Eleasar
Für alle, die die Nacht nicht ohne eine weitere Portion Ria überstehen ;) Bin gespannt, was ihr zu dem neuen Charakter sagt, den ihr in den nun folgenden Kapiteln näher kennen lernen werdet :)
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Er rannte so schnell, dass die Welt vor Adeles Augen zu verschwimmen begann. Ria hielt zuerst problemlos mit, wurde dann jedoch auf äußerst unsanfte Art und Weise von ihrem Körper daran erinnert, dass sie vor einigen Stunden noch am Sterben gewesen war. Atemlos brach sie zusammen. Fluchend hielt Aram inne. „Kannst du laufen?"
Schwer atmend schüttelte sie den Kopf, ihr Körper zitterte unaufhörlich. „Kleine Nebenwirkung meiner Diät", versuchte sie Adele zu beschwichtigen, die panisch auf sie einredete.
„Was war denn eigentlich los?" Fordernd sah das Küken der Runde ihren Geliebten an.
„Ich weiß nicht genau", keuchte Ria atemlos. „Wer immer da angeritten kam, hat angefangen wahllos Dorfbewohner abzuschlachten."
Beide Mädchen sahen fragend zu Aram. Der fuhr sich ein frustriert durch die Haare. Er hatte nicht erwartet, dass es so schlecht stand. Hatte sein Cousin das bereits gewusst, als er abgereist war? Irgendwie bezweifelte er es. „Eleasar kam wohl nicht mehr rechtzeitig." Wenn es überhaupt noch ein rechtzeitig gegeben hatte.
„Ja, besten Dank auch", erklang es dunkel neben ihnen. Bis auf den Vampir zuckten alle Anwesenden zusammen, als ein elegant gekleideter junger Mann von einem nahen Baum sprang. „Bei eurer Lautstärke könnt ihr auch gleich ein Leuchtfeuer anzünden." Sein Blick fiel auf die nach Atem ringende junge Frau. „Du hast überlebt." Diese Feststellung klang so emotionslos und trocken, dass Adele erschrocken zusammenzuckte. Sie fragte sich, wie jemand nur so teilnahmslos sein konnte.
Ria hingegen funkelte ihn herausfordernd an. Das musste dieser ominöse Eleasar sein, von dem ab und an die Rede war. Aram hatte angedeutet, dass er ihren Essensentzug beendet hatte. Nach dieser Begrüßung konnte er sich das Dankeschön jedoch abschminken. „Dein Zimmer bekommst du nicht wieder."
Die Freunde wechselten einen kurzen Blick. Eleasars war überrascht, Arams eher mitleidig. „Sie hat es drauf angelegt, dass dein Vater sie ins finsterste Kellerloch sperrt", informierte der Vampir seinen sprachlosen Freund. Dabei fragte er sich, wie Ria und Eleasar wohl miteinander auskommen würden. In manchen Dingen war mit ihm deutlich schlechter Kirschen essen, als mit seinem Vater. Der König spielte mit Vorliebe den Bösewicht, war an sich aber in der Regel gerecht.
Ein wenig ratlos sah der Prinz auf Ria hinab. Dieses Mädchen brachte Ärger mit sich. Ärger, den er nicht gebrauchen konnte. Sein Blick wanderte zu Aram, der ein blondes Mädchen - aller Wahrscheinlichkeit nach seine Frau - in den Armen hielt. Gebrechlich. Das war das erste Wort, was ihm zu dem Menschen einfiel. Bei der Anderen... Nun, sie wirkte nicht halb so zart, wie es ihr zu Gesicht stünde. „Geht ihr zwei vor, ich kümmere mich um sie."
„Aber, diese Mörder...", begann Adele plötzlich schluchzend. Dabei klammerte sie sich krampfhaft an ihren Mann.
Beschwichtigend nahm dieser sie in den Arm. „Keine Angst, die beiden überleben das schon. Eleasar ist ein erfahrener Kämpfer und Ria ist selbst in diesem Zustand in der Lage sich selbst zu verteidigen."
Bestätigend nickte Ria. „Wäre ich schwach, würden meine Leute mir nicht folgen." Verzweifelt versuchte sie gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich nicht anmerken zu lassen, wie mitgenommen sie tatsächlich war. Jetzt galt es, ihre Freundin zu beruhigen. Um sich selbst konnte sie sich später noch genug Gedanken machen. Mit einem Kraftaufwand, als würde sie Tonnen stemmen, hob sie ihre Mundwinkel ein wenig an. Ein Lächeln machte jede Situation erträglicher.
Angesichts der zuversichtlichen Worte und festen Stimme ihrer Freundin willigte Adele ein. Wenn sie selbst in dieser Situation noch lächeln konnte, konnte es nicht allzu schlimm sein. Dem Urteil ihrer beiden Liebsten vollstes Vertrauen schenkend fragte sie schwach: „Wann treffen wir uns wieder?"
Beide Männer blickten kurz in die Ferne. Nach einigen Augenblicken schüttelte der Prinz beinahe resignierend seinen Kopf. „Wir werden einen Umweg machen und später im Schloss zu euch stoßen." Eleasar berührte kurz mitfühlend Adeles Hand. „Mach dir keine Sorgen um deine Freundin."
Bevor Ria etwas dazu sagen konnte, hob Aram seine Liebste auf den Arm und rannte geradezu lautlos davon. In diesem Augenblick brach sie vollends zusammen. Besorgt strich Eleasar ihr die Haare hinters Ohr. „Verlier jetzt nicht das Bewusstsein, kleine Schattenseele." Ihre Augenlieder flatterten, wollten sich aber nicht wieder öffnen. Leise fluchend nahm er sie auf den Arm.
Wärme überströmte ihren Körper und vertrieb die Kälte des Zusammenbruchs aus ihren Gliedern. Ihre verkrampften Muskeln entspannten sich langsam, sodass es ihr schließlich gelang, die Augen zu öffnen und sich aufzusetzen. Nach kurzem Blinzeln gelang es ihr, ihre Umgebung zu erfassen. Sie und Arams mysteriöser Freund befanden sich auf einer kleinen Lichtung. Der Fremde stand ein paar Schritte von ihr entfernt an einen Baum gelehnt. Als sie sich rührte, drehte er seinen Kopf in ihre Richtung und musterte er sie über seine Schulter hinweg aus seinen unglaublich klaren Augen. Sein braunes Haar hatte er zu einem losen Zopf zusammengebunden. Ein distanziertes Lächeln umspielte seine weich aussehenden Lippen. „Ausgeschlafen?"
Unsicher nickte sie. „Wer bist du?"
Eleasar drehte sich um, suchte in einem am Boden liegenden Rucksack nach einem Apfel und reichte ihn ihr. „Das weißt du doch."
Finster starrte sie ihn an. Ja, das wusste sie. Oder besser gesagt: sie glaubte es zu wissen. Das waren zwei völlig verschiedene Dinge. „Hat man dir nicht beigebracht, sich vorzustellen?" Sie dachte einen Augenblick nach und fügte dann resignierend hinzu: „Bei dem Vater war vermutlich kein Bisschen Erziehung angesagt."
Tiefblaue Augen sahen sie unverwandt an. Dann brach der unverschämt gutaussehende Mann vor ihr in Gelächter aus. Scheinbar gelassen ließ er sich neben ihr nieder. „Aram hat mich gewarnt, dass du deinen eigenen Kopf hast, aber sowas habe ich nicht erwartet. Mein Name ist Eleasar."
Na, ging doch. Nur dieser Name... „Ich bin Ria. Darf ich dich Elea nennen? Dein Name klingt so schrecklich altmodisch."
Überrascht blinzelte er. „Elea?"
Ria nickte und verputzte den Apfel in Nullkommanichts. Plötzlich drang ein klägliches Fauchen an ihre Ohren. Erschrocken fuhr sie zusammen und sah sich alarmiert nach der Geräuschquelle um. Erleichtert stieß sie die angehaltene Luft aus, als sie die kleine Echse auf ihrer Schulter entdeckte. „Na, mein Freund, willst du auch etwas?" Sie hielt ihr den Rest ihres Apfels hin.
Zu ihrer Verwunderung biss das Tier genüsslich hinein. Schmatzend hockte es neben ihrem Ohr und vernaschte den letzten Rest des Obstes. Anschließend rollte es sich zufrieden schnurrend um ihren Nacken zusammen. Was für ein merkwürdiges Tier.
„Woher hast du sie?"
Auf ihren fragenden Blick hin deutete Eleasar auf die kleine Echse.
„Sie war auf einmal da", antwortete sie schulterzuckend.
Mit gerunzelter Stirn stand er auf. „Das glaube ich kaum."
Entrüstet sprang sie auf. „Du musst mir auch gar nicht glauben. Ich habe schließlich nicht darum gebeten. Und jetzt entschuldige mich, ich muss zurück in meine Zelle." Ungehalten stapfte sie in den Wald hinein. Der hatte doch absolut keine Ahnung! Und was interessierte es ihn, mit was für Wesen sie sich abgab? Solange die Echse sie nicht fressen wollte, war alles in bester Ordnung.
„Wie willst du herausfinden, wo du hin musst? Du kennst den Weg nicht." Seine Stimme klang belustigt. Und so weit entfernt, dass sie daraus schloss, dass er noch immer am gleichen Ort stand.
„Ich kann klettern", rief sie ihm zu und begann, sich nach einem geeigneten Baum umzusehen. Dieses Mal achtete sie auf die Beschaffenheit der Rinde. Diesbezüglich hatte sie ihre Lektion gelernt. Wäre ja noch schöner, wenn sie sich vor dem Prinzchen zum Affen machte. Nein, diese Genugtuung würde sie ihm ganz bestimmt nicht verschaffen.
Nahendes Hufgetrappel ließ sie abrupt innehalten. Kurz darauf erschien Eleasar hinter ihr. „Sie suchen nach dir."
Fragend sah sie ihn an. „Und wer sind die?"
„Sems Leute", entgegnete er finster. „Komm, wir sollten die andere Richtung einschlagen."
Widerstrebend folgte sie ihm. „Wer ist Sem?" Gehörte Sem zu Marjan? Wenn ja, warum wirkte Marjans Brut dann so wenig begeistert?
„Scht." Ungehalten fuhr er ihr über den Mund. „Sei still."
Mit unterdrückter Wut schlich sie hinter ihm her, tiefer in den immer dunkler werdenden Wald. Was für eine verlockende Aussicht, mit dem Sohn dieses verrückten Blutsaugers durch die Wälder streifen zu müssen. Auf garkeinen Fall würde sie sich von ihm einlullen lassen. Lieber starb sie hier draußen als ihm komplett zu vertrauen. Sollte sie den Eindruck haben, dass er versuchte sie in eine Falle zu locken, konnte sie ihm immer noch den Hals umdrehen.
Je länger sie liefen, desto müder wurde sie. Ihre eigene Schwäche wurmte sie ziemlich. Weil sie es ihm nicht offenbaren wollte, versuchte sie sich so lange wie möglich nichts anmerken zu lassen. Irgendwann drehte ihre unwillkommene Gesellschaft sich um und musterte sie kritisch. „Kannst du weiter gehen? Es ist nicht mehr weit bis zum nächsten Dorf."
Was für eine Frage. Stolz und Misstrauen geboten ihr, selbst zu laufen. So schleppte sie sich Schritt für Schritt in Richtung Dorf. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen die ersten Häuser in Sicht. Es waren schlichte Häuser, die vage an Fachwerk erinnerten. Vor Erleichterung hätte sie fast angefangen zu weinen. Endlich konnte sie sich ausruhen.
Mit schmerzenden Gliedern betrat sie hinter Eleasar einen Wirtsraum. Ihr Führer unterhielt sich kurz mit dem Wirt. Sie war zu erschöpft, um herauszufinden, ob der Wirt ein Mensch war oder sie verstehen konnte, was gesprochen wurde. Eines jedoch wusste sie mit Gewissheit: Eleasar war kein Vampir. Das hatte sie während ihres Gewaltmarsches mehrfach überprüft. Er fühlte sich an, als wäre er das genaue Gegenteil. Zwar konnte sie keine bestimmte Emotion an ihm ausmachen, doch war er eine Quelle des Wohlbefindens. Anstelle vampirischer Kälte, spürte sie von ihm die Wärme einer aufgehenden Sonne.
Das Objekt ihrer Grübeleien trat vor sie. „Ria? Das Zimmer ist oben. Nummer vier."
Halb schlafend schleppte sie sich die Stufen empor. Der Flur oben war ebenso wie der Schankraum aus schönem rotbraunem Holz gefertigt. Verschnörkelte Nummern waren in das Holz graviert und mit dunkelbrauner Farbe ausgemacht worden. Es gefiel ihr hier. Bevor ihr Begleiter meinte, den Gentleman herauskehren zu müssen, öffnete sie die Tür. Das Zimmer dahinter war schlicht. Ein Bett, ein Nachttisch, Schrank und eine Nasszelle - perfekt. Sich auf ein frisches Bett freuend, stieß sie die Tür zu. „Gute Nacht."
Leider erreichte die Tür ihr vorgesehenes Ziel nicht. Sehr zu ihrem Missfallen betrat der Vampirspross ebenfalls den Raum. Suchte er etwa Streit? Dann sollte er morgen wieder kommen. Heute war sie eindeutig zu geschafft. „Ah, du hast da etwas falsch verstanden." Lächelnd schloss er die Tür hinter sich. Was sollte das denn bitte werden? „Es gibt nur ein Zimmer. Die anderen sind von Flüchtlingen aus den umliegenden Dörfern besetzt."
Das war doch ein schlechter Witz. Anscheinend konnte sie es jetzt nicht mehr ändern. Also drehte sie sich kurz zu ihm um und zuckte betont gleichgültig mit den Schultern. „Ich hoffe für dich, dass der Boden nicht ganz so hart ist, wie er sich anfühlt." Kraftlos ließ sie sich aufs Bett sinken.
Sie war eingeschlafen, bevor er sie erreicht hatte. Kopfschüttelnd musterte Eleasar ihre schlafende Gestalt. Sie war nicht besonders groß, dafür aber schlank und gut in Form. Ein untrainiertes Wesen hätte diesen Marsch nicht so tapfer durchgestanden wie sie. Mut hatte sie, das stand außer Frage. Sein Blick glitt über ihr leicht verdrecktes Gesicht. Sie hatte feine Züge, die selbst im Schlaf einer gewissen Schärfe nicht entbehren konnten, dazu lange schwarze Haare. Sie war wirklich schön. Das Bisschen Leben stand ihr wirklich gut. Und das Farbenspiel ihrer Augen - von hellbraun zu orange und wieder zurück - war äußerst faszinierend.
Langsam glitt die Echse von ihrem Nacken und machte es sich auf ihrer Brust bequem. „Du wachst gut über deine Herrin." Anerkennend hielt er dem kleinen Lebewesen eine Beere hin. „Sie scheint nicht zu wissen, was du bist."
Die Echse gab ein wohliges Gähnen von sich und folgte dem Mädchen ins Land der Träume.
Seine Mundwinkel hoben sich zu einem leisen Lächeln. Diese Reise konnte noch lustig werden. Aber erst einmal musste sie zu Kräften kommen. Nachdenklich ging er vor dem Bett in die Knie und legte eine Hand auf ihren Schopf. Er musste einfach sicher gehen, dass sie weitestgehend gesund war. Sofort öffnete sich ihr Geist und offenbarte ihm ihre Seele. Ein leichter Schatten umgab sie, hüllte sie in einen schützenden Kokon.
Erleichtert zog er sich zurück. Es ging ihr gut. Die Erschöpfung war nur körperlicher Natur. Nach dem Gewaltmarsch, den sie sich selbst aufgezwungen hatte, war das kein Wunder. „Nimm dir so viel Kraft, wie du nur brauchst, kleine Schattenseele."
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