Gute Laune
Verwundert begrüßte Adele ihre Freundin am nächsten Morgen am Schultor. „Was ist denn mit dir passiert?"
Um ein Pokerface bemüht, sah Ria sie fragend an. „Was meinst du?"
Ohne ersichtliche Vorwarnung fiel Adele ihr um den Hals. „Du strahlst so, bist quasi wie ausgewechselt. Ihr habt euch also ausgesprochen? Ich freu mich so für euch!"
„Ausgesprochen würde ich das nicht nennen", grummelte sie leise. „Der kriegt noch seine Abreibung, darauf kannst du dich verlassen."
Hoffnungsvoll strahlte Adele sie an. „Dann können wir bald nach Hause?"
„Du kannst jederzeit", erinnerte Ria sie vorsichtig. „Aber er hat versprochen, mit Aram wieder zu kommen. Jetzt hängt alles davon ab, wie schnell ich hier mit allem abschließe." Bevor sie aufgebrochen war, hatte Eleasar sich von ihr verabschiedet. Angeblich, weil er etwas Wichtiges regeln musste. Als hätte er dafür nicht schon genug Zeit gehabt.
Optimistisch wandten die Freundinnen sich dem Schulgebäude zu. Bald würden sie das alles hinter sich gelassen haben. Vor dem Klassenraum drehte Ria sich noch einmal zu Adele um. „Hör zu, ich bin nicht sonderlich stolz auf mein Verhalten in den letzten Wochen. Ich wusste einfach nur nicht, wie ich mit der Trennung von Elea zurechtkommen sollte." Selbst jetzt vermisste sie ihn unheimlich stark. Auf Dauer konnte so etwas doch nicht gesund sein.
Begütigend klopfte diese ihr auf die Schulter. „Das weiß ich doch. Du bist zwar so gut wie unerträglich, wenn du Liebeskummer hast, aber ich wäre eine miese Freundin, wenn ich dich deshalb nicht mehr leiden könnte."
Ihr fiel ein Stein vom Herzen. „Du bist die Beste."
Adele blinzelte sie überrascht an. „Kannst du das nochmal sagen? Ich glaub, ich hab mich verhört."
Neckend stieß Ria ihr in die Rippen. „Meinst du, dein zartes Gemüt kann das vertragen?"
Der Stufenleiter trat auf den Flur und begrüßte sie überrascht. „Nanu, das sind ja ganz neue Bilder von euch beiden."
Das Lächeln auf Rias Lippen gefror. „Sie wollen mit mir reden." Eine sachliche Feststellung.
Ängstlich sah Adele den Stufenleiter an. „Ist es wegen der Sache auf dem Schulhof?"
Verwundert sah er die Mädchen an. „Nein. Was ist da vorgefallen?"
Adele setzte zur einer Erklärung an, wurde jedoch von Ria unterbrochen, die sie entschieden in den Klassenraum schob. „Geh doch schon vor. Ich warte spätestens nach Schulschluss draußen auf dich." Dann wandte sie sich zum Lehrer um. „Die Deutschstunde."
Herr Naumann nickte, dabei wunderte er sich darüber, dass diese beiden Freundinnen unterschiedlicher nicht hätten sein können. „In erster Linie. Was war gestern auf dem Schulhof?" Dabei sah er das schwarzhaarige Mädchen forschend an.
Schulterzuckend steckte Ria ihre Hände in die Taschen ihrer Jeans. „Ihre Lieblingsschülerinnen meinten, Adele sei ein Boxsack. Tut mir aufrichtig nicht leid, dass ich das nicht so gesehen habe. Wenn Sie mir nicht glauben, sehe Sie auf den Kamerabändern nach." Der Schulhof wurde seit einigen Jahren schon überwacht, denn hin und wieder kam es vor, dass jemand dachte, der Schulhof sei eine ideale Übungsfläche für Graffiti.
„Eins verstehe ich nicht", meinte er kopfschüttelnd. „Ihr seht beide gut aus, aber nie läuft euch ein Junge hinterher."
Ria hob fragend eine Augenbraue. Was sollte das denn jetzt werden? „Adele fehlt das nötige Selbstbewusstsein. Sie fällt hier kaum auf."
„Und du? Du bist das komplette Gegenteil."
Sie schüttelte resignierend ihren klugen Kopf. „Wir sind beide vergeben. Und selbst wenn uns jemand hinterher rennen würde... der hätte keine Chance. Also, der Deutschunterricht?"
Herr Naumann nickte ernst. „Was war da los? Frau Sander kam kreidebleich zu mir und meinte, der Hälfte der Klasse würde es ebenso gehen. Genaueres wollte sie mir nicht sagen."
Verlegen biss Ria sich auf die Lippe. Es tat ihr ja leid. „Schlechte Laune. Der Rektor weiß es noch nicht, aber ich werde die Schule sehr bald verlassen müssen. Und Adele vermutlich auch. Durch die Fahndung der Polizei holt meine Vergangenheit mich wieder ein. Auf dem Schulweg bin ich einer ungeliebten Person begegnet."
Der Lehrer musterte sie nachdenklich. Diese Geschichte ergab Sinn. „Hast du dich deshalb darum bemüht, mit deinen Mitschülern nicht so eng in Kontakt zu treten?"
„Adele hat meine Warnung ignoriert", antwortete sie finster. Es war besser, er kaufte ihr diese Geschichte ab. Dass sie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler gemeinhin für unreife Idioten hielt, musste sie ihm ja nicht auch noch auf die Nase binden. „Sie können Frau Sander sagen, dass sie ihren eigenen Unterricht nicht länger fürchten muss."
„Tut euch bitte selbst den Gefallen und verwickelt euch nicht unnötig in Schwierigkeiten." Offenbar ging dem Lehrer ihre Geschichte sehr zu Herzen.
Ria nickte leicht. „Das ist mein Leben. Jede Entscheidung hat ihre Konsequenzen. Für mich bedeutet Leben, auf der Flucht zu sein. Ich habe ja Hilfe."
Herr Naumann lächelte sie einfühlsam an. Was für ein Leben für einen Teenager. Das wünschte er niemandem. „Dann wünsche ich euch beiden alles Gute und hoffe, dass ihr irgendwann einen Ort finden werdet, an dem ihr sicher seid."
Ein wenig verlegen trat sie von einem Bein aufs andere. Sie war es nicht gewohnt, dass sich jemand um sie sorgte. Und sie wollte es auch nicht. Vor allem nicht bei diesem inkompetenten Mann, der seine Nase in Dinge steckte, die ihn nichts angingen. Irgendwann würde es nach hinten losgehen. Ihm einen undefinierbaren Blick schenkend entschied sie sich dazu, im Klassenraum zu verschwinden.
Der Politiklehrer vorne an der Tafel sah sie tadelnd an, als sie ein wenig verspätet auf ihren Platz neben Adele ganz vorne huschte. Sie ignorierte ihn. Ebenso wie die fragenden Blicke ihrer Freundin.
„Nun sag schon", drängte Adele flüsternd. Prompt fing sie sich dafür einen bösen Blick des Lehrers ein.
„Wenn die Damen sich bitte dem Unterricht widmen würden. Politische Systeme. Robin, Marlen. Welche Systeme kennt ihr?"
Mit schuldbewusster Miene begann Adele einige aufzuzählen. „Aristokratie, Monarchie, Demokratie."
Der Lehrer nickte knapp. „Und kann Robin mir auch sagen, wie die Systeme aussehen?"
Genervt funkelte Ria ihn an. Das war doch nicht sein ernst. Nicht jetzt, wo sie eigentlich in Hochstimmung war, weil sie ihren Mann endlich wieder hatte. „Kann sie."
„Dann tu es auch."
Mit gerunzelter Stirn stand sie auf, schnappte sich ihr Politikbuch und kritzelte die darin enthaltenen Bilder zu den jeweiligen Systemen an die Tafel. Als ob dieser Lehrer den Machtkampf gegen sie gewinnen würde. Wovon träumte der Kerl eigentlich nachts?
„Das war aber nicht erklären", mahnte der Pädagoge tadelnd.
„Das nennt sich selbsterklärende Grafik", entgegnete sie stur. Was interessierten sie politische Systeme? Das einzige, mit dem sie sich auseinandergesetzt hatte, war die Monarchie. Und das auch nur, weil ihr ungeliebter Schwiegervater Monarch war. Ihre Internetrecherche hatte an der Stelle geendet, an der Wikipedia ihr vorgeschlagen hatte, nach konstitutioneller oder parlamentarischer Monarchie zu suchen. Politik war eh nicht ihr Lieblingsfach und würde es nie werden. Es reichte ihr schon, dass sie die Angelegenheiten ihres Clans zu regeln hatte. Unter welches politische System fielen diese Strukturen eigentlich? Nach nur einem Sekundenbruchteil kam sie zu dem Schluss, dass es ihr egal war. Was brachte ihr die Theorie überhaupt? Ein Etikett für Dinge, die einfach da waren. Herzlichen Glückwunsch.
„Du bekommst für heute eine schlechte mündliche Note." Verdrossen schlug der Lehrer sein Notenheft auf.
Ria war es egal. Ihren Traum, irgendwann einmal Medizin studieren zu können, konnte sie eh begraben, da sie mit Eleasar nach Anderswelt gehen würde. Was kam es also auf Noten an? In wenigen Tagen würde sie nicht einmal mehr die Schulbank drücken müssen. Zumindest hoffte sie, dass es nur noch wenige Tage sein würden.
Aufmunternd drückte Adele ihre Hand. „Keine Angst, sie werden heute schon noch auftauchen. Aram hat es versprochen."
Aram. War er es gewesen, der ihr ihren Mann zurückgebracht hatte? Unwahrscheinlich war es nicht. Immerhin hatte der Vampir zumindest bei ihr regelmäßig versucht, sie milde zu stimmen und ihr versichert, der wehrte Herr Prinz denke ständig an sie. Sollte das der Fall sein, schuldete sie ihm einiges. Eleasar. Allein beim Gedanken an ihm, ballten sie ihre Fäuste. Der Mistkerl hatte noch eine Abreibung verdient. Am besten gleich heute Abend.
Zum Glück ließ der Lehrer davon ab, sie weiter dumm anzumachen. Das rettete ihm vermutlich das Leben. Oder zumindest den Tag.
Nach Ende des Unterrichts trödelte Adele absichtlich, sodass sie und Ria die letzten im Klassenraum waren. „Du bist ja schlimmer drauf, als zu der Zeit, wo er durch Abwesenheit geglänzt hat."
Ein ironisches Lächeln breitete sich auf Rias hübschen Zügen aus. „Das tut er gerade auch."
Genervt verdrehte Adele ihre Augen. „Du weißt genau, was ich meine."
Ja, sie wusste genau, was ihre blonde Freundin gemeint hatte. Aber was sollte sie tun? Sie brachte ihm nun einmal widersprüchliche Gefühle entgegen. Dass gestern die Kuschelkursvariante gesiegt hatte bedeutete nicht, dass sie ihm dafür nicht immer noch eine reinhauen wollte.
„Also", mit abwartendem Blick auf ihre Freundin schulterte Adele ihre Tasche. „Was machen wir heute?" Sie schien kurz nachzudenken, dann hellten sich ihre Augen auf. „Was hältst du davon, wenn wir eine Runde Billard spielen gehen? Oder ins Kino, Schwimmen, Spazieren? So Paaraktivitäten halt."
Paaraktivitäten? Ihre letzte Paaraktivität... Sie musste schwer schlucken. Nein, sie wollte sich nicht daran erinnern. „Meinst du nicht, dass wir einfach die Welten wechseln sollten und gut ist?"
Protestierend schleifte Adele sie nach draußen. „Nichts da. Du sollst auch einmal deinen Spaß haben. Es kann so toll sein, frisch verliebt zu sein. Wir gehen heute Abend aus."
„Und deine Selbstverteidigungsstunden?"
„Die kannst du mir auch geben, wenn wir drüben sind."
Resignierend lenkte Ria ein. Sie konnte nur hoffen, dass ihre Männer erst so spät zurückkehrten, dass es sich nicht mehr lohnte, wegzugehen.
Wie es schien, hatte sich das Schicksal gegen sie verschworen. Schon vor ihrer Wohnung spürte sie, dass ihr Besuch bereits anwesend war. Verdrossen schloss sie die Tür auf und lief schnurstracks in die Küche, um sich einen Kaffee zu kochen. Andernfalls würde sie den Nachmittag nicht überleben. Adele war nicht zu überhören, als sie ihren Besuchern vergnügt mitteilte: „Wir gehen Billard spielen! Ich hab Ria klargemacht."
„Du hast mich gezwungen", brummte sie mürrisch in die Tüte Kaffeepulver. Am besten, sie machte sich einen extra starken. Ein Koffeinschock würde ihr vielleicht helfen. Konnte sie als Wesen eigentlich eine Koffeinvergiftung bekommen?
Sie spürte seine Wärme schon, bevor er sie berührte. Unwillkürlich lehnte sie sich nach hinten in seine Arme. „Hallo meine Hübsche."
Mit Schmetterlingen im Bauch schmiegte sie sich an ihn. Zur Hölle mit ihrer Wut auf ihn, es fühlte sich einfach verboten gut an, bei ihm zu sein. „Ich bin immer noch sauer", erklärte sie sicherheitshalber. Das sollte er bloß nicht vergessen.
Sie konnte spüren, wie er schwer seufzte. „Du wirst mich jetzt doch nicht jedes Mal daran erinnern, wenn wir uns sehen?"
Hach, wie herrlich seine Stimme klang. Kaum hatte sie sich bei diesem Gedanken ertappt, gab sie sich einen mentalen Tritt in den Hintern. Sie wollte nicht so klingen wie ein bis über beide Ohren verliebter Teenager. Das war ja albern.
„Hast du schon gegessen?", erkundigte er sich belustigt. Anscheinend hatte er ihren inneren Disput mitbekommen.
„Kannst du eigentlich Gedanken lesen?" Sie betete, dass es nicht so war. Denn falls...
Er lachte. „Möchtest du dich mental mit mir unterhalten?"
Sie zeigte ihm einen Vogel. Nein, wollte sie nicht. Aber falls er Gedanken lesen konnte, könnte sie ihm so mitteilen, was sie mit ihm anstellen würde, wäre er nicht ihr Mann. Ohne dass Adele davon schlecht wurde. Unwillkürlich blitzten die dazu passenden Bilder in ihrem Geist auf.
„Du brauchst dringend einen Ausgleich", murmelte er in ihr Haar. „Mach dir dein Getränk und dann lass uns zu den beiden ins Wohnzimmer gehen. Deine Freundin scheint unseren Tag bereits verplant zu haben."
Grummelnd kam sie seiner Aufforderung nach. Währenddessen kreisten ihre Gedanken um seine Fähigkeit ihre Gedanken lesen oder zumindest erraten zu können. Vielleicht kannte er sie auch einfach zu gut. Von dem Gedanken wollte sie schleunigst Abstand nehmen, denn es bedeutete, sie war leicht zu durchschauen. Und das war gar nicht gut.
Liebevoll durchkämmte er ihre schwarze Mähne. „Hör auf, dir Gedanken zu machen. Entspann dich." Er wollte nicht, dass sie sich sorgte. Sie hatte es verdient, glücklich zu sein. Dafür würde er alles tun. Er drückte ihr einen Kuss auf den Schopf und atmete dabei ihren Geruch ein - eine einzigartige Mischung aus Wildheit und Sanftmut. Unverwechselbar. Und sein. Er könnte ewig hier stehen und sie im Arm halten, ihren Duft einatmen und ihren herrlich weichen Körper an seinem fühlen.
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