Kapitel 33
Rachel
Paar Tage später, Cati machte gerade ein paar Besorgungen bevor sie und Will nach Weston reisen wollten, traf sie Madison Stuart in der Stadt. Kurzerhand beschlossen sie den Nachmittag gemeinsam zu verbringen. Sie erledigten die Einkäufe, bereiteten dann bei Cati zu Hause noch einiges für die Hochzeit vor und machten sich dann zu einem Spaziergang auf. Cati hackte sich bei ihrer Freundin ein und gemeinsam schlenderten sie Richtung Stadtrand.
„Ich habe in den letzten Tagen viel nachgedacht und bin zu einer wichtigen Erkenntnis gekommen."
„Die da wäre?"
„Der Sinn des Lebens ist es Jesus zu finden und mit ihm und vor allem für ihn zu leben. Gott hat uns als sein Abbild geschaffen. Wir sollen so leben, dass es ihn ehrt und das durch unseren Lebenswandel die Menschen in unserer Umgebung Jesu Liebe in uns erkennen können."
Cati dachte darüber nach was ihre Freundin da gesagt hatte. „Das ergibt Sinn. Ich glaube du hast recht, Maddie. Und weiß du was: Ich glaube auch, dass es Spaß macht nach diesen Prinzipien zu leben und dass es einem erfüllt und man kann an jedem Ort der Welt ein Nachfolger Jesu sein. Egal wohin Gott uns gestellt hat: Wir können ihm dort dienen. Du kannst deinen Schülern ein gutes Vorbild in der Nachfolge Jesu sein und ich eines Tages - so Gott will - meinen Kindern."
„Und wir können anderen helfen. Nicht nur unseren Freunden, sondern auch Menschen, mit denen wir kaum etwas zu tun haben, so wie du es damals bei Mrs Spencer getan hast. Menschen wie sie brauchen Liebe und Frohsinn um sich herum."
„Ja, das ist wahr." Catis Stirn legte sich in sanfte Falten, als sie an ihre Vergangenheit dachte. Es hatte furchtbar wehgetan an ihrem Geburtstag von ihrer Mutter zu hören, wie schwer sie zu ertragen war. Sie hatte sich daraufhin aus eigener Kraft verändern wollen, aber es war ihr nie gelungen. Nie war sie zu der Person geworden, von der Mutter sich wünschte, dass sie es war.
„Und noch etwas ist mir aufgefallen" riss Maddie sie aus ihren Gedanken.
„Du scheinst in letzter Zeit ja viel nachzudenken."
Madison lachte. „Wer rastet, der rostet. Vielleicht solltest du dir auch eine Scheibe davon abschneiden. Es wäre eine ganz neue Erfahrung für dich."
„Vielen Dank auch. So blöd bin ich doch auch wieder nicht, oder?"
„Zum Leben reichts."
Cati schüttelte lächelnd den Kopf. „Was ist dir denn jetzt in den letzten Tagen aufgefallen, als du so nachgedacht hast?"
„Also, ich habe bei mir auf dem Dachboden aufgeräumt und dabei habe ich unsere alte Indianerkleidung gefunden."
„Ach, die hast du aufbewahrt?" Sie musste lächeln, als sie die braunen Kleider und alten Mokassins vor sich sah. Nicht zu vergessen: Der rote Streifen um ihren Kopf mit der Vogelfeder und die Kriegsbemalung.
„Natürlich. Und unterbrich mich nicht."
„Entschulde, Miss Kings die Zweite."
Maddie verdrehte die Augen, ging aber nicht weiter auf Catis Bemerkung ein. „Ich musste selbstverständlich daran denken, wie wir im Wald gespielt haben und ein Tag kam mir besonders in Erinnerung."
Cati ahnte welcher Tag das war.
„Du hattest Angst, dass Henry mich erschießt und kamst aus deinem Versteck heraus. Ich konnte fliehen, aber du bliebst gefangen und musstest den Häuptling heiraten. Und ausgerechnet dieser Häuptling war Will. Das ist das Erste und dann dachte ich noch darüber nach, wie wir dich befreit haben. Du bist von den Feinden weggelaufen und ich habe dir den Weg zu unserem neuen Lager gezeigt. Einer der Indianer verfolgte uns, bekam uns aber nicht mehr zu fassen."
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1991
„Wilder Wolf, lass keine Gnade walten. Erschieß Goldene Sonne!"
„Nein, Häuptling, habt Gnade mit mir. Ich möchte auch die niedrigsten Arbeiten verrichten." Unbeschreibliche Angst schwang in der weiblichen Stimme mit, die viele Oktaven höher war, als normalerweise.
„Nein. Wilder Wolf, erschieß Goldene Sonne!"
Der Angesprochene stellte sich vor das Mädchen in Indianertracht, welches, an einem Baum angebunden, auf dem feuchten Waldboden saß und mit vor Angst weit aufgerissenen Augen dem Schützen dabei zusah wie er seinen Bogen hob, den Pfeil anlegte und die Sehne spannte.
„Halt! Ihr könnt sie doch nicht umbringen, seid ihr denn verrückt geworden?" Ein Indianermädchen sprang aus dem Gebüsch. Sie trug ein Kleid aus braunem Leder, uralte Mokassins und hatte sich um den Kopf einen roten Stoffstreifen gebunden an dem eine Feder befestigt war, genauso wie das zum Tode verurteilte Mädchen. Ihr Gesicht war mit Kriegsbemalung angemalt.
„Los, schnappt sie euch, Krieger!"
Sofort stürmten mehrere junge Indianer auf sie zu. Die Indianerin strampelte um sich, sodass ihre Feinde sie nicht packen konnten. „Nein! Halt! Das ist doch kein Spiel mehr. Ihr könnt Maddie doch nicht erschießen!"
Der Schütze verdrehte genervt die Augen und sogar Maddie, die unbemerkt an ihren Fesseln herumhantierte, konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken.
„Ich hätte doch danebengeschossen, Cati. Du glaubst doch nicht, dass ich meine Schwester umbringe."
„Ja... Nein... Aber..." Cati wurde rot und starrte auf ihre Füße. Wie schrecklich unangenehm... „Es sah halt so aus..."
„Jedenfalls haben wir dich jetzt." Der Häuptling ergriff Catlen am Arm und zog sie zum Baum. Catlen May wehrte sich heftig. „Oh nein, ihr habt mich nicht! Das gehörte doch nicht zum Spiel. Lasst mich laufen."
„Pech, wenn du so dumm bist und aus deinem Versteck kommst..."
Etwas beleidigt plumpste Cati auf den Boden und ließ sich willenlos fesseln. Madison hatte den Moment in dem sie unbeobachtet war, genutzt, um sich zu befreien. Jetzt sprang sie wie ein junges Reh auf und rannte in den Wald.
„Stopp! Stehengeblieben! Wilder Wolf, kannst du keine Knoten machen?", wütete der Häuptling. „Lauf, Goldene Sonne! Schnell!" Cati streckte dem Häuptling die Zunge raus. „Da war wohl jemand schneller als ihr."
„Funkelndes Wasser muss mehr Respekt vor Fliegendem Adler haben, sonst ist das Frauenzimmer ganz schnell tot."
Cati lachte. „Bin ich nicht."
Der Häuptling schüttelte seinen, mit einem pompösen Federschmuck gezierten, Kopf und wandte sich von Cati ab. „Was steht Wilder Wolf hier dumm rum? Lauf und hol den Feind zurück, bevor sie ihren Stamm erreicht hat und ihn zu uns führt."
Wilder Wolf nickte und spurtete davon.
„So, und jetzt wieder zu dir, Funkelndes Wasser." Der Häuptling drehte sich wieder zu Cati um.
„Habt Gnade mit mir, Fliegender Adler. Ich möchte gerne eine Sklavin oder so sein, aber bitte tötet mich nicht."
Der Häuptling zog seine Augen zu schlitzen zusammen. Seine Kriegsbemalung war ein wenig verschmiert und Cati grinste darüber spöttisch. „Wir werden dich nicht als Sklavin behalten, weil du sonst abhauen könntest. Ich habe eine viel bessere Idee."
„Wilder Wolf kommt zurück, Häuptling", meldete eine Wache, die am Rand des primitiv gebauten Indianerdorfes stand.
Wilder Wolf trat ganz aus der Puste und verschwitzt auf die kleine Lichtung. „Ich habe... sie... nicht mehr finden... können", keuchte er.
„Ja, weil du zu lange gebraucht hast. Egal, Wilder Wolf kann Goldene Sonne später suchen. Jetzt hört Wilder Wolf sich erstmal an, was Fliegender Adler zu sagen hat: Wilder Wolf wird Funkelndes Wasser heiraten."
„Was?", rief die Gefangene entsetzt aus. „Nie und nimmer! William, er ist der Bruder meiner Freundin und das Letzte, was ich tue wird sein, ihn zu heiraten."
Der Häuptling zuckte mit den Achseln. „Mir egal."
„Ich heirate Funkelndes Wasser auch ganz sicher nicht. Warum nimmt Fliegender Adler sie sich nicht zur Frau?"
Funkelndes Wasser schnappte nach Luft. „Oh nein! Nein, nein, nein. Da könnt ihr mich lieber umbringen. Ehe ich den heirate sterbe ich lieber den Qualvollsten Tod."
Die beiden Indianer ignorierten ihren Protest geflissentlich. Wilder Wolf hob seine Augenbrauen und sah seinen Häuptling prüfend an. „Und? Was sagt Fliegender Adler zu meinem Vorschlag?"
„Sag nein, Will", bettelte Cati.
„Ich kann doch keine Feindin heiraten. Sie ist immerhin die Schwester von Schleichender Puma."
Erleichtert atmete Funkelndes Wasser aus. Er würde es nicht zulassen!
„Eben. Das wäre die gerechte Rache für den letzten Kampf."
Mit ihren Zähnen knetete Cati ihre Unterlippe. Schleichender Puma war ganz am Anfang, als sich die Kinder dieses Spiel ausgedacht hatten, dazu auserkoren worden ihr Indianerbruder zu sein. In einem Krieg der Stämme, hatte er den heldenhaften, entscheidenden Pfeil abgefeuert und hatte den Kampf somit für seinen Stamm als Gewonnen erklärt.
„Wir sollten das nicht vor Funkelndes Wasser besprechen." Fliegender Adler zog den Krieger in eine andere Ecke der Lichtung und Cati beobachtete die beiden genau. Endlich kamen sie, mit Ausdruckslosen Mienen, zurück.
„Wir haben beschlossen, dass Funkelndes Wasser und Fliegender Adler heiraten werden."
Funkelndes Wasser stöhnte und stützte ihre Stirn auf ihre angezogenen Knie. Dabei zog es schmerzhaft in ihren, nach hinten gedrehten, Armen. „Wie schrecklich."
Die Hochzeitszeremonie am folgenden Tag bestand aus den folgenden Worten: „Funkelndes Wasser wird hiermit zur Frau des Häuptlings Fliegender Adler."
Ende.
Cati bekam einen neuen Stoffstreifen um den Kopf. Dieser Stamm hatte blau, der Ihrige rot, als Erkennungsfarbe. „Toll und was muss ich jetzt machen?"
„Kochen", kam es wie aus der Pistole geschossen von allen Kriegern.
Natürlich. Cati hatte es geahnt und schon zu Hause etwas zum Verzehren für alle eingepackt. Madison und sie durften nur mitspielen, weil sie für das Essen sorgten und Cati nutzte diese Regel jetzt aus. Sie wickelte das Schweinefleisch, welches Mutter ihr mitgegeben hatte, aus den Taschentüchern und sah jedes einzelne Stück prüfend an. Eines war sehr zäh, dass wusste sie. Sie hatte es für eine ganz bestimmte Person mitgenommen. Mit einem schelmischen Funkeln in den Augen verteilte Cati die Portionen an die Indianer, die um das angedeutete Feuer saßen und die nicht funktionierende Friedenspfeife rauchten.
Cati zog sich zurück und betrachtete amüsiert Williams Mienenspiel. Er kaute, schluckte, kaute. Cati musste sich beherrschen, um nicht loszuprusten. Jetzt spuckte William den Inhalt seines Mundes in hohem Bogen ins Gebüsch. Schnell wandte Cati ihm den Rücken zu. „Wie könnt ihr das essen? Ich kann das nicht mal vernünftig kauen. Funkelndes Wasser, was hast du da zubereitet?"
Bescheiden den Kopf gebeugt trat die Häuptlingsfrau vor. „Wildschwein, Häuptling."
„Und warum schmeckt es so schlecht?"
„Vielleicht mögen Fliegender Adler es einfach nicht?" Ihre Stimme war schnippisch und herausfordernd.
Fliegender Adler stand auf und baute sich bedrohlich vor ihr auf. Breitbeinig, die Hände in die Hüften gestemmt und mit Augen, die zu Schlitzen zusammengezogen waren gab er seiner ganzen Wut Ausdruck. „Wildschwein ist mein Leibgericht. Entweder Funkelndes Wasser kann nicht kochen oder sie spielt mir einen Streich."
Funkelndes Wasser fummelte an ihrem Kleid rum. Darauf an den Baum gebunden zu werden war sie nicht sonderlich erpicht. „Ich gebe es zu. Es ist die Rache dafür, dass Fliegender Adler mich nicht hat laufen lassen."
Zufrieden sein Ziel erreicht zu haben verschränkte der Häuptling seine Arme vor der Brust. „Bereust du was du getan hast?"
Jetzt lachte die Indianerin belustigt. „Nein, wenn ich ehrlich bin."
Wilder Wolf schlug sich mit der Hand an die Stirn und Fliegender Adlers Augen sprühten Wutblitze. „Sehr dumm. Wirklich, sehr dumm. Wilder Wolf bindet Funkelndes Wasser jetzt als Strafe an den Baum."
Die unfreiwillige Häuptlingsfrau sah flehentlich ihren „Mann" an. „Bitte nicht. Es tut mir leid. Es wird nie wieder vorkommen."
Doch Fliegender Adler ließ sich nicht erweichen und so wurde sie wieder an den Baum gebunden. Die Jungen aßen weiter und Funkelndes Wasser überlegte hin und her wie sie sich aus dieser misslichen Lage befreien konnte. Da hörte sie hinter sich ein Geräusch und jemand flüsterte leise ihren Namen.
„Funkelndes Wasser! Psst... Ich bin es, Schleichender Puma. Die anderen sind auch da. Ich werde dich jetzt losbinden und du musst einen günstigen Augenblick abwarten, um zu flüchten."
Fast unmerklich nickte Funkelndes Wasser. Dann spürte sie wie jemand an ihren Fesseln herumhantierte. Als sie fielen flog ein Pfeil dicht an Williams Kopf vorbei und blieb in einem Baum stecken. Die essenden Krieger fuhren auseinander und Funkelndes Wasser sprang auf. Niemand achtete zuerst auf sie, weil ihr Stamm sich jetzt, mit lautem Indianergeheul, aus der Deckung wagte. Fliegender Adler und seine Männer eilten zu ihren Waffen, während Funkelndes Wasser in den Wald rannte. Das Laub, dass sich schon allmählich von den Bäumen löste und den Boden bedeckte, flog unter ihr vorbei, ein paar dünne Ästchen schlugen gegen ihre Beine, als sie durchs Unterholz rannte. Sie hörte, wie ihr jemand folgte und beschleunigte ihr Tempo.
Plötzlich sprang jemand vor ihr aus dem Gebüsch und lief vor ihr her. Maddie! Ihre Freundin lotste sie zu dem neuen Lager ihres Stammes und blieb keuchend vor einem der Tipis stehen. Den Verfolger hatten sie abgehängt. Cati stützte die Hände auf ihre Knie und lachte ihre Freundin an. „Das war das beste Befreiungsmanöver bis jetzt."
Ein schiefes Lächeln hob einen von Maddies Mundwinkeln. „Ich muss schon sagen, der andere Stamm hat ganz miserable Wächter."
Cati verzog das Gesicht und riss das blaue Kopfband ab. „Die anderen werden Will und den Rest seines Stammes ordentlich in die Schranken weisen."
„Na das hoffe ich doch. Immerhin haben sie meine beste Freundin gestohlen."
„Und sie mit ihrem Häuptling verheiratet."
„Sie haben was?!" Madison prustete los und Cati erzählte ihr die Geschehnisse im feindlichen Lager.
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Madison hielt inne, als sie auf die Blumenlichtung traten und die beiden sich auf dem Boden niederließen. Sie rupfte eine Blume aus dem Boden und drehte sie zwischen ihren Fingern. „Unser damaliges Spiel ist wie eine Metapher. So wie du dich damals nicht selbstständig aus dem feindlichen Lager retten konntest, so können wir Menschen uns nicht selbst von unserer Sünde losmachen. Erst wenn Jesus kommt und wir ihn um Hilfe bitten, lösen sich die Fesseln der Sünde und wir sind frei. Wenn es ganz schwierig wird und wir nicht mehr weiterwissen, dann ermutigt uns Gott durch sein Wort oder er schickt uns einen Engel, der uns den Weg weist."
„Und in unserer größten Angst der Verwirrung kämpfen seine Engel für uns."
Maddies Gesicht erhellte ein Lächeln. „Genau darauf wollte ich hinaus. Deine Gehirnzellen scheinen doch noch vorhanden zu sein."
Cati zog bedeutungsvoll ihre Augenbrauen hoch. „Da kannst du mal sehen." Sie lächelte, wurde aber sofort wieder ernst. „Wo wir schon bei unserer Vergangenheit sind: Mutter hat mich immer formen wollen und ich selbst wollte mich auch verändern. Aber wir beide versuchten es aus eigener Kraft. Ich habe entdeckt, dass es Jesus ist, der uns verändert und in unserem Leben wunderbares bewirken kann."
Maddie griff nach einer neuen Blume und fuhr mit ihren Fingern über ihre Blütenblätter. „Das ist wahr. Wenn er in uns lebt, werden wir zum Guten verändert."
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