• 𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 13 •

Kat

Schweigend lehne ich meine Stirn gegen die kühle Scheibe von Theos Bulli. Erst jetzt fällt mir auf, wie kurz der Junggesellinnenabschied überhaupt war, denn die Sonne ist noch nicht einmal wirklich untergegangen und auch in der Luft hängt weiterhin die schwere Frühlingshitze. Gerade biegen wir um eine von Kiehsaus kleinen Straßenecken, als Mollys Handy klingelt. Genau wie David, Ronja, Lissy und Glitzer sitzt sie im hinteren Teil des Bullis. Obwohl wir so viele sind, herrscht beinahe die ganze Fahrt lang ein betrübtes Schweigen. Fiona wollte unbedingt im Krankenhaus bleiben, weshalb Luke sich bereit erklärt hat, mit ihr zusammen dort auszuharren. Als wir gegangen sind stand es noch nicht fest, ob Nesrin heute Abend bereits entlassen werden kann, aber wir haben alle versprochen, ihr die Daumen zu drücken.

„Wir kommen", höre ich Molly in den Hörer murmeln. Dann legt sie auf. Schon beugt sie sich zwischen meinen Sitz und den von Theo: „Planänderung, wir fahren zum Rathaus!"
Ihr Bruder gibt bloß irgendein unverständliches aber offensichtlich abwertendes Grummeln von sich, während er den Blinker setzt. Lissy hingegen beschwert sich deutlich verständlicher: „Was will Schiffke denn jetzt schon wieder?"

„Schiffke will gar nichts. Fiona hat mich angerufen. Offenbar sind Luke und sie dabei das ganze Dorf zu versammeln."
Im Rückspiegel sehe ich, wie Ronja ihre Stirn in Falten legt: „Wieso sollten sie?"
„Das werden wir wohl gleich erfahren!"

Kaum hat sie das gesagt, kommt auch schon das kleine abstruse Häuschen mit dem Leuchtturm am Kreisverkehr in Sicht. Noch im selben Moment schaltet jemand drinnen Licht an. Hinter der Scheibe lässt sich eine kleine, rundliche Gestalt ausmachen, die eine Runde im Kreis stapft, ehe sie etwas – bei dem es sich um ein Telefon zu handeln scheint – in ihre Tasche steckt. Die Umrisse der Seemannsmütze allein reichen schon aus, um Schiffke zu verraten. Das Licht erlischt bereits wieder.

Mit einem heftigen Ruckeln hält Theodor den Wagen am Straßenrand. Als ich zuerst hinausspringe, kommt uns eine kleine Truppe an alten Damen entgegen. Sie alle schnattern wie eine Scharr Gänse durcheinander und grüßen nur knapp – fast schon unbewusst – ehe sie die wenigen Stufen zum Eingang hochstapfen. Dort angekommen sehe ich die Kleinste von ihnen auf die Klingel drücken.

Schon erscheint Molly neben mir. Ihre dunklen Augenbrauen sind skeptisch zusammengezogen. Ich will sie gerade etwas fragen, als die Tür ruckartig geöffnet wird. Ein aufgewühlter Bürgermeister erscheint im Türrahmen. Wie ein Priester bei einer Predigt hebt er seine Arme: „Meine Damen und Herren, ich muss sie darüber informieren, dass dies keine abgesprochene Versammlung ist!"

Erst jetzt bemerke ich die vielen Einwohner, die sich hinter uns zu versammeln beginnen. Offenbar scheinen Luke und Fiona tatsächlich das ganze Dorf mobil gemacht zu haben. Ich bin mir nicht sicher, was mich mehr beeindrucken sollte: Die Motivationskunst der Beiden oder die Loyalität der Bewohner.

„Lässt du uns jetzt rein oder nicht?", will Ronja wissen und pustet sich eine ihrer roten Locken aus dem Gesicht. Ihr Freund nickt bekräftigend.

„Wie gesagt, diese Versammlung ist nicht offiziell beantragt worden. Sonst ist der Stadtrat dafür zuständig, unsere Zusammenfindungen erst zu erlauben, ehe wir sie umsetzen!"

„Du bist der Stadtrat!", empört sich eine der älteren Damen. Darauf geht Schiffke nicht ein, denn in diesem Moment fährt ein knallgelber Käfer vor. Sofort richten sich alle Blicke auf den kleinen Wagen. Die Fahrertür knallt laut auf und Fiona springt förmlich auf den Gehsteig. Ihre Haut ist noch immer blasser, aber sie wirkt wesentlich ruhiger als vorhin.

„Fiona Krüger", der Bürgermeister macht eine auslandende Geste in Richtung der versammelten Menge, „willst du hier eine Sekte gründen oder wieso versammelst du all diese Menschen vor dem Rathaus?"

„Heute ausnahmsweise nicht, Schiffke, aber ich lasse mir diese Option für ein anderes Mal frei. Eigentlich wollte ich euch allen nur sagen, dass die Hochzeit morgen ausfällt."

Es kommt mir vor, als würde die ganze Menge schockiert nach Luft schnappen – ich miteingeschlossen.

„Ich habe es dir gesagt, Ilse", knurrt eine der alten Frauen beleidigt, „diese dumme Regierung hat die Ehe für alle wieder verboten. Die können auch nichts richtig machen! Und bestimmt wieder nur, weil dieser Mann in Rom da was gegen hat!"

„Dieser Mann in Rom?", wiederholt die Frau neben ihr.
„Sie meint den Papst", klärt eine andere auf.
„Genau! Immer wollen die Leute alles verbieten!"

Ihre ganze Gruppe nickt in bitterer Zustimmung, doch Fiona schüttelt bereits wild den Kopf: „Nichts wurde verboten! Es ist nur so, dass Nesrin ein Schädel-Hirn-Trauma hat und eine Nacht zur Überwachung im Krankenhaus bleibt. Danach hat ihr der Arzt ein paar Tage Bettruhe verschrieben!"

„Echt jetzt? Das ist ja mal scheiße!", empört sich eine junge Frau laut, die sich auf eine der Parkbänke am Kreisverkehr gesetzt hat.

„Wer sind Sie überhaupt?", will Schiffke wissen. Auch Fiona sieht sichtlich irritiert aus.
„Ich glaube sie heißt Aira. Cady hat sie mitgebracht", meint die alte Dame von vorhin.
Die Augenbrauen des Bürgermeisters nähern sich einander: „Wer war das nochmal?"

„Die Knuffige!", klärt die Frau neben der anderen auf und deutet zur Bank. Cady, die ich jetzt auch an ihrem funkelnden Liedschatten wiedererkenne, sitzt neben der Fremden und winkt lächelnd in die Runde – das Dorf winkt zurück.

Schiffke schnaubt nur kopfschüttelnd: „Immer diese Touristen. Kommt einer, kommen alle!"
Ich frage mich sofort, ob jemand diesem Dorf schon mal gesagt hat, dass neunzig Prozent von ihnen vom Tourismus leben, aber ich fürchte, dass ich auf viele andere Meinungen treffen würde.

Seinen Kommentar ignorierend ergreift Fiona wieder das Wort: „Ich kann euch sicher sagen, dass Nesrin und ich heiraten werden, aber es dauert eben noch ein wenig länger! Sobald wir einen neuen Termin haben, sagen wir euch sofort Bescheid!"

Die Dorfbewohner nicken alle mehr oder weniger begeistert und machen auf der Stelle kehrt, um nach Hause zu gehen. Herr Schiffke ist bereits wieder im Rathaus verschwunden. Nur noch das Knallen der Tür ist von ihm zu hören. Auch die alten Damen machen sich schnatternd auf den Heimweg. Damit scheint jetzt wohl alles geklärt zu sein.

„Kat?", Molly reißt mich mit einem sanften Stoß gegen die Schulter aus meinen Gedanken.
„Ja?"
„Lass uns nach Hause gehen. Es ist spät!"

Ich nicke nur wortlos. Dieser Tag hat mir eindeutig die Sprache verschlagen. Lächelnd wenden wir uns vom Rathaus ab, doch wir kommen keine drei Schritte weit, ehe eine empörte Stimme hinter uns erklingt.

„Ihr seid furchtbar – alle beide", schimpft Glitzer und stapft an unsere Seite, „habt ihr mich gerade wirklich vergessen."

„Ach, Glitzer", Molly legt ihm einen Arm um die Schulter, „so jemanden wie dich kann man nicht vergessen."

„Du bist eine Schleimerin!"
„Ich weiß", meint sie grinsend, während sie ihren anderen Arm um mich legt und wir uns Seite an Seite auf den Heimweg machen.

𓅿

Am Dienstag geht es weiter...❤️
Was aus der Hochzeit wird, werden wir bald sehen.

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