Kapitel 30


Keely

Auch die nächsten Tage verbrachten Rachel und Keely viel Zeit miteinander. Die Kunde davon, dass Keely Brownans Tochter als erwachsene Frau wiedergekommen war, verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt. Jeder fand plötzlich einen Anlass, um Keely zu besuchen. Einigen fiel ein, dass sie noch geliehene Sachen von ihr hatten, andere wollten „Nur mal nach dem Rechten sehen" und einige, wie Dianne, machten keinen Hehl aus ihrem Beweggrund. Kaum hatte Keely ihr an ihrem freien Nachmittag die Tür geöffnet fiel Dianne ihr lachend um den Hals. „Oh Keely, ich freu mich ja so für dich. Dem Herrn sei Dank, dass Rachi wieder da ist." Sie löste sich von ihr und sah sie, mit vor Aufregung funkelnden Augen an. „Warum hast du es mir nicht schon früher erzählt? Erst durch Liljan habe ich von deinem Verdacht erfahren und nach allem was in der Stadt erzählt wurde, bekamen wir Sicherheit in unseren Spekulationen. Ich wollte eigentlich schon längst kommen, aber du weißt ja, wie eingespannt ich manchmal bin. Kann ich mein Patenkind denn jetzt sehen oder nicht? Wo versteckst du sie?" 

Keely lachte belustigt über die Aufregung ihrer Freundin. „Komm mit, wir trinken gerade Tee auf der hinteren Veranda und Liljan freundet sich gerade mit ihr an." 

„Wo ist denn Judy?" 

„Judy ist einkaufen, weil ich besuch habe." Keely führte ihre treue Freundin zu der hinteren Veranda und stellte sie dann Rachel vor. „Rachel, das ist deine Patentante Dianne Ingels. Di, das ist meine Rachel." 

„Das dachte ich mir." Fasziniert, als hätte sie einen Fremdkörper vor sich, musterte Dianne Rachel. Sie schüttelte den Kopf als diese ihr die Hand hinstreckte und sagte: „Guten Tag, Mrs Ingels." 

„Sie hört sich an wie du Keely! Es ist alles genauso wie es in der Stadt erzählt wird. Herzlich Willkommen zu Hause, mein liebes Kind." Di zog Rachel in ihre Arme und drückte sie, sichtlich bewegt, fest an sich. „Lass das Sie und Mrs Ingels weg. Ich bin für dich Dianne." 

Keelys Tochter lächelte sie an. „Gut, dann sollst auch du mich mit du ansprechen." 

„Was anderes hatte ich auch nicht vor, Liebes." Dianne begrüßte Liljan knapp und wenig später waren die vier Frauen in ein angeregtes Gespräch vertieft in dem Keely merkte, dass Rachel unglaublich direkt war- eine weitere Eigenschaft, die sie von Dereck geerbt hatte. 

„Und ihr habt wirklich in Atlanta gelebt, Rachi?" Dianne brannte sichtlich nur so darauf alles von ihrem Patenkind zu erfahren. Gespannt beugte sie sich ein wenig vor. Die Rüschen ihres Kleides berührten dabei bedrohlich ihre Teetasse. 

„Ja, aber ich kann mich bedauerlicherweise nicht mehr an diese Zeit erinnern, weil ich erst fünf war. Nur das große Haus ist mir verschwommen in Erinnerung geblieben. Ein Gemälde davon hängt in unserem Salon. Ein berühmter Künstler hat es gemalt und Mutter hat es nie übers Herz gebracht es weg zu geben. Einige Räume und den Garten beschreibt sie mir immer wieder und nur deshalb kann ich mich daran erinnern." 

Liljan seufzte verträumt. „Wenn doch mal ein berühmter Künstler nach Weston käme. Ich würde ihn sofort bitten Jeb und mich vor unserem Haus zu malen." 

Keely lachte. „So eitel hätte ich dich nie gehalten, Liljan. Außerdem: Wie willst du einen Künstler bezahlen? Die Gillwaters hatten es sich leisten können, aber dein Mann wird sicher wichtigere Investitionen finden." 

Liljan verdrehte genervt die Augen und seufzte erneut. „Manchmal wünschte ich mir er wäre kein Arzt. In seiner Praxis muss ständig irgendetwas erneuert werden und unsere häuslichen Bedürfnisse stehen hinten an." 

Keely tätschelte die Hand ihrer Freundin mitfühlend. „Jeder weiß darum, meine Liebe und jeder verehrt dich für deine Selbstlosigkeit, Liljan." 

„Aber irgendwo muss man auch eine Grenze setzen", pflichtete Dianne ihrer Freundin bei. Keiner der drei merkte wie Rachel sich leise erhob und sich von der Veranda schlich.

Rachel

Der angenehme Duft des Flieders kroch in Catis Nase und sie schloss genießerisch die Augen. Dieser Ort war eines der schönsten Fleckchen Erde auf Gottes weiter Welt, dessen war sie sich sicher. Keely und Dereck hatten wahrlich guten Geschmack bewiesen, als sie dieses Haus bauten und den Garten bepflanzten. Keelys fleißige Hand hatte dafür gesorgt, dass Cati nirgends auch nur das kleinste Unkraut entdeckte. Mutter hatte lange Zeit das Dienstmädchen die Gartenarbeit machen lassen, bis ihr das Gerede in der Stadt zu viel wurde und sie ihr half. Auch Cati hatte sie später dazu angehalten es zu lernen. Ohne Wehmut dachte sie an die heißen Sommertage an denen sie lieber hatte spielen wollen, anstatt in der sengenden Sonne zu arbeiten. 

Ob Keely sich vor solchen Arbeiten gedrückt hatte? Catlen war sich sicher, dass es nicht so war. Dass Mutter es lange Zeit für unter ihrer Würde gehalten hatte, hatte Catlen May ebenso denken lassen und eine Ausrede gegeben es nicht zu tun. Bei Keely wäre es ihr sicher leichter gefallen schwerere Arbeiten mit Freude zu verrichten. 

Es hat keinen Sinn die Vergangenheit ändern zu wollen. Sei zufrieden mit deinem Weg, den Gott dich geführt hat. Mutter war trotz allem immer lieb zu dir gewesen, also gibt es nichts was du zu beklagen hättest, mahnte sie sich. 

„Hier bist du also, Liebes." Diannes Stimme schreckte Catlen May aus ihren Gedanken. „Wir haben gar nicht bemerkt wie du dich davon gemacht hast. War dir unser Geschnatter zu lästig?" 

Cati spürte wie sie rot wurde. Mutter hätte sie früher bei einem solchen vergehen wohl übers Knie gelegt oder auf eine andere Weise schwer bestraft. Es tut mir von Herzen leid Mutter, aber ich werde nie die Dame sein, von der du willst, dass ich sie werde. 

Diannes prüfender Blick ruhte auf ihr und brachte ihr ganzes Gesicht zum Glühen. Cati räusperte sich und lächelte schüchtern. „Es war gar nicht böse gemeint. Manchmal mache ich einfach seltsame Sachen. Mir schießt eine Idee in den Kopf und ich spring los, wie ein junges Reh. Es sollte euch nicht kränken. Ich wollte einfach nur ein paar Schritte gehen." 

Di streckte ihren Arm aus und legte ihn um Cati. Langsam führte sie sie zurück zur Veranda. „Wir haben uns nur ein bisschen erschrocken und natürlich gewundert wo du so lange bleibst. Selbstverständlich habe ich nicht zugelassen, dass du so ungeschoren davonkommst. Ich habe nämlich noch ein paar Fragen an dich." 

Catlen May lachte. Ihre Tante hatte sie, seit sie die Veranda betreten hatte, nicht aus den Augen gelassen und mit unzähligen, fast schon ungehörigen, Fragen gelöchert. Cati gehörte nicht zu den Menschen denen man alles aus der Nase ziehen musste und das hatte sich Dianne zunutze gemacht. Doch die Fragerei störte Cati nicht. Im Gegenteil: Es machte ihr deutlich, dass diesen Menschen wirklich etwas an ihr lag und dass sie sich für sie interessierten. Also legte auch sie ihren Arm um die beste Freundin ihrer Mutter und stellte sich noch eine weitere Stunde ihren Fragen.

 Zum Abendessen wurden die beiden Freundinnen von Keelys Adoptivkindern abgelöst. Cati stand schon ganz aufgeregt vor dem Spiegel in ihrem Hotelzimmer, um sich für das Abendessen bei Keely zu richten. 

Ich treffe meine Geschwister, Schwager und meine Nichten und Neffen. O Gott, ich bin so aufgeregt. Bitte, bitte mach das alles gut verlaufen wird. Keely und ich sind uns so nahgekommen. Ich will nicht, dass ihre Kinder das zerstören. Amen, betete sie während sie eine Strähne mit einer Haarnadel in ihrer Hochsteckfrisur befestigte. 

Sie besah sich von allen Seiten, zupfte noch hier und da etwas zurecht und setzte sich dann einen Cognacfarbenem Derby Hut auf, der zu ihrem Rostrotem Kleid passte. Zufrieden lächelte sie ihr Spiegelbild an. Maddie würde wohl ein grünes Kleid mit einem Fliederfarbenem Hut anziehen. 

Sie lachte auf. Ach, wenn ihre beste Freundin doch nur hier wäre und ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen würde! Bald sehe ich sie wieder. Nur noch zwei Tage und ich bin auf dem Weg nach Eighford. Dann wird diese verrückte und extravagante junge Frau mich wieder umschwirren und wir werden gemeinsam alles für meine Hochzeit vorbereiten. 

Cati durfte gar nicht daran denken wie viele Aufgaben auf sie zukamen, wenn sie wieder daheim war. Ihr Magen drehte sich leicht um und sie lenkte ihre Gedanken wieder in die Gegenwart. Langsam ging sie die Treppen hinunter und machte sich auf den Weg zur Farm von Keely. Am liebsten würde sie wieder umdrehen, aber diese Begegnung wird unvermeidlich bleiben, das wusste sie. Wenn ihr doch nur jemand beistehen würde! 

Gott, du bist doch immer da, oder? Ich brauche jetzt deinen Beistand und deine Funktion als bester Freund, sonst falle ich in Ohnmacht. Die ganze Situation ist so neu und unangenehm. Steh mir bei und gib mir Kraft. In Jesu Namen, amen. 

Betend schritt sie durch das Gartentor und auf das Haus zu. Etwas zögerlich klopfte sie an die Haustür und trat abwartend einen Schritt zurück. Niemand öffnete. Stirnrunzelnd klopfte Cati erneut, diesmal etwas lauter und mit mehr Sicherheit. Keine fünf Sekunden später sprang die Tür auf und ein blonder Lockenkopf kam zum Vorschein. Catlen May lächelte das kleine Mädchen freundlich an. „Hallo, ich bin Catlen May Gillwater und wer bist du, kleine Maus?" 

Das Mädchen öffnete die Tür etwas weiter. „Ich bin Veronica Dunn, Miss." 

„Veroni, mit wem sprichst du denn da?", kam eine, für Cati fremde, Stimme aus dem Inneren des Hauses. 

„Mit Miss Gillwater, Ma." 

Eine Frau Anfang der dreißiger Jahre kam aus dem großen Salon und sah von Veronica zu Cati und stockte für einen kurzen Moment. Sie stand da, Mitten im Flur und analysierte jeden Zentimeter in Catlen Mays Gesicht. Als würde sie plötzlich aus einem langen Schlaf erwachen, kam, nach einer unendlich langen und sehr unangenehmen Minute, wieder Leben in die Frau. Sie ging auf ihre Tochter zu, schob sich an sie vorbei und umarmte Cati herzlich. „Willkommen zu Hause, Rachel." 

Cati war vollkommen überrascht von dieser warmherzigen Begrüßung, aber erwiderte die Umarmung schnell und drückte ihre große Schwester innig an ihr Herz. „Danke." 

Jetzt lösten sich beide voneinander und in den Augen der Frau glänzten Tränen. „Komm rein, wir warten schon alle auf dich." Sie stellte sich neben die Tür und deutete Cati so einzutreten, dann schloss Veronicas Mutter die Tür. „Leg deinen Hut hier ab." Sie klopfte mit der Handfläche auf eine Kommode neben der Garderobe, auf der schon zwei Hüte lagen. 

Cati tat es ihren Schwesterngleich und folgte dann, der ihr noch immer unbekannten Frau, die ihre Tochter vor sich herschob, in den Salon. Ganz überwältigt musste Catlen May erstmal stehen bleiben. Der lange Tisch war voll beladen mit Essen, sodass sich die Tischplatte unter dem Gewicht eigentlich hätte biegen müssen. Rechts von dem Tisch standen zwei lange Sofa auf denen zwei Männer, eine Frau mit einem Baby auf dem Schoß und Keely saßen. Um den Tisch herum jagten zwei jungen und zwei Mädchen, die beim Eintreten von Catlen May schlagartig wie angewurzelt stehenblieben. Lächelnd stand Keely auf und eilte zu Cati hinüber. „Komm rein, Liebes, und steh nicht so verlassen im Türrahmen. Ich stelle dir deine Familie vor." 

Catlen May wurde von Abbie, Timothy und Mattie herzlich in die Armegeschlossen und auch die Kinder ließen sich von ihr umarmen. Außerdem erfuhr sie, dass die Frau, die sie hereingeführt hatte, Amilia, ihre älteste Schwester war. 

Es war, als wäre sie schon immer ein Teil der Familie gewesen und einfach nur für längere Zeit auf einer weiten Reise gewesen und sie feierten jetzt ihre Rückkehr. Und irgendwie war es auch so. Sie kehrte von der langen Reise ihres bisherigen Lebens zu dem Ort zurück, wo alles angefangen hatte. Zu dem Ort, wo ihr Leben begonnen und seine entscheidende Wende genommen hatte. Zu dem Ort wo man um sie Jahrelang getrauert und geweint hatte. Zu dem Ort wo sie seit ihrem ersten Atemzug geliebt und seit ihrem Weggang schmerzlich vermisst wurde. 

Herr, ich will, dass dieses Haus zu meinem zu Hause wird, denn hier fühle ich mich wohl und hier sind Menschen, die auf mich gewartet haben und mich in ihre Mitte aufnehmen, als wäre ich schon immer dabei gewesen. Segne sie alle, Herr. Amen. 

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