• 𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 28 •

Molly

Obwohl ich spüre, dass irgendetwas mit Kat nicht stimmt, traue ich mich auch nicht, nachzufragen. Vom Fenster aus habe ich beobachtet, wie Leonardo und sie draußen auf ihre Mutter trafen. Es ist einer dieser Momente gewesen, in denen man sich wünscht, man könnte Gedanken lesen, denn ich habe kein einziges Wort von dem verstanden, was gesprochen wurde. Alles, was ich weiß, ist, dass Kats alter Freund alles andere als begeistert über das Erscheinen ihrer Mutter war, weil es irgendetwas geben muss, dass er Kat unbedingt sagen will. Er hat ihrer Mutter zwar nicht mit Worten widersprochen, sondern mit der Art, wie er seine Brauen immer wieder skeptisch und verunsichert zugleich zusammenzog, die Mundwinkel leicht zucken ließ, als wollte er etwas sagen und mit gehetzten Blicken zwischen Mutter und Tochter hersah.

„Liebe Gäste", erklingt plötzlich Lukes Stimme aus dem Lautsprecher neben mir. An meiner Seite legt Kat ihr Besteck klirrend zur Seite, während auch sie ihren Blick auf ihn richtet. Die sonstige überschwängliche Begeisterung, die ich kenne, funkelt nicht in ihren braunen Augen auf, die heute so unglaublich matt wirken.

Luke hat sich auf eine kleine Bühne in der Scheune gestellt, von der aus er auf die Anwesenden einschließlich des Brautpaars hinabblickt.

„Da wir nun alle satt und schläfrig sind, denke ich, dass es Zeit wird, dass ich euch ein bisschen aufwecke", über seine Lippen huscht das flegelhaftes Lächeln, welches er seit Jahren zu perfektionieren scheint, „für alle, die mich aus unentschuldbaren Gründen nicht kennen oder sogar noch nie die Freude hatten, mein schönes Antlitz zu erblicken. Ich bin Luke und der Trauzeuge von unserer – heute besonders – lieben Nesrin!"

Mir gegenüber pfeift Theo und auch ein paar andere Jubelrufe sind zu vernehmen. Ich lächle nur weiter in Lukes Richtung, der nun selbstbewusst wie eh und je auch fortfährt.

„Wenn das geklärt ist, komme ich zu dem, was ich eigentlich sagen will: Als meine liebste Freundin Lissy mir vor kurzem -besser gesagt gestern Abend – erklärt hat, dass von mir aus Trauzeuge eine Rede erwartet wird, bin ich ein bisschen aus den Latschen gefallen. Nicht nur, weil es der größte Abturner überhaupt ist, das von seiner Freundin ins Ohr geflüstert zu bekommen."

„Luke", schimpfen Herr Schiffke und Trudi gleichzeitig, doch Luke lässt sich von der Empörung seiner Verwandten nicht irritieren.

Ungerührt fährt er fort: „Und weil ich zudem nicht wusste, was ich sagen soll, damit es nicht so kitschig klingt, dass Nesrin mich an den Ohren herauszerrt. Normalerweise müsste ich jetzt nämlich sowas sagen wie ‚Liebe Fiona, danke, dass du Nesrin zu einem besseren Menschen gemacht hast, bla, bla, bla, wir sind dir dankbar bla, bla, bla'."

„Steht da wirklich ‚bla, bla, bla' auf deinem Zettel?", will David grinsend wissen, während die restlichen Gäste erneut in Gelächter verfallen.

„Natürlich nicht", schnaubt Luke, ehe auch auf seinen Lippen ein kleines Lächeln erscheint, „da steht ‚undeutliches Gerede'. Ich habe in der vierten Klasse bei der Abschlussveranstaltung ‚vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit' abgelesen. Was erwartet du von mir?"

Wieder brechen die Anwesenden in Gelächter aus und dieses Mal lässt sich Luke auch einen Moment, bis es leiser wird, um fortzufahren: Aber das wir Nesrins großes Herz ganz Fiona zu verdanken haben, würde nicht vollkommen stimmen. Denn du, Nesrin, bist schon immer zu gut für diese Welt gewesen und ich bin einfach nur froh, dass du in Fiona jemanden gefunden hast, der das ebenfalls ist. Also hoffe ich, dass ihr Beiden alt und glücklich – nein warte, erst einmal glücklich und dann später noch alt – werdet und viele kleine nervige Kinder auf euren Wegen in die Welt setzt. Ich bin jedenfalls bereit, um der coole Onkel zu werden. Ein Prost auf euch!"

„Prost", kommt es laut zurück. Ich wische mir ein kleines Tränchen aus dem Augenwinkel, bei dem ich nicht sagen könnte, dass es nur vom Lachen kommt, während ich beobachte, wie Nesrin zu Luke kommt, um ihn kurz zu drücken. Dann ergreift bereits Lissy das Mikrofon.

„Nach dieser rührenden Ansprache, wie ich sie nicht wirklich von Luke erwartet hatte, muss ich jetzt wohl was Besseres raushauen", sie zwinkert verschwörerisch in die Richtung ihres Freundes, der lachend die Augen verdreht, ehe er David ein gespielt arrogantes ‚Unmöglich' zu murmelt, „ich kann nicht dafür garantieren, dass du bei meinen Worten dich nicht vor Liebe übergeben musst, Nesrin-."

„Finger weg von meiner Frau", ruft Fiona kichernd und ich kann nicht anders als mit den anderen zu lachen, während Lissy lächelnd den Kopf schüttelt.

„Keine Sorge, das hatte ich nicht vor. Ich wollte nur sagen, dass ich dich, Fiona, auch in einer Zeit gekannt habe, in der man hätte meinen können, dass du all deine Träume verloren hast und es nur noch dich gibt, aber irgendwie auch nicht. Eines Tages bin ich dann hierhergekommen, um ursprünglich hotte Typen am Strand mit dir zu suchen, und – was soll ich sagen – ich wusste es sofort, als ich deine wunderschöne Frau erblickt habe: Nesrin war und ist die Richtige! Damit ist das Stalken der heißen Kerle dann auch vorbei. Dennoch will ich dir, Nesrin, hiermit danken, dass du der neue Traum meiner besten Freundin geworden bist. Willkommen in der Familie!"

Im Gegensatz zu Nesrin geht Fiona nicht, sondern stürmt regelrecht auf Lissy zu, nur um sie im nächsten Moment halb umzurennen, was alle versammelten Gäste wieder in schallendes Gelächter verfallen lässt.

Plötzlich durchdringt ein klirrendes Glas das laute Lachen der Menge. Sofort verstummen alle Anwesenden. Herr Schiffke hat sich strahlend von seinem Platz erhoben: „Wenn unser Brautpaar erlaubt, würden wir uns jetzt um die Tanzfläche versammeln!"

Nesrin nickt überraschend begeistert und zieht ihre Frau mit sich, während wir restlichen uns wie befohlen aufstellen.

„Ich kenne Sie", höre ich neben mir jemanden sagen, doch ich weiß sofort, dass sich die Person nicht an mich richtet. Ein Blick genügt, um Nesrins Onkel Hakim zu erkennen, doch er überrascht mich nicht einmal, sondern viel mehr die Person, an die er sich mit dieser direkten Anrede gewendet hat.

Niemand geringeres als Kats Mutter persönlich steht zwischen ihm und Trudi. Mit den dünnen Fingern hält sie sich an einem Glas fest, dessen Inhalt sie vorsichtig gegen die Ränder schwenkt. Schnell sehe ich mich um, aber Kat ist nicht mehr neben mir. Ich suche weiter. Keine Spur von ihr ist zu erkennen.
Wo ist sie nur hin?

„Ich wüsste nicht woher", entgegnet Frau Stiegler in diesem Moment kühl und scheint die Konversation abbrechen zu wollen, doch Hakim lässt sich nicht bremsen. Mit einer Direktheit in seinen Augen, die ihn und Nesrin sehr ähnlich sehen lässt, mustert er Kats Mutter: „Natürlich kenne ich Sie! Sie sind die Frau vom Wartezimmer!"
„Wie bitte?"
„Auf der Krebsstation!"

Noch während er das sagt, scheint mein Kopf sich auszuschalten. Ich drehe mich langsam zur Seite, bis mein Blick den von Frau Stiegler trifft. Ihre kalten blauen Augen starren mich einen Moment lang auf unergründliche Weise an, bis sie sich plötzlich ruckartig abwendet. Auf ihren hohen Schuhen stakst sie davon.

Ein paar weitere Sekunden hänge ich noch in meiner Starre fest, dann gelingt es mir endlich, ihr nachzueilen.

𓅿

Hii, hier ist mal wieder ein Kapitel! Übrigens ist es hier an der Ostsee mega (wie jedes Jahr) Das Wetter ist gut und der Dorftratsch erst recht😅😍

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