• 𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 17 •
Kat
„Jetzt bist du wirklich eine verrückte Kiehsauerin", höre ich den Fahrer brummen, als ich über die kleinen Stufen in den Bus hetze. Meine Lunge brennt, doch ich erlaube mir erst jetzt, tief Luft zu holen. Den ganzen Weg von der Bar bis hier bin ich gerannt, ohne zu wissen, was für einen Sinn das haben sollte. Heute Abend werde ich so oder so bei Molly klingeln müssen, um meine Sachen zu holen, denn eins steht fest: Ich bleibe keinen weiteren Tag in dieser WG!
Eilig schiebe ich dem Busfahrer das passende Geld zu.
Es sollte mich nicht so aufbringen, was Molly gesagt hat, weil sie eben Recht hat, aber genau das ist es. Ich will nicht so sein! Nichts hasse ich mehr als den Gedanken, dass mich Leute für eine verwöhnte reiche Göre halten, die vor ihren Eltern wegrennt, weil sie meint, dass es ihr zuhause ach so schlimm geht. Irgendwie haben diese Leute ja auch Recht. Ich bin in einem goldenen Käfig aufgewachsen, doch die Menschen vergessen schnell, dass ein Käfig ein Käfig bleibt, ganz egal aus welchem Material er geschaffen wurde.
„Ich hatte es eilig", erkläre ich knapp und lasse mich auf die dreckigen Sitzpolster des Busses fallen. Noch immer ist mein Atem unangenehm hektisch. Ich weiß nicht, wie weit mir Molly gefolgt ist, aber ich bin mir sicher, dass sie irgendwann aufgegeben hat. Wieso sollte sie auch Ewigkeiten hinter mir her durch das Dorf hetzen, wenn sie ohnehin so eine schlechte Meinung von mir hat.
„So still heute?", fragt der Fahrer sichtlich verwundert.
„Ich denke, ich habe genug gesagt."
Ein Schnauben ist seine einzige Reaktion. Ich kann es verstehen. Wahrscheinlich hätte ich mir selbst bis gerade auch nicht zugetraut, dass ich mal keine Lust habe, mich mit jemandem zu unterhalten.
So viele Menschen haben mir in den letzten Jahren mehr oder minder direkt gesagt, wie bescheuert sie mich finden, doch bei Molly ist es irgendwie anders, auch wenn ich mir nicht erklären kann, wieso. Ich will nicht, dass sie mich für ein kleines trotziges Kind hält! Niemand in Kiehsau soll so von mir denken! Bis vorhin hatte ich das Gefühl, dass sie Menschen hier keine Voruteile haben. Sie sehen dich an, denken ‚Was eine Idiotin!' und akzeptieren dich, als hätten sie nie bemerkt, welche Macken man hat. Aber offenbar war das Wunschdenken.
„Herr Busfahrer?", erhebe ich zögerlich meine Stimme.
„Ja, Kiehsauerin?"
„Was würden sie zu einer Millionärin sagen, die hier auf einem ihrer Sitze säße."
„Ich würde sie auslachen", kommt sofort die Antwort.
Ich blinzle überrascht: „Wie bitte?"
„Eine Millionärin, die sich in diesen Bus setzt, ist ziemlich bescheuert. Ich würde hier jedenfalls nicht mitfahren, wenn ich so viel Kohle hätte."
Mit schiefgelegtem Kopf mustere ich den Fahrer, während er den Bus um eine Kurve lenkt.
„Was würden Sie denn als Millionär tun, wenn sie nicht mehr hier wären?", irgendwie interessiert mich seine Antwort.
„Ich wäre mit Sicherheit gerade auf Island."
„Wieso ausgerechnet Island?", ich kann mir die Frage einfach nicht verkneifen. Von Kiehsau bis Island ist es wirklich ein großer Sprung.
Der Busfahrer zuckt mit seinen breiten Schultern, während sein Blick auf die Straße gerichtet bleibt: „Ich fahre fast jeden Tag diese Strecke und immer, wenn ich aus dem Fenster sehe, ist der Himmel gleich. Morgens ist er rot, Mittags je nach Wetter blau oder grau und nachdem er abends wieder rot geworden ist, wird er dunkel, aber auf Island gibt es Polarlichter!"
„Das ist Ihr einziger Grund?", frage ich ungläubig, „Sie wollen nur die Polarlichter sehen?"
Er nickt bestätigend: „Du hast es erfasst!"
„Aber – Sie könnten so viel machen!"
„Trotzdem", ich kann sein kleines Lächeln im Rückspiegel erkennen, „in meinem Leben gab es einmal eine Person, mit der der Himmel jeden Tag anders aussah, Kiehsauerin, und ich möchte, dass es nur ein einziges weiteres Mal so ist."
Auf diese Antwort schaffe ich nicht, irgendetwas zu erwidern, denn alles, was ich sagen wollte, bleibt wie ein dicker Kloß in meinem Hals hängen, der mir für einen kleinen Moment die Luft nimmt.
„Ist das alles, was du wissen wolltest?", fragt der Fahrer.
Ich schlucke schwer, um wieder ein Wort hervorbringen zu können: „Gibt es sonst noch irgendetwas, das sie machen würden?"
„Nein, ich brauche das Geld nicht. Alles, was ich will, ist diese eine Person, die es schafft, meine Welt jeden Tag anders aussehen zu lassen, aber solche Menschen kann man nicht kaufen."
„Würden Sie das auch der Millionärin in ihrem Bus sagen?"
Ihm entflieht ein tiefes brummiges Lachen: „Das würde ich! Denn wenn sie hier säße, hätte sie zumindest schon erkannt, das Geld nicht alles im Leben ist!"
Ich kann seine Aussage nicht ganz folgen: „Was macht sie da so sicher?"
„Sie hätte einen Schritt in die Welt der ‚normal Sterblichen' gemacht. Manche Menschen wandern von Villa zu Villa, ohne jemals auch nur aus dem Augenwinkel wahrzunehmen, wie die Realität der meisten anderen Menschen aussieht, aber wer in einem Bus nach Kiehsau sitzen würde, müsste verstanden haben, dass unperfekt sein oft noch schöner als perfekt sein ist."
„Noch eine letzte Frage", setze ich nach einem kurzen Zögern an, „Sie fahren zwar diesen Bus, aber ich habe das Gefühl, dass Sie nicht nur an Kiehsau vorbeifahren."
„Ich habe dort mal gelebt – mit dieser einen Person."
„Und wieso sind sie weggezogen?"
„Weil der Himmel mit einem Mal so schrecklich gleich dort aussah. Wenn du einmal auf das Meer mit einer Person geblickt hast, die es allein durch ihre Anwesenheit funkeln lässt, willst du nie wieder sehen, wie es eigentlich ist."
Dieses Mal stelle ich keine Gegenfrage, sondern lasse meinen Blick nur aus dem Fenster gleiten. Am hinteren Ende des Buses kann ich hören, wie Friedes Stricknadeln gegeneinander klackern, während ich hinauf zum Himmel sehe. Vor meinem inneren Auge kann ich erkennen, wie sich in dem Blau grünliche Schlieren bilden, die sich hauchzart über den Himmel ziehen und plötzlich weiß ich, was mein neuer Traum sein wird: Ich will so eine Person finden, die den Himmel über meinem Kopf jeden Tag aufs Neue anders aussehen lässt!
𓅿
Hii, da ich in den nächsten Tagen viele Sachen mit meiner Klasse geplant habe, kommt das nächste Kapitel erst am Donnerstag! ❤️
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