Das Beste für Dich

Den ganzen Weg zurück zur Kampfsportschule sprach Ria kein Wort. Stattdessen klammerte sie sich an Eleasars Hand, als würde ihr Leben davon abhängen. Seinen besorgten Blicken wich sie bewusst aus. Sie wollte nicht darüber reden, sich nicht eingestehen, dass sie sich in Aleix verliebt hatte, bevor er in ihr Leben getreten war. Nicht zugeben, dass dieser kleine Teil in ihrem Herzen, der für ihn reserviert war, gerade um ihre nicht vorhandene Zukunft trauerte.

Adele hockte munter plaudernd auf den Eingangsstufen. Zusammen mit den beiden Griechen genoss sie die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut und verspeiste eines von Demostenes' legendären Sandwiches. Als ihr Blick auf das ankommende Paar fiel, sprang sie alarmiert auf, rannte auf die beiden zu und fiel ihrer Freundin um den Hals. „Es ist nicht für immer, hörst du? Du kannst sie alle wiedersehen."

Ria schenkte ihr ein geknicktes Lächeln. „Ich weiß. Darum geht es auch nicht. Abschiede sind einfach nicht so meins." Sie blinzelte und schien wieder die ganz Alte zu sein. „So, dann will ich jetzt mal den beiden erklären, dass sie eine Weile auf mich verzichten müssen."

Die Brüder erwarteten sie bereits. „Adele hat erzählt, dass ihr fortgeht." Demo schloss sie in seine Arme. Es schien, als verschwände sie in seiner hünenhaften Gestalt. „Du gehörst zu deinem Mann. Ohne ihn sahst du so verloren aus, Süße."

Sie nickte stumm. Ein Wort und sie wäre erneut in Tränen ausgebrochen.

„Jetzt mach nicht so ein Gesicht, Süße." Dimi klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. „Glaubst du, wir dachten, du würdest ewig hierbleiben? Die Welt gehört dir und du sollst sie entdecken. Lass die Vergangenheit hinter dir."

„Ihr nehmt es mir nicht übel?", fragte sie ungläubig.

Beide lachten rau. „Wir nehmen es dir übel, wenn du nie wieder auftauchst."

„Wir kümmern uns um deine Abmeldung von der Schule. Wir haben einen Freund beim Nachrichtendienst. Er ist hoch genug, um dich komplett aus dem System zu nehmen. Und Adele auch."

Gerührt umarmte sie ihre Freunde. Dabei rannen ihr unaufhaltsam Tränen über die Wangen. „Ihr seid doch doof."

„Wir wollen nur das Beste für dich. Und das findest du nicht hier."

„Eine weitere Bedingung haben wir jedoch", ergänzte Demo schmunzelnd. „Du musst uns besiegen."

Belustigt schniefend wischte sie sich die Tränen aus den Augen. „Hab ich's doch gewusst, ihr seid verrückt."

„Begrenzt", grinste Dimi sie frech an. „Also, von wem willst du dir zuerst den Hintern versohlen lassen?"

Herausfordernd lächelte sie ihn an. „Wenn du dich schon freiwillig für eine Tracht Prügel meldest." Es dauerte keine fünf Minuten, da lag er bewegungsunfähig auf dem Boden. „Schade, Schätzchen. Vielleicht hat dein Bruder ja mehr Glück."

Demostenes ließ die Knochen knacken. „Bei mir hast du nicht so leichtes Spiel."

Tatsächlich brauchte sie bei ihm eine Minuten länger. „Ach, Demo-Schnucki, ich werde es vermissen." Frech grinste sie ihn an. „Ihr zwei habt es mir immer so schön leicht gemacht." Wesentlich besser gelaunt als zuvor reichte sie ihm die Hand, um ihm beim Aufstehen zu helfen.

„Dann sieh mal zu, dass du Land gewinnst, bevor wir dich vom Hof jagen müssen." Ein letztes Mal verwuschelte er ihre Haare.

Der Stein, der von ihrem Herzen fiel musste Tonnen wiegen. Sie hatte damit gerechnet, dass es schwerer werden würde. Befreit winkte sie ihren Freunden zum Abschied und griff nach Eleasars Hand. Der hatte den Abschied zufrieden aus einiger Entfernung beobachtet.

„Bereit?" Flüchtig streifte sein Blick Adele, die nickte, um dann mit Rias zu verschmelzen. „Gehen wir."

.

Vor Rias Wohnungstür wartete Aram ungeduldig auf sie. Freudig begrüßte Adele ihren Mann. „Aram? Schon wieder hier?"

Eleasar war nicht minder überrascht. „Solltest du nicht beschäftigt sein?"

Der Angesprochene lächelte gequält. „Dein Vater möchte wissen, warum du nicht ins Schloss zurückkehrst."

Drei Paar Augen ruhten auf Eleasar, der leicht den Kopf schüttelte. „Nicht hier draußen." Er nahm seiner verwirrten Frau die Schlüssel aus der Hand und entriegelte die Tür.

Drinnen setzten sie sich ins Wohnzimmer. Aram und Adele nahmen auf dem Sofa Platz, während Eleasar den Sessel wählte und Ria auf seinen Schoß kroch. Gedankenverloren spielte er mit ihrem Haar. „Hat er schon eine Einladung bekommen?"

Aram nickte. „Er fragt sich, warum er die Feier nicht ausrichten soll."

Eleasars Miene verfinsterte sich. „Weil das kein neutraler Boden ist."

„Ach, und die kaiserliche Hauptstadt ist es?" Aram stand auf. „Ich weiß, du würdest das nicht tun, wenn es nicht einen Aufschub bieten würde, damit ihr herausfinden könnt, wo sie her kommt. Aber muss es denn ausgerechnet die kaiserliche Hauptstadt sein?"

Sein Freund sah ihn entschlossen an. „Es gibt keinen neutraleren Ort."

Aufgebracht stemmte Aram sich die Hände in die Seiten. „Das ist dein Machtbereich, Eleasar. Sem wird das keine Sekunde lang für neutralen Boden halten."

„Es ist mein Zuhause." Er raufte sich die Haare. „Hast du eine bessere Idee? Der Krieg brodelt seit über einem halben Jahr unterschwellig. Es dauert nicht mehr lange und einer der beiden wird es eskalieren lassen."

Ria sprang auf und schnappte sich Eleasars Hände. „Was ist los?", fragte sie sanft. Sie spürte, dass er keinen Rat mehr wusste.

Mit gequältem Blick sah er sie an. „Du erinnerst dich daran, dass Sem dich haben wollte?"

Sie nickte langsam. Dieser Hund hatte ein ganzes Dorf abgeschlachtet. Einfach so. Skrupellose Dreckskerle wie ihn verspeiste sie gerne zum Frühstück.

„Er will dich noch immer. Aber das ist nur ein vorgeschobener Grund." Trost suchend zog er sie an sich und strich ihr durchs Haar. „Kriege dauern lange. Ich möchte nicht, dass du in einer solchen Zeit drüben bist. Deshalb muss ich versuchen, es zu verhindern."

„Hattest du deshalb nichts dagegen, dass ich hier bei Ria bleibe?", fragte Adele Aram scharf.

Dieser nickte schuldbewusst. „Eleasar und ich waren uns einig, euch so lange hier zu lassen, bis die Situation sich entspannt hat."

Adele starrte ihn wütend an. „Denkst du nicht, dass ich mir auch Sorgen um dich mache?"

Schmunzelnd wandte Ria sich wieder ihrem Liebsten zu. Der Blutsauger tat ihrer Freundin wirklich gut. Sie war jetzt schon viel temperamentvoller als früher. „Was schwebt dir vor?"

Entschuldigend lächelte er sie schwach an. „Unseren Bund nutzen, um zu zeigen, dass keiner der beiden ein Anrecht auf dich hat. Das gibt uns hoffentlich genug Zeit, denn Sem wird nicht klein beigeben. Er wird Satisfaktion dafür fordern, dass mein werter Herr Vater dich ihm vorenthalten hat. Meine Quellen haben mir berichtet, dass er bereit ist, einen Zeugen anzuführen. Ist der Zeuge glaubwürdig, wird sich niemand einmischen. Wenn nicht, wird Sem der Prozess gemacht."

Ria seufzte. Warum brauchte dieser Sem überhaupt einen Grund, um einen Krieg vom Zaun zu brechen? „Ihr habt komische Regeln. Ich komme mit. Schließlich kann dieser Kerl nicht einfach behaupten, ich wäre sein Eigentum. Der soll mir mal über den Weg laufen."

Aram brach in schallendes Gelächter aus. „Da hast du Angst, sie könnte in einen Krieg geraten und dann plant sie einen Königsmord. Ich glaube, du solltest sie doch hier lassen."

Finster starrte sie ihn an. „Wegen dem macht Elea sich so viele Gedanken! Er ist dafür verantwortlich, dass die Menschen rund ums Schloss abgeschlachtet wurden! Und mit welcher Begründung? Weil er meint, irgendwelche albernen und total absurden Ansprüche erheben zu können."

„Gibt es irgendwelche Beruhigungsmittel, die wir deiner Freundin geben können?", fragte Aram seine Frau.

Die schüttelte den Kopf und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Lass gut sein. Ich kann gut verstehen, dass sie nicht möchte, dass dieser Kerl mit ihr spielt. Wie finden wir heraus, wer der Zeuge ist und wo Ria wirklich her kommt?"

„Du hältst dich da raus", riefen Ria und Aram im Chor.

Eleasar spürte, wie die Gefühle in Ria hochkochten und sie kurz davor war, die Fassung zu verlieren. Vorsichtshalber zog er sie an sich und legte sein Kinn auf ihrem Kopf ab. „Der Zeuge ist zweitrangig. Wenn Ria ihn nicht erkennt, ist zweifelhaft ob er für glaubwürdig befunden wird."

„Reisen wir dann durchs Land?" Aufgeregt sprang Adele auf. „Ria, wäre das nicht toll? Dann bekommen wir endlich etwas von der Welt zu sehen!"

Ria verzog spöttisch ihren Mund. „Warum fragst du Aram nicht einfach, ob ihr eure Flitterwochen nachholen könnt? Mal ehrlich: wie soll ich denn wissen, wo ich geboren wurde? Das einzige, was sich eventuell herausfinden lässt ist der Ort, an dem ich Ragna getroffen habe. Und selbst daran erinnere ich mich so gut wie gar nicht."

Aram stand auf. „Ganz einfach. Bei seelischen oder geistigen Verletzungen kommen Erinnerungen wieder hoch."

„Nein." Ungehalten schnitt Eleasar ihm das Wort ab. „Vergiss es. Das letzte Mal hat voll und ganz gereicht."

„Dann hoffe ich nur, dass du noch einige Asse im Ärmel hast", meinte er resignierend. „Ria. Hätte Sem nicht beschlossen, in Marjans Ländereien einzufallen, hättet ihr euch wahrscheinlich nicht gefunden. Eleasar..."

„Du willst wohl Ärger", knurrte Eleasar böse.

„Jedenfalls", fuhr der Vampir ungerührt fort, „hat er sich dazu bereit erklärt dich zu begleiten, weil Adele diese Reise nicht geschafft hätte."

„Aram." Wenn Blicke töten könnten. „Soll ich anfangen, vor deiner Frau aus dem Nähkästchen zu plaudern?"

Aram wurde blass. „Schon gut."

„Ich glaube kaum, dass ich es diesem ... Sem zu verdanken habe", warf Ria beruhigend ein. „Marjan schien ganz wild darauf, mich an einen seiner Söhne zu binden. Über kurz oder lang wäre es sowieso passiert." Tief durchatmend brachte sie wieder ein wenig Ruhe in ihr Innenleben.

Adele war währenddessen aufgestanden und schnappte sich Rucksack und Reisetasche. „Na, dann wäre doch alles geklärt." Sie warf Aram einen undefinierbaren Blick zu, der sich daraufhin beeilte, ihr die Taschen abzunehmen.

„Wir gehen nicht mit den beiden", erklärte er Adele sachlich. „Wir müssen eine offizielle Einladung abwarten und dann mit Marjan anreisen."

„Aber, ich habe doch Sachen für Ria", protestierte diese eingeschnappt.

„Dann bringen wir die eben mit. Wir werden vermutlich heute Abend noch abreisen, also sollten wir jetzt nicht zu viel Zeit vertrödeln." Er griff nach Adeles Hand. „Wir nehmen das Portal im Haus."

„Nehmt doch Rias." Eleasar deutete auf den Tisch.

Aram musterte seinen Freund eindringlich. „Wenn du es öffnen kannst. Ich habe keinen Schlüssel."

Eleasar ließ von seiner Frau ab und besah sich die Runen auf dem Tisch genauer. „Ihr könnt gehen", verkündete er keine Minute später.

Fragend beobachtete Ria, wie Aram die große Tasche auf den Tisch warf. Sie wollte ihn gerade darauf aufmerksam machen, dass sie ihm den Kopf abreißen würde, wenn auch nur eine Macke auf dem Tisch wäre, da war die Tasche auch schon verschwunden. Der Rucksack folgte. Sobald letzterer verschwunden war, zog der Vampir seine Frau an sich. „Wir sehen uns drüben."

Eleasar nickte knapp und zog Ria ein Stück zur Seite. „Du solltest die Augen schließen."

Ria tat ihm den Gefallen. Sie spürte etwas wie eine Brandung durch den Raum fluten, bevor ihre Sinne durchdrehten und Aram und Adele sich aufzulösen schienen.

„Ria." Eleasar fing sie auf, bevor sie wegsacken konnte. „Alles in Ordnung?"

Es dauerte, bis sie ihre Sinne beisammen hatte. „Ja", murmelte sie schließlich schwach. „Als du mich hergebracht hast, hat sich das nicht so angefühlt." Halt suchend kroch sie in seine Arme. Dieses sich Aufblähen und dann verschwinden der Energien hatte ein eigenartiges Gefühl in ihr zurückgelassen.

„Wir haben auch kein allgemeines Portal genommen. Fühlst du dich in der Lage zu reisen?" Forschend sah er ihr in die Augen.

„Ich muss nur kurz Cora holen." Wieder Herrin ihrer Sinne rannte sie ins Schlafzimmer. Dort kramte sie den Katzenkorb unter dem Bett hervor. Etwas schwieriger gestaltete sich dann das Einfangen ihrer Katze im Wohnzimmer.

Belustigt beobachtete Eleasar sie dabei, wie sie hinter ihrer Katze her sprang und sie mit kläglich klingendem Miauen zu sich zu rufen versuchte. Lachend setzte er sich auf den Boden und sah ihr noch einige weitere Augenblicke dabei zu.

„Hilf mir lieber." Anklagend schob sie ihm den Korb hin. „Hier, ich geb auf."

Er nutzte ihre Atempause, um sie an sich zu ziehen. „Vielleicht sollten wir ihr ein wenig Zeit lassen, sich mit dem Korb anzufreunden."

„Vor gar nicht allzu langer Zeit hattest du es ziemlich eilig", murmelte sie an seinen Lippen.

„Ich habe nichts dagegen, erst mitten in der Nacht anzukommen. Erspart die Fragen und neugierigen Blicke."

Ria war noch nicht ganz überzeugt. „Ach, tatsächlich?"

Er seufzte verärgert. „Erzähl mir nachher nicht, du hättest nach deiner Ankunft keine Ruhe gehabt."

Ria machte den Mund auf, sprang dann aber plötzlich auf, zur Seite, tauchte ab und hielt kurz darauf triumphierend ihre Katze in die Höhe. „Ha! Hab ich dich."

Kläglich maunzend versuchte Cora, sich durch den Korb zu buddeln. Ria hielt es kaum aus. „Lass uns gehen. Ich will sie nicht lange einsperren."

Eleasar setzte sich auf und legte die Hand auf den Tisch. „Hast du alles soweit, dass du gehen kannst?"

Sie kontrollierte noch einmal, ob alles ausgestellt und der Kühlschrank auch wirklich leer war. Aufgeregt und zugleich bedrückt trat sie zu ihm. „Dann lass uns gehen. Überlebt Cora das?"

Lächelnd strich er ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. „Natürlich."

„Ich glaub, ich geh nochmal ins Bad", murmelte sie nervös. Als sie zurück kam, war Cora verschwunden. „Wo ist meine Katze?"

„Wartet drüben auf dich. Es ist einfacher für mich, nur dich mitzunehmen." Er hielt ihr die Hand hin und zog sie liebevoll an sich. „Bereit?"

Auf Rias Nicken hin ließ er sich nach hinten fallen. Erschrocken schrie sie auf.


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