Brief 1
Hallo Unbekannter!
Ich dachte mir, wenn ich anfange dir zu schreiben, geht es mir vielleicht besser. Ob ich krank bin? Nein. Tatsächlich bin ich kerngesund, und war auch noch nie so richtig schlimm krank. Zumindest nicht so, dass ich daran gestorben wäre.
Ich bin gespannt, wer du bist, und ob du mir zurückschreibst. Dann hätte ich tatsächlich einen richtigen Brieffreund! Wenn du ein Mädchen bist, warum hast du dich bei dieser Organisation gemeldet? Hast du Liebeskummer? Bist du krank? Brauchst du Hilfe von mir? Ich finde es ganz lustig, wer mir auf diesen Brief alles antworten könnte. Wenn du ein Junge bist, dann stelle ich mir vor, dass ein junger Orlando Bloom bist, und ganz allein, gefangen auf deiner einsamen Insel bist. Klingt das blöd? Ja, ich denke du hältst mich jetzt erst für richtig verrückt. Natürlich kann ich dich verstehen... ... aber ich würde mich trotzdem freuen, wenn du weiterlesen würdest. Als ich bei dieser Organisation angerufen habe, hat mich eine Dame darauf hingewiesen, dass sie nicht weiß, an wen mein Brief verschickt wird. Doch genau das hat mich so gereizt, nicht zu wissen, wer du bist, nicht zu wissen, ob du jemals antwortest. Auch jetzt freue ich mich jedesmal tierisch, wenn ich an dich denke. Es kommt mir ein bisschen so vor, wie ein Tagebucheintrag, der Anne Frank, nur etwas moderner. Die reine Vorstellung, dass du mir zuhörst ist klasse. Ich werde dir alles berichten; der Zickenkrieg in meiner Schule; mein Familienleben; und - ja, ich weiß, verrückt das ich so was haben könnte - meine Geheimnisse.
Nun zu mir. Ich bin weiblich, gehe in die neunte Klasse und mag klassische Musik. Mein Lieblingsessen ist Pizza, und Gemüse esse ich nur, wenn ich es selbst angepflanzt habe. Ich habe eine Mutter, die Anwältin ist, und einen Vater, der in der Presse arbeitet, und manchmal erst mitten in der Nacht heimkommt, weil er zu arg in seine Zeitung vertieft war. Mein großer Bruder heißt Nick und ist vergräbt sich meistens in seinem Zimmer, das übrigens ganz oben im Haus ist. Ich wohne im Keller, und bin ziemlich zufrieden, vor allem weil ich dort meine Ruhe habe. Außerdem wohnen neben mir im Keller noch Fledermäuse, Ratten und mein Kater Schlitzohr. Jeden Sonntag essen wir mein Lieblingsessen und jeden Montag das von Nick.In der Schule bin ich eigentlich ganz gut. Deutsch und Geschichte mag ich ganz gern und in Bio bin ich eine geborene Niete. Mein Vater sagt immer, dass ich nur das positive in mir sehen soll, und alles negative beiseite drängen soll. Ich finde diesen Rat ein bisschen seltsam, aber ich befolge ihn meistens, wenn es mir so richtig schlecht geht. Dann sitze ich auf meiner Matratze und kraule Schlitzohr an seinem Rücken.
Wahrscheinlich sitze ich heute noch vor meinem Laptop rum und warte, bis eine Mail von dir eingetrudelt ist. Hoffentlich schreibst du zurück und erzählst mir ein bisschen von dir. Ich kann es kaum abwarten dich kennenzulernen. Außerdem habe ich dann jemanden außer Nick mit dem ich ein bisschen rumplaudern kann!
Schönen Tag dann noch.
Mara :)
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