Ohne ein weiteres Wort wandte Raphael sich ab.

Eleasar war schneller im Bad verschwunden, als sie die Tür wieder geschlossen hatte. Verwirrt folgte sie ihm. „Habe ich etwas verpasst?"

„Beeil dich. Wäre es nicht wichtig, hätte er jemanden geschickt." Er war schon aus der Dusche, als sie hinein stieg. „Treppe runter, erste Tür rechts." Flüchtig küsste er sie und verschwand aus dem Badezimmer.

Verwundert schüttelte sie ihren Kopf und beeilte sich, ihm hinterher zu kommen. Was um alles in der Welt war bloß vorgefallen? Zu ihrer Zufriedenheit fand sie ganz hinten im Schrank ein Paar kurze Hosen und eine dazu passende Bluse. Schnell band sie sich die Haare hoch und rannte danach die Treppe runter. Der Raum, in dem sie erwartet wurde, war ein Wohnzimmer. Eleasar saß auf einem der herumstehenden Sofas und beobachtete den Kaiser dabei, wie er unruhig auf und ab lief. Seine Anspannung war nicht zu übersehen. Beunruhigt setzte Ria sich neben ihren Mann.

„Entschuldigt die frühe Unterbrechung", begann Raphael erstaunlich ruhig. „Ich hatte bis vor wenigen Minuten ein Gespräch", er hob seinen Kopf und sein Blick bohrte sich in Rias Augen. „Sem besteht darauf, dich anzuhören. Morgen."

Eleasar sprang entrüstet auf. „Das kann er nicht machen."

„Du weißt, was passiert, wenn sie nicht erscheint." Der Kaiser klang aufrichtig bedauernd. Ihm gefiel selbst nicht, dass dem jungen Paar derartige Steine in den Weg gelegt wurden.

Dass Eleasar so bleich wurde, war kein gutes Zeichen. Verunsichert griff Ria nach seiner Hand. „Was bedeutet das?"

Zögernd wandte er sich zu ihr um. „Dass du mir vertrauen musst."

„Das bedeutet, dass du herausfinden musst, wo du geboren wurdest." Raphael setzte sich ihr gegenüber hin. „Eigentlich noch heute, denn deine Erinnerungen sind der beste Beweis. Das herauszufinden ist wichtig. Wenn sich der Sachverhalt dadurch nicht klären lässt, wird es zum Krieg kommen."

Schock wich Panik. „Wie soll ich das denn herausfinden? Die können doch keinen Krieg anfangen, nur weil ich mich nicht an meine Geburt erinnern kann!"

Eleasar warf Raphael einen bösen Blick zu, dann drückte er seine Frau zurück aufs Sofa und redete eindringlich auf sie ein. „Das ist nur ein vorgeschobener Grund. Die zwei Wochen, die du bei meinem Vater verbracht hast, sind kein Grund. Ria. Ria."

„Ich kann nicht..." Wie in Trance sah sie ihn an. „Ich..." Schluchzend warf sie sich in seine Arme. „Ich will nicht der Grund sein!"

Hilflos spürte er, wie Verzweiflung sich ihres Geistes bemächtigte. Wenn es etwas gebracht hätte, hätte er jeden, der damit in Verbindung stand umgebracht. Doch so konnte er nur dasitzen und seine am Boden zerstörte Gemahlin in den Armen halten. „Ich hatte gehofft, er würde sich etwas mehr Zeit lassen", sagte er zu Raphael.

„Es muss an dem Zeugen liegen, den er anführt." Der Blick des Kaisers ruhte auf Rias zitternden Körper. „Wenn das vorbei ist wird Sem sich dafür verantworten müssen, sie grundlos in seine Angelegenheiten involviert zu haben."

„Das ändert nichts an der Situation", entgegnete Eleasar scharf. Mit jeder Sekunde, die Ria litt, sank seine Laune.

Mitleidig schüttelte sein Mentor den Kopf. „Ria."

Es kostete sie einiges an Kraft, ihn mit ihren geröteten Augen anzusehen. Eleasar seufzte schwer. „Er will dir sagen, dass du unter Umständen deinen Geist zur Verfügung stellen musst."

Sein zähneknirschendes Geständnis ließ Rias Herz noch tiefer sinken. „Was bedeutet das?"

Unter größtem Unwillen erklärte er ihr, dass jemand ihre Erinnerungen durchsuchen würde. Damit sollte sichergestellt werden, dass sie nicht log. Während er sprach, strich er ihr unablässig mit dem Daumen beruhigend über ihren Handrücken.

Ria zuckte kurz zusammen, schien dann nachzudenken und kam zu einem Schluss, der ihrem Mann gar nicht gefiel. „Dann sollen sie doch. Solange dadurch ein Massensterben verhindert werden kann."

„Du spinnst", knurrte der Prinz. „Du gehörst ins Bett!" Ihren Protest ignorierend mischte er sich in ihren Geist ein. Kurz darauf gähnte sie herzhaft und schlief in seinen Armen ein.

Raphaels Blick wurde ernst. „Du solltest ihren Wunsch akzeptieren."

„Es ist nicht einmal sicher, ob sie oder ihr Geist etwas wissen. Jeder, der ihr darüber hätte Auskunft geben können, ist tot." Besorgt strich er seiner Frau durchs Haar. Er konnte es einfach nicht fassen, dass Sems Egoismus sie schon wieder in dieses tiefe Tal stürzte. „Du solltest dir ein Gesetz dafür ausdenken, dass das unsinnige Aufrufen von Zeugen verbietet. Ria hat nichts damit zu tun und das, was Sem da verhandeln will, hat weder Hand noch Fuß."

Der Kaiser stimmte ihm zu, konnte jedoch nicht leugnen, dass es eventuell so weit kommen könnte. „Wir wissen alle, dass die Anschuldigungen haltlos sind. Nur kann ich keine verbindlichen Aussagen treffen, wenn ich die nicht irgendwie entkräften kann. Dir vertraut sie am meisten. Versuch, etwas zu finden. Du als ihr Partner solltest die Möglichkeit haben das zu tun, ohne sie zu verletzen." Mit diesem freundschaftlichen Rat verabschiedete er sich.


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