Panik

„Bitte, bitte, bitte!"

Hermine machte wieder diesen Blick und schon könnte Draco dahinschmelzen - würde sich nicht im nächsten Moment blanke Panik in ihm ausbreiten.

Langsam kletterte sie übers Bett auf ihn zu, wie ein Raubtier, das nach Beute sucht.

Wie Draco in diese Situation geraten war, und warum Hermine sich so ungewohnt gebärdete?

Alles begann am Montag der Woche, in der alle Schüler ihr richtiges Alter hatten. Wieder waren alle im Lernstress, da einiges an Stoff nachzuholen war.

Zwar war der Lehrplan für die älteren Schüler ein bisschen simpler gemacht worden, da McGonagall eingesehen hatte, dass sonst kein Schüler (außer vielleicht Hermine Granger) in sämtlichen Fächern hinterherkommen konnte.

Dadurch hatte Draco wieder die Chance, sich seinen früheren Notendurchschnitt zurückzuholen - mit Ausnahme von Verteidigung gegen die dunklen Künste.

Warum er genau in diesem Fach in letzter Zeit so hängenblieb, verstand er beim besten Willen nicht. Nicht nur, dass er sich selbst damit unter Druck setzte, nein, auch andere Schüler fingen an ihn zu verurteilen, dass seine etwas schlechteren Noten in dem Fach durch seine Todesserzeit kamen. Gemeine Sprüche wie „Er hat halt nur gelernt, wie man die dunklen Künste anwendet, nicht wie man sie bekämpft" gehörten deshalb zu seiner Tagesordnung - nicht nur am Montag, auch die restliche Woche noch.

Nach außen hin hatte er wieder seine Maske ausgepackt, aber innerlich wollte er vor Wut zerbersten. Doch irgendwann ging es selbst ihm zu weit, sodass er Hermine einmal mit knirschenden Zähnen am Gang abfing.

„Huh?", sie blieb stehen und drehte sich um, als er ihr Handgelenk schnappte und sie in einen leeren Klassenraum zog.

„Dra - Malfoy! Was soll das bitteschön werden?", fragte sie schmunzelnd und Draco biss sich auf die Lippe. „Ich hab dich ja schonmal nach Nachhilfe gefragt ... Ich brauche wieder welche."

Es fiel ihm nicht leicht, das vor ihr zuzugeben, aber Hermine war die Einzige, die ihm helfen konnte. Außerdem könnte er durch Nachhilfe mehr Zeit mit ihr verbringen.

So geschah es also, dass Hermine und Draco sich über die Woche miteinander befreundeten. Die Feindschaft war sowieso schon lange nicht mehr vorhanden gewesen, deshalb war das nicht schwer und beide freuten sich über die Zeit gemeinsam.

Das erklärte jedoch immer noch nicht, warum Hermine auf allen Vieren über Dracos Bett kletterte.

Dracos Bett?

Er lag im Krankenflügel.

Und das aus dem beinahe banalen Grund, dass Filch - ob er es vergessen hatte, oder es aus purer Boshaftigkeit so eingerichtet hatte, wusste man nicht - das Seifenwasser am Boden eines Korridors nicht weggewischt hatte, nachdem er es verteilt hatte.

Draco war in der Früh meist einer der Ersten (wenn nicht der Erste), die aufstanden und in die große Halle gingen. Erst fünf Minuten später folgte Blaise - der vor dem nassen Korridor nicht durch ein Schild gewarnt wurde, sondern durch einen Draco, der, schwer atmend, am Boden lag.

Es stellte sich nur kurze Zeit später heraus, dass er sein Bein ungut verdreht hatte und somit ein Band in seinem Knie überdehnt war. Nichts weltbewegendes; nichts, was nicht zu heilen war, vor allem mit Pomfreys Mixturen; aber schmerzhaft war es allemal.

So kam es, dass er jetzt im Krankenflügel lag - eine Frage wäre geklärt.

Und die Antwort auf die nächste - warum Hermine erstens bei ihm war, und zweitens auf ihn zuschlich wie ein Raubtier - war, dass Draco (trotz seiner Verletzung) Nachhilfe von ihr bekommen sollte.

Deshalb hatte sie irgendwann ihren Kopf zur Tür reingesteckt und hatte begonnen, ihn Gegenflüche und Verwünschungen zweiten Grades abzufragen, mit ihm Übungen in seinen Büchern durchzuarbeiten, und so weiter. Irgendwann hatten sie tatsächlich beide keine Lust mehr gehabt, vor allem, da Draco große Fortschritte machte und es kaum noch etwas brachte.

Also hatte Hermine kurz in Gedanken versunken an die Wand gestarrt, bis sich ein teuflisches Grinsen auf ihren Lippen gebildet hatte.

Das war der Moment, in dem Dracos Kopf so etwas schrie wie: „Renn, solange du noch kannst! Ach ja, ups. Kannst du ja nicht, aber - RENN!", und Dracos Bauch schwärmte: „Dieses Grinsen ... Diese Lippen ... Küss sie einfach!"

Man kann sicherlich verstehen, dass Draco deshalb gar nichts unternahm, sondern die Stimmen ignorierte und abwartete - was er später als gewaltigen Fehler einsah.

Hermine hockte sich nämlich erst ans Fußende des Krankenbettes, hnd begann dann, ihn mit ihren großen Augen und einem flehenden Lächeln anzustarren.

„Erzählst du mir noch mal die Geschichte von den drei Brüdern?", fragte sie mit leicht verstellter Stimme und Draco rutschte das Herz in die Hose.

„W-wie war das? Gra - Herm - Granger, du kennst die Geschichte doch genau so gut wie ich, wenn nicht sogar besser!", stotterte er und Hermine machte einen Schmollmund.
„Ich möchte die Geschichte aber von dir hören, mit deinen Worten!"

Draco war immer noch nicht überzeugt, sodass Hermine genervt seufzte, sich auf alle Viere stellte und anfing, auf ihn zu zu krabbeln. Und somit wären wir wieder bei dem Punkt angelangt, mit dem dieses Kapitel begonnen hatte:

„Bitte, bitte, bitte! Warum hast du jetzt ein Problem damit? Als ich noch klein war, hast du das ohne Widerstand gemacht!"

Draco seufzte. Sie hatte ja Recht. Außerdem wusste er mittlerweile, durch die vielen Stunden die sie miteinander verbracht hatten, wie kindisch Hermine immer noch sein konnte. Warum also nicht?

„Na gut!", schnaubte er und verdrehte seine Augen. „Du kindisches Kleinkind."

Hermine bließ protestierend ihre Backen auf. „Das hab ich überhört", maulte sie leise, grinste ihn dann aber an. ,,Los!"

Draco seufzte erneut, sammelte sich und sein wild schlagendes Herz wieder, und begann.

,,Es war einmal vor laaanger langer Zeit, als drei Brüder - Granger, hör auf so zu grinsen, das irritiert." Hermine kicherte kurz. ,,Tut mir Leid. Ich liebe es, dass du das Märchen so begonnen hast. Erinnert mich an meine Kindheit und so manches Muggelmärchen. Entschuldige bitte, red weiter."

Sie ... sie liebte es. Draco schluckte leicht und fuhr, ein wenig heiser, fort: ,,Also - ja. Es waren einmal drei Brüder, die am späten Abend durch einen Wald liefen. Ein paar sterne glitzerten bereits hoch am Himmel. Sie liefen und liefen, bis sie an einen Fluss kamen. Die Brüder waren nicht schwach, aber die Strömung war selbst für sie zu stark und mitreißend. Aber da die drei der magischen Künste kundig waren, zauberten sie einfach zusammen eine stabile Brücke her, über die sie liefen und den Fluten des Flusses entkamen."

Draco hatte an die Decke gestarrt, um nicht beim Formulieren von Sätzen von Hermine abgelenkt zu werden. Jetzt aber senkte er seinen Blick und sah Hermine an. Er schien ,,Wie bin ich bis jetzt?", fragen zu wollen.

Hermine schien bereits in seinen Bann gezogen worden zu sein. Sie nickte lebhaft ohne etwas zu sagen und somit fuhr Draco fort.

,,Auf der anderen seite der Brücke wurden sie von einer dunklen Gestalt überrascht. Es war der Tod, der wütend auf die drei war, da Wandersleute gewöhnlich in seinen Fluss stiegen und ertranken oder erfrierten; doch der Tod war ein Lügner. Er tat, als wäre er beeindruckt von den Künsten der Brüder und lobte sie überschwänglich. Er versprach den Dreien eine Belohnung für ihre Zauberkunst."

,,Du erzählst es nicht sehr originalgetreu", bemerkte Hermine plötzlich und fiel Draco ins Wort. Sofort sah sie ihn entschuldigend an. ,,Was aber nicht unbedingt negativ ist. Du machst das super. Weiter. Bitte."

Er lachte kurz und erzählte weiter. Ab sofort ohne Unterbrechungen; er erzählte bis zum Ende, wo der jüngste Bruder dem Gevatter Tod folgte und seinen Unhamg seinem Sohn hinterließ.

Hermine lächelte seelig als die Geschichte zu Ende war. ,,Danke. Ich liebe diese Geschichte."

Draco konnte einen Seufzer unterdrücken. Sie liebte so viel Dinge - aber liebte sie womöglich auch ihn?

,,Ich danke dir", erwiderte er schmunzelnd. ,,Bis auf die zwei Male warst du eine tolle Zuhörerin."

Hermine lachte, stand auf und verbeugte sich kurz. Dann schnappte sie sich Dracos Bücher - erst jetzt fragte er sich, woher sie die hatte - zwinkerte ihm kurz zu und verschwand dann wieder aus dem Krankenflügel.

Draco ließ sich in die Kissen sinken. Ihr Zwinkern war zu viel für seine Nerven. Bald würde er seine Gefühle entweder nicht mehr zurückhalten können, oder sie ihr lautstark ins Gesicht schreien - er wusste nicht, was peinlicher wäre.

Doch bis dahin hatte er nur seine Hoffnungen und Träume.

Und als er einschlief, holte ihn einer seiner Träume erneut ein.

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