Kapitel 17


Es gab Zeiten in Catis Leben, in denen sie es sich von Herzen wünschte die Zukunft voraus sehen zu können. Wenn sie es auch nur geahnt hätte wie anstrengend Logan und Tillie sein würden, sie hätte sich niemals auf den Weg nach Texas gemacht. Logan war stur, frech und ungezogen. Ständig setzte er sich über den Willen seiner Gouvernante hinweg und machte das was er wollte – und das waren nicht selten gefährliche Dinge. 

Tillie, war ebenso ungezogen wie ihr Bruder nur war sie über alle Maßen verwöhnt, zickig, eingebildet und fast noch ungehorsamer als ihr Bruder. Auch wenn Cati alles andere als nah am Wasser gebaut war und weinen bei ihr sowieso eine Seltenheit war, so weinte sie in der ersten Zeit bei ihrer Arbeit jeden Abend. Nach einiger Zeit hatte sie keine Tränen und mehr und hatte zudem auch eingesehen, dass diese nichts brachten. Sie würde das durchstehen müssen. Doch das schlimmste war: Diese Stelle schien nicht ihr wirklicher Platz zu sein. Vielleicht gab es für sie einfach keinen Platz in dieser Welt?

 Mit schwerem Herzen verlebte sie die Tage. Das wirkte sich nicht nur negativ auf ihre Laune aus, sondern auch die Kinder bekamen den Schmerz und die Enttäuschung ihrer Erzieherin deutlich zu spüren, nur in Form von Wut. Doch das schüchterte die Kinder keineswegs ein, sondern stachelte sie nur zu mehr Frechheiten an.

Eines Morgens, es war Anfang Dezember, trieb Logan es derart auf die Spitze, dass Cati ihn in seinem Zimmer einschloss und dort bis zum Mittag sitzen ließ. Als sie ihn zum Essen holen wollte, stellte sie erschrocken fest, dass sein Zimmer leer war. Das Fenster hatte er notdürftig wieder nach unten geschoben. Das war ja zu erwarten gewesen! Was hatte sie sich auch nur dabei gedacht, Logan allein in seinem Zimmer zu lassen und dann noch im ersten Stock? Sie hatte Gedacht er hätte so viel Verstand und auch Angst, um sich nicht vom Fleck zu rühren. Doch da hatte sie sich getäuscht. Gründlich und furchtbar getäuscht. Der Junge könnte wer weiß wo sein. Vielleicht war ihm sogar etwas zugestoßen. Wenn das so war... Cati würde sich das niemals verzeihen. Sie hatte vielleicht das Leben ihres Schützlings gefährdet und sie hatte versagt. Sie würde ganz bestimmt gefeuert werden. Vielleicht. Eben. Das alles stand unter einem großen Vielleicht. Cati hasste ihre ausgeprägte Fantasie in diesem Moment. Sie musste etwas tun. Irgendetwas. Schnell rannte sie die Treppen hinunter in die Küche. 

„Lisa, haben Sie Logan gesehen?" 

Die Köchin legte den Löffel aus der Hand mit dem sie einige Steaks auf eine Servierplatte gelegt hatte. „Nein, ich habe ihn seit dem Frühstück nicht mehr gesehen." 

Das hatte Cati sich gedacht. Aber es hätte ja sein können. Vielleicht. Sie begann in der Küche hin und her zu gehen. Mit dem Zeigefinger tippte sie sich immer wieder aufs Kinn. „Das ist schlecht. Das ist außerordentlich schlecht und schrecklich und furchtbar und-" 

„Ist er weg?" 

Cati blieb stehen und blickte Lisa kläglich an und nickte. 

„Ja, da haben Sie recht. Das ist wirklich schlecht. Suchen Sie ihn. Solange er auftaucht bevor der Besuch kommt, ist alles in Butter." 

„Besuch?", fragte Cati entsetzt. 

„Wussten Sie davon nichts? Dieser Mann wird vielleicht ein wichtiger Geschäftspartner von Mr Torres. Durch diese Partnerschaft können beide Steinreich werden und Geschichte schreiben." Lisas Augen funkelten gierig. 

Wie schrecklich! Wie unbeschreiblich schrecklich! Was hatte sie nur angerichtet? Aber warum legte man ein Geschäftsessen denn auch auf die Mittagszeit und nicht auf den Abend? In dieser Stadt herrschten komische Sitten. Oder waren die in ihrer Heimatstadt komisch? Vielleicht. Oh wie sehr sie dieses Wort gerade hasste. Vielleicht war Logan noch auf der Farm, vielleicht war er irgendwo im nirgendwo in Lebensgefahr. Vielleicht würde Mr Torres ab heute so erfolgreich werden wie kein anderer Farmer in dieser Gegend und sie würde vielleicht den größten Verlust und die größte Blamage ihres Lebens in ihr Lebensbuch eintragen müssen. Diese unerträgliche Ungewissheit machte sie ganz verrückt. Beinahe Wahnsinnig. 

„Ich geh jetzt Logan suchen. Je eher ich ihn finde, desto besser." 

Die Köchin war wieder mit dem herrichten des Essens beschäftigt und nickte nur knapp. 

 Cati eilte in den Flur, schlüpfte in ihren Mantel, wickelte in Windeseile einen Schal um ihren Hals und lief aus dem Haus während sie ihre Handschuhe überstreifte. „Logan! Logan, wo bist du? Komm sofort her, wenn du mich hörst!" 

Bitte hört er mich! Bitte ist er irgendwo. 

„Looogaaan!" 

Sie hatte versagt. Vielleicht – da war es schon wieder – hatte sie unendlich versagt. 

„Logan!" Catlen May war jetzt richtig wütend. Nicht nur wegen ihrem Versagen oder dass dieser Bursche sie nicht respektierte, sondern weil er ihr scheinbar von ganzem Herzen das Leben zur Hölle machen wollte. Wenn sie ihn fand dann würde sie ihn... 

Ja, was würde sie? Sie hatte sich und Maddie versprochen die Kinder niemals zu schlagen und jetzt wollte sie nichts lieber als das. Sie lief wieder zurück ins Haus. Vielleicht – dieses Wort schien Cati zu verfolgen – vielleicht wusste Tillie ja wo ihr Bruder war. Sie fand das Mädchen bei ihrer Lieblingsbeschäftigung: malen auf der Schiefertafel. Natürlich im Wohnzimmer an dem niedrigen Tisch. 

„Tillie, wo ist dein Bruder? Sag es mir jetzt, wenn du es weißt." 

Das Mädchen sah sie mit Mondgroßen Augen an. So wütend hatte sie ihre Gouvernante noch nie erlebt. „I-ich... E-er... er wollte zum See." 

„Allein?" 

Tillie nickte mit zusammengepressten Lippen. 

„Weine nicht, Liebes. Dir passiert nichts." Catis vor Wut bebende Stimme war nun etwas sanfter. 

„Und Logan?" 

„Nun, er wird angemessen bestraft werden. Aber darüber musst du dir keine Gedanken machen. Bleib du nur brav hier, bis ich wieder da bin." Cati rannte zur Scheune, wo sie einen der Arbeiter darum bat den Wagen für sie anzuspannen. Er beeilte sich zwar, aber es dauerte Cati dennoch viel zu lange. In ihrem Kopf malte sie sich Horrorszenen aus, was Logan alles zustoßen könnte. Endlich war der Wagen angespannt und sie konnte losfahren. Mit den Augen suchte sie die Umgebung ab, während ein Ereignis aus der Vergangenheit in ihr hochkam.

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1895

Als Cati die Tür öffnete wich sie vor Überraschung einen Schritt zurück. „Du, Will?" 

William hielt eine Angel in der linken Hand und neben ihm stand eine Kiste in der Cati Köder und andere Dinge vermutete, die zum Angeln nötig waren. Er grinste schief und sie fing sich wieder. 

„Wie kann ich dir helfen?" 

„Gar nicht", antwortete er Schulterzuckend. „Ich wollte dich fragen, ob du mit mir angeln gehen willst?" 

Überrascht runzelte sie die Stirn. „Ich? Wie kommst du auf mich?" 

Wieder zuckte er mit den Schultern. „Alle anderen haben zu tun." 

Cati hob die Augenbrauen. „Und das ist kein Trick, um mich ins Wasser schmeißen zu können oder ähnliches?" 

Abwehrend hob ihr Gegenüber seine Hände und fuchtelte damit in der Luft herum. Sein Blick sprach Bände, als er sagte: „Niemals!" und sie glaubte ihm. 

„Weiß deine Mutter denn, dass du angeln gehst?" 

Die ganze Stadt wusste, dass kein Kind von Sandy Karp auch nur in die Nähe von tiefen Gewässern durfte und nicht mal schwimmen lernen durften, weil vor langer Zeit ihre jüngere Schwester bei einem Badeunfall ums Leben gekommen war. 

William trat von einem Bein aufs andere und kratzte sich am Hinterkopf, als überlege er, was er jetzt machen solle. Dann blitzten seine Augen spitzbübisch, sodass sich ein unbehagliches Gefühl im Cati breit machte. „Ich weiß, dass du und Maddie schon paar Mal heimlich angeln ward, also zier dich nicht so." 

Cati wollte etwas Heftiges erwidern, ließ es dann aber sein. Seufzend willigte sie schließlich ein mit ihm zu kommen und machte sich mit ihm auf den Weg. Unterwegs holte sie noch ihre Angel aus ihrem Versteck, um selbst auch etwas fangen zu können. Etwas mulmig war ihr schon zumute, da Will nicht schwimmen konnte, aber letztendlich entscheid sie sich dazu, dass es seine Entscheidung war was er tat und nicht in ihrer Hand lag auf ihn aufzupassen. 

William führte sie, beim See angekommen, zu einem kleinen Boot, dass versteckt im Schilf lag. Er stellte die Kiste mit den Angelutensilien hinein und begann das Boot aufs Wasser zu schieben. „Hilf mir, Cati und steh nicht dumm rum." 

Ungläubig, ja fassungslos starrte Cati auf das Boot. „Das kann doch nicht dein Ernst sein, Will! Du kannst nicht schwimmen und willst Boot fahren?" 

Er verdrehte entnervt die Augen. „Ich fahre damit nicht zum ersten Mal und jetzt komm endlich." Er gab dem Boot noch einen letzten Stoß und es gleitete geschmeidig ins Wasser. „Steig ein", forderte er sie auf. 

Zögernd trat sie einen Schritt auf das Boot zu und kletterte hinein. Kaum saß sie, da warf er das Seil an dem er das Boot festgehalten hatte hinein und war mit einem Satz ebenfalls drin. Es schaukelte heftig und Cati klammerte sich an die Wand des Gefährts. Fast hätte sie ihn zur Vorsicht gemahnt, aber er hätte sie dann womöglich einen Angsthasen genannt und zu solchen Sticheleien hatte sie im Moment keine Kraft. 

Kontrolliert und sicher paddelte William bis zur Mitte des Sees. „Hier sind die meisten Fische und es ist am Erfolgversprechendsten." Er legte die Ruder beiseite und griff nach seiner Angel. Geschickt fädelte er einen kleinen Wurm als Köder auf den Angelhacken. Cati tat es ihm gleich und schon bald saßen sie da und beobachteten schweigend die Schnüre ihrer Angeln, um ja kein Zeichen zu verpassen, dass ein Fisch angebissen hatte.

Die Zeit verging für Cati endlos langsam, da sich kein einziger Fisch auch nur in die Nähe ihres Angelhackens wagte, während bei Will schon drei angebissen hatten. Für die Jahreszeit war es ungewöhnlich warm, da die Sonne ungehindert auf den See scheinen konnte. Für Cati war das eine große Erleichterung. „Macht es überhaupt Sinn, was wir machen? Du musst die Fische doch sowieso wieder zurück ins Wasser werfen." Sie war langsam frustriert und ihr verging immer mehr die Lust schweigend dazusitzen und auf etwas zu warten, dass eh nicht geschehen würde. 

Will lachte. „Du meinst wohl: Es macht keinen Sinn, weil bei dir niemand anbeißt." 

Cati brummte in sich hinein. „Es macht für uns beide keinen Sinn, weil weder du noch ich die Fische mit nach Hause nehmen können." 

Will sah sie jetzt ernst an, als er antwortete: „Ich sag dir jetzt mal was, Cati: Ich werde nicht den Rest meines Lebens einen großen Bogen um jeden Fluss, jeden See und jede Wasserstelle machen. Eines Tages wird Mama nichts mehr über mich zu sagen haben und dann lerne ich schwimmen und werde so lange und so viel angeln wie ich will. Mama kann ruhig bis zu ihrem Lebensende Angst vor Wasser haben, aber mir wird sie dadurch keine machen und meinen Geschwistern auch nicht." 

Sein Gesicht war vor Erregung rot angelaufen, das machte Cati Angst, aber sie sagte nichts. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken daran, dass Will sich eines Tages so stark über den Willen seiner Mutter hinwegsetzen würde. Sie fragte sich, ob das gut ausgehen wird und wünschte sich gleichzeitig, dass er es nie probieren würde. Es könnte zu einer Katastrophe kommen, aber sie scheute sich es ihm zu sagen. Deshalb zuckte sie nur mit den Schultern und erwiderte nur: „Du kannst es ja versuchen." 

Er wollte etwas antworten, doch plötzlich zog es an seiner Leine so stark, dass sie beide gleichzeitig auffuhren, das Boot somit bedenklich ins schaufeln brachten und das eben gehabte Gespräch sofort vergessen wurde. 

„Da beißt ein riesiger Fisch an, Will! Hol ihn raus. Los, hol ihn raus!" Cati wurde vor Begeisterung ganz aufgeregt und rutschte näher an die Bootkante. 

„Der ist zu schwer. Hilf mir mal." 

Catlen musterte die Angel. „Wo soll ich anpacken?" 

„Komm her und nimm Griff." 

Sie schob sich in seine Richtung, er drückte ihr die Angel in die Hand, kniete sich aufrecht hin und lehnte sich dann vor. Blitzschnell griff er nach der Leine, um daran zu ziehen, doch seine Bewegung war zu heftig. Er verlor das Gleichgewicht und fiel Hals über Kopf ins Wasser. Sofort warf Cati sich ein wenig nach hinten, um zu verhindern, dass das Boot kenterte und sie hinterherflog. Würde er schwimmen können wäre Catlen jetzt in schallendes Gelächter ausgebrochen so komisch hatte es ausgesehen. Doch der Gedanke er kann nicht schwimmen, erstickte jedes Lachen.

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