Es gibt da so Probleme
Stunden später lag Ria entspannt auf dem Rücken in ihrem Bett und genoss seine Nähe. Zum ersten Mal, seit sie wieder hier war, war sie glücklich. Mit ihm an ihrer Seite fühlte sie sich komplett. Es schien, als sei mit ihm ein verloren gegangenes Teil ihres Selbst zurückgekehrt. Seine Hand ruhte auf ihrem Bauch und er betrachtete sie liebevoll, den Kopf auf seinem angewinkelten Arm abgestützt. „Deine Abreibung kriegst du trotzdem noch."
Unter seinem tiefen Lachen vibrierte sogar das Bett. „Wenn du meinst, du kannst einen Treffer landen."
Wohlig streckte sie sich. „Klar, warte es nur ab." Nachdenklich wanderte ihr Blick zur Tür. „Apropos, wo bleiben eigentlich die anderen beiden? " Normalerweise sollten sie schon seit einer halben Stunde wieder da sein.
„Vermisst du sie?", erkundigte sich Eleasar mit hochgezogenen Augenbrauen.
Nachdenklich setzte sie sich auf. „Nein, das nicht unbedingt. Es gibt da nur eine Entwicklung, die mir Sorgen bereitet."
Jetzt runzelte er ratlos die Stirn. „Zwischen den beiden?" Soweit er wusste, war Aram rundum glücklich mit seiner Frau. Gäbe es tiefgreifende Differenzen, so wüsste er davon.
Ria schien das ganz genauso zu sehen, denn sie winkte ab. „Ach, die sind quasi eine Person. Nein. Hier in der Gegend. Aram ist zwar stark, aber ich bezweifle, dass er Adele vor einer Gruppe beschützen kann." Sie stand auf und begann nach ihrem Telefon zu suchen. „Besser, ich ruf sie mal an."
Er blieb im Bett liegen, folgte ihr jedoch aufmerksam mit den Augen. Sein Cousin mochte zwar lammfromm wirken, war aber im Kampf nicht zu unterschätzen. Eine kleinere Gruppe stellte keine Herausforderung für ihn dar. Vor allem nicht in dieser Welt. „Bestehst du deshalb darauf, dass sie Selbstverteidigung lernt?"
„Nicht nur. Sie soll sich wenigstens etwas verteidigen können. Außerdem tut das ihrem Selbstbewusstsein gut", erklärte sie beiläufig, während sie eine Nummer wählte. Ungeduldig tigerte sie auf und ab. Als Adele nach dem fünften Klingeln abnahm, waren ihre Nerven gespannt wie Drahtseile.
„Ria? Warum rufst du an? Ist etwas vorgefallen?" Sie klang wohlbehalten.
Erleichtert ließ sie sich auf die Matratze sinken. Prompt strich seine freie Hand beruhigend ihre Wirbelsäule hinab. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Wo seid ihr?"
„Im Haus. Da, wo du Aram das erste Mal gesehen hast. Ist dir doch noch nach Gesellschaft?"
Sie schnaubte verächtlich. „Turtelt ihr mal weiter miteinander rum. Ich dachte nur, ich ruf mal an und frag, wie es aussieht."
„Na gut. Wenn du nicht mehr alleine sein willst, komm einfach rum."
Ria verabschiedete sich. „Die beiden tauchen vor morgen nicht mehr auf."
Zufrieden zog er sie wieder zurück aufs Bett. „Das hätte ich dir auch sagen können. Und jetzt komm her." Er musste sie einfach bei sich haben und sie berühren. Die wenigen Minuten ohne Hautkontakt waren nur schwer zu ertragen gewesen.
Ihr knurrender Magen machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Gähnend sprang sie auf. „Da werd ich uns wohl was kochen müssen. Extrawünsche nicht erlaubt - was auf den Teller kommt, wird aufgegessen", erklärte sie ihm mit gespielt drohend erhobenem Zeigefinger und machte sich auf dem Weg in die Küche.
Während sie sich in der Küche zu schaffen machte, sah Eleasar sich im Wohnzimmer um. Es interessierte ihn brennend, wie sie lebte. Neugierig öffnete er einen der Schränke und staunte nicht schlecht. „Wo hast du all die Waffen her?" Angesichts ihres Arsenals konnte er nur den Kopf schütteln. Da wäre manch Adliger blass vor Neid.
„Jahrelange Sammelarbeit", rief sie aus der Küche.
Langsam schlenderte er zu ihr. „Was gibt es denn?" Neugierig legte er seinen Kopf auf ihre Schulter.
„Eins hinter die Ohren, wenn du die Köchin weiterhin belästigst." Wie zur Bestätigung schwang sie den Kochlöffel. „Gibt es etwas, das du gleich tun möchtest?"
Er lehnte sich mit seinem vollen Gewicht an sie, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnte. „Natürlich."
Seufzend griff sie in seinen Schopf und zog ihn zurück. „Etwas anderes? Ich muss morgen noch gehen können."
„Du erholst dich schon noch", erklärte er überzeugt und ließ ihr wieder die Bewegungsfreiheit, die sie zum Kochen brauchte.
„Was machst du morgen eigentlich? Ich habe erst nachmittags Zeit." Aus dem Stand sprang sie auf die Anrichte und kramte im Schrank nach Tellern.
Aus Angst, sie könne abrutschen und sich ernsthaft verletzen, hielt er sie an der Hüfte fest. „Vermutlich zurück gehen und meinem Vater erklären, dass er seinen Lieblingsgast wieder beherbergen darf."
Ihr fielen fast die Teller aus der Hand. Er wollte die Welten wechseln? Ohne sie? „Du kommst doch wieder?"
Galant half er ihr von der Anrichte hinunter. Ihr Misstrauen kränkte ihn. Allerdings hatte er sich das wohl selbst zuzuschreiben. „Natürlich", versicherte er ihr an ihren Lippen. „Es ist zwar noch nicht alles zu meiner Zufriedenheit geregelt, aber da kann ich wohl nichts dran ändern." Nicht, dass er es nicht versuchen würde.
Mit schlechtem Gewissen häufte sie ihm Spaghetti auf den Teller und ertränkte diese fast in Soße. „So, bitte." Sie hatte ihm nichts unterstellen wollen. Aber hatte er nicht ein kleines Bisschen Verständnis für die Panik, die sie jedes Mal überrollte, wenn die Sprache auf Anderswelt kam? Mit fest aufeinander gepressten Kiefern folgte sie ihm ins Wohnzimmer. Seine Versicherung hatte sie ein Stück weit beruhigt, doch traute sie ihm nicht ganz. Das letzte Mal hatte er ihr auch versprochen, zurückzukommen. Nun, sie musste ihm zugutehalten, dass er Wort gehalten hatte. Nur war die Zeit, die er sich gelassen hatte unverhältnismäßig lang. Sie fing seinen fragenden Blick auf und schob ihre Bedenken beiseite. Sie wollte sich keine Gedanken um ihre Zukunft machen, denn jetzt war er hier und nur das zählte. Vorerst.
.
Sie waren gerade mitten beim Essen, da klingelte Rias Telefon. „Andreas", begrüßte sie ihren hiesigen Stellvertreter überrascht. „Was gibt es?"
„Erinnerst du dich an Linda?" Er klang merkwürdig abgehetzt. Dass er sich nicht mit den üblichen Begrüßungsfloskeln herumschlug, war alarmierend.
Beunruhigt legte sie ihre Gabel beiseite. „Klar, die Kleine, die du erschaffen möchtest. Was ist mit ihr? Ich muss nicht dafür sorgen, dass ihre Leiche verschwindet, oder?"
„Nein." Andreas klang geschockt. „Zumindest hoffe ich das. Sie ist verschwunden. Sie war auf einem Botengang, ist aber noch nicht zurück. Das ist jetzt schon zwei Stunden her. An ihr Handy geht sie auch nicht." Die Verzweiflung in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Weißt du in welcher Gegend sie sich aufgehalten hat? GPS? Irgendeine Spur?" Sie erkundigte sich bewusst ruhig. Es brachte nichts, kopflos loszustürmen.
Aufgeregt schilderte er ihr die Route, die Linda hatte laufen sollen, ebenso die Kleidung, die sie trug.
„Sucht schon jemand nach ihr?"
„Ich bin seit einigen Minuten auf der Suche. Ich könnte Verstärkung gebrauchen."
Innerlich laut aufseufzend sah sie zu ihrer Wanduhr. „Ich komm rum. Das ist bei mir in der Nähe. Halt mich auf dem Laufenden."
Sie bedeutete Eleasar mit einem Blick, dass sie ihn gleich aufklären würde und verschlang ihr Essen in Rekordzeit. Bereit, sich auf den Weg zu machen, sprang sie auf. „Verschwundene Person. Kommst du mit?" Unsicher sah sie ihn an.
„Ich lasse dich wohl kaum alleine." Er stand schon an der Tür, bevor Ria all ihre Sachen beisammen hatte. Gemeinsam verließen sie ihre Wohnung.
„Warte." Draußen blieb sie stehen. In Gedanken konzentrierte sie sich auf ihren treuen Geist. Ragna.
Sofort meldete er sich. Ja? Sein selbstzufriedenes Grinsen war nicht zu überhören. Siehst du? Ich hab dir doch gesagt, er kommt zurück.
Eleasar fragte sich, warum Rias Miene sich auf einmal verfinsterte und dann einen zufriedenen Zug annahm. Seine Frau war wirklich schwer einzuschätzen.
„Jetzt können wir weiter", verkündete sie eine Grimasse schneidend. „Ich hasse es, wenn Ragna recht behält", erklärte sie ihm entschuldigend.
Das ergab natürlich Sinn. Er hatte beinahe vergessen, dass sie geistgebunden war. „Und? Wie willst du die Person jetzt finden?" Forschend sah er ihr ins Gesicht. Bislang hatte er noch nie eine Schattenseele bei der Jagd beobachtet. Er wusste, dass sie geschickt darin waren, sich zu verbergen. Das wusste er aus eigener Erfahrung. Aber wie suchten sie ihre Opfer?
„Ganz einfach." Sie deutete auf einen kleinen Park vor ihnen. „Da hat sie durch gemusst. Ich suche ihre Spur und folge ihr. Meistens übernimmt Ragna den Teil mit den Spurensuche."
Sie wandte sich nach rechts und trat in den Schatten einer dunklen Gasse. „Mist", stieß sie plötzlich scharf hervor.
Eleasar fragte sich, was sie wohl wahrgenommen hatte, dass sie nach ihren Waffen griff. Etwas Gutes konnte es nicht sein. Kurz darauf drang ein leises Wimmern zu ihnen herüber. Plötzlich kam Leben in seine Frau. Würde Ria ihn nicht wie magisch anziehen, hätte er sie nach den ersten paar Metern verloren. Sie verschmolz geradezu mit dem sie umgebenden Schatten. Geschickt kletterte sie über eine kleine Mauer und rannte um zwei Hausecken, bevor sie an einer Ecke angespannt verharrte. Neugierig warf er einen Blick auf die Szenerie.
Vier Personen, zwei davon Frauen, zwei Männer hatten eine verängstigte junge Frau an einer Hauswand gestellt und sie umzingelt. Das musste die junge Frau sein, die Ria ihm kurz zuvor auf dem Weg aus ihrer Wohnung grob beschrieben hatte. Braune Haare, normaler Körperbau. „So, du bist also ausgewählt worden." Eine der zwei Frauen spukte verächtlich auf Linda. „Schlampe."
Die Jungs begannen dämlich lachend an ihren Hosen zu spielen. Da wusste Eleasar wieder, weshalb er Menschen nicht ausstehen konnte. Sie waren wesentlich triebgesteuerter und brutaler ihrer eigenen Art gegenüber als alle anderen Wesen, die er kannte.
Verächtlich schnaubend trat Ria in die Gasse. „Echt jetzt? Was soll das?" Dank ihres Bundes konnte er ihre Wut und Verachtung spüren, die sie geschickt hinter einer gelangweilten Maske verbarg.
Die dunkel gekleideten Personen wichen erschrocken zurück. „Was tun Sie denn hier?"
Mit einem Kopfnicken bedeutete Ria Linda zu ihnen zu kommen, dann verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Oliver Stans, Enrico Albero, Bianca Stiel und Sandra Kemp. Ihr meldet euch morgen bei Andreas. Wenn nicht..." Demonstrativ warf sie eines ihrer Messer in die Luft. „Ihr wisst, was euch erwartet."
Die vier Übeltäter wurden kalkweiß. Mit Genugtuung wandte Ria sich an Linda. „Alles in Ordnung?"
Die brünette junge Frau nickte verängstigt. „Danke."
„Du solltest Andreas anrufen. Er sucht nach dir." Aufmunternd hielt Ria der jungen Frau ihre Jacke hin. „Du siehst aus, als würdest du frieren." Zu dieser Jahreszeit mochten die Tage noch recht warm sein, die Nächte waren es jedoch nicht mehr.
„Nicht, dass Sie frieren." Ehrfürchtig nahm die junge Frau das Kleidungsstück entgegen.
Ria winkte ab. „Ich bin hart im Nehmen."
„Ich kann nicht fassen, dass die dieses billige Flittchen genommen haben und uns noch nicht", entrüstete sich Bianca im Hintergrund.
„Zu laut." Eine weitere Warnung gab es nicht, bevor Ria handelte. Kurz darauf sank das vorlaute Mädchen tot zu Boden. „Hat von euch noch jemand Einwände?", fragte sie mit drohend-provozierendem Unterton.
Die Jungs fluchten und Sandra sackte schreiend zu Boden. In dem Augenblick erschien Andreas hinter ihr und brachte sie zum Verstummen. Wütend starrte er die Jungs an. „Wer von euch hat versucht, sich an meinem Mädchen zu vergreifen?"
„Beide", sagte Ria gelassen. Sie ließ es zu, dass ihr Stellvertreter die anderen ebenfalls ins Jenseits beförderte. „Du solltest die Menschen sorgfältiger auswählen, die du in deinen Dienst stellst."
Verächtlich trat ihr Stellvertreter die Leiche vor sich aus dem Weg. „Die vier hat Anna unter Blakes Führung noch eingestellt. Sie waren mir schon lange ein Dorn im Auge. Stecken sie hinter den Überfällen der letzten Zeit?" Während er sprach, schloss er Linda in seine Arme. Erleichterung schwächte die Wut in seinen Zügen ab.
Ria überprüfte kurz die emotionalen Signaturen. Es gab gewisse Überschneidungen. „Scheint ganz so. Viel Spaß beim Beseitigen der Leichen, ich geh wieder nach Hause."
„Du wirst verfolgt", bemerkte Andreas leise.
Desinteressiert zuckte sie mit den Schultern. „Ich weiß. Den werd ich auch nie wieder los." Sie winkte Eleasar heran.
Andreas musste schwer schlucken, als er den Fremden ansah. Dieser Mann strömte eine solche Autorität aus, dass er ihm lieber nicht in die Quere kam.
„Elea, das ist Andreas, mein qualifiziertes Mädchen für Alles und Stellvertreter. Andreas, Eleasar. Mein Mann."
Verblüfft starrte der Jäger seine Meisterin an. „Du bist verheiratet? Wann? Wir dachten alle du und Meister Conran."
Ria schüttelte ihren Kopf. „Ne. Da war nie was. Und der Rest ist Privatsache."
Besitzergreifend legte Eleasar einen Arm um sie. Schon wieder diese leidige Person! Eifersucht schnürte ihm fast die Kehle zu. Er war nicht bereit, seine Frau zu teilen. Und schon gar nicht mit diesem Mann. „Bist du hier fertig? Es kommt jemand."
Tatsächlich torkelte eine Gruppe angetrunkener Teenager in ihrer Nähe vorbei. „Ich werde niemals verstehen, warum man sich das antun muss", murmelte Andreas kopfschüttelnd.
„Intelligent sein kann jeder, da muss man sich halt ein paar Gehirnzellen wegsaufen", entgegnete Ria sarkastisch.
Andreas lachte nervös. „Ich regle das hier und dann verschwinden wir. Danke für die Hilfe."
Ria hob zum Abschied die Hand und hakte sich bei Eleasar unter. „Lass uns nach Hause gehen."
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Schon im Hausflur fiel er über sie her. Sie hatte alle Mühe, die Wohnungstür aufzuschließen.
„Kriegst du eigentlich auch mal genug?", fragte sie ihn belustigt.
„Nein." Seine Hände glitten unter ihr Shirt. „Du bist wie eine Droge."
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