Kapitel 2
Gespannt sah ich zu Tür, wer sich wohl verspätet haben könnte und war insgeheim froh, dass mir das nicht passiert war.
Herr Bittner war ganz offensichtlich nicht so begeistert, denn seine Miene wurde säuerlich, als er unterbrochen wurde und ging mit forschem Schritt und strengem Blick auf die Tür zu. Er riss diese mit einem ordentlichen Schwung auf.
Als er sah, wer vor der Tür stand, änderte sich sein Blick vom Säuerlichen, bis hin zum leicht Genervten. „Wer konnte es auch anders sein? Ab, rein mit euch, aber ein bisschen zack, zack!"
In den Raum traten in aller Seelenruhe zwei Jungen, beide mit braunen Haaren, der Eine etwas größer, vermutlich beste Freunde, denen es anscheinend völlig egal war, dass sie sich soeben um gute zehn Minuten verspätet hatten.
„Natürlich sind wir's, sonst hätte es sich doch gar nicht gelohnt, die Tür aufzumachen", erwiderte der Eine und grinste Herrn Bittner mit einem frechen Zwinkern an.
Ich zog verdutzt die Augenbrauen hoch. Was bildeten die sich ein, kamen erst zu spät und schwangen dann noch solche Reden. Also an Selbstbewusstsein fehlte es den beiden jedenfalls nicht.
Herr Bittner hingegen ließ sich dadurch kein bisschen beeindrucken. „So", fuhr dieser stattdessen fort. „Wir waren bei dem Thema ‚Vorstellen'. Wer als letztes kommt, malt zuerst. Bitte sehr! Ihr dürft euch als erstes vorstellen, damit sich alle merken, welche werten Persönlichkeiten es wagen, ständig zu spät zum Unterricht zu erscheinen und sich an diesen bloß kein Beispiel zu nehmen haben. Mädels, Pünktlichkeit und Verlässlichkeit ist auch ein wichtiges Kriterium bei der Partnersuche, was bei den Beiden nicht der Fall ist, wie ihr seht. Also nehmt euch bloß vor denen in Acht!"
Ich musste mir ein Grinsen unterdrücken. Ich mochte diesen Lehrer jetzt schon.
Der Größere der Beiden trat als erstes vor, seine Hände lässig in seinen Hosentaschen vergraben, sein Blick kühl über den Schülermengen schweifend. „Vielen Dank, Herr Bittner, für die nette Einleitung und die Weiterempfehlung an den weiblichen Flügel, die ich sehr zu schätzen weiß. Die Meisten von euch kennen mich sowieso schon, weswegen ich nicht verstehe, was das Ganze hier bringt, aber was soll's, für unseren lieben Herrn Bittner mache ich doch alles... Für die Neuankömmlinge also, mein Name ist Shawn."
Ein Raunen ging durch die Mädchenreihen.
Ich schüttelte nur belustigt den Kopf. Zwar sah dieser Shawn nicht schlecht aus, ziemlich gut sogar, um ehrlich zu sein, aber ich konnte mir schon an drei Fingern abzählen, was für eine Art Junge das war, ohne ihn überhaupt richtig kennen zu müssen. Ich würde in Zukunft besser einen großen Bogen um ihn machen.
„Und das ist mein bester Kumpel Dustin", fuhr Shawn fort und legte seinen Arm brüderlich um die Schultern seines männlichen Begleiters. „Und Mädels, wie Herr Bittner bereits erwähnt hat, vor uns solltet ihr euch lieber in Acht nehmen." Ein schelmisches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, das im wahrsten Sinne des Wortes die eigentliche Bedeutung von Herrn Bittners Warnung ins Gegenteilige umwandelte. Zumindest konnte ich das unter Beobachtung der Mädchenbank, die sich nun im eifrigen Getuschel befand, bestätigend feststellen. Meine Güte, wie konnten die nur auf so etwas abfahren?!
„So, nun ist aber gut", unterbrach Herr Bittner die Beiden mit einem genervten Stöhnen, „Hebt euch das Flirten lieber für die Pausen auf, da müssen euch die Mädels noch lange genug ertragen." Er nickte mit seinem Kopf in Richtung einer freien Zweierbank, auf der sich die Beiden Jungen wohl niederlassen sollten, was sie in der größten Bequemlichkeit auch taten und den Mädels dabei noch neckische Blicke zuwarfen, die augenblicklich anfingen zu kichern.
Innerlich verdrehte ich die Augen, vermutlich gab es an jeder Schule solche Typen - arrogant, selbstverliebt, egoistisch - kaum auszustehen.
Ich wandte mich zu Michelle: „Kennst du die Beiden?", und nickte dabei zu Shawn und Dustin rüber, die inzwischen ihre Sachen ausgepackt hatten, aber schon längst wieder mit anderen Dingen beschäftigt waren, wie unter anderem irgendwelche Spiele auf ihrem Handy zu zocken oder Flirts im Klassenraum zu verteilen.
Sie schüttelte den Kopf: „Ich bin dieses Jahr erst an diese Schule gewechselt und kenne hier so gut wie niemanden." Schüchtern verschränkte sie ihre Finger.
Auf meinem Gesicht breitete sich ein schiefes Grinsen aus: „Geht mir genauso. Meine Familie und ich sind diesen Sommer hergezogen. Für mich ist hier praktische alles neu."
Sie erwiderte mein Lächeln.
Ich war mir ziemlich sicher, dass Michelle und ich uns in Zukunft richtig gut verstehen würden und das gab mir irgendwie einen Funken Hoffnung, dass der Umzug und der damit verbundene Neustart wirkte und vielleicht der Beginn eines neuen, besseren Lebens bedeuten konnte - ein Leben ohne Mobbing, ein Leben mit Freunden, die es gut mit mir meinten, ein Leben, dass auch durch Erfolg gekrönt werden konnte, wenn ich mich in das soziale Umfeld hier eingegliedert hatte. Das alles war meine Gelegenheit für eine zweite Chance.
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