Kapitel 7
Der Biologieunterricht bei Frau Schober ging relativ zügig vorbei. Sie war eine junge und sehr freundliche Lehrerin. Wahrscheinlich war sie gerade erst mit ihrem Studium fertig geworden und machte hier ihr Referendariat. Jedenfalls mochte ich sie.
Selbstverständlich nutzten das die Anderen aus, um miteinander zu quatschen und Blödsinn anzustellen, ohne dafür eine Standpauke zu erhalten. Die meisten jungen Lehrer waren nämlich überhaupt nicht streng und ließen viel zu viel bei ihren Schülern durchgehen, so auch sie.
Ich versuchte mich zu konzentrieren und schon die ersten Definitionen von unserem neuen Thema - Zellbiologie - mitzuschreiben, um später nicht ins Hintertreffen zu geraten, wenn dann die ersten Teste geschrieben werden sollten.
Michelle und Vincent, die neben mir saßen, überlegten sich hingegen, wie sie Frau Schumann in der nächsten Unterrichtsstunde eins auswischen konnten.
Ich gab mir Mühe, ihr Geflüster auszublenden, was mir mehr oder weniger, wahrscheinlich eher weniger, gelang. Ständig hatte ich ihre Stimmen im Ohr und fragte mich, warum Frau Schober nichts tat, sondern weiterhin nur mit ihrer zarten Stimme gegen die viel zu laute Klasse ankämpfte und die Folien ihrer Präsentation zu erklären versuchte.
Am Ende der Doppelstunde hatte ich drei A4-Seiten beidseitig gefüllt und meine Finger waren kurz vorm Abfallen. Ich war es einfach nicht gewohnt, so viel in so kurzer Zeit zu schreiben. Die Sommerferien zahlten eben ihren Tribut.
Völlig fertig packte ich meine Sachen zusammen und wischte die Radiergummifussel vom Tisch, die nun überall, durch das ständige Korrigieren der anzufertigenden Skizzen, herumlagen.
Ich musste nicht mal zu den Anderen herübersehen, um zu wissen, dass sie weder mitgeschrieben noch aufgepasst hatten.
Laut Stundenplan hatten wir an unserem ersten Montag nur sechs Stunden. Also war für heute Unterrichtsschluss.
Vermutlich hätte ich es sowieso keinen Moment länger in diesem stickigen Klassenzimmer ausgehalten, in das, selbst durch die weit geöffneten Fenster, keine Luftbewegung zu kommen schien.
Die 30 Grad - Grenze war mittlerweile geknackt und die Sonne knallte nun trotz Jalousien erbarmungslos in die Räume.
„Fahrt ihr auch mit Bahn?", unterbrach ich nun Michelle und Vincent ungeduldig, die immer noch in ihre Konversation über „Die Rache an der fiesen Frau Schumann" verstrickt waren.
Dafür bekam ich einen Killerblick von Vincent geschenkt. „Nein, im Gegensatz zu dir kann noch nicht jeder einfach so nach Hause fahren."
„Sorry, konnte ich ja nicht wissen...", nuschelte ich möglichst leise, dass mich keiner der Beiden verstehen konnte.
„Was hast du noch?", fragte Michelle an Vincent gewandt.
„Ich muss auf meinen Bruder warten. Er ist siebte Klasse und für ihn ist das sein erster Schultag hier. Meine Mom hat Angst, dass er sich verläuft oder so..." Er klang sehr genervt.
„Oh...", kam es von Michelle. „Ich hätte theoretisch aber auch Schluss."
„Wir könnten zusammen nach Hause fahren. Natürlich nur wenn du willst...", bot ich zögerlich an.
„Klar", strahlte sie.
In den Gesprächen mit ihr hatte ich herausgefunden, dass sie nur ein paar Straßen weiter wohnte als ich. Wir waren also quasi Nachbarn. Wir könnten uns schnell treffen und eine wirklich gute Freundschaft aufbauen.
Wie es mit Vincent aussah, konnte ich bis jetzt noch überhaupt nicht einschätzen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er mich gar nicht leiden konnte, höchstwahrscheinlich weil ich mich nicht aktiv an dem Komplott gegen Frau Schumann beteiligte, sondern im Unterricht mitarbeitete.
Vielleicht hatte ich heute Nachmittag in dem Chat ja noch einmal die Möglichkeit, bei ihm zu punkten.
So wie es aussah, mochte Michelle ihn bereits sehr, also musste ich mit ihm klar kommen, wenn ich sie nicht als Freundin verlieren wollte.
„Na gut, dann bis heute Nachmittag im Chat", lachte Michelle und Vincent und sie verabschiedeten sich mit einer zögerlichen Umarmung.
Moment! Was hatte ich verpasst?
Ist man mal zwei Stunden nicht aufmerksam, schon versäumt man hier die Hälfte?!
Ohne mich eines letzten Blickes zu würdigen, machte sich Vincent auf den Weg zu den Toiletten, während Michelle und ich zum Eingang liefen.
Ich warf ihr fragende Blicke zu, aber sie ging nicht darauf ein.
Entgegen meiner Neugier beließ ich es dabei. Es war nicht meine Sache, was sich zwischen den Beiden anzubahnen schien.
„Er mag mich nicht", stellte ich nur trocken fest.
Nun musterte sie mich, fing dann aber an zu lächeln. „Ach, das glaube ich nicht."
„Aber warum ist er so komisch zu mir?", ich versuchte, keine Sorge in meiner Stimme mitschwingen zu lassen.
„Ich glaube, du bist ihm etwas zu schüchtern und verklemmt. In den zwei Stunden eben hast du kein einziges Wort mit uns gewechselt. Damit sammelst du sicher keine Pluspunkte. Du solltest mehr aus dir rauskommen", schlug sie vor.
„In dem ich mich an den Streichen beteilige? Ich halte das immer noch für keine so gute Idee! Wir sollten uns diese Lehrerin nicht zum Feind machen."
„Du meinst, mal abgesehen davon, dass sie uns schon als Feinde behandelt? Komm schon! Wir wollen hier doch Freunde finden. Außerdem, wenn wir alle zusammenhalten, was soll da schon schief gehen?" Sie blieb stehen und sah mich jetzt direkt an.
Ich wich ihrem Blick aus und spielte nervös mit dem Saum meines T-Shirts. Das schlechte Gewissen plagte. Wie sollte ich das meinen Eltern erklären, wenn die ganze Sache aufflog. Ich hatte ihnen versprochen, mich in der Schule zu bessern und dieser Streich wäre sicherlich nicht förderlich, wenn mich dadurch alle Lehrer hassten und sich das auch auf die Noten übertrug.
Noch immer sah Michelle mich fragend an und erwartete eine Antwort.
Ich konnte nur mit den Schultern zucken, denn ich hatte kein Gegenargument mehr, das ich ihr entgegenbringen konnte.
„Na siehst du. Wenn alle an einem Strang ziehen, kann sie uns nichts anhaben. Du kannst ja wenigstens mal mitmachen und versuchen, Vincents Sympathie zu gewinnen. Er ist wirklich superlieb, das wirst du schon sehen. Wenn es dir dann trotzdem nicht gefällt, kannst du ja immer noch aussteigen." Sie suchte meinen Blick.
Ich konnte nicht sagen wieso, aber schon seit dem ersten Augenblick, wo ich sie gesehen habe, hatte ich das Gefühl, ihr blind vertrauen zu können, also musste ich ihr auch in der Sache „Vincent" vertrauen.
Ich nickte stumm.
Sie legte glücklich ihren Arm um meine Schulter und drückte mich dankbar an sich.
„Das wird schon, vertrau mir."
‚Ich vertraue dir', erwiderte ich im Stillen.
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