• 𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 10 •

Molly

„Dieser Song ist schrecklich", schimpft Glitzer und rümpft angeekelt die Nase. Neben ihm wippt Lissy wie die Sängerin einer Rockbände mit dem Kopf herum, während ein Schlagerhit nach dem anderen in voller Lautstärke durch die Bar schallt.

So sehr ich die wilde Partymaus auch mag, ich muss Glitzer zustimmend – diese Songs sind nicht aushaltbar! Das Problem ist nur, dass Fiona genug Alkohol intus zu haben scheint, dass sie die Strophen mittlerweile ebenfalls mit grölt.

„Genug!", schon ist Glitzer auf den Beinen. Mit schnellen entschlossenen Schritten eilt er in Richtung Musikanlage. Ich kann einfach nicht anders, als mein Grinsen damit zu verbergen, dass ich mein Glas wieder an die Lippen setze. Schon verschwindet Glitzers ausgefallenes Hemd mit dem Paisley-Muster aus meinem Sichtfeld.

„Ist der Abend nicht schön?", fragt Fiona. Lächelnd lässt sie ihren Kopf gegen meine Schulter sinken.

Wir sind eher eine kleine Runde. Außer Lissy, Glitzer und mir ist nur noch Ronja da, die schon zum dritten Mal nach draußen gegangen ist, um irgendeine Frage ihrer neuen Babysitterin übers Telefon zu beantworten. Offensichtlich macht die kleine Katinka der jobsuchenden Teenagerin viele Probleme – natürlich keine, für die ihre Mutti sie verantwortlich machen würde!

„Das ist es", stimme ich Fiona zu, „aber wieso wolltest du in keinen Club?"

„Ich wollte es einfach ruhig angehen lassen! Du weißt ja, erst in deiner Bar ein bisschen Party machen und später gehen wir noch zu Lissy, bevor ich nach Hause fahre, um den Rest des Abends mit Nesrin ausklingen zu lassen."

„Bringt das nicht Unglück?", schaltet sich Lissy in das Gespräch ein, die offensichtlich verärgert über das Stoppen der Musik ihre Stirn in Falten legt. Glitzer hingegen, dessen Kopf hinter der Bar hervorruckt, lächelt zufrieden in sich hinein.

„Keine Ahnung, ist mir eigentlich auch egal. Ich will einfach nur, dass nichts schiefgeht, wie-."

Obwohl Fiona den Satz nicht beendet, weiß ich, was sie vorhatte zu sagen. Ehe sie nach Kiehsau kam, war Fiona bereits einmal verlobt, doch damals gab es an dem Abend vor ihrer Hochzeit einen tragischen Unfall, bei dem ihr Freund ums Leben kam. Ich kann es ihr nicht verübeln, dass sie ihre Verlobte vor der Trauung keine Sekunde aus den Augen lassen will.

„Dieses Mal wird es perfekt", verspricht Lissy, die offenbar ebenfalls erraten hat, auf was Fiona hinauswollte, und legt ihrer Freundin eine Hand auf die Schulter, „nichts kann jetzt noch schiefgehen! Da bin ich mir sicher!"

„Immer diese übertriebenen Optimisten", brummt Glitzer, der sich wieder auf seinen Stuhl hat fallen lassen. Seine Freude über die nicht mehr vorhandene Musik scheint bereits wieder verschwunden zu sein, sodass seine alte missmutige Art zurückgekehrt ist.

Von uns Fünfen ist er der Einzige, dessen Haar vollkommen gestylt und das Outfit perfekt abgestimmt ist.
„Was hast du gegen jetzt bitte Optimisten?", Lissy sieht ihn forschend – geradezu herausfordernd – an.

„In erster Linie habe ich etwas gegen Schlagerfans!"
„Du Musik-Heide!"
„Schlager ist keine Musik!"

„Ihr habt beide einen schrecklichen Musikgeschmack", fährt Ronja dazwischen. Die rothaarige junge Frau kommt in diesem Augenblick durch die Tür, wobei sie ihr Handy in der Tasche verstaut.

„Und?"
„Und was?", irritiert sieht sie mich an.
„Na, was hat die Babysitterin jetzt schon wieder gemacht?", will ich wissen.
„Nichts!"

Nun bin ich es, die ein bisschen verwirrt dreinblickt, doch Ronja fährt bereits fort: „Das ist ja das Problem! Sie hätte Kati schon längst ins Bett bringen sollen, aber offenbar will die Kleine nicht. Welche Einjährige sollte denn so einen Aufstand machen, weil sie nicht schlafen will?"

„Jede", murmelt Lissy in ihr Glas hinein.
„Lissy hat Recht", gibt Glitzer widerwillig zu, „Kinder sind furchtbar anstrengend!"

„Ich finde Kinder toll", steht Fiona Ronja beiseite, wofür sie von dieser ein dankbares Nicken erntet. Neugierig mustere ich Fiona aus dem Augenwinkel, die sich mittlerweile wieder von meiner Schulter gelöst hat: „Willst du denn eigene Kinder?"

„Jetzt definitiv nicht!", wehrt sie schnell ab, „Nesrin und ich sind ja beide gerade einmal vierundzwanzig und außerdem haben wir es so geplant, dass-."
„Aha!", triumphierend hebt Lissy den Zeigefinger, „ihr habt es also schon geplant!"

Gegen ihren Willen steigt eine leichte Röte in Fionas Wangen, die sie mit einem Schnauben offenbar zu überspielen versucht: „Naja, nicht sooo genau, wie ihr jetzt vielleicht glaubt!"

„Und wer von euch wird schwanger?", selbst Glitzer scheint nun interessiert zu sein. Zumindest ist seine Miene nicht ganz so verdrossen wie sonst.

„Denkt ihr wirklich, wir hätten das schon so weit geplant?"
Ich nicke – die anderen tun es mir gleich.

Kopfschüttelnd seufzt Fiona, doch dann gibt sie leise zu: „Wenn wir ein Kind bekommen und keins adoptieren würden, dann wäre ich die, die schwanger wäre."

„Sicher, dass du dir den Stress antun willst?", fragt Ronja. Offenbar scheint ihr wenigstens unterbewusst klar zu sein, dass ihr Töchterchen nicht immer nur ein kleiner Engel ist.

Fiona zuckt leicht mit den Schultern: „Ich habe den besseren Job dafür. Wenn Nesrin in der Erntezeit hochschwanger wäre, könnte das eigentlich nur unpraktisch sein und da sie im Grunde immer irgendetwas erntet, wäre es dementsprechend auch immer irgendwie unpraktisch!"

„Bei dir kann ich es mir ganz klar vorstellen, aber Nesrin als Mutter...", überlegt Lissy laut.
„Das hätte keiner von uns erwartet", pflichte ich ihr bei, „trotzdem denke ich, sie wäre spitze!"

„Das wärt ihr beide", korrigiert Ronja und hebt prostend ihr Glas. Wir anderen folgen ihrem Beispiel. Kichernd lassen wir die Gläser gegeneinander klirren, ehe wir alle gleichzeitig zum Trinken ansetzen. Dieses helle Geräusch ist noch nicht ganz verklungen, als das laute Piepsen eines Handys die angenehme Stimmung durchdringt.

„Hatten wir nicht gesagt, wir machen alle unseren Ton aus?", will Ronja grinsend wissen, während Lissy hektisch ihr Handy hervorwühlt.

„Das ist Luke", erklärt Fionas beste Freundin bloß knapp und nimmt den Anruf an. Die anderen reden schon wieder weiter, doch ich behalte meinen Blick auf Lissy gerichtet. Anderenfalls wäre mir wahrscheinlich auch der Moment entgangen, in dem ihr heiteres Lächeln in sich zusammenfällt und ihre Haut sich wie in sekundenschnelle blasser färbt. Schon senkt sie ihre Hand wieder, wobei mir das leichte Zittern ihrer Finger nicht entgeht. Lissys graue Augen richten sich auf Fiona, die nun ebenfalls wieder zu ihrer Freundin blickt.

Ich kann nicht von Lissy wegsehen, um zu erkennen, was für Emotionen sich in Fionas Gesicht abspielen, aber es muss sich um dieselbe unsichere Angst handeln, die auch ich empfinde.

„Lissy?", schaffe ich es zu fragen, „ist alles in Ordnung?"
Langsam – fast schon in Trance – schüttelt sie den Kopf: „Luke und die anderen sind in der Notaufnahme! Nesrin ist etwas zugestoßen..."

𓅿

Hii, ich weiß, das Ende dieses Kapitels klingt nicht dankbar, aber ich bin es echt dafür, dass auch beim dritten Teil der Reihe immer noch so viele aktiv mitlesen, was ich nicht als selbstverständlich sehe! Danke! ❤️

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