• 𝐄𝐏𝐈𝐋𝐎𝐆 •

Kat

„Bis bald", murmle ich in den Hörer und beende somit Louis Anruf. Es ist stressiger als gedacht, ein Unternehmen und Studium zur selben Zeit unterzubringen, aber jetzt komme ich aus der Sache wohl auch nicht mehr raus. Es ist auch nicht so, dass ich auf eines der beiden gerne verzichten würde, aber dennoch bleibt die Situation ungünstig. Seufzend stecke ich das Handy weg.
Mein Blick huscht über das Gebäude vor mir. Heidelberg hat definitiv viele interessante Lokale, aber diese Disco übertrifft sie alle – und das mit großem Abstand!

Die äußere Fassade lässt das Gebäude mehr wie einen Stoffladen wirken, wozu auch das schräge Schild mit der Aufschrift ‚Strickclub' beiträgt, dessen Schrift neon grün in der Nacht leuchtet. Man könnte meinen, die Stadt hätte entschieden, dem Laden einen möglichst jugendfreien Namen zu geben, der nur ansatzweise wie das klingt, was das Gebäude eher darstellt. Zumindest wirken die meisten Studentinnen, die sich an mir vorbeischieben, eher so, als hätten sie noch geheime Nebenjobs, von denen die Professoren und ihre Eltern besser nicht wissen sollten - oder mache Professoren sollen erst recht davon wissen. Nun ja, ich will hier keinem irgendetwas unterstellen.

Auch ich trete nun zögerlich ein. Schon beim Öffnen der Tür schallt mir laute Musik entgegen, die im Inneren des Gebäudes nur intensiver wird. Überall sind dünnen Neonketten, die den Raum beleuchten und zum Teil so aufgehängt sind, dass sie wie Wollknäule wirken. Fasziniert lasse ich meinen Blick weiter über die Wände streifen, während ich mich zwischen der Masse hindurchschlängle. Irgendwer rammt mir seinen Ellenbogen leicht in die Seite, doch im trüben Licht kann ich keinen Schuldigen ausmachen.

Einer meiner Mitstudenten hat mir den Laden empfohlen. Offenbar würde die Besitzerin bald wegziehen oder so, weshalb es momentan viele Drinks günstiger gäbe. Ob Wahrheit hinter seinen Worten steckte oder er mich einfach nur herlocken wollte, konnte ich nicht sagen. Nun verraten mir zwei große Schilder über der Bar, dass er nicht gelogen hat.

Endlich entdecke ich einen freien Hocker, auf den ich mich schnell fallen lasse, ehe ihn mir jemand streitig machen kann. Beim Eintreten ist mir kein einziges vertrautes Gesicht aufgefallen, was mich aber nicht verwundern sollte. In so einer großen Stadt wie Heidelberg kennt man nach einem Tag eben noch nicht jeden. Anders als in-.

„Was willst du trinken?", die Frage des Barkeepers unterbricht meinen Gedankengang.
„Nur eine Cola", antworte ich schnell und lasse meinen Blick erneut durch den Raum gleiten. Er kommt jedoch nicht weit, sondern bleibt an der geöffneten Tür hängen. Wie erstarrt sehe ich die Frau an, die eingetreten ist. Sie ist groß – mit den Highheels sogar so groß wie die meisten Typen im Raum – und hat langes braunes Haar, das vorne zu einem unordentlichen Pony geschnitten ist. Nun schiebt sie sich zwischen den Leuten hindurch, die angesichts ihrer Größe gezwungen höflich Platz machen.

Wirklich wohl scheint sie sich nicht zu fühlen, denn genau wie ich, steuert auch sie den Menschen ausweichend die Bar an – und damit auch mich.
Ich spüre sofort, wie ich ein wenig zu zittern beginne. Sie hat mich fast erreicht. Ihre braunen Augen mustern immer noch die Umgebung, nur nicht ihr eigentliches Ziel. Erst als sie mich fast erreicht hat, dreht sie ihren Kopf zur Bar.

Sofort treffen sich Mollys und mein Blick. Für einen Augenblick wirkt sie genauso erstarrt wie ich zuvor, doch dann geht sie einfach entschlossen weiter auf mich zu. Meine Knie werden weicher und wenn ich nicht sitzen würde, wäre es jetzt vermutlich an der Zeit, um ohnmächtig umzukippen. Aber so sehe ich ihr nur direkt entgegen, ohne mich rühren zu können.

Genau in diesem Moment wird neben mir ein Barhocker frei. Auch Molly scheint es bemerkt zu haben, denn sie wird einen Ticken schneller, nur um in der nächsten Sekunde neben mir Platz zu nehmen.

„Moin", grüßt sie.
Ich will etwas erwidern, doch just zur selben Zeit stellt der Barkeeper meine Cola ab, um sich dann eilig Molly zuzuwenden: „Was solls für dich sein?"
„Dasselbe", antwortet sie knapp und schon sind ihre Augen wieder bei mir.

Zögerlich nehme ich einen Schluck von meiner Cola. Erst dann murmle ich ebenfalls ein unbeholfenes „Hi".
Wieder sehen wir einander an, bis plötzlich Mollys Mundwinkel ein wenig zuckt, aber nicht genug, um es wirklich als Lächeln bezeichnen zu können: „Ich heiße Molly."

Ich blinzle verwirrt, bevor ich dazu komme, etwas zu sagen: „Freut mich! Kat!"
„Und Kat", sie beugt sich ein wenig vor und ihr Atem kitzelt meine Wange, als sie mich über den Lärm der Musik hinweg fragt, „was ist dein Traum?"

Schon lässt sie sich wieder zurückfallen. Einen Augenblick lang bin ich wieder erstarrt, doch dann antworte ich das Naheliegendste – die Wahrheit: „Du, Molly, immer du."

Ihre vorige Gelassenheit verschwindet, als ich meine Arme um ihren Nacken schlinge und meine Lippen auf die ihren lege. Sofort erwidert sie den Kuss. Das tut sie so stürmisch, dass mir ein heiseres Lachen entfährt. Zeitgleich scheint in meinem Herzen ein Feuerwerk zu beginnen. Tausende Raketen, die laut explodieren und dann kunterbunt in alle Richtungen zerspringen, um leuchtendes Konfetti am schlichten Himmel zu verteilen. Es gibt wahrscheinlich nur ein Wort, um dieses magische Gefühl zu beschreiben: Traumhaft!

𓅿

Ende

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