Konfrontation zwischen Löwe und Schlange

Ich zitterte immer noch, aber Severus' samtig dunkle, eindringliche Stimme half mir, mich zu beruhigen.
„Severus", flüsterte ich. „Wir müssen den anderen helfen."
Ich stieß mich von der Wand ab, aber der Schmerz in meinem Arm und meine zittrigen Beine ließen es mir einen Moment schwarz vor Augen werden.
„Du", sagte er und drückte mich sachte gen Boden, „gehst nirgendwo hin."
Ich ließ mich dankbar ins Gras sinken und schloss für einen Moment die Augen. Meine Jeansjacke war am Rücken und unter meinen Armen schweißgetränkt. Erst jetzt merkte ich, welche Angst mich geritten hatte. Mir war kalt und ich wollte zurück zu den anderen, zurück zu Mary und vor allem wollte ich zu James.
„Du frierst ja."
Schwang da in seiner Stimme ein Hauch Besorgtheit mit? Ich rieb mir die Schläfen und startete einen erneuten Versuch mich aufzurichten, der kläglich scheiterte. Ich rutschte an der eiskalten Mauer hinab und mit einem Mal erschien mir das taufeuchte Gras unter mir wunderbar weich.
„Du wartest hier. Ich hole Hilfe.", erwiderte Snape nur und seine dunklen Augen musterten mich einen Moment.
„Wenn du einen Lehrer holst, könnte es gut sein, dass wir alle von Hogwarts suspendiert werden", sagte ich genervt und verdrehte die Augen.
„Keinen Lehrer, Lily. Und schon gar keine Hauslehrer. Ich gehe gleich zu Dumbledore. McGonagall würde uns erstmal eine Standpauke halten, die bis Sonnenaufgang dauert und Slughorn... Naja, du kennst ihn ja." Er grinste flüchtig. „Zu faul. Zu nichts zu gebrauchen, allerdings ein brillanter Zaubertrankbrauer, das muss man ihm lassen."
Ich nickte nur. Ja, Dumbledore würde die Sache wenigstens fair bewerten. Von meinem Schulsprecherabzeichen konnte ich mich trotzdem verabschieden. Ob Dumbledore uns glaubte, wenn wir alles auf die Slytherins schoben? Wir waren zwar nicht ganz unschuldig, aber sie hatten angefangen. Allerdings würde Severus in diesem Falle auch beschuldigt werden. Außerdem durchschaute Dumbleore sowieso jede Flunkerei. Ich sah zu Severus hoch und nickte erneut.
„Ja, geh zu Dumbledore."
Er zögerte, dann zog er seinen Umhang aus und legte ihn mir um die Schultern. Erst wollte ich lautstark protestieren, doch sobald ich die Wärme des Umhangs spürte, entschied mein verräterischer Körper, dass ich dieses wärmespendende Kleidungsstück bis auf weiteres nicht mehr rausrücken würde. Er wandte sich zum Gehen.
„Severus?", flüsterte ich.
Er drehte sich um und es schien mir, als errötete er leicht und sein Puls schien zu rasen, soweit ich das von meiner Entfernung aus beurteilen konnte.
„Ja?", sagte er mit seiner wundersam wohlklingenden Stimme.
Er wandte sich sogar um und kam die paar Schritte zu mir zurück. Ich saß vor ihm und blickte zu ihm hinauf. Als ich merkte, dass er mich eindringlich musterte und mir somit das Gefühl gab, geröntgt zu werden, beschied ich mich damit, lieber zu seinen Schuhen zu sprechen. An den Spitzen seiner Schuhe klebten feine Wassertropfen. Ich schluckte.
„Danke", raunte ich.
Etwas Besseres fiel mir in dem Moment nicht ein. Ich kam mir reichlich bescheuert vor und schlug mir gedanklich gegen die Stirn. Ich war wirklich furchtbar ungeschickt in manchen Situationen.
Doch zu meiner Überraschung hielt er mir die Hand hin. Ich betrachtete sie misstrauisch und hob eine Braue. Doch als er keine Anstalten machte, sie zurückzuziehen, ergriff ich sie und ließ mir von ihm auf die Beine helfen.
Und mit einem Mal überkamen mich die Gefühle einer längst vergessenen Freundschaft, einer Verbindung, die vergraben gewesen war und jetzt einen Luftzug Hoffnung spürte. Ich schlang meine Arme um seinen Körper und drückte mich an ihn. Ein Geruch von verschiedenen Kräutern, Pergament und irgendeinem, mir durchaus bekannten aber unnennbaren, Duft stieg mir in die Nase. Der vertraute Geruch brachte das bis zum Ansatz gefüllte Fass meiner verwirrten Gefühle zum Überlaufen.
Ich schniefte. Still rannen die Tränen meine Wangen hinab und ich vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. Zuerst hatte er nicht reagiert, doch dann schlossen sich seine Arme schützend und wohltuend um meinen Körper. Der Kontakt, welcher mir so lange verwehrt gewesen war, wirbelte alles in meinem Kopf durcheinander.
Schließlich hob ich den Kopf und sah ihm ins Gesicht. Meine grünen, mandelförmigen Augen waren vermutlich rot und verquollen. Doch er scherte sich nicht darum. Ein sanfter Ausdruck strich über sein Gesicht.
Ich runzelte die Stirn und mir fiel wieder ein, warum wir hier draußen in der Kälte standen. „Los, lass und zu Dumbledore gehen.", sagte ich und begann den leichten Abhang hinauf zu stapfen. Mir wurde peinlich bewusst, dass mein Hintern von dem Gras ganz feucht war und ich beschleunigte meine Schritte. Zu meiner Verwunderung war der Platz vor dem Eichenportal verlassen. Kein Slytherin, aber auch keiner meiner Freunde war draußen zu sehen. Wie lange waren wir fortgewesen?
Als wir das Schlossportal erreichten und es ausdrücken wollten, wurde es plötzlich von innen aufgezogen.
Professor McGonagall, die dunklen Augenbrauen wie ein Falke zusammengezogen stieß das Tor auf. Ihr Mund war der schmalste aller schmalen Striche. An ihrer rechten Schläfe pochte eine Ader. Noch nie hatte ihr zornfunkelnder Blick mir gegolten.
„Snape, Evans. Mitkommen.", sagte sie forsch.
Mit steifen Gliedern und vor Kälte zitternd folgte ich McGonagall die Korridore entlang, Snape hinter mir herschreitend.
Professor McGonagall rauschte derartig schnell durch die Gänge, sodass wir Mühe hatten mit ihr Schritt zu halten.
Wir erreichten den steinernen Wassersspeier, von dem ich wusste, dass es der Eingang zu Dumledores Büro war. Mit einem Mal erschien mir der Plan, dem Schulleiter alles zu beichten ziemlich lausig. Mir wurde speiübel, als wir auf die steinernen Stufen traten und sich der Wasserspeier in Bewegung setzte.
Professor McGonagall hob den bronzenen Türklopfer und klopfte dreimal an die schwere Holztür.
„Herein", drang Dumbledores heisere Stimme hinter der Tür hervor.
„Nach Ihnen", sagte McGonagall rasch und schob mich in das Büro.
Das erste was ich sah, als ich den Raum betrat, war Dumbledore, der Däumchen drehend hinter seinen Schreibtisch saß. Seine strahlendblauen Augen zeigten jedoch nicht den Hauch von Amüsiertheit, wie ich es gewohnt war. Sie musterten mich und Severus streng und gaben mir das Gefühl durchleuchtet zu werden.
Das zweite, was in mein Blickfeld fiel, waren Sirius, James und Remus, die zur rechten Seite des Schreibtisches in drei bequem aussehenden Chintz-Sesseln saßen. James stand auf, als er mich sah. Ich lächelte und er erwiderte mein Lächeln beruhigend. Doch mit einem Mal versteinerte sich seine Miene. Verwirrt folgte ich seinem Blick. Snape hatte hinter mir den Raum betreten. James' Augen waren starr auf ihn gerichtet und er knirschte mit dem Unterkiefer. Er sah von mir zu Snape und wieder zurück. Aus dem Augenwinkel konnte ich Severus flüchtig grinsen sehen.
James bäumte sich auf und wollte auf ihn losgehen.
„Hey, Schniefelus! Was hast du mit ihr zu schaffen?", schrie er an Snape gewandt und versuchte sich an Remus vorbei zu kämpfen, der ihn am Arm zurückhielt. „Lass deine dreckigen Pfoten von ihr."
„Mr. Potter", sagte McGonagall entsetzt.
„Nein", rief ich dazwischen und erneut rannen mir Tränen über die Wangen.
James' Gesicht war wutverzehrt.
„James, da war nichts. Wirklich...", sagte ich zitternd.
„Ach ja? Und warum trägst du dann seinen Umhang?", schrie er.

„Mr. Potter, Mr. Potter, also wirklich. Beruhigen Sie sich", rief Professor McGonagall.

Doch James schien sich weder beruhigen, noch schien er von Snape ablassen zu wollen. Er schien vergessen zu haben, in wessen Gesellschaft er sich befand.
„James, bitte", flehte ich und sah ihn an. „Ich erkläre es dir...Später!", fügte ich noch hinzu, als es so aussah, als ob er wieder laut werden wollte. James schnaufte und taxierte Snape mit einem kalten Blick, aber beließ es dabei.
Nach einigen Augenblicken hielt es Remus für ungefährlich genug, den Arm seines Freundes loszulassen. James malträtierte Severus weiterhin mit seinen Blicken, doch schließlich gab er es auf, trat zu mir und zog mich in seine Arme. Er schob mich zu Sirius und den anderen herüber und warf Snape dabei finstere Blicke über die Schulter zu.
Snape entgegnete die Blicke nicht minder giftig. Schließlich räusperte sich Dumbledore vernehmlich.
„Minerva", sagte er an Professor McGonagall gewandt. „Dürfte ich sie bitten, die anderen herein zu holen, damit wir das Geschehene möglichst rasch klären können."
„Natürlich, Albus", erwiderte McGonagall etwas zerstreut, „Natürlich."
Dumbledore nickte.
„Nun zu Ihnen, Miss Evans", sagte er, nachdem McGonagall das Büro verlassen hatte.
Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen und drückte mich in der Ecke hinter den Chintz-Sesseln herum.
„Dürfte ich erfahren, was heute Abend vorgefallen ist? Ich möchte, nun ja, ihre Seite der Geschichte zuerst hören, ohne dass uns andere Störenfriede", er lächelte kurz über seine halbmondförmigen Brillengläser hinweg zu mir herüber, „dazwischen kommen. Natürlich werde ich mir auch die andere Seite der Gesichte in Ruhe anhören."
Ich schluckte und wog meine Chancen ab. Schließlich entschied ich mich für die Wahrheit. Ich erzählte Dumbledore alles. Von der Verabredung, davon, dass Mary und ich uns alleine auf den Weg gemacht hatten, wie die Slytherins uns abgefangen hatten, bis zum Duell mit ihnen. Die Details über den Kampf und die Widerlichkeiten von Selwyn und Mulciber ließ ich aus.
„Und dann hat Severus mich zur Seite genommen, weil ich mich an der Schulter verletzt hatte. Er wollte losgehen, um Hilfe zu holen, Professor, doch dann sind wir Professor McGonagall begegnet", schloss ich und atmete tief aus, nachdem ich geendet hatte.
Ich warf James einen bedeutenden Blick zu, nachdem ich den Teil mit Severus ausführlich erklärt hatte. Er schien sich jedoch nicht damit zufrieden zu geben.
„Nun", begann Dumbledore. „Ich bin erfreut, über ihre Ehrlichkeit, Miss Evans, aber ich muss Ihnen allen", sein Blick wanderte von Remus, über Sirius bis zu James und ruhte dann wieder auf mir, „mitteilen, dass ihr Handeln Konsequenzen haben wird. Das Duellieren auf dem Schulgelände und dies nach der Sperrstunde ist ein harter Verstoß gegen die Schulordnung. Außerdem sehe ich mich gezwungen..."
„Ja, Miss Evans, Sie wollten etwas sagen?" Er blickte mich fragend an, da ich Anstalten gemacht hatte, den Mund zu öffnen. Ich seufzte. Jetzt entzog er mir das Amt der Schulsprecherin.
„Nein, Professor. Ich meine, doch.", ich fuhr mir durch mein krauses Haar. „Sie werden mir doch nun bestimmt mein Amt entziehen, das Schulsprecheramt meine ich.", endete ich etwas kleinlaut.
Dumbledores hellblaue Augen strahlten.
„Wie kommen Sie auf solch eine Idee, Miss Evans?", fragte er vergnügt. „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich das Amt der Schulsprecher mitten im Schuljahr jemand anderem anvertraue. Außerdem haben Sie beide", er blickte zu James, „Ihre Sache doch recht zufriedenstellend ausgeführt, wenn ich meinen darf." Er lächelte. „Im Übrigen wäre das Ganze eine Menge Papierkram, und wo Sie meine Erwartungen bei weitem übertroffen haben..."
Weiter kam er nicht, denn ich stieß einen kleinen Freudenschrei aus. Gott, wie albern. Doch ich hatte mir in den letzten Stunden so meine Gedanken gemacht, und jetzt diese Antwort zu hören, durchströmte meinen steifen Körper mit purer Erleichterung.
„Doch ihr Handeln wird natürlich Konsequenzen haben. Professor McGonagall und ich haben die Strafe schon gemeinsam festgelegt. Wegen den Slytherins, muss ich mich noch einmal an unseren ehrwürdigen Professor Slughorn wenden, welcher heute Abend leider nicht zu wecken gewesen war." Er gluckste kurz. „Nun wer kann einen kleinen Tropfen Met schon verwehren. Nun denn", er faltete die Hände über seinem Schreibtisch zusammen. „Die Hogsmeade-Wochenenden werden für sie bis Halloween natürlich gestrichen sein. Da ich nicht bezweifle, dass sie heute Nacht auf dem Weg dahin waren." Ich stöhnte und Sirius sah den Schulleiter finster an. Doch James und Remus tauschten aufgeregte Blicke, und James zwinkerte Sirius zu, welcher sich sogleich beruhigte und sich mehr oder weniger grinsend in seinem Stuhl zurücklehnte. Ich fragte nicht nach. Dafür war ich im Moment zu müde, doch früher oder später würde ich James zur Rede stellen.
„Außerdem", fuhr Dumbledore nun fort, dem der Blickwechsel der Rumtreiber wohl entgangen war, „Werden Sie alle Strafarbeiten bekommen und ich muss den Vorfall leider in ihrer Schulakte vermerken."
Seine langen, dünnen Finger klopfen einen kurzen Rhythmus auf dem Stapel einiger Akten. Zwei von ihnen waren bis zum Bersten gefüllt. Die oberste war schmaler, aber dennoch steckten einige Vermerke an den Seiten heraus. Die unterste war dünn und bis auf ein oder zwei Pergamente leer. Ich brauchte gar nicht erst fragen, wem welche der Akten gehörten.
„Wegen den Strafarbeiten wenden Sie sich bitte an Ihre Hauslehrerin. Sie wird Ihnen am Montag mitteilen, worin diese bestehen."
Ich wandte mich zum Gehen. In genau dem gleichen Moment klopfte es und Professor McGonagall kam gefolgt von einem sehr zerzaust aussehenden Professor Slughorn, im Morgenmantel, und einer kleinen Truppe Slytherins durch die Tür marschiert.
„Ah, vielen Dank, Minerva", sagte Dumbledore ruhig und wies uns zur Tür.
„Gute Nacht, Mr. Potter, Miss Evans, Mr. Black, Mr. Lupin. Und denken Sie an ihre Strafarbeiten." Mit diesen Worten nickte er uns kurz zu und schloss die Tür leise hinter sich.


Das Kapitel war ein wenig länger :) Ich hoffe, es hat euch gefallen!  Mögt ihr lieber lange oder kürzere Kapitel?


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