Jungs gegen Mädels

Unter Adeles erstauntem Blick verputzte Ria in Nullkommanichts ihren Hauptgang und sah ihre Freundin abwartend an.

„Du bist unglaublich", bemerkte diese kopfschüttelnd und widmete sich wieder ihrem Essen.

Ungeduldig rutschte Ria auf ihrem Stuhl hin und her. Das Essen war zwar lecker gewesen, aber nichts im Vergleich zu dem Himmel, der sie gleich erwartete. Auf glühenden Kohlen hockend wartete sie darauf, dass die anderen beiden ebenfalls aufgegessen hatten. Sie spürte Eleasars Belustigung über ihr Verhalten und streckte ihm die Zunge heraus.

Klappernd legte Adele ihre Gabel beiseite. „Was haltet ihr davon, wenn wir gleich nach unten gehen, Billard spielen und dabei die Muffins essen?"

„Ich hole die Muffins!", rief Ria und war schon auf dem Weg zum Ofen.

„Hey!" Adele lief ihr hinterher und schnappte ihr den ersten Muffin aus der Hand. „Nicht jetzt schon essen! Ab nach oben! Aram nimmt die mit nach unten. Wir zwei haben jetzt was anderes vor."

Dem Kuchenteil hinterher trauernd ließ Ria sich von Adele nach oben schleifen.

„Was war das denn?", fragte Aram kopfschüttelnd. „Als hätten sie die Rollen getauscht."

Eleasar lachte leise. „Keine Ahnung." Im Kopf sah er immer noch die Freunde und Begeisterung in ihren Augen aufblitzen, als seine Frau aufgesprungen und in die Küche geschlittert war. Es war eine gute Idee gewesen herzukommen. Sie wirkte so ausgelassen, gut gelaunt und unglaublich anziehend. Keine Spur war mehr von dem vom Leben enttäuschten Mädchen zu sehen, das er kennengelernt hatte.

Halbherzig stapelte Aram die kleinen Küchlein auf ein Tablett, dass Adele zuvor bereitgestellt hatte. „Ich fürchte, meine Frau ist ganz in ihrem Element."

Das eingeschüchterte und zerbrechliche Wesen von damals kam ihm wieder in den Sinn. „Sie hat sich ziemlich verändert. Damals im Wald war sie von euch beiden abhängig."

Aram nickte grimmig. „Ja. Rias Launen waren zwar nicht unbedingt erträglich, aber sie hat einiges für meine Frau getan. Mir gefällt sie so."

„Du bist da keine verlässliche Referenz", zog Eleasar ihn auf und machte sich daran, schon einmal in den Keller zu gehen.

Sein Cousin folgte ihm auf den Fersen. „Du ebenso wenig, was deine Frau angeht."

Da hatte er durchaus recht.

Am Fuße der Treppe angekommen, staunten die beiden nicht schlecht. Hier unten eröffnete sich eine komplett neue Welt. Eine kleine Wohnung begann links von ihnen. Darin fand sich ein Zugang zu einem Fluchtsystem. Er war geschickt hinter einer Wandvertäfelung verborgen und fiel nur auf, weil er leicht offen stand. Mit gerunzelter Stirn besah Eleasar sich das genauer. „Kontrollier du mal, ob alles in Ordnung ist." Er nahm Aram die Kuchenplatte ab. „Ich erkunde den Rest dieses Stockwerks."

Aram erklärte sich einverstanden und verschwand in dem Zugang.

Eleasar ließ die Platte in der Wohnung zurück und erkundete die nächsten drei Räume. Von keinem führte ein weiterer Ausgang fort. Der erste Raum links neben der Wohnung war mit Tischen vollgestellt, die allesamt unter Tüchern verborgen lagen. Jemand hatte den unteren Bereich fachkundig verlassen, nachdem fast alle Spuren der ehemaligen Besitzer beseitigt worden waren. Er ließ seine Sinne durch den Raum schweifen, auf der Suche nach Leben. Nachdem er sicher war, dass der Raum sauber war, suchte er den nächsten auf und verfuhr dort ebenso. Das Ergebnis war das gleiche. Der kleine Schwimmbereich war verlassen, das Becken leer. Skeptisch betrachtete er gerade den letzten leeren Raum, der mit Holz verkleidet und ausgebaut war, als Ria hinter ihn trat. Sie schlang ihre dünnen Arme um seine Taille und kuschelte sich an ihn. Automatisch griff er nach ihr und hielt sie fest.

„Eine Sauna", erklärte sie ruhig. „Keine Ahnung, was Menschen daran so toll finden, sich in solchen Räumen auszuschwitzen."

Der Sinn erschloss sich ihm auch nicht. Mit einem mentalen Schulterzucken wandte er sich seiner Frau zu - und staunte nicht schlecht. Sie hatte sich umgezogen und trug nun das orangefarbene Kleid, das ihrer eigentlichen Augenfarbe entsprach. Es schmeichelte ihrer Figur ungemein. Gut, dass sie nicht ausgehen würden. Jeder Mann, der ihr auch nur einmal zu lange hinterher blickte, würde mit seinem Leben spielen. Bis zu ihrer Taille lag der Stoff des trägerfreien Kleides eng an, fiel dann aber weit von ihr ab. Ihr schwarzes Haar fiel ihr offen auf die Schultern. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, es in eine Frisur zu zwingen. Ihm gefiel, dass sie es so trug. Einzig und allein ein farblich auf das Kleid abgestimmter Haarreif zierte ihren Kopf. Ihre hellbraunen Augen funkelten ihn erwartungsvoll an. „Atemberaubend trifft es nicht annähernd", hauchte er und stahl sich einen zärtlichen Kuss.

Prompt wurden ihre Knie weich. Warum musste er bloß eine solche Wirkung auf sie haben? Das war ungesund.

Adele kam die Treppe hinunter gepoltert und rauschte ins Spielzimmer. „Kommt schon", rief sie aufgeregt.

Mit einem entschuldigenden Lächeln an ihren Mann ließ Ria von ihm ab und kam ihrer Freundin zu Hilfe. Gemeinsam entfernten sie das Laken vom Billardtisch, richteten die Bar her und schafften es sogar, die Musikanlage zum Laufen zu bringen. Reggae-Musik des letzten Jahrhunderts schallte ihnen entgegen.

„Mein Vater hatte einen furchtbaren Musikgeschmack", murmelte Ria und schloss ihr Handy an, um gescheite Musik aufzulegen.

„Dein Vater?", fragte Adele überrascht.

Ria gefror und wollte gerade so tun, als hätte sie sich vertan, da bemerkte Eleasar ruhig und als sei es das natürlichste der Welt: „Das ist Rias Elternhaus."

Adele schienen einige Fragen auf der Zunge zu brennen, schluckte sie jedoch herunter, als sie den mahnenden Blick des Prinzen sah. Also beschäftigte sie sich damit, den Tisch aufzubauen. Ria hatte unterdessen die Muffins für sich entdeckt und war drauf und dran, sämtliche kleine Kuchen zu vernichten. Genüsslich vernaschte sie ein Teil nach dem anderen. So sah sie auch nicht, dass Aram den Raum betrat und er und Eleasar sich durch Blicke miteinander unterhielten.

Ria war gerade bei Muffin Nummer vier, da schnappte Eleasar sich seine Frau und setzte sie vor dem Tisch auf den Boden, drückte ihr den Queue in die Hand und nahm ihr den restlichen Kuchen aus der anderen. Als sie protestieren wollte, steckte er sich das Stück einfach in den Mund. Es war recht lecker. Vielleicht ein wenig süß, aber durchaus nicht zu verachten. Kein Wunder, dass seine Frau darauf stand.

„Wenn wir drüben sind", erklärte Ria und platzierte die weiße Kugel gekonnt auf dem Tisch, „musst du unbedingt einen Laden aufmachen. Ich komme auch täglich vorbei."

Adele lachte geschmeichelt, während sie nervös an ihrem Queue spielte. Sie wusste, dass ihre Freundin ihre Muffins liebte. Das Warum war ihr jedoch ein Rätsel. „Drüben gibt es doch ganz andere Lebensmittel."

Unbeschwert zuckte Ria mit den Schultern. Dann stieß sie die weiße Kugel an. Kugeln knallten aufeinander und rollten über den Tisch. Eine volle schaffte es sogar in eine Tasche. „Improvisation, meine Liebe." Sie lief um den Tisch, nahm Maß und versenkte die nächste.

Vier Kugeln später schüttelte Adele fassungslos ihren blonden Schopf. „Ich wusste gar nicht, dass du so gut spielen kannst."

„Ich spiele lieber Snooker", erklärte die Schwarzhaarige und zielte daneben. Adele war an der Reihe. „Kemal hat mich ja früher immer von Botschaft zu Botschaft geschleift. Aus Langeweile habe ich mir von einigen Konsulatsmitarbeitern Billard beibringen lassen.

Adele schoss natürlich daneben.

Eleasar ließ sich kurz das Spiel erklären und lochte dann ebenfalls einige Kugeln ein. Die letzte traf er nicht ganz optimal.

Aram nutzte die Chance und holte auf. Er dachte nicht im Traum daran, gegen seinen Cousin und dessen Frau zu verlieren.

„Woher kannst du das denn?", fragte Adele ihre Mann überrascht.

Der lächelte in sich hinein. „Zielen, Liebste." Ihm war klar, dass Ria den Fehler zu Beginn absichtlich gemacht hatte. Das Mädchen war viel zu zielsicher, um daneben zu schießen. Zumindest hatte sie mit einem Messer noch nie ihr Ziel verfehlt.

Nach den ersten zwei Runden - es stand unentschieden - bestand Ria darauf, die Teams zu wechseln. Sie und Adele bildeten das eine Team, ihre Männer das andere. Die beiden schienen ihren Spaß an dem Spiel gefunden zu haben, denn wann immer eine der Frauen bislang einen Muffin naschen und dadurch einen Spielzug aussetzen wollte, hatten die Herren sich begeistert auf das Spiel gestürzt.

„Komm." Aufmunternd winkte Ria Adele zu sich. „Ich zeige dir, wie du besser triffst." Unter ihren geduldigen Anleitungen gelang es der Blonden allmählich ihr Spiel zu verbessern. Sie schaffte es sogar, drei Kugeln in Folge einzulochen. Nachdem Aram anschließend den halben Tisch abgeräumt hatte und sich sehr siegessicher gab, überließ Adele ihrer Freundin das Feld. Die fegte dem Vampir mit viel Vergnügen das Lächeln aus dem Gesicht.

Zwei Runden später verlangte Adele nach einer Pause. Sie lief zur Bar, um für sich und Ria einen Cocktail zu mixen. Dafür hatte sie beim Einkaufen extra ein Rezeptbuch gekauft. „Na dann wollen wir mal sehen, was ich so zaubern kann."

Ria schüttelte belustigt ihren Kopf und lehnte sich gegen den Tisch. Ihr Blick wanderte zu Aram. „Wenn du da bist, wird sie richtig häuslich."

„Ich führe meinen Haushalt nun mal nicht so spartanisch wie du", kam es prompt von der Blonden.

Ihre Freundin machte eine wegwischende Handbewegung. „Ich kann es mir durchaus leisten, nur von Fertigprodukten zu leben."

„Das kann auch nur jemand behaupten, der nicht zunimmt", keuchte Adele. Sie war gerade dabei, mit dem Verschluss einer Saftpackung zu ringen. „Man, ist das schwer."

Wie nicht anders zu erwarten, beendete Aram für sie den Kampf. Was für ein Held in strahlender Rüstung er doch war. Um nicht albern zu kichern, biss Ria sich auf die Unterlippe. Eleasar tauchte vor ihr auf und umfasste sanft ihr Kinn. Schlagartig war ihre Belustigung verflogen und ihr Herz schlug nun mehr vor Aufregung in ihrem Hals.

Eleasar spürte ihre Unruhe und genoss sie. Er genoss es, der Grund dafür zu sein, dass sie dermaßen durch den Wind war. Ihre Unterlippe entglitt ihren Zähnen und ihre Augen wurden groß. Was für eine Versuchung.

„Nehmt euch ein Zimmer", bemerkte Aram trocken.

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Er schnappte sich seine ein wenig pikiert dreinblickende Frau und trug sie nach oben. Arams tiefes Lachen und Adeles Kichern begleiteten sie die Treppe hinauf. Auf dem oberen Treppenabsatz blieb er stehen. Ria öffnete die Tür links neben ihrem Kinderzimmer. Ein Schlafzimmer. Auch hier war alles mit Laken zugedeckt. Schnell zog sie die Stoffe beiseite. Die Möbel wiesen den gleichen kalten, minimalistischen Stil auf wie die Möbel im Erdgeschoss.

Ohne das Licht anzuschalten, schnappte er sich seine Frau. Es wurde Zeit, dass er ihr zeigte, wie sehr ihm an ihr lag.

.

Tränen rannen ihre Wangen hinab. Liebevoll strich er die feuchten Spuren von ihrer zarten Haut. „Hey."

Ein Schluchzend fuhr durch ihren Körper. Zutiefst betroffen und berührt vergrub sie sich an seiner Seite. Wortlos strich er über ihr Haar und ihren Rücken, küsste immer wieder ihren Schopf und liebte sie sanft und zärtlich. Unaufhörlich rannen ihr die Tränen die Wangen hinab. Sie konnte einfach nicht aufhören zu weinen.

Eleasar blieb nichts anderes übrig, als sie zu halten. Das waren keine Tränen der Trauer. Sie weinte, weil sie voll von positiven Gefühlen war. Ursprünglich hatte er vorgehabt, den anderen beiden noch Gesellschaft zu leisten, doch nun empfand er es als geeigneter, hier zu bleiben. Er wollte ihre Tränen für sich haben. Nur für sich.

Es war schon heller Morgen, als leise an die Zimmertür geklopft wurde. Vorsichtig und darauf bedacht, seine Frau nicht zu wecken, stand Eleasar auf und zog sich schnell seine Hosen an. Adele stand vor der Tür und machte große Augen. Ein schwacher Geruch frisch gebackener Teigwaren hing in der Luft.

„Entschuldigt, ich wollte Euch nicht wecken", stammelte sie eingeschüchtert.

Der schon fast übertriebene Respekt des Mädchens ging ihm auf die Nerven. Immerhin war sie die Frau seines engsten Freundes. „Du kannst mich duzen. Immerhin tue ich das auch."

Ihre Augen wurden groß. „Danke."

Er lächelte schwach. „Ria schläft noch."

„Ja, das hat Aram mir bereits gesagt."

Er konnte ihre Verlegenheit nicht ganz verstehen. Vampire verfügten nun einmal über ein überdurchschnittlich gutes Gehör. „Mein Vater ist selbst Vampir", erinnerte er sie amüsiert.

Prompt wurde das Mädchen rot. Er war froh, dass seine Frau ein wenig abgebrühter war, was das anging. „Entschuldi...ge. Ich... ist das nicht eure Privatsphäre?"

Er musste an sich halten, um nicht loszulachen. „Warum bist du hier?"

Adele wurde noch eine Spur roter. „Ich wollte fragen, ob Ihr...", verzeihend sah sie ihn an, „du vielleicht mit uns frühstücken möchtest. Wir haben eben Brötchen geholt."

Am Rande seines Bewusstseins spürte er, dass seine Frau wach wurde. „Wir leisten euch gleich Gesellschaft. Danke fürs Nachfragen."

Nachdem er die Tür geschlossen hatte, konnte er ihre sich hastig entfernenden Schritte hören. Er konnte nicht nachvollziehen, weshalb das Mädchen sich ihm gegenüber so verschüchtert aufführte. Ria nahm sich Aram gegenüber auch nicht zurück. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Schließlich hatte seine Frau versucht, Aram umzubringen.

Er zog sich wieder aus und zog seiner Frau die Decke weg. „Komm, steh auf. Du bist wach."

Sie murrte und versuchte nach der Decke zu fassen, doch er war schneller. „Du bist gemein", murrte sie und streckte sich. „Ich glaub, ich habe einen Muskelkater."

„Vom Weinen bekommt man keinen."

„Aber von dem Drumherum." Gähnend rappelte sie sich auf. „Duschen?"

Wie sie so auf dem Bett hockte, nackt, die Haare zerzaust und die Augen noch vom Schlaf verschleiert, fiel es ihm schwer, sie aufstehen zu lassen. „Ab mit dir, sonst muss das Frühstück warten. Deine Freundin war eben da und meinte, sie hat Brötchen geholt."

Im Nu war Ria aus dem Bett und unter der Dusche. Belustigt folgte er ihr. Sie war so hinreißend in ihrer unbelasteten Freude. Gut gelaunt folgte er ihr unter den warmen Wasserstrahl.

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